3. Geld als Kapital
Während Marx im ersten Band des „Kapitals“ lediglich den Unterschied von Geld in seiner Vermittlungsfunktion für den Austausch von Gebrauchswerten und Kapital als mehrwertheckend beschrieben und auf seinen Grund (die Aneignung unbezahlter Arbeit) zurückgeführt hat, untersucht er im zweiten Band des „Kapitals“ genauer, wann und wie Kapital eine Geldform annimmt.
Dazu wird das Kapital nicht mehr nur als einfaches Verhältnis betrachtet, sondern als „ein Prozeß, in dessen verschiednen Momenten es immer Kapital ist“ (MEW 42: 183). Diese Zirkulation ist keine kreislaufförmige, sondern eine „Spirallinie, sich erweiternde Kurve“ (ebd.: 190).
„Das Kapital wird abwechselnd Ware und Geld [… es ist] selbst der Wechsel dieser beiden Bestimmungen.“ (MEW 42: 186)
Der gesamte Kreislauf sieht folgendermaßen aus:
Geld (G) wird als Kapital eingesetzt, wenn es zum Kauf der Produktionsfaktoren (W: Waren, dies sind hier Produktionsmittel und Arbeitskräfte) eingesetzt wird. Diese Produktionsfaktoren wirken als produktives Kapital (P) so, dass das entstehende Produkt als Ware mehr Wert (verkörpert durch den Anstrich `) enthält, als die Produktionsfaktoren verkörperten (W´>W). Beim Verkauf dieser Ware (W´) wird mehr Geld (G´) eingelöst als für die Produktionsfaktoren ausgegeben worden war (G). Damit haben wir die erste Betrachtungsweise des Kreislaufs des Kapitals in seinen drei Stadien kurz geschildert, den Kreislauf des Geldkapitals (siehe auch hier):
Dass zuerst der Kreislauf des Geldkapitals betrachtet wird (in MEW 24: 31ff. und MEW 42: 178ff.), hat folgenden Grund:
„Das Kapital kömmt zunächst aus der Zirkulation her, und zwar vom Geld als seinem Ausgangspunkt. Wir haben gesehn, daß das in die Zirkulation eingehende und zugleich aus ihr in sich zurückgehende Geld die letzte Form ist, worin das Geld sich aufhebt. Es ist zugleich der erste Begriff des Kapitals und die erste Erscheinungsform desselben.“ (MEW 42: 178)
Historisch gesehen verändert sich damit der Umgang mit Geld. Während vorher das Geld eher als Schatz bzw. als Mittel zum Erlangen der Konsumtionsmittel betrachtet werden konnte, so kommt es jetzt darauf an, den Gewinn wieder zu reinvestieren. Das Geld geht für den Konsum verloren „und dies Verschwinden ist die einzig mögliche Weise, es als Reichtum zu versichern“ (ebd.: 160) Hier finden wir auch den Grund, warum die auf Askese bedachte „protestantische Ethik“ mit dem „Geist des Kapitalismus“ (siehe Max Weber: Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus) zusammenhängt.
Die Herstellung von Produkten erfolgt nun nicht um ihres Gebrauchswertes willen, nicht um der Bedürfnisse der Nutzer willen, sondern weil bei ihrer Herstellung Mehrwert entsteht, der im Verkauf realisiert wird. Und nur um der Verkaufbarkeit willen, muss Gebrauchswert vorhanden sein oder wenigstens versprochen werden.
„Unternehmen produzieren nicht, damit Leute ein Dach über dem Kopf haben oder nach Honolulu fliegen können. Unternehmen produzieren, um ihr Kapital zu vermehren. Sie machen aus Geld mehr Geld, Profit.“ (Andreas Exner)
Weil dieser Mehrwert letztlich in der Produktion (im konkreten Arbeitsprozess) hinzugefügt wird und nicht in der Zirkulation, erweist sich die Produktion als wesentlicher Grund für alle anderen Prozessphasen in der Zirkulationsebene. Ohne Produktion keine Zirkulation – dies beweisen sogar heute die regelmäßigen Crashs nach jedem neuen Börsenboom. Letztlich erweist sich die Geldzirkulation als bestimmt durch die Zirkulation des Kapitals, und dessen Reproduktion und Akkumulation durchläuft eine Phase seines Daseins als produktives Kapital (P).
