Den Text zum Fetisch für die Produzenten hatte ich kaum fertig, als ich noch etwas las, was mich zu einer Ergänzung an dieser Stelle bringt. Diese gehört systematisch auch nicht direkt hinter das Ware-Wert-Kapitel bei Marx, sondern sie lässt sich erst nach der Erklärung des Kapitals ableiten. Aber inhaltlich hat es was mit den hier genannten Verkehrungen zu tun.
Eine wichtige Eigenart der kapitalistischen Produktionsweise ist die Tatsache, dass alle Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit als Produktivkräfte des Kapitals erscheinen (MEW 26.1: 365).
Dies ist darin begründet, dass die lebendige Arbeit dem Kapital einverleibt ist, „als ihm gehörige Tätigkeiten erscheint“ (ebd.).
Auch die Produktionsmittel sind nicht Mittel für den Arbeiter, um Produkte zu produzieren, „sondern er ist Mittel für sie, teils um ihren Wert zu erhalten, teils um ihn zu verwerten, i.e. zu vergrößern“ (ebd.: 366). Produktivkräfte und Produktionsmittel, die er selbst geschaffen hat, stehen ihm in ihrer Funktion, die in der Kapitalverwertung und damit –vermehrung steht, „fremd und sachlich gegenüber“ (ebd.: 367). Marx drückt das auch so aus, dass „die gesellschaftlichen Charaktere ihrer Arbeit ihnen gewissermaßen kapitalisiert gegenübertreten“ (ebd.).
Dadurch wird auch der Zweifel und die Kritik an Wissenschaft und Technik im Kapitalismus begründet. Unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist ein Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik nicht zugleich ein Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit. Dies betont Klaus Peters (1988). Er beschreibt dies genauer:
„Technischer Fortschritt ist die Weiterentwicklung bestimmter Produktionsmittel zum Zweck der Steigerung der Produktivkräfte der menschlichen Arbeit. Sobald aber der Arbeitsprozeß als Verwertungsprozeß des Kapitals betrachtet wird (sozusagen vom Standpunkt des Kapitalisten), wird dieses Verhältnis von „Mitteln“ und „Kräften“ auf den Kopf gestellt. Jetzt wird aus der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit ein bloßes Mittel zur Erhöhung des relativen Mehrwerts, während der technische Fortschritt als Steigerung der Produktivkräfte selbst erscheint, nämlich jener Kräfte, mit denen das Kapital ein größeres Quantum lebendiger Arbeitskraft pro Zeitspanne aus dem Arbeiter „aussaugt“.“
Obwohl diese Aussage technikkritisch wirkt, stellt sie diese Kritik in den angemessenen Rahmen: Kapitalistisch angewandt werden aus den produktiven Kräften der Menschen lediglich Mittel zur Profitgewinnung. Außerhalb der kapitalistischen Verhältnisse ist „Technik […] prinzipiell beherrschbar, weil die Produktivkräfte, die in ihr vergegenständlicht sind, in Wahrheit die Kräfte der menschlichen Arbeit sind und nicht fremde, von den Menschen unabhängige Mächte, die magischerweise toten Gegenständen innewohnen.“ (ebd.) Es liegt an der Nichtmeisterung der sozialen Beziehungen und nicht an der Technik, wenn wir mit unserer jetzigen Technik ökologische Probleme und den Klimawandel herbeiführen.
Unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen, in denen Menschen nicht mehr ausgebeutet und erniedrigt werden, in denen sie selbst und nicht Verhältnisse „hinter ihrem Rücken“ ihre Entwicklung bestimmen, werden sie auch eine andere Art Technik entwickeln können. Ernst Bloch nannte diese dann mögliche Technik „Allianztechnik“.
- P.S. Für ein Veröffentlichungsprojekt sammle ich einige technik(kritik)relevante Materialien auf einer Coforums-Seite.
November 30, 2009 at 10:54 pm
Die Vorstellung, dass die Menschen ihre Verhältnisse selbst bestimmen können müssen um „eine andere Art Technik“ entwickeln zu können schließt noch eine gewisse Fetischisierung des „Selbst“ und auch von „Technik“ ein. Worauf es meiner Meinung nach ankommt, ist, dass die Menschen sich (wir Menschen uns) in die Lage versetzen, miteinender (!) die für die eine sozial und ökologisch nachhaltige Reproduktion oder Mehrung der Gebrauchswerte beste Technik zu entwickeln – und anzuwenden.
