Das Lebenswerk von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wird von einheitlichen Grundgedanken durchzogen, welches sich aber in verschiedenen Lebensperioden in unterschiedlichen Konzepten ausformte. Auch seine Vorstellung von Dialektik wandelt sich im Kontext dieser Konzepte.

Ich habe längere Texte dazu in mein „Philosophenstübchen“ gestellt, hier findet Ihr die Kurzfassung.

In seinen Frühschriften verwendete Schelling die Fichtesche Methode der fortschreitenden Wechselwirkung des philosophierenden, also des subjektiven und des objektiven Ich (vgl. sein Rückblick auf diese Zeit in SW X 98).

„Dieses Verfahren, wobei stets, was im vorhergehenden Moment bloß subjektiv gesetzt ist, im folgenden zum Objekt hinzutritt, hat auch in der folgenden, größeren Entwicklung ersprießliche Dienste geleistet.“ (ebd.)

Im Unterschied zu Fichte sieht Schelling auch in der Natur eine Subjektivität am Wirken (SW III 272). Dieses schöpferische Naturbild ist es insbesondere, weswegen Schelling heute als Naturdialektiker und Vorvater der Selbstorganisationstheorie und des ökologischen Denkens gesehen wird. Für die Natur wird in der frühen Naturphilosophie von Schelling unterschieden zwischen der Natur als Objekt (natura naturata), die durch Empirie erfasst wird, und der Natur als Produktivität, d.h. als Subjekt (natura naturans), auf die sich Theorie richtet (SW III: 284). Dabei ist diese Scheidung nicht absolut, sondern in jedem Naturprodukt steckt noch ihre Produktivität. An dieser Stelle entwickelt Schelling eine Naturphilosophie, in der in der Differenz durch die Entgegensetzung auf Grundlage eines gemeinsamen Substrats, das dabei aufgehoben wird, zu einem unendlichen dynamischen Prozesses führt (SW III: 308 ff.). Bereits 1800 macht Schelling deutlich, dass keine rationale Erkenntnisform, auch nicht die dialektische, ausreicht für ein Wissen, welches „zugleich ein Produciren seines Objekts ist“ – dies kann nur die „intellektuelle Anschauung“ (SW III 369).

Im Jahr 1804 in schließlich konzentriert sich das Interesse Schellings in der Schrift „Philosophie und Religion“ (SW VI: 11 ff.) deutlich auf das Absolute und dieses ist als Unbedingtes nicht durch bedingte Erkenntnis zu erfassen (SW VI: 21). Die Anschauung wird jetzt deutlich in den Vordergrund geschoben und zwischen dem unendlichen Absoluten und den endlichen Dingen wird eine Kluft errichtet, der nur noch durch einen „Sprung“ zu überwinden ist (ebd.: 38). Alles Endliche wird lediglich als „Abfall vom Absoluten“ (ebd.). gedeutet und nicht mehr als Schöpfung und der Abfall ist als Folge einer „That-Handlung“ nicht zu erklären. (ebd.: 42) Das Verhältnis von Unbedingtem, Unendlichem, Absoluten, also Gott und durch aus eigener Tat davon abgefallenen Endlichen und Bedingten wird zu einer Geschichte, bei der dem Universum die „Absicht“ unterstellt wird, eine „vollendete Versöhnung und Wiederauflösung in die Absolutheit“ zu erreichen. An dieser Stelle beugt sich die Evolutionsvorstellung, die vorher noch als unendlicher Prozess gedacht war, in sich zurück. Religion, Mythologie und Offenbarung gelangen in den Fokus der Arbeiten.

In der Schrift „über das Wesen der menschlichen Freiheit“ (SW VII: 333 ff.) differenziert Schelling stärker zwischen dem Ungrund von Gott in dessen ungetrennter Einheit von Grund und Existenz.

