Nach dem Online-Stellen der zusammenfassenden pdf zum Thema „Fetisch“ schrieb mir St. Mz. eine längere Mail mit einer etwas komplizierten Frage (mit der die Kommentarfunktion des Blogs wohl überlastet gewesen wäre). Ich hatte zwar schnell eine Antwort darauf, aber ich verstand, dass der Hintergrund der Frage mehr Nachdenkens bedarf und so beschäftigte ich mich ausführlicher damit. Inhaltlich hatte das Problem wohl Robert Kurz 1987 zum ersten Mal ausführlich beschrieben.
Es geht darum, ob bereits vor der Wertformanalyse, wenn es zum ersten Mal um den Tausch einer Ware und ihren Wert dabei geht, schon vom Wert der produzierten einzelnen Ware zu sprechen ist und was es bedeutet, wenn man dies bejaht oder verneint. Bereits hier, im Produktionsprozess verankert Robert Kurz das wesentliche Problem und dies zieht weitreichende Konsequenzen nach sich.
Ich selbst habe im Klärungsprozess für mich verstanden, dass der Unterschied zwischen der Fassung der Wertform im Herstellungsprozess (Kurz) und im Verhältnis der Waren untereinander (Marx: Wertformanalyse und später Austausch) darin besteht, dass einmal die Form „für den Produzenten“ zu betrachten ist (bei Kurz) und das andere Mal geht es darum, dass sich der Wert der einen Ware „in andrer Ware“ ausdrückt.
Und die zweite Erkenntnis: Was nach Robert Kurz bei Marx fehlt, hat seinen Grund darin, dass Marx bis hin zum Austauschkapitel explizit nur das Verhältnis der Waren entwickelt und von den handelnden Personen (deshalb auch von den Produzenten) abstrahiert. Dazu hat er guten Grund, denn er möchte ja die verschiedenen, aufeinander basierenden Arten des Fetischismus nicht unnötig vermengen. Ich werde in meiner Zusammenfassung trotzdem versuchen, die Bedeutung der Kurzschen „Korrektur“ aufzuzeigen.
November 12, 2009 at 11:10 am
Wow, ich bin begeistert und habe viel gelernt — danke! Was ich immer nur so allgemein nennen konnte — etwa, dass Privatheit der Produktion nicht Ungesellschaftlichkeit bedeutet, — hast du jetzt sorgsam herauspräpariert mit der Unterscheidung von »Gesellschaftlichkeit an-sich«, aber nicht »für« die Produzenten, die die konkrete Allgemeinheit der Produkte als abstrakte Allgemeinheit denken und behandeln, weil sie die Produkte als Waren tauschen (verkaufen) müssen.
In der Beziehung von Produzent und Produkt existiert das Wertverhältnis schon in der Produktion. Das heisst auch, dass das Produkt in dieser Beziehung schon »Warenform« annimmt. Hier wäre jetzt nochmal zu durchdenken wie das bei der Wissensproduktion im Unterschied zur stofflichen Produktion ist, ob es da einen systematischen Unterschied gibt. Vgl. dazu auch http://www.krisis.org/2009/konkret-und-abstrakt-allgemeine-arbeit
November 12, 2009 at 11:42 am
Praktisch gesehen, aus meiner Job-Erfahrungswelt: Es gibt da keinen Unterschied.
Ich habe eben einen Blogbeitrag für morgen vorbereitet (Bloch über das Zeitungswesen und die Entfremdung dort für Zeitungsbesitzer und Journalisten) und etwas skeptisch mit der Frage abgeschlossen: „Sind die neuen internetbasierten Öffentlichkeitsplattformen so weit davon entfernt?“
Ohne gründlich darüber nachzudenken, ist mir ja beim Beispiel für den Fetischaspekt der „Versachlichung/Verdinglichung“ auch ohne Probleme was aus dem Bereich der Wissensproduktion eingefallen.
Ich fürchte, auch hier gilt genau dies: An sich kann Wissenschaft natürlich nur als was Allgemeines existieren – aber für die Wissensschaffenden im Kapitalismus wird meiner Erfahrung nach immer deutlicher, dass auch dieser Bereich nicht per se aus der Wertförmigkeit herausfällt. Wie kontraproduktiv die Wertförmigkeit gegen den sachlichen Inhalt steht, wird immer wieder praktisch spürbar, ist aber innerhalb der gegebenen Verhältnisse nur in nischenhafter Form (auch wenn die Nische für Geisteswissenschaftler internetbasiert globale Ausmaße annehmen kann) praktizierbar.
