Im Rahmen der Vorbereitung unseres Zukunftswerkstatt-Wochenendes nehme ich hier Bezug auf „Die Vermessung der Utopie“ im Gespräch zwischen Elmar Altvater und Raul Zelik. Sie spielen dabei gerade mit der Unmöglichkeit, etwas noch nicht Vorhandenes vermessen zu können, aber trotzdem schon vermessen genug sein zu wollen, das Land des Noch-Nicht zur Ausgangsbasis von politischem Handeln zu machen.
Heinrich Heine wusste dazu schon 1835:
Wir haben die Lande gemessen, die Naturkräfte gewogen, die Mittel der Industrie berechne, und siehe, wir haben herausgefunden, dass diese Erde groß genug ist; dass sie jedem hinlänglichenRaum bietet, die Hütte seines Glücks darauf zu bauen; dass diese Erde uns alle anständig genug ernähren kann, wenn wir alle arbeiten und nicht einer auf Kosten des andern leben will; und dass wir nicht nötig haben, die ärmere Klasse an den Himmel zu verweisen. (zit. S. 9)
Raul Zelik betont zu gleich am Anfang des Gesprächs, dass eine Utopie nicht im luftleeren Raume entsteht: „Jede Utopie spiegelt die existierenden Verhältnisse wider – sie entwickelt sich als Kritik an diesen.“ (15) Dementsprechend dient der erste von drei Teilen des Buches der Analyse der Krisenhaftigkeit des realen Kapitalismus. Ich fand da vieles aus der Krisenanalyse von E. Altvater aus seinem Vortrag in Jena wieder.
Darauf folgen Einschätzungen des real gewesenen Sozialismus. Er hatte demnach „mit Befreiung wenig zu tun“ (111). Interessant fand ich die Formulierung vom „halben Fordismus“: massenhafte Fertigung von Industrieprodukten – ohne Massenkonsum (wenigstens nach Maßstäben der kapitalistischen Länder). Besonders wichtig fand ich auch die Bemerkung über den Unterschied der Herrschaftsformen im Kapitalismus und im Realsozialismus, der auch erklärt, warum die Empörung gegenüber dem Realsozialismus so viel größer ist. Es geht darum „dass Herrschaft in einer Marktgesellschaft subjektlose daherkommt. Es muss hier keinen politischen Zwang geben, um Verweigerer zurück ins System zu holen. Solche Prozesse können sich beiläufiger vollziehen. Die Notwendigkeit, sich das Überleben verdienen zu müssen, bringt Ausreißer „wie von selbst“ zurück.“ (Zelik, S. 118).
Nun aber zur „kommenden Gesellschaft“, wie sie ihre Vermessung der Utopie – einem Vorschlag von Giogio Agamben folgend – nennen. Was als bessere Form des Lebens und Produzierens kommen kann, kommt nicht von allein – aber auch nicht einfach aufgrund voluntaristischer Willensanstrengung. Ich werde hier nicht viel mehr aus dem Buch abschreiben, sondern nur die Zusammenfassung (S. 200 f.) übernehmen.
1. Ein utopischer Gegenentwurf lässt sich nicht „planen“. Es gibt keinen Königsweg der Emanzipation. Entscheidend ist, dass etwas in Gang gerät. Also dass die Gesellschaft, die gesellschaftliche Mehrheit, zumindest schrittweise, die Kontrolle über Ökonomie und Arbeit zurückerlangt. […]
2. Unsere konkrete Utopie zielt darauf ab, mit Natur, Arbeit und Ressourcen rationaler umzugehen. Sie ist deshalb auch regulierend: Die Gesellschaft muss sich vom Profit- und Akkumulationszwang des Kapitals befreien, aber sie muss gleichzeitig viele Dinge, die uns heute- zumindest in den Industrieländern – normal erscheinen, aufgeben. Zum Beispiel das Automobil: Wenn alle Menschen sich damit bewegten, wäre die Natur am Ende. Es geht also um einen anderen Lebenszuschnitt, ein anderes Konsum- und Verbrauchsmodell. […]
3. Unsere Utopie ist in einem radikalen Sinne demokratisch, also auch rätedemokratisch: Die Menschen entscheiden gemeinsam, was und wie produziert, was und wie gearbeitet wird. Das zentrale Kriterium im Emanzipationsprozess ist, ob die Partizipations- und Entscheidungsmöglichkeiten der Mehrheit vergrößert werden. […]
4. Unsere Utopie zielt auf ein anderes Verhältnis gegenüber der Technik ab. […]
5. Unsere Utopie ist marktkritisch. […]
6. Entscheidend ist die Eigentumsfrage […]
In welcher Weise solche Aussichten „hinter dem Horizont“ in der heutigen aktuellen Politik bereits wirkmächtig werden können, beschreibe ich morgen….
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