Ist die „Kapitallogik“ ein „verborgener Gott“? Wird mit einem Neustudium des Werks „Kapital“ und dem Blick auf reale, allem individuellen Wollen vorgängige gesellschaftliche Verhältnisse die individuelle Freiheit außer Kraft gesetzt? Wäre es demgegenüber nicht besser, alle Verhältnisse als „nur“ konstruiert zu destruieren, um der individuellen Freiheit zum Ausbruch zu verhelfen?
Für Marx stand es außer Frage, dass das Aufdecken der Gesetze der kapitalistischen Gesellschaftsform „zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt“ (MEW 23: 28). Diese Verbindung von Begreifen und Kritik löste sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr auf. Das Begreifen von nicht mehr unmittelbar sicht- und spürbaren Gesetzen, Strukturen und Verhältnissen geriet in den letzten Jahrzehnten unter den Verdacht der Dogmatik und wurde im Zuge des Einzugs dekonstruktivistischer Denkweisen immer mehr aufgegeben. Dieser Verzicht auf die Annahme objektiv realer, aller Konstruktion vorgänglicher Strukturen und Verhältnisse geschah im Namen der Befreiung von Individualität. Der Marxismus wird fast nur noch erinnert in seiner Theorieform als Erkenntnis von Verhältnissen, die das menschliche Tun determinieren, prägen und bestimmen. Das Vorwort zur ersten Auflage des „Kapital“ bestärkt diesen Eindruck; hier geht es um „die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess“ (MEW 23: 16), dem gegenüber Personen „nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind“ (ebd.) auftauchen. Tatsächlich wäre diese Sichtweise, die Ernst Bloch als „Kältestrom“ bestimmt, einseitig. Im „Kältestrom“ geht es darum, festzuhalten, warum nicht immer alles möglich ist. Die Welt ist „nach Möglichkeit“ (was den determinierenden Kältestrom bedingt) und „in Möglichkeit“ (was das Entstehen von Neuem im Wärmestrom ermöglicht). Der Kältestrom erfasst lediglich die „ökonomisch-materielle[n] Stations- und Fahrplanbestimmungen für den Geschichtsstrom“ (Bloch EM: 141).
Dass diese Sichtweise nicht ausreicht, betont auch Wolfgang Fritz Haug in seiner Auseinandersetzung mit einem kritisch politökonomischen Buch (Haug 2008). Er betont, dass die doch recht offensichtliche Aussage von Marx, Personen als „Personifikation ökonomischer Kategorien“ zu behandeln, nicht bedeutet, dass Marx grundsätzlich unterstellt, dass handelnde Subjekte nur als solche handeln. Würden die empirischen Individuen auf ihre Eigenschaft als Exekutoren der kapitallogischen Gesetze reduziert, wäre, so kritisiert Haug, eine Erscheinung lediglich verdoppelt und mit dem Index der Notwendigkeit versehen worden. Das Begreifen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse würde diese nur befestigen, weil es scheinbar die Ausweglosigkeit beweist. Tatsächlich wird das Studium des „Kapital“ viele Illusionen verfliegen lassen. Robert Kurz wird nicht müde, Auswegversuchen aus dem Kapitalismus immer wieder nachzuweisen, dass sie innerhalb der Logik des Kapitals bzw. der Wertlogik verbleiben. Das erspart schon mal überflüssige Kraftanstrengungen. Kurz und seine Anhängerinnen und Anhänger mögen jedoch für die Negation des Kapitalismus aus ihm selbst nichts ableiten. Damit wirken sie entmutigend und lähmend. Ihr Vorschlag für eine Alternative ist durchaus nicht falsch: Es geht darum, „den Einsatz der menschlichen Ressourcen und Möglichkeiten in neuen gesellschaftlichen Institutionen bewusst zu organisieren“ (Exit!-Selbstdarstellung). Bewusste Organisation statt gesamtgesellschaftliche Koordinierung der Privatproduktion, die kapitalistisch über das Wertgesetz vermittelt wird. Wie wir dazu kommen, dazu gibt es bei ihnen aber keine Überlegung und keine Praxis. Wie schon in den früheren Versuchen, mit dem Sozialismus eine Systemalternative zu entwickeln, können wir uns weder die Menschen noch die Bedingungen einfach „backen“, mit denen die ganz andere Gesellschaft funktionieren könnte. Wir müssen von dem ausgehen, was wir haben: einem hoch entwickelten, menschliche Kräfte und Lebensbedingungen barbarisch zugrunde richtenden High-Tech-Kapitalismus. Wenn wir seine Wirkungsweise begreifen, erkennen wir auch die Schein-Alternativen, die uns nur unnütz Kräfte rauben würden. Aber „Begreifen“ im Sinne einer von Marx durchschauten Dialektik bedeutet gleichzeitig auch Kritik und Darüber-Hinaus-Gehen.