Dezember 1, 2009 at 12:48 am
Der Wunsch ist, dass Arbeit gesellschaftlich für die Produzenten sein soll? Ohne Konsumenten?
Wert (Zugriffsvermögen auf Käufliches) wird in der Produktion einer Vielzahl miteinander konkurrierender Unternehmen erzeugt und das, was dabei gesellschaftlich notwendig und deshalb wertbildend war, im Austausch ermittelt.
Moderne, freie Weltvergemeinschaftung ist vor allem eine Frage des bewusst reflektierenden und beherrschten Zusammenspiels von Produktion und Konsum.
Gruß hh
Dezember 1, 2009 at 4:41 pm
Natürlich nicht ohne Konsumenten. Aber ohne die Trennung zwischen Produzenten, der eigentlich nur für Lohn/Mehrwerterzielung produziert und Konsumenten, die mit der Produktion nichts mehr zu tun haben.
Für mich ist eine „moderne, freie Weltvergemeinschaftung“ nicht identisch mit der „Produktion einer Vielzahl miteinander konkurrierender Unternehmen“. Sondern eine, bei der Menschen mit anderen Formen der Vermittlung ihre gesellschaftliche Beziehungen regulieren und koordinieren als durch „Wert“ über den Markt. Beispiel: Freie Software, das Schreiben und Kommentieren in diesem Blog, etc., etc. Alles Formen des Produzierens und Konsumierens, die keinen „Wert“ zwischen sich brauchen.
Dann hat der Produzent nicht nur ein Interesse am Lohn oder eingetauschtem Geld und es ist ihm eigentlich egal, was er da wie herstellt, sondern die Arbeit bezieht sich auch positiv aufs Tun und das Ergebnis, statt dass dieses zur Mittel zum Zweck des Geldverdienens ist.
Dezember 1, 2009 at 9:13 pm
Annette Schlemm meinte am 1.12.2009 at 4:41
„Für mich ist eine „moderne, freie Weltvergemeinschaftung“ nicht identisch mit der „Produktion einer Vielzahl miteinander konkurrierender Unternehmen“.“
Für mich auch nicht. Da sind wir uns also einig. Geld ist als Vergesellschaftungsmittel viel zu primitiv für die heutige Zeit, es kann nur mehr oder minder relativen Arbeitsaufwand bzw. Arbeitsersparnis spiegeln die dann über die Warenpreise zum Fortschrittsmotor werden – der unter den Umständen natürlich ein Fortschritt ist, nach dessen Auftritt häufig kein Gras (oder auch Regenwald) mehr wächst weil Rücksichtslosigkeit Arbeit spart. Arbeitszeitersparnis sollte nur ein Fortschrittsindikator unter vielen sein wie etwa verschiedene kulturelle Bedeutungen, Nachhaltigkeit, Naturverträglichkeit usw. – und wie alles hinterfrag- und korrigierbar.
Wogegen ich mich wende würde wäre die Vorstellung, dass alles gut wird wenn den Arbeitern die Produktionsstätten in denen sie arbeiten gehören.
Gruß hh
Dezember 2, 2009 at 1:07 pm
Nein, es wird nicht automatisch alles gut, wenn den Arbeitern die Produktionsstätten in denen sie arbeiten gehören.
Aber ohne dass sie ihnen gehören, wird auch nichts gut. Dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung fürs „Gutwerden“.
Dezember 2, 2009 at 5:21 pm
Dass die Produktionsstätten den Arbeitern gehören soll, die in ihnen arbeiten, halte ich für keine sehr gute Idee, und es ist in meinen Augen auch keine notwendige Bedingung für soziale Emanzipation aus der betriebsbornierten Perspektive des lohn- und gehaltsabängigen Wollens und Tuns.
Gruß hh
Dezember 2, 2009 at 5:43 pm
Ob sie allein genau den in ihnen Arbeitenden gehört, will ich auch nicht gesagt haben. Auf jeden Fall dürfen sie nicht fremden Leuten gehören, die die Produktionsmittel und die Menschen nur zum Zwecke der Kapitalvermehrung produzieren lassen.
