Ich habe nicht vor, das gesamte „Kapital. Zweiter Band“ von Karl Marx darzustellen. Aber ich beginne mal, weil ich eh gerade dabei bin, das für unsere Lesegruppe vorzubereiten. Nach der Darstellung der Stellung der Thematik „Zirkulation“ in der Gesamtstruktur des Werks „Das Kapital“ geht es nun los mit:

Erster Abschnitt: Die Metamorphosen des Kapitals und ihr Kreislauf

In der Zirkulation des Kapitals drückt sich aus, dass das Kapital keine statische Gegebenheit ist, sondern „ein Prozeß, in dessen verschiednen Momenten es immer Kapital ist.“ (MEW 42: 183).

„Das Kapital wird abwechselnd Ware und Geld [… es ist] selbst der Wechsel dieser beiden Bestimmungen.“ (MEW 42: 186)


Der Abschnitt „Die Metamorphosen des Kapitals und ihr Kreislauf“ unterteilt sich in verschiedene Kapitel und im 1. Kapitel werden die 3 Stadien des Kreislaufs des Geldkapitals erläutert. In diesem Blogbeitrag werde ich nur bis zum Abschluss des 1. Stadiums (Kreislauf des Geldkapitals) kommen.

Die Argumentationsweise dringt auch hier von den Erscheinungen zum Wesen vor. Die Prozesse der Zirkulation können nur verstanden werden, wenn ihre Voraussetzungen in den Blick kommen: die vorausgesetzten Klassenverhältnisse (mehr dazu gleich).

Was uns jetzt interessiert, ist der Kreislauf des Geldkapitals, denn „Geld ist die erste Form, worin das Kapital als solches erscheint.“ (MEW 42: 178). Es geht hier um Kapital lediglich in der Form als Geld, und dies ist lediglich eine Erscheinung des Kapitals, noch nicht die „ganze Wahrheit“. Der Kreislauf des Geldkapitals kann mit folgender Symbolik beschrieben werden:

Das Symbol G steht für Geld, W für Waren und die gestrichenen Formen G‘ und W‘ für jeweils erhöhte Mengen. Bereits vor dem Kapitalismus wurde gab es Handelskapital, das kauft, um zu verkaufen, wobei die Produktionsweise noch nicht durchgehend von der Produktion für den Tausch bestimmt ist. (vgl. MEW 42: 178)

Der Kreislauf unterteilt sich in drei Phasen:

  1. Der Kapitalist schießt Kapital in Geldform vor, um bestimmte Waren einzukaufen, nämlich Produktionsmittel und Arbeitskräfte. Dabei muss das Verhältnis von Arbeitskräften zu Produktionsmitteln genau darauf abgestimmt sein, dass für eine bestimmte Menge an Arbeitskräften genau die richtige Menge an Produktionsmitteln zur Verfügung steht.
  2. Das Kapital, das jetzt in Form von Produktionsmitteln und Arbeitskräften vorhanden ist, wird produktiv konsumiert, im Produktionsprozess werden neue Waren mit mehr Wert erzeugt. Kapital ist dann „produktives Kapital“ (MEW 24: 34), wenn es mehrwertschaffend eingesetzt wird.
  3. Die produzierten Waren werden verkauft, gegen Geld eingetauscht.

Gleichheit, Freiheit und Klassenverhältnis

Auf dieser Ebene der Zirkulation sind Käufer und Verkäufer jeweils gleichgestellt und die gegenseitige Übergabe ihrer Waren geschieht freiwillig und wird nicht durch Gewalt erzwungen. Dies ist die Grundlage für die spezifisch kapitalistisch-bürgerliche Gleichheit und Freiheit. Bleiben wir auf dieser Betrachtungsebene stehen, gibt es am Kapitalismus nichts auszusetzen. Alle sind gleichermaßen frei:

„Es ist unmöglich, irgendeinen Unterschied oder gar Gegensatz unter ihnen auszuspüren, nicht einmal ihre Verschiedenheit.“ (MEW 42: 167)