Wolfgang Fritz Haug setzt gegen die einseitige Interpretation von Menschen als „Exekutoren“ einer vorausgesetzten Kapitallogik, gegen ein von den Verhältnissen geprägtes Verhalten, gegen eine Subjektvorstellung, die nur durch deren Konstitution durch die Strukturen ausgeht eine Subjektivität, die vor allem in der Unbestimmtheit besteht. Das Szenario des Verhaltens im Kapitalismus ist festgelegt, nicht aber die konkrete Szene, die individuelle Konkretion (Haug 2008: 262). Diese Sichtweise, die er auch mit dem Bild von zu unterscheidendem Handlungsfeld und Handelnden bestärkt, ist m.E. noch nicht ausreichend. Sie bleibt defensiv innerhalb des Rahmens des durch die kapitalistischen Verhältnisse gegebenen Handlungsfeldes. Haug vermerkt zwar, dass dieses Handlungsfeld selbst erst durch das Handeln geschaffen wird, dass es das „regulierende Resultat“ des menschlichen Handelns ist (ebd.: 263), aber ob und wie Menschen durch ihr Handeln eine andere Resultante erzeugen könnten, nämlich eine bewusste Koordination der menschlichen Ressourcen und Möglichkeiten (Exit!), ohne dass dabei neue Herrschaftsstrukturen entstehen, bleibt offen. Individuell unbestimmtes Handeln im festgelegten Handlungsfeld könnte sich auch mit der Wahl der Marmelade im Supermarkt zufrieden geben, was der Kapitalismus nicht nur aushalten kann, sondern profitabel vermarktet. Wirkliche subjektive Individualität besteht im Begreifen der Bedingungen für das zu beendende derzeitige Herrschaftsverhältnis und der aktiven Beseitigung dieser Bedingungen, verbunden mit der Erschaffung der Bedingungen für bewusste und freiheitliche gesellschaftliche Strukturen. Wenn wir den Fokus der Überlegungen auf die „Aufhebung der Bedingungen“ legen, so fallen schließlich auch das Begreifen und die Kritik zusammen. Wir begreifen, was wir kritisieren und kritisieren, was wir verändern können und werden.
In dieser Beziehung hat die Kritische Psychologie, in deren Kontext sich alle Schriften für Morus Markard bewegen, bereits viel ausführlichere Aussagen getroffen. Es geht nicht um eine willkürliche, nur subjektive unbestimmte Ausfüllung eines bestimmten Handlungsrahmens, es geht um die grundsätzliche Möglichkeit einer „gemeinsame[n] Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten überhaupt“ (Holzkamp 1985: 2).
Wenn Wolfgang Fritz Haug im Endergebnis den begreifenden Menschen nur die Verantwortung zuspricht, vor der Destruktivität der Verhältnisse die Augen nicht zu verschließen und sich „subjektiv übers bloße Mitläufertum zu erheben“ (ebd.: 264), so finden sie sich im besserwisserischen Elfenbeinturm wieder. Ein besserer Platz wären all jene realen Kämpfe, die im Kampf gegen kapitalistische Lebens-, Arbeits- und Eigentumsbedingungen längst weltweit losgebrochen sind, ob bei den Aufständen in Griechenland, den Welt- und anderen Sozialforen, bei den Tarifstreiks und –demos in Deutschland und in all jenen Projekten, in denen Menschen Teile der Produktion ihrer Lebensbedingungen wieder in die eigene Hand zu nehmen versuchen, wie der Commons- und Peer-Produktions-Debatte und -Praxis.