Die vorher mit dem Geldkapital eingekauften Waren Produktionsmittel und Arbeitskraft werden dabei produktiv konsumiert, sie waren vorher in getrennter Form nur der Möglichkeit nach wertreproduzierend und –erzeugend. Erst indem sie „in der Hand des Kapitalisten vereint werden“ wirken sie als „produktives Kapital“ (MEW 24: 42).
Die Betrachtung der Zirkulation reicht also nicht aus zum Verständnis der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Der Erkenntnisweg führt, wie so häufig bei Marx (nicht zuletzt entsprechend der dialektischen Methode nach Hegel) von den Erscheinungen hin zum Wesen, von Tatsachen hin zu ihren Gründen. Das zuerst Augenfällige existiert zwar, aber es ist eine Erscheinungsform von etwas, das auf den ersten Blick verborgen ist, von dem üblicherweise (im Alltagsverstand, aber auch der gängigen nichtkritischen Ökonomie) abstrahiert wird. Erst durch die tiefer bohrenden Fragen nach den Gründen der oberflächlich wahrnehmbaren Bewegung kommen wir den wesentlichen Kernverhältnissen auf die Spur.
Für die Zirkulation als Erscheinung schreibt Marx:
„Die Zirkulation trägt […] nicht in sich das Prinzip der Selbsterneuerung. Die Momente derselben sind ihr vorausgesetzt, nicht von ihr selbst gesetzt. Waren müssen stets von neuem und von außen her in sie geworfen werden wie Brennmaterial ins Feuer. […]
Die Zirkulation, die also als das unmittelbar Vorhandne an der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint, ist nur, sofern sie beständig vermittelt ist. […] Ihr unmittelbares Sein ist daher reiner Schein.“ (MEW 42: 179-180)
Zum Grund der Zirkulation dringen wir erst vor, wenn wir sehen, dass „die Zirkulation selbst zurück in die Tauschwert setzende oder produzierende Tätigkeit“ geht (ebd.: 181). Daraus ergibt sich:
„Die Geldzirkulation – von ihrem jetzigen Standpunkt aus – erscheint jetzt selbst nur als ein Moment der Zirkulation des Kapitals, und ihre Selbstständigkeit ist als bloßer Schein gesetzt.“ (MEW 42: 442)
Das den Kapitalismus Charakterisierende ist also nicht die Geldvermittlung – die gibt es schon vorher, sondern die Mehrwertproduktion, die sich das Kapital aneignet. Die Voraussetzung dafür ist, dass Arbeitskräfte und Besitzer von Lebens- und Produktionsmitteln voneinander getrennt sind, d.h. die Arbeitskräfte ihrer Lebens- und Produktionsmittel beraubt wurden (d.h. wenn „Privatproduktion“) vorliegt. Dies ist eine historisch besondere Form des Zusammenkommens der Produktionsfaktoren.
„Welches immer die gesellschaftlichen Formen der Produktion, Arbeiter und Produktionsmittel bleiben stets ihre Faktoren. Aber die einen und die andern sind dies nur der Möglichkeit nach im Zustand ihrer Trennung voneinander. Damit überhaupt produziert werde, müssen sie sich verbinden. Die besondre Art und Weise, worin diese Verbindung bewerkstelligt wird, unterscheidet die verschiednen Epochen der Gesellschaftsstruktur.“ (MEW 24: 42)
Fundamental ist also nicht das Geld-, sondern das Klassenverhältnis:
„Es ist nicht das Geld, mit dessen Natur das Verhältnis gegeben ist; es ist vielmehr das Dasein dieses Verhältnisses, das eine bloße Geldfunktion in eine Kapitalfunktion verwandeln kann.“ (MEW 24: 37)
P.S.: Die hier gegebene Bestimmung des Klassenverhältnisses hat erst einmal nichts mit der Suche nach einem revolutionären Subjekt zu tun. Es geht hier vor allem darum, den Schein der Gleichheit zwischen Käufern und Verkäufern (der Arbeitskraft) zu durchbrechen und zu zeigen, dass diesem Verhältnis auf der Zirkulationsebene eine faktische Ungleichheit in der Verfügungsgewalt über die Produktionsfaktoren vorausgesetzt ist, denn „die Bedingungen zur Verwirklichung der Arbeitskraft – Lebensmittel und Produktionsmittel – sind als fremdes Eigentum von dem Besitzer der Arbeitskraft“ getrennt (MEW 24: 37).