Gruß hh
Dezember 1, 2009 at 4:34 pm
Da sind wir uns einig. Ich weiß nicht, wieso die Verwendung der Worte „selbst“ und „Technik“ Fetischismus einschließen soll.
Dezember 1, 2009 at 8:51 pm
Weil das, was so ein Selbst bestimmt höchst unbestimmt ist. Ein Selbst, das genötigt ist, Produktionszwecke und -methoden mit anderen Selbsten abzustimmen ist ein andres Selbst, als eines das meint, schon selbst zu wissen, was gut ist.
Das folgende Dogma wirkt im übrigen auch fetischisierend
„Unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist ein Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik nicht zugleich ein Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit.“
So macht man aus Kapitalismus einen bösen Geist von dem man sich am besten ganz fern hält.
Gruß hh
Dezember 2, 2009 at 1:06 pm
Ein „Selbst“, das „meint, schon selbst zu wissen, was gut ist“ ist eine Abstraktion, die es realistischerweise gar niemals gibt. Natürlich ist dies eine „objektive Denkform“, die in unserer Gesellschaft nahe liegt, aber die meine ich explizit nicht.
Aus dem Kapitalismus mache ich auch keinen „bösen Geist“, sondern ich konstatiere höchst materielle gesellschaftliche Verhältnisse. Was das heißt, braucht längere Erläuterungen, ich will es hier nur festhalten, damit wir nicht aneinander vorbei reden.
Dezember 2, 2009 at 6:09 pm
Gemeint ist also, dass das „eine andere Technik“ bestimmende Selbst auch ein ganz anderes Selbst ist.
Also: Wenn Menschen die Entwicklung und den Einsatz von Technik selbst bestimmen können, werden sie bestimmt eine ganz andere Technik entwickeln und einsetzen wollen weil sie dann ja ganz andere, neue Menschen sind.
So richtig?
Wovon so aber abstrahiert wird, ist die Art bzw. sind die Bedingungen des Zusammenwirkens, die das selbstbestimmte Zusammenwollen und Zusammentun der Menschen letztlich bestimmen.
„…ich konstatiere höchst materielle gesellschaftliche Verhältnisse.“
Technischer Fortschritt und sozialer Fortschritt sind unter keinen Umständen gänzlich identisch und können sich auch unter kapitalistischen Verhältnissen befruchten bzw. bedingen. Dass die Vorstellung falsch ist, dass unter kapitalistischen Verhältnissen entwickelte Techniken keine sozialen Fortschritte zulassen, ist offen sichtlich und für die Begründung der Notwendigkeit sozialistischer Formen der Teilung von Arbeitsmühen, Bereicherungsvermögen,Genüssen und Möglichkeiten der Mitbestimmung (und Reflektion von ökologischen Voraussetzungen und Folgen all dessen) deshalb nicht sehr geeignet.
Statt die Produktivkraftentwicklung nun die Produktionsverhältnisse zu fetischisieren bringt also auch nicht viel weiter.
Gruß hh
Dezember 6, 2009 at 10:24 am
Sie sind immer sehr schnell, irgend eine Aussage ins Absolute zu verschieben und dann in dieser Absolutheit zu kritisieren. Ich fühle jeweils eigentlich nicht meine Position diskutiert und kritisiert. Wir reden ziemlich aneinander vorbei…
Ich habe z.B. nie behauptet, „dass das „eine andere Technik“ bestimmende Selbst auch ein ganz anderes Selbst ist“. Ich sehe immer Übergänge und ein Miteinander von Veränderungen…
Ich habe auch nie behauptet, „dass unter kapitalistischen Verhältnissen entwickelte Techniken keine sozialen Fortschritte zulassen“, aber tendenziell lassen sie eben auch viel zu viele arg gefährlichen Rückschritte zu, die tendenziell spätestens jetzt die Fortschritte konterkarieren (außer für ein paar Privilegierte dieser Welt, zu denen vielen von uns auch gehören).