Dialektik zeigt sich hier als Vermögen des Verstandes, in einer „stufenweise geschehenden Entfaltung“ (ebd.: 362) die im Samen noch unbewusste Einheit zur Geltung zu bringen, „so wie im Menschen in die dunkle Sehnsucht, etwas zu schaffen, dadurch Licht tritt, daß in dem chaotischen Gemenge der Gedanken, die alle zusammenhängen, jeder aber den andern hindert hervorzutreten, die Gedanken sich scheiden und nun die im Grunde verborgen liegende, alle unter sich befassende Einheit sich erhebt; oder wie in der Pflanze nur im Verhältniß der Entfaltung und Ausbreitung der Kräfte das dunkle Band der Schwere sich löst und die im geschiedenen Stoff verborgene Einheit entwickelt wird.“ (ebd.: 361). Als „dialektisches Prinzip“ bezeichnet Schelling den „sondernde[n], aber eben darum organisch ordnende[n] und gestaltende[n] Verstand, zugleich mit dem Urbild, nach dem er sich richtet“. (ebd.: 415).

In seiner Münchner Zeit beginnt Schelling die Arbeit am Werk „Die Weltalter“ (SW VIII: 195 ff.), in welchem er die Geschichte als Akt der Offenbarung Gottes darzulegen versucht.

Auch hier findet Dialektik ihren Platz, wird aber eingegrenzt auf eine propädeutische Aufgabe, der die eigentliche Wissenschaft erst folgt (vgl. SW IX: 214). In den „Weltaltern“ diskutiert Schelling ein Modell, in dem „das Eine unzertrennliche Urwesen“ (SW VIII: 217) die Einheit der ewig bejahenden, der ewig verneinenden Potenz und ihrer Einheit ist. Diese drei Momente können in der Natur jede für sich sein und sie bilden die aufeinander folgenden „Potenzen“. Die erste Potenz ist das Sein als Nichtseiendes, welches von vornherein eine Spannung hin zum Sein enthält. Die zweite Potenz ist das Sein als Bejahtes und die dritte Potenz schließlich ist die Einheit von Verneinung und Bejahung. Der Gegensatz zwischen erster und zweiter Potenz erzeugt einen ewigen Wechsel zwischen Gegensatz und Einheit (ebd.: 230), der in der Natur deutlich zu erkennen ist. Aber dieser ewige „Umtrieb“ ist nicht frei. Zur Freiheit gelangen diese einander abwechselnden, „besinnungslosen“ und „unwillkürlichen“ Momente nur, wenn sie gemeinsam und freiwillig entscheiden, nicht zu sein und zwar zugunsten von etwas Höherem (ebd.: 232 f.). Dieses Höhere kann nicht wieder selbst Potenz sein, sondern es muß „frei seyn von aller Begierde, völlig sucht- und naturlos“, d.h. „über allem Seyn“ sein (ebd.: 234). Das Ziel ist „Freiheit oder der Wille, sofern er nicht wirklich will“ (ebd.: 235), also „die reine Gleichgültigkeit (Indifferenz)“ (ebd.: 236) und das heißt letztlich: Gott, beschrieben als „ewige Freiheit, das lautere Wollen selbst“ (ebd.: 239).

Letztlich zeigen sich diese Zusammenhänge in der Welt als „ein Vor und ein Nach“ (ebd.: 247), in der zeitlichen Aufeinanderfolge von Epochen, die den jeweiligen Potenzen entsprechen. Der Übergang zur Geschichtlichkeit wird nun zur „eigentlich wissenschaftlichen“ Methode, die über der nur dialektischen steht (ebd.: 259).

Die Dialektik, das ist zu betonen, hat bei Schelling erstens die Begrenzung auf das Vorwissenschaftliche, zweitens gibt es für ihn keine dialektisch-logischen Gesetze mit einer allgemeingültigen Geltung:

„Hieraus erhellt wohl, daß in der wahren Wissenschaft jeder Satz nur eine bestimmte und so zu sagen örtliche Bedeutung hat, und daß er der bestimmten Stelle entnommen und als ein unbedingter (dogmatischer) hingestellt, entweder Sinn und Bedeutung verliert oder in Widersprüche verwickelt.“ (ebd.: 209)