4. Geld als Nicht-Kapital
Bereits aus der historischen Betrachtung ergibt sich, dass Geld und Kapital zu unterscheiden sind. Auch im Kapitalismus wirkt Geld zwar oft als Kapital und Kapital befindet sich in Geldform – aber bei aller Übereinstimmung sollten wir nicht bei einer abstrakten Identität stehen bleiben, denn wir würden wenig von den konkreten Zusammenhängen begreifen. In der Nacht sind alle Katzen grau…
In einer früheren Darlegung zum 1. Abschnitt des zweiten Bandes des „Kapitals“ taucht eine Unterscheidung immer wieder auf: Obgleich Kapital Geldform annimmt, ist Geld nicht immer Kapital, denn „Das Geld als Kapital ist eine Bestimmung des Geldes, die über seine einfache Bestimmung als Geld hinausgeht.“ (MEW 42: 176). Geld als Kapital „kann als höhere Realisation betrachtet werden; wie gesagt werden kann, daß der Affe sich im Menschen entwickelt“ (ebd.).
Auch angehäufter Geldreichtum ist „noch nicht Akkumulation von Kapital“ (ebd.: 159)
„Dazu müßte das Wiedereingehn des Akkumulierten in die Zirkulation selbst als Moment und Mittel des Aufhäufens gesetzt sein.“ (MEW 42: 159-160)
Deshalb reicht es nicht aus, die Kapitalismuskritik als Geldkritik zu formulieren:
„Solange die Operationen gegen das Geld als solches gerichtet sind, ist es bloß ein Angriff auf Konsequenzen, deren Ursachen bestehn bleiben […].“ (MEW 42: 166)
Eine reine Geldkritik verbleibt auf Zirkulationsebene. Die Untersuchung der Zirkulation führt weiter zu der Frage: Woher kommen die Waren, die zirkulieren? Weil diese Frage in eine neue Sphäre führt (die der Produktion), ist die Zirkulation lediglich „das Phänomen eines hinter ihr vorgehenden Prozesses“ (MEW 42: 180). Das, was zuerst als das „Tatsächliche“ in unseren Blick fällt, dass nämlich gekauft und verkauft wird, lässt uns noch nicht die ganze Wahrheit erfassen. Im Gegenteil: es verstellt uns den Blick auf die tieferen wirklichen Zusammenhänge. Das scheinbare „unmittelbare Sein“ der Zirkulationssphäre „ist daher reiner Schein.“ (ebd.) Statt dem Geld ist deshalb „[d]as Kapital […] die alles beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft. Es muß Ausgangspunkt wie Endpunkt bilden […]“ (MEW 42: 41).