Und wie ich „nun die Produktionsverhältnisse (fetischisiere)“ sehe ich auch nicht. Ich bin sehr dafür das Wort „fetischisieren“ nicht im Sinne von „überbetonen/verabsolutieren“ zu verwenden, sondern zumindest in Kommentaren, die sich auf einen Text dazu beziehen, als das was sie dort dargestellt sind: als Beschreibung eines besonderen Phänomens im Kapitalismus: „Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ (MEW 23: 86 f.)
Sonst ufert es wirklich aus.
Dezember 6, 2009 at 1:06 pm
Annette Schlemm schrieb am Dezember 6, 2009 um 10:24
„Ich bin sehr dafür das Wort „fetischisieren“ nicht im Sinne von „überbetonen/verabsolutieren“ zu verwenden… sonst ufert es aus“
Da bin ich mit Ihnen einer Meinung, mache aber darauf aufmerksam, dass außer Warenwerte auch die Bedeutung bestimmter Begrifflichkeiten, (dazu gehören m.E. außer die von Ihnen ja selbst als Gegenstand der Fetischisierung erwähnten „Produktivkräfte“ auch „selbst“, Selbstbestimung“ usw.) eben leicht als mit eigenem Geist beseelte Fakten, Funktionen usw. vorgestellt werden solange der Kontext nicht oder zu ungenau erkennbar ist (die Bedingungen der Behauptung nicht genau genug bestimmt sind) – was auf Verhältnisse hindeutet, in denen die sich zueinender Verhaltenden einender unbekannt, gleichgültig, fremd sind.
Auch hier
„…scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ (MEW 23: 86 f.)
Und:
„Es versteht sich, daß die Aufhebung der Entfremdung immer von der Form der Entfremdung aus geschieht“
Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.MEW Bd. 40, S. 553
Als notwendige Bedingung dafür, dass Menschen bei der Wahl der Technik (deren Entwicklung und Anwendung) ökologischen Verstand und eine mitmenschliche Entwicklungsperspektive zugrunde legen (müssen) sehe ich, dass sie sich zu diesem Zweck zusammentun (!) (müssen).
Wer über die Aufhebung von Entfremdung nachdenkt, sollte vor allem die Formen der Arbeitsteilung, d.h. die (voneinender und von der Naturumwelt entfremdenden) Art der Teilung von Arbeitsmühen und Genüssen, Kompetenzen, Verantwortungsbereichen usw. betrachten – und danach Ausschau halten, welche soziale Fortschritte auf dem Gebiet notwendig und (unter welchen Voraussetzungen) machbar erscheinen.
Gruß hh
P.S. Bitte fühlen Sie sich nicht persönlich angegriffen. Ich wollte lediglich Hinweise geben. Es liegt mir daran, dass die genauen Formen des Zusammenwirkens (und deren Veränderungsbedarf)stärker in den Blick kommen ohne dass das berechtigte Bedürfnis nach Delegitimation kapitalistischer Verhältnisse die erst zu entwickelnden und zu belegenden Argumente für sozialistische Entwicklungsperspektiven vorweg nehmen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich mich auf einen Irrweg bewege, denn ich habe oft das Gefühl mich Zentimeter für Zentimeter vorwärts zu tasten. Schon ein wenig ausgeleuchtet ist der Weg hier
http://hhirschel.wordpress.com/fetischbegriff-bedarf/
und hier
http://hhirschel.wordpress.com/2009/02/22/2008/11/23/sind-wir-des-warensinns
Kritik ist willkommen.
Dezember 6, 2009 at 1:33 pm
Danke für die ausführliche Erläuterung. Vielleicht ist das auch ein Problem des Bloggens, dass hier nur Gedankenfragmente stehen, die dann immer wieder Ergänzungen bedürfen, die nicht selbst im Zusammenhang dargestellt werden. Ich kann ja wirklich nicht verlangen: „Lesen Sie alles, was ich geschrieben habe, um mich nicht mißzuverstehen.“ Andererseits kann man nicht alles in einen einzigen Text hineinpacken. Insofern ist die Kommentardebatte dann doch hilfreich. Vielen Dank also, auch für die Links.
Dezember 6, 2009 at 2:16 pm
Ja, danke. Einen schönen 2. Advent noch
Gruß hh