Der Unterschied wird erst auf den zweiten Blick deutlich: Hier bei der Unterteilung der vom Geldkapital gekauften Ware als Arbeitskraft und Produktionsmittel. Beide sind, abstrahiert von ihrem Unterschied, dasselbe: Waren. Und insofern man das Geld nur als Geld betrachtet (und nicht das Geldkapital in seiner Kapitalfunktion), erscheinen sie auch als Gleichberechtigte. Aber ihr Unterschied ist einer ums Ganze, einer, der sich als Gegensatz erweist: Sobald die Arbeitskräfte ihrer Lebens- und Produktionsmittel beraubt sind (sie wurden es in der „sog. ursprünglichen Akkumulation“ (MEW 23: 652) und werden es auch heute noch durch die „Globalisierung“ immer umfassender), entsteht unter der an der Oberfläche erscheinenden Gleichheit ihr Gegensatz:

Das zeigt sich auch in der jeweiligen Position der Menschen, die jeweils Eigentümer an Produktionsmitteln (bzw. Geldkapital) sind bzw. Eigentümer ihrer Arbeitskraft. Die einen können durch den Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskräften die gesellschaftliche Produktion in Gang setzten, insofern sind sie die Herrschenden, sie haben die Macht, über den Zweck der Produktion zu bestimmen.

Die anderen, die ihrer Lebens- und Produktionsmittel beraubt wurden, die nur noch ihre Arbeitskraft besitzen, können sich erst dann produktiv betätigen, wenn sie diese Arbeitskraft verkaufen und dann durch die Kapitalisten „in Verbindung mit den Produktionsmitteln“ gebracht werden. (MEW 24: 36).

Die Arbeitskraft stellt eine Fähigkeit zur Arbeit bereit, sie ist Arbeit der Möglichkeit nach, aber im Zustand der Trennung von den Produktionsmitteln kann sie nicht wirklich werden.

„Wirklichkeit wird er [der Gebrauchswert der Arbeitskraft] erst, sobald er vom Kapital sollizitiert, in Bewegung gesetzt wird, da Tätigkeit ohne Gegenstand nichts ist […].“ (MEW 42: 193)

Wenn sie dann unter dem Befehl des Kapital wirklich wird, also als gekaufte Produktionselemente zusammen wirksam werden, treten die Produktionsmittel „dem Besitzer der Arbeitskraft gegenüber als fremdes Eigentum“ (MEW 24: 37).

An dieser Stelle versuch(t)en nun die Konzepte der Beseitigung, d.h. der Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse mit ihren Vorstellungen vom „gesellschaftlichen Eigentum“ oder den Commons (siehe auch den Commons-Blog) den Hebel anzusetzen: Die Trennung zwischen Arbeitskräften und ihren Lebens- und Produktionsmitteln muss wieder aufgehoben werden.

Einen anderen Zugang zu dieser Fragestellung erhält man, wenn man nicht nur berücksichtigt, dass vorhandene Produktionsmittel nicht im Besitz der Arbeitenden sind, sondern dass es möglich sein kann, neu hergestellte Produktionsmittel im Besitz der Arbeitenden (bzw. von selbstorganisierenden Kooperativen) bleiben, d.h. als Nicht-Privateigentum hergestellt und verteilt wird. Solche Formen der Produktion stellen derzeitig die Produktion Freier Software und von Gütern unter der Creative-Commons-Lizenz dar.

(siehe hierzu den Kommentar von Stefan Mz.)

Dabei wird davon ausgegangen, dass nicht das gesamte Arbeitsvermögen der Menschen als Arbeitskraft durch das Geldkapital gekauft wird, sondern dass den Menschen zusätzliches Arbeitsvermögen zur Verfügung steht (vgl. dazu meinen früheren Blogbeitrag „„Arbeitsvermögen“ als kritisch-utopische Kategorie“).