Führt die Existenz von Geld automatisch zur Entstehung von Kapital? Es könnte so klingen, wenn Kapital und Lohnarbeit als Entwicklungsformen von Tauschwert und Geld betrachtet werden:
„Lohnarbeit nach der ersten Seite, Kapital auf der zweiten sind also nur andre Formen des entwickelten Tauschwerts und des Geldes als seiner Inkarnation.“ (MEW 42: 152)
Marx spricht auch davon, dass „in der einfachen Bestimmung des Tauschwerts und des Geldes der Gegensatz von Arbeitslohn und Kapital etc. latent enthalten ist“ (ebd.: 173). Das Enthaltensein der Möglichkeit des Gegensatzes von Kapital und Arbeit bedeutet aber nicht, dass sich diese Möglichkeit auch notwendigerweise im Verlauf der historischen Entwicklung verwirklicht. Nicht alle Affen entwickeln sich zu Menschen… und nicht in allen Regionen der Welt musste sich die „[d]ie sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ (MEW 23: 741ff.) in gleicher Weise durchsetzen, wie von Marx beschrieben. Marx war in diesem historischen Kapitel des „Kapitals. Erster Band“ durchaus davon ausgegangen, dass „[d]ie ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft[…] hervorgegangen [ist] aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auflösung dieser hat die Elemente jener freigesetzt“ (ebd.: 743). Die Art und Weise und der Zeitpunkt der Auflösung sind jedoch nicht vorherbestimmt. Die Trennung der Menschen von ihren Lebens- und Produktionsmitteln geschah in Westeuropa in Form eines plötzlichen und gewaltsamen Losreißens von ihren Subsistenzmitteln. Ob, wann und wie dies konkret geschieht, ist unterschiedlich (ebd.: 744). (Genau genommen, stellt Marx das „ob“ hier nicht direkt in Frage).
Marx kritisiert später Interpretationen dieser Texte, in denen andere „durchaus meine historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen, in denen sie sich befinden [..].“ (MEW 19: 111) Einige Jahre später setzt er sich in den Entwürfen und dem Brief an Vera Sassulitsch mit dieser Frage intensiv auseinander. Wieder mit dem Ergebnis: „Ich habe also diese „historische Unvermeidlichkeit“ ausdrücklich auf die „Länder Westeuropas“ beschränkt.“ (MEW 19: 396, vgl. 401) und „Alles hängt von dem historischen Milieu ab […]“ (ebd.: 389, 404). Zur Untersuchung der Besonderheiten Europas ist heutzutage insbesondere das Buch „Warum Europa?“ von Michael Mitterauer zu empfehlen (mehr dazu siehe hier und hier).
Es zeigt sich, dass die historischen Existenzbedingungen „durchaus nicht da [sind] mit der Waren- und Geldzirkulation. Es [das Kapital, A.S.] entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet […]“ (MEW 23: 184). Fundamental ist wieder das Klassenverhältnis.
Diese Bedingungen müssen primär kritisiert und aufgehoben werden. Angesichts der hochkochenden Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist Geldkritik wahrscheinlich derzeit gut zu vermitteln. Sie erfordert kein tieferes Eindringen in die grundlegenderen Produktionsverhältnisse. Wenn das nicht nur eine Frage der argumentativen Taktik, sondern des Konzepts selbst ist, dann ist bloße Geldkritik jedoch unzureichend. Die Aufgabe besteht dann darin, die Geldkritik durch weitere Nachfragen in die jeweils tieferen Begründungen zu treiben.
- Woher kommt die wundersame Geldvermehrung?
- Woher kommt der (Mehr-)Wert der Waren?
- …
Dabei bedeutet der Wechsel vom Geld-Zirkulationsstandpunkt zum produktionsbezogenen Kapital-Standpunkt nicht gerade einen recht naheliegender Erkenntnisschritt, sondern einen Paradigmenwechsel. Fragen oder Antworten, die innerhalb des einen Paradigmas ganz gut zu funktionieren scheinen, ergeben vom anderen Standpunkt aus gar keinen Sinn mehr, bzw. erfordern eine Neubestimmung der verwendeten Theorien und Kategorien (z.B. bei der Erklärung von Zins).
- Weiter: Geld nach dem Kapitalismus?
August 20, 2011 at 11:13 am
„Das Kapital kömmt zunächst aus der Zirkulation her, und zwar vom Geld als seinem Ausgangspunkt….“ (MEW 42: 178)
Eine Anmerkung zur Vermeidung eines Missverständnisses: Zwar kann man sagen, dass Kapitalismus beginnt, wo ursprüngliches Handelskapital in Produktionsstätten investiert wird (und sich mit der – nicht selten gewaltsamen – Befreiung von den gewohnten ländlichen bzw. handwerklichen Subsistenzmitteln die sozialen Voraussetzungen für deren Betrieb entwickeln), aber man sollte daraus nicht schließen, dass dieses Geld in den Händen des Fernhandels vorher nur einfaches Zirkulationsmittel war. Der Fernhandel schuf die riesigen Geldvermögen die dann in Manufakturen, Arbeitskräfte, Patente und dann Maschinen/Fabriken investiert wurden eben nicht aus Geld sondern durch das Herbeischaffen von Gewürzen und anderen Dingen, die durch den Fernhaldel begehrlich wurden.