Es geht nicht nur darum, eine bessere Marmelade auszuwählen, es geht darum, wer warum unter welchen Bedingungen Marmelade und andere Dinge herstellt und nutzt. Subjektivität ist nicht vorwiegend Unbestimmtheit, sondern der ganz bestimmte Kampf um die Wiedererringung der Verfügungsgewalt über die eigenen Lebens- und Produktionsbedingungen. Dass diese nicht nur symbolisch und textlich konstruiert sind, sondern die Abschaffung realer Machtverhältnisse erfordert, wird uns nicht aufhalten, führt uns aber zur Notwendigkeit des Begreifen dieser Verhältnisse.
Literatur:
- Bloch, Ernst (EM): Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis. Werkausgabe Band 15.Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 1985.
- Exit! Selbstdarstellung: Kapitalismuskritik für das 21. Jahrhundert. Mit Marx über Marx hinaus: Das theoretische Projekt der Gruppe „EXIT!“. In Internet: http://www.exit-online.org/text.php?tabelle=selbstdarstellung (abgerufen 10. Februar 2009)
- Haug, Wolfgang Fritz (2008): Was heißt „Personifikation ökonomischer Kategorien?“. In: >>Abstrakt negiert ist halb kapiert << Beiträge zur marxistischen Subjektwissenschaft. Morus Markard zum 60. Geburtstag. Hg. L. Huck, C. Kaindl, V. Lux, Th. Pappritz, K. Reimer, M. Zander. BdWi-Verlag 2008. S. 257-365.
- Holzkamp, Klaus (1985): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/New York: Campus.
- Marx, Karl (MEW 23): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. (1867) In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Band 23. Berlin: Dietz Verlag 1988.
Mai 12, 2010 at 8:58 pm
Hallo, Annette,
ich finde Deine Kritik am Kurzschen Verdikt, aus dem Gefängnis der Kapitallogik sei derzeit kein Entrinnen, stichhaltig:
Zwei Argumente in aller Kürze:
Ein Argument für die Notwendigkeit des Ausbruches aus diesem Gefängnis ergibt sich aus der weltgeschichtlichen N o t der barbarischen Krise des Weltkapitalismus- Muss man da nicht alles und mit aller Hilfe, die man bekommen kann, an Rettung versuchen? Natürlich ist das immer riskant-aber menschlich! Adorno konnte in der Zeit des Fordismus o h n e Not mit einem gewissen Recht eine bestimmte Praxisaskese plausibel machen.
Ein anderes Gegenargument gegen die angebliche Unaufbrechbarkeit des kapitallogischen Gefängnisses erwächst bei Dir Annette wie bei mir aus subjekttheoretischen Erwägungen`:
Besonders akzeptabel ist für mich da Deine Betonung der Notwendigkeit des realen Subjekts als aktivem, verantwortungsvollem Gestalter und dessen letztliche individuelle Unverfügbarkeit und Unerreichbarkeit durch das kapitalistische „automatische Subjekt“, auch niemals völlig usurpierbar durch anonym prägende ökonomische Realkategorien(Wertform,ökonom. Fetische )
Ohne dieses subjektiv Unverfügbare: Wie könnte der Kapitalismus da je besiegt werden?
Subjektivität aber auch auf der Gegenseite: Die Verabschiedung jeglicher
p e r s ö n l i c h e r Herrschaft heute(in: Blutige Vernunft)ist voreilig und gefährlich. Diese Verabschiedung wird m.E. dementiert durch unzählige Berichte über hierarchisches Mobbing(zuletzt: Telecom France)mit geleg. „Flucht“ in die Selbsttötung usw.Da gibt es Verantwortung.
AntikapitalistenundKapitalisten:
Trotz „automatischem Subjekt“ beide im Kern frei und also verantwortungsethisch „haftbar“-da schützt auch keine „Charaktermaske“- ermöglicht höchstens mildernde Umstände..