Wir sehen also, dass schon im 1. Stadium des Kreislaufs des Geldkapitals, wenn wir das Wissen aus dem 1. Band des Kapitals mit einbeziehen, vielseitige Erkenntnisse erwachsen. Vor allem zeigt sich dass wir immer wieder von den Erscheinungen zum tiefer liegenden Wesen vordringen müssen, wenn wir die grundlegenden Gegensätze und Widersprüche dieser Gesellschaft begreifen wollen und uns nicht mit dem oberflächlichen Schein von formaler Gleichheit und Freiheit zufrieden geben wollen (obgleich dieser real existierende Schein gegenüber historisch früheren Zuständen mitunter durchaus auch als Fortschritt zu werten ist).

Insgesamt gilt:

„Im Ganzen der vorhandnen bürgerlichen Gesellschaft erscheint dieses Setzen als Preise und ihre Zirkulation etc. als der oberflächliche Prozeß, unter dem aber in der Tiefe ganz andre Prozesse vorgehn, in denen diese scheinbare Gleichheit und Freiheit der Individuen verschwindet.“ (MEW 42: 173)

Geld ist nicht identisch mit Kapital

Eine wichtige Unterscheidung taucht in diesen Ausführungen immer wieder auf: Obgleich Kapital Geldform annimmt, ist Geld nicht immer Kapital, denn „Das Geld als Kapital ist eine Bestimmung des Geldes, die über seine einfache Bestimmung als Geld hinausgeht.“ (MEW 42: 176). Marx selbst hatte schon in den „Grundrissen“ unterschieden:
Geld ist erst Kapital,

  • „sobald das Kapital als Tauschwert gesetzt wird, der sich verselbständigt nicht nur gegen die Zirkulation, sondern sich in ihr enthält“ (MEW 42: 184) und dies geschieht nur da,
  • „wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet […].“ (MEW 23: 184)

Das den Kapitalismus Charakterisierende ist also nicht die Geldvermittlung – die gibt es zumindest schon vorher- sondern die Tatsache, dass Arbeitskräfte und Besitzer von Lebens- und Produktionsmitteln voneinander getrennt sind, d.h. die Arbeitskräfte ihrer Lebens- und Produktionsmittel beraubt wurden (d.h. wenn „Privatproduktion“) vorliegt.

Fundamental ist also nicht das Geld, sondern das Klassenverhältnis:

„Es ist nicht das Geld, mit dessen Natur das [Klassen-]Verhältnis gegeben ist; es ist vielmehr das Dasein dieses Verhältnisses, das eine bloße Geldfunktion in eine Kapitalfunktion verwandeln kann.“ (MEW 24: 37)

Deshalb reicht es nicht aus, die Kapitalismuskritik als Geldkritik zu formulieren:

„Solange die Operationen gegen das Geld als solches gerichtet sind, ist es bloß ein Angriff auf Konsequenzen, deren Ursachen bestehn bleiben […].“ (MEW 42: 166)

Beim Thema Geld entsteht außerdem folgender Unterschied: Eine Ware, die der Kapitalist mit Kapital in Geldform einkauft, ist die Arbeitskraft. Der Arbeiter kauft für dieses Geld Waren für seine Konsumtion. Für ihn ist das Geld ein bloßes verschwindendes Zirkulationsmittel“ (MEW 24: 35). Geld hat für Kapitalisten und Arbeiter eine unterschiedliche Funktion: für Kapitalisten dient es als Geldkapital (indem es den Kauf der Produktionsagentien ermöglicht und damit Voraussetzung für die Produktion ist), für die Arbeitskraft als verschwindendes Zirkulationsmittel, lediglich eingesetzt für die Konsumtion. Auf dieser Ebene zeigt sich übrigens die Begrenzung einer Strategie, die über das Konsumverhalten die Produktion(z.B. in Richtung sozialer Produktionsbedingungen, ökologischer Produktion) steuern will. Geld ist nicht gleich Geld, sondern Kapital als Geld herrscht auf einer fundamentaleren Ebene als Zirkulationsgeld beim Konsumieren.