August 23, 2011 at 4:20 pm
Ja, auf die Bedeutung dieser Faktoren weist z.B.auch das Buch „Die vielköpfige Hydra“. Es geht ja aber nicht darum, den eine oder andere geschichtlichen Prozess irgendwie einzuordnen, sondern darum, was die Kernstruktur des real existierenden Kapitalismus ist. Welche Voraussetzung des Kapitalismus ist es, die zwar (irgendwie und in einzelnen Regionen auch auf verschiedene Weise) überall strukturell zugrunde liegt, so dass aus Geld oder auch „viel Geld“ wirklich Kapital wird? Das Kapital als herrschendes gesellschaftliches Verhältnis beruht letztlich auf der strukturellen Trennung von lebendigem Arbeitsvermögen und seinen dinglichen/sachlichen Bedingungen.
August 23, 2011 at 7:43 pm
Genau, so dass die notwendige Zusammenkunft von einerseits menschlichem Arbeitsvermögen und andererseits außerhalb des eigenen Körpers vergegenständlichtem Produktionsvermögen nur eine Ware vermitteln kann, die gegen alle Waren einschließlich des menschlichen Arbeitsvermögens austauschbar ist und dafür auch benötigt wird, also Geld, das so auch zum allgemeinen (scheinbar „klassenlosen“) Aneignungsmittel wird. Und die beiden genannten Klassen Produktivkraft bringen am Ende eines Produktionszyklusses den einen mehr Geld für den privaten Konsum (bestehend aus notwendigem Konsum und Luxuskonsum) und für die Erneuerung und Erweiterung ihres Produktionsvermögens (das Verhältnis zwischen beidem schwankt) und den anderen lediglich die Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft bzw. das eigene Lohnsklavendasein zu erneuern.
Wollte wie gesagt nur auf ein mögliches Missverständnis hinweisen.
August 31, 2011 at 10:27 am
[…] spannend wird die Frage nach dem Verhältnis von Geld und Kapital natürlich für die Antizipation einer nachkapitalistischen Gesellschaft. Können wir mit dem […]
März 17, 2017 at 2:07 pm
Hallo!
Ich glaube ich habe verschiedene Ansichten zu diesem Zusammenhang, von Geld, Klassenverhältnis und Kapital. Ich möchte meine Kritik zuerst historisch darstellen: Ich glaube nicht, dass _die_ Trennung von Produktionsmittel der Beginn des Kapitalismus war (und damit das „Klassenverhältnis“), sondern eine _besondere_ Trennung von den Produktionsmitteln. Dies möchte ich mit Ellen Woods zeigen. Der zweite Teil der Kritik wird theoretisch. Es geht um die Frage: Was ist Kapitalismus? und Wäre eine warenproduzierende Gesellschaft ohne die Trennung breiter Bevölkerungsschichten von den Produktionsmitteln kapitalistisch?
HISTORISCHE KRITIK
Es springt mir immer mehr die Bedeutung von der kapitalistischen Geschichte ins Auge. Im speziellen die Fragen: Welche Formen hatten Geld und Tausch in vorkapitalistischen Verhältnissen? und Wie entstand die kapitalistische Produktionsweise? Ich glaube diese Fragen müssen gründlich neu durchdacht und auf falsche traditionsmarxistische und marxistische Erbanteile untersucht werden.
Die entscheidende Frage: Ist die „historische Zäsur“ die ursprüngliche Akkumulation, die Konzentration der Produktionsmittel in den Händen weniger, oder die neue Form der Trennung von den Produktionsmitteln (eine Ausdehnung der Tauschbeziehungen)?