Wie genau die anderen Eigentumsverhältnisse sich ausgestalten, will ich gar nicht genauer vorgeben (da gibts derzeit in der Commonsdebatte (http://www.commonsblog.de/) einiges.
Dezember 20, 2009 at 7:57 pm
Damit sind wir dann übrigens wieder beim frühen Marx mit dem Entfremdungsgedanken angekommen. Es geht dort um das Verhältnis des Arbeiters zum Produkt der Arbeit als fremden und über ihn mächtigen Gegenstand. (Ökonomisch-Phil. Schriften in MEW 40, S. 514).
Marx scheint diese Sichtweise später fallen zu lassen. Dafür spricht auch die Kritik von ihm und Engels an anderen, die später noch das vertraten, was er früher auch:
„Die Individuen, die nicht mehr unter die Teilung der Arbeit subsumiert werden, haben die Philosophen sich als Ideal unter dem Namen „der Mensch“ vorgestellt, und den ganzen, von uns entwickelten Prozeß als den Entwicklungsprozeß „des Menschen“ gefaßt, so daß den bisherigen Individuen auf jeder geschichtlichen Stufe „der Mensch“ untergeschoben und als die treibende Kraft der Geschichte dargestellt wurde. Der ganze Prozeß wurde so als Selbstentfremdungsprozeß „des Menschen“ gefaßt, und dies kommt wesentlich daher, daß das Durchschnittsindividuum der späteren Stufe immer der früheren und das spätere Bewußtsein der früheren Individuen unterschoben [wurde]. Durch diese Umkehrung, die von vornherein von den wirklichen Bedingungen abstrahiert, war es möglich, die ganze Geschichte in einen Entwicklungsprozeß des Bewußtseins zu verwandeln.“ (Marx DI: 69)
Will heißen: Es gibt keinen „idealen unentfremdeten Zustand“ der herzustellen wäre, sondern alle gesellschaftlichen Formen sind je historisch-konkret und wir können uns auch nur darüber vorwärtshangeln in der Geschichte.
Dezember 21, 2009 at 12:12 am
Marx hat die Perspektive der Aufhebung von Entfremdung gegenüber den Voraussetzungen und Zwecken der Arbeit keineswegs aufgegeben, sondern lediglich einen philosophisch abstrakten und in der Folge fetischisierenden Blick auf das Problem kritisiert. Er ging in seiner Betrachtung nicht von einem vorgestellten „unentfremdeten Menschen“ aus sondern von den gegebenen Verhältnissen – unter denen Arbeiter, da ohne Produktionsmittel und direkten Zugang zu Naturreichtümern, genötigt sind, für fremde Zwecke zu arbeiten. Und wo die Konkurrenz der Plusmacher eine gezielte, planvoll miteiender abgestimmte Entwicklung und Anwendung der menschlichen und von Menschen benutzten Produktivkräfte verunmöglicht und sich die Verhältnisse der Menschen hinter ihren Rücken herstellen.
Wir stehen derzeit vor dem Problem, dass die Produktivkräfte grad durch diese soziale Ohnmacht gegenüber den Voraussetzungen und Folgen der Arbeit wie verrückt voran gepeitscht werden und sich damit einerseits die Möglichkeiten zur mitmenschlichen Gestaltung der Produktion andererseits aber auch deren Blockade rasant entwickeln so dass die Notwendigkeit einer mitmenschlichen Bestimmung der Produktionszwecke (Produktionsmittel, -orte, -mühen, risiken oder -schäden)evident wird.
Gruß hh
Dezember 21, 2009 at 10:13 pm
In Marx Worten:
„Als Fanatiker der Verwertung des Werts zwingt er [der Kapitalismus bzw. Zwang zur Verwertung des Werts] rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist.“
Marx: Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 618
Wobei „volle und freie Entwicklung“ leider etwas nebulös ist und den Kern der neuen Grundlage, nämlich die freiwillige Übereinkunft der weltweit miteinander interagierenden Individuen, an dieser Stelle nicht berührt ist.
Aber die Perspektive sollte erkennbar sein.
Gruß hh
Januar 23, 2010 at 12:48 pm
Habe viel dazugelernt. Danke