Mit Dir stimme ich überein, daß Kurzens Abkanzeln jedes kleinen, regionalen kapitalismus-emanzipatorischen Praxisversuchs als a limine vergeblich, entmutigend und lähmend ist. Gewiß gibt es da jede Menge Sackgassen und Stagnation. Aber es sind Orte, wo tendenziell weiterführendes kapitalismuskritisches Bewußtsein entstehen k a n n. Und handelt es sich nicht meistens um Menschen mit kapitalismusemanzipatorischer Intention?
Und darum hast Du besonders recht, wenn Du -gegen Kurz- betonst, daß wir uns weder die Bedingungen noch die Menschen „einfach backen“ können, mit denen wir j e t z t theoretisch und praktisch beginnen müssen, den Weg aus der kapitalistischen Barbarei zu suchen und -im wie immer Kleinen- zu suchen und voranzugehen.
Meinst Du allerdings nicht auch,Annette, daß von Anfang an unaufhörliche, geduldige und in der Sache konsequente Arbeit am durch ökonomische Fetische und kapitalist. Bewußtseinsmanipulation erzeugtem falschen Bewußtsein dieser Menschen unerläßlich ist?
Müssen wir in diesem Punkt Kurzens Bestehen auf der Notwendigkeit der theoretischen Arbeit nicht als richtig anerkennen? Backen nicht- aber im kritischen Diskurs falsches Bewußtsein dialektisch negieren?
Zudem wäre Kurzens These auf ihre Gültigkeit zu prüfen, daß durch Konkurrenz und Verwissenschaftlichung , nach der Mikrochip-Revolution,im Kapitalismus tendenziell global die absolute Mehrwertmasse, damit aber de facto Kapitalistenklasse u n d Proletariat als Relata des Kapitalverhältnisses verschwinden- und damit auch das Proletariat als „historisches Subjekt“ obsolet wird.
Dürfen wir, wenn diese These richtig ist, erst recht nicht warten , bis das Proletariat endgültig eliminiert ist, sondern müssen wir nicht alle h e u t e schon beginnen , alle im weitesten Sinne humanistischen antikapitalistischen Kräfte und ebensolche Teile des abnehmenden Weltproletariats allmählich zu vereinen zu einem neuen historischen Menschheitssubjekt?Das geht natürlich in einer erst zu schaffenden kritisch-scharf streitenden, aber solidarischen Gegenöffentlichkeit zu der des Kapitals. Das wird ein langer Prozess und -außer Faschisten- sollte da nicht jeder vernünftige Mensch teilnehmen können?
Damit wäre dann auch Deine Kritik an Haug(ich kenne seinen Text allerdings nicht, Annette, aber das Zitat über den Theoretiker „in der Höhe über“ist schon ne Wucht) en passant bestätigt: all die Subjekte, die sich im ob. Sinne zusmmenfinden, sind schon in gewissem Maße
gesellschaftlich-histórisch-telisch ausgerichtete Subjekte und können es immer mehr werden.
Kurzens entmutigende These, nur eine globale Kapitalnegation könne letztlich reussieren, stimmt abstrakt: aber wie man nicht ohne die Menschen arbeiten kann, die für eine emanzipatorische Praxis offen sind,(können das nicht auch „Arbeitermarxisten“ sein?)kann man eine W e l t revolution „wie aus der Pistole geschossen“ (Hegels Schellingkritik)machen? Entwickelt sich die nicht eher rhizomartig, proche en proche, mit viel Fehlern, vor-und-zurücks etc.und auch unter ständiger Gefahr für Gesundheit, Freiheit, Leben , ausgehend von den kapitalistischen Machteliten? Das kann schon bei der einfachen Betriebsbesetzung geschehen, kommt bei Kurz gar nicht mehr vor. Bei ihm müssen die Kapitalisten ja nur die ökonomischen Fetische durchdringen! Sind sie dann schon brav und friedlich zur Enteignung bereit?