Du schreibst (im vorherigen Text) es bedarf einer „historischen Zäsur“ zwischen Feudalismus und Kapitalismus, mit welcher das Geld (und damit Tauschbeziehungen) eine neue Funktion bekommen (5Schritt: Funktionswechsel*). Und du benennst diese mit der „sog. ursprünglichen Akkumulation“, also der Trennung der Arbeitskräfte von ihrer Produktionsmitteln, die Konzentration der Produktionsmittel in den Händen Weniger. Damit wäre das entstandene Klassenverhältnis (besitzende Klasse und besitzlose Klasse) der Startpunkt des Kapitalismus. (wobei du deine Unsicherheit selbst benennst mit „Genau genommen, stellt Marx das „ob“ hier nicht direkt in Frage“) Ich möchte nun Ellen Woods Buch („Origins of capitalism“) verwenden um dem zu widersprechen:
Ich würde sagen die Trennung der Arbeitskräfte (Ak) von den Produktionsmitteln (Pm) ist ein gegebener Umstand in Europa. Nicht diese Trennung ist das Entscheidende, sondern welche _Form_ die Trennung annimmt. Die Trennung der Mehrzahl der Menschen von den Pm ist ein Prozess der sich in Europa ab dem 7/8 Jh. durchsetzte und in welchem „freie Bauern“ zu Leibeigenen und Hörigen werden. Sie verlieren ihr selbständiges Nutzungsrecht über ihr Land und erhalten dieses Land von da an von Adligen im „Austausch“ für Frondieste, Kriegsdienstes und Abgaben. Diese Trennung möchte ich „relative Trennung“ nennen. Die relative Trennung von Ak und Pm ist im ganzen Hochmittelalter gegeben, doch erst im England des 18 Jh. nimmt diese Trennung eine neue Form an: die Trennung wird kommerzialisiert: Nicht mehr Gewohnheitsrechte bestimmten den Zugang zu Land, sondern der Markt.
Ellen Wood sagt, das „Einhegungen“ stark überschätzt werden. Auch die Proletarisierung der Arbeitskräfte (die Entstehung des Proletariats) war ein _Effekt_ der kapitalisierten Agrarproduktion und nicht der Beginn des Kapitalismus. Die entscheidende kapitalistische Neuerung ist Marktabhängigkeit: Land (und damit das entscheidende Produktionsmittel zur Subsistenzproduktion) wurde zu einer Ware. Es wurde nicht mehr nach Gewohnheitsrecht an die selben Bäuer*innen vergeben, sondern an den*die Höchstbietende*n verpachtet. Dies hat seinen Grund in politischen Änderungen dieser Zeit (vgl. Christians Zusammenfassung hier: ). Die historische Zäsur hin zum Kapitalismus war nach Wood nicht die Trennung von Ak und Pm, sondern die neue Form der Trennung. „Until the production of the means of survival and self reproduction is market-dependent, there is no capitalist mode of production. (140f)“ Diese Form der Trennung nenne ich absolut, da nur Menschen die Waren produzieren Zugang zu Land bekommen und die Zwänge der Warenproduktion (Konkurrenz) den Großteil der Menschen von dieser Produktion ausschließen (v.a. aufgrund des Kapitalbedarfs für bessere Geräte, Lohnauszahlungen, (Groß-)Pachtungen etc.). Erst als Tauschbeziehungen auf den Zugang zu Land (und damit Selbstreproduktion) ausgeweitet werden entsteht der Kapitalismus. Entscheidend ist also eine Ausdehnung von Tausch(- und Geld)beziehungen und nicht „ursprüngliche Akkumulation“.
Diese Ausdehnung von Tauschbeziehungen will ich nochmal darstellen:
Menschen beginnen zu tauschen, sobald sie Produkte nicht innerhalb ihres tauschfreien sozialen Verbandes, welcher durch Reziprozität gekennzeichnet ist, herstellen können und diese Produkte in (privater) Eigentumsform vorliegen. In vorkapitalistischen Zeiten ist Tausch nur eine sekundäre (nicht-bestimmende) Vermittlungsform. Deshalb kann er auch noch politische gestaltet sein (und damit keine adäquate allgemeine Vermittlung herstellen) ohne das große Probleme auftreten. Hier hat Geld auch bloß vereinfachende Funktion.