Ebenfalls interessant bezüglich der philosophischen Konzeptualisierung der Rolle von Potentialität und Möglichkeit sind die Erlanger Vorlesungen (Init). Hier entwickelt er die Vorstellung von einer ewigen Freiheit als in sich ruhender Wille, der auf nichts gerichtet ist, aus der sich dann aber eine „fortgehende Selbstdarstellung“ über die Entfaltung von Potenzen ergibt. Die erste Folge von Potentialitäten beinhaltet dabei Möglichkeiten, die notwendigerweise gedacht werden. Schelling geht nun weiter als Hegel, indem er fragt, wie diese Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden. Bloch würdigt diese Fragestellung „wie das einzeln Sinnliche […] solch geistigen Ursprung haben kann“ (SO 203). Die Antwort von Schelling zeigt, dass dabei das Prinzip der Erklärung aus Notwendigkeiten heraus überschritten werden muss und nichts übrig bleibt, als eine spontane Tathandlung anzunehmen (Init 133 f.): „Hier trennen wir uns von dem Begriff des Dialektikers. Hier ist der Punkt, wo nicht der Begriff, wo nur die Tat entscheidet. Das Reich der Begriffe ist zu Ende u. das Reich der Tat fängt an.“ (ebd, 116)

In der Spätphilosophie Schellings, besonders der „Philosophie der Mythologie“ (SW XII: 1 ff.), geht es Schelling um die „Erkenntniß des Gegenstandes, der über allen Gegenständen ist und in dem alle begriffen sind“ ( SW XI 296). Hier nun muss Schelling wiederum zwischen verschiedenen Erkenntnisweisen unterscheiden. Für die Dialektik gibt es zwei Formen, die positive und die negative – diese werden aber überschritten von der Positiven Philosophie.
Die Aufgabe Dialektik ist im Platonischen Sinne das Auffinden des obersten Prinzips, von dem dann alles andere abgeleitet werden kann. Das „wissenschaftliche Verfahren der Dialektik allein steigt, unter Aufhebung der anfänglich aufgestellten Voraussetzungen, zum Urgrunde, damit er dann unerschütterlich fest steht […]“ (Platon Staat: 277). In der positiven Seite der Dialektik werden Voraussetzungen hypothetisch als mögliche Prinzipien gesetzt. Die Aufgabe der negativen Seite der Dialektik ist es nun, diese Prinzipien als bloße Voraussetzungen zu „degradiren“, bis sie zum Äußersten gelangen, wo nichts mehr vorausgesetzt, sondern nur gesetzt wird (SW XII: 327). Jedes gesetzte Element wird nur versuchsweise, hypothetisch, als Prinzip gesetzt und erweist sich dann lediglich als Durchgangsstufe und es ist das „Setzen jedes folgenden durch das Verneinen des vorhergehenden vermittelt“ (ebd.). Dialektik ist somit „nicht beweisend sondern erzeugend; sie ist die, in welcher die Wahrheit erzeugt wird“ (ebd.: 330).

Diese dialektische Methode als versuchende Aufeinanderfolge von zum Prinzip führenden Stufen ist jedoch nur ein Teil der Philosophie, sie kennzeichnet sie sog. „negative Philosophie“ Schellings. Aber Schelling sucht weitergehend nach der Philosophie dessen, was nicht nur gedacht möglich, sondern was wirklich ist. Dies ist Gegenstand der „Positiven Philosophie“ die sich nicht nur auf das Denkmögliche bezieht, sondern das, was wirklich existiert. (SW X: 125) Damit meint er natürlich nicht die konkret-sinnlichen Dinge, sondern um ein reines Sein, letztlich Gott. Hier muss wieder der Erkenntnismodus wechseln. Was Schelling früher „intellektuelle Anschauung“ nannte, ist nun die „Ekstase“, denn „[n]ur in dieser Selbstaufgegebenheit kann ihm das absolute Subjekt aufgehen in der Selbstaufgegebenheit, wie wir sie auch in dem Erstaunen erblicken.“ (SW IX: 229) Letztlich geht es darum, sich dem schon in der „Freiheitsschrift“ erstmals genannten Un/Urgrund zu nähern, wozu Schelling die „Philosophie der Mythologie“ und schließlich die „Philosophie der Offenbarung“ (SW XIII: 1 ff.) zu entwickeln versucht. Die Dialektik hat darauf keinen Zugriff.

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