(und die Manager sind ja nun nicht alle Würstchen wie der schokoladenfressende Börsenzocker, der die Baring?Bank erledigt hat. Erst recht nicht die großen Eigentümer, für die sie arbeiten..).
Und kann man bei heutigen Widerstandsaktionen gewisse ,hoffentlich vorübergehende, Systemstabilisierungen überhaupt vermeiden? Muss man damit dann nicht d i a l e k t i s c h umgehen? Ich weiß nicht, wie Du das siehst, Annette. Aber mit Hilfe des von allen direkt und indirekt Beteiligten aufrecht erhaltenen Konzepts der Totalitätsnegation, muß es dabei doch nicht bleiben, oder? . Meinst Du nicht auch, daß man das von Kurz inkriminierte Reparaturhafte etwa von heutigen Betriebsbesetzungen ab ovo einberechnen muß und durch ständige kritisch Reflektion darauf überwinden kann?
So viele Fragen
Solidarischen Gruß Harald-Ali
Mai 16, 2015 at 3:34 am
Liebe Annette, unten ein für Dich auf den ersten Blick mit Recht ein befremdlicher Kommentar- diesmal zum gerade verstorbenen Eduardo
Galeano. In ihm geht es aber auch um obiges Thema , nämlich die inzwischen immer drängendere Frage der Abschaffung des immer mörderischeren Profitsystems samt seiner ebensolchen Eigentumsverhältnisse, zu denen Galeano immer wieder kritisch sich äußerrte- vor allem wenn sie als Extraktionismus riesiger multinationaler Konzerne immer mehr die N a t u r g r u n d l a g e der Menschheit zerstören.
Ich habe dazu einen Text geschrieben, der sich auf eine ausgezeichnete Galeano-Würdigung in der TAZ ca. 14.5.2015 bezieht, konnte ihn dort aber nicht unterbringen. Daher versuche ich-s jetzt hier, weil ich denke, es ist auch in Deinem Interesse, daß die Diskussion dieses Menschheits-agendum weiter getrieben wird. Dazu soll mein Kommentar ein kleiner Beitrag sein.
Solidarischen Gruß Harald-Ali
Galeano war vielleicht so etwas wie ein ökologischer Sozialist, Solidarist-
Solidarisch mit den kapialistisch Ausgebeuteten,Verarmten,Verelendeten, Entwürdigten- und der ebenso ausgebeuteten und dadurch immer mehr z e r s t ö r t e n Natur. Sie zu bewahren war auch ihm seit längerem der dominierende W e r t, den die Menschheit als Ganzes verwirklichen muß, wenn sie nicht ihre m a t e r i e l l e E x i s t e n z g r u n d la g e unwiderruflich verlieren will, letztlich also auf diese Art ein homicid zustande kommt.
Im heutigen Bolivien, aber vor allem in Uruguay ,gefährdet der kapitalistische A r m u t vermeiden wollende „linke“ Extraktionismus schon zusehends die materielle Existenz der dortigen Völker , konfligiert damit mit den regionalen und globalen kapitalistischen Produktionismuszielen .
Die Präferenzordnung, die Linke wie Galeano angesichts dieses Zielkoflikts wählen müssen ist m.E. gewissermaßen schon eine den Kapitalismus t r a n s z e n d i e r e n d e-.
Linkshumanistische Menschen- wie die Protagonisten linker Regierungen in Südamerika, aber letztlich auch bei uns, kommen um diese Erwägung von K a p i t a l i s m u s t r a n s z e n d e n z zur Erhaltung der Völker- und M e n s c h h e i t s e x i s t e n z in Theorie und Praxis unter Berücksichtigung möglichst aller relevanten pro und contras kapitalistisch-ökonomischer Realien überhaupt nicht herum.
Ist die N a t u r g r u n d l a g e gefährdet, sticht das sich an Marx orientierende Zulassen noch der wüstesten Kapitalismusexpansion nicht mehr.Wird die Naturgrundlage der Menschheit vom wild gewordenen Finalkapitalismus zerstört, wird mit der Menschheit auch der Kapitalismus eliminiert. Daher muß der besser früher als zu spät zum Wohl der Menschheit verschwinden.
Hegel sprach einmal davon, die Menschheit müsse lernen „auf dem Kopf zu gehen!“ Das muß ein moderner Marxismus, Sozialismus, Möchtegern-Kommunismus schon längst auch Er kann sich nicht mehr auf das bloße Zulassen der Dynamik des W e r t gesetzes heute beschränken, weil das ja „marxistisch“ sei..
„Auf dem Kopfe gehen“ hieß m.E. für Galeano, heißt es dringender denn je für uns , endgültig und notfalls mit rätedemokratischer Gewalt dem „automatischen Subjekt“ ,dem Gesamtkapital des Globus. mit der „Dialektik der Freiheit“(siehe Sartres moralphilosophischen Nachlaß) „in den Arm fallen“ mit einem von Walter Benjamin angemahnten „brutalen Griff der Rettung“ der Menschheit, durch entschlossene Abschaffung des Natur und damit die Menschheit zerstörenden Profitsystems.
Vermutlich ist die Menschheit jetzt an der historischen Schwelle angelangt, wo sie sich der Fetisch camouflierten Zwangsgesetze der kapitalistischen „Weltuntergangsmaschine“(DavidStockmann)entwinden m u ß, es k ö n n e n m u ß -bei Strafe des Untergangs von Völkern und letztlich der Menschheit.
.
So scharfsinnige marxistische Kapitalismusanalysten wie
Robert Kurz haben diese Präferenznotwendigkeit, dieses jetzt schon längst fällige Gebot der N o t w e n d i g k e i t und M ö g l i c h k e i t der F r e i h e i t , den kapitalistischen Zwangsgesetzen von innerer und vor allem äußerer Expansion ein E n d e zu machen, nicht gesehen. So endete er in seinem letzten großartigen Krisenanalytischen Buch mit eine schwarzen apokalyptischen TINA-Ausblick.
Fukushima zeigt m.E. in a nutshell die Problematik ,die uns allen zwischen kapitalistischer Zerstörungsmaschinerie und Existenzerhaltungsnotwendigkeit aufgegeben ist und die eben den Benjaminschen f r e i h e i t l i c h e n“brutalen Rettungsgriff“ verlangt.
G a l e a n o war da hellsichtiger , der größere Humanist und Freiheits-Hoffender! Freier selbst als sein Landsmann Mujica, ein gewiß liebenwürdiger Linker, der aber, bloß der Armutsbekämfung wegen sich dem Extraktionismus in Uruguay zu einseitig ergeben zu haben scheint, wie aus obigem Artikel indirekt hervorgeht.
Auch seine Präferenz kann man situational und aus „zeitnahen“ humanistischen Gründen verstehen- aber es ist dabei einfach nicht weit genug gedacht- was die Langzeitinteressen seines Volkes wie der Menschheit angeht, dringend muß für das globale Zurückdrängen der zerstörerischen Konzernmächte in allen internationalen Gremien u n d auf der Ebene von Gewerkschaften,linken Organisationen, Bewegungen usw.
eingetreten werden. G a l e a n o tat das auf seine Weise auf seinem Kontinent, früher schon von Spanien aus.
Günter Anders sagte einst , man müsse notfalls den Atomkapitalismus auch mit Gewalt stoppen- G a l e a n o dürfte mitunter und immer wieder ähnlich empfunden und gedacht haben beim Disput mitFreundInnen über den Kampf gegen den imperialistischen Extraktionismus-
Wir alle werden aus dieser Realpugnanz , diesem ökonomisch-ökologischen Antagonismus immer weniger entkommen können -Wir und alle Menschen „gutenWillens“ müssen l a n g fristig dem Realkaputtalismus rätedemokratisch für immer den Garaus machen, weil m i t ihm die Erhaltung der Gattung immer unmöglicher wird. Einsichten,die etwa die französiche Ökologin Marie Monique Robin, Naomi Klein und wohl immer wieder auch G a l e a n o zumindest in ihrer ganzen schlimmen Widersprüchlichkeit gehegt haben.