Der Tausch (und das ihn vereinfachende Geld) ändert erst seine Funktion (und Qualität), wenn die Angewiesenheit auf die Produkte anderer, jenseits des sozialen Verbandes, bestimmend wird (sich auf die Existenzgrundlage ausdehnt). Wie wird die Angewiesenheit bestimmend? Diese Angewiesenheit kann natürlich durch die absolute Trennung von den Produktionsmitteln erfolgen (Zwang), oder aber als Möglichkeit: wenn die Angewiesenheit eine bessere Bedürfnisbefriedigung verspricht. Historisch setzt sich der Kapitalismus nicht als Möglichkeit, sondern als Zwang durch (dies lässt sich auch theoretisch beweisen, aber dazu muss ich mir noch Gedanken machen). Dadurch das Tauschbeziehungen/Warenproduktion/Geldvermittlung bestimmenden Charakter bekommen entstehen neue Dynamiken. Um die gesellschaftliche Vermittlung zu gewährleisten, müssen alle Arbeiten miteinander in Beziehung gesetzt werden. Hierzu bedarf es Konkurrenz, welche (weitgehend) freie Preisbildung ermöglicht. Diese Konkurrenz ist jedoch auch der Grund für Verwertungszwang (wodurch Geld seine Funktion zu Kapital ändert). Ebenso wird Exklusionslogik nun bestimmend.
(Die Ausdehnung des Kapitalismus ist nochmals eine andere Frage. Ich glaube hier tritt das Zwangsmoment (zumindest teilweise) gegenüber dem Möglichkeitsmoment zurück. Es ist für Subsistenzbäuer*innen vielversprechend sich stärker in den Markt einzubinden. Es ist oft keine „absolute Trennung“ welche diese Einbindung hervorruft sondern die Versprechen (Gesundheitsvorsorge, Internet, Elektrizität, Modernität, etc.))
Alles Liebe, Simon
März 17, 2017 at 2:10 pm
THEORETISCHE KRITIK
Nun möchte ich zur theoretischen Kritik übergehen und die Frage in das Zentrum rücken: Wäre eine warenproduzierende Gesellschaft ohne die Trennung breiter Bevölkerungsschichten von den Produktionsmitteln kapitalistisch? Bei dieser Thematik bin ich mir unsicherer, aber ich nehme mal die mir näher liegende Extremposition ein: Ja sie wäre kapitalistisch.
Ich bemerke bei deinen Texten auf jedenfalls eine größere Verkehrung: „Das den Kapitalismus Charakterisierende ist also nicht die Geldvermittlung – die gibt es schon vorher, sondern die Mehrwertproduktion, die sich das Kapital aneignet.“ Ja Geldvermittlung gibt es schon vorher. Aber der Kapitalismus ist dadurch charakterisiert, dass Tausch-/Geldbeziehungen die _bestimmende_ Form der Vermittlung darstellen. Wenn Geld/Tausch bestimmten wird, dann kann man vom Kapitalismus sprechen. Geld/Tausch wird jedoch nur bei einer besonderen Produktionsweise bestimmend: getrennte Privatproduktion. Die Ausbeutung und Mehrwertabschöpfung ist ein Zwang der aus der bestimmenden Tauschbeziehung folgt.
Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass Kapitalismus zu seiner Entstehung den Zwang durch die tauschförmige, absolute Trennung breiter Bevölkerungsschichten von den Pk benötigt, gilt dies nicht per se für Kapitalismus. Getrennte Privatproduktion kann auch existieren, wenn ein Großteil der Bevölkerung nicht von den Pk ausgeschlossen ist. Vorstellbar wäre dies bspw. als ‚Genossenschaftskapitalismus‘. Es gäbe keine getrennten Eigentümer*innen, sondern die Arbeiter*innen selbst würden ihre Fabriken verwalten. Weil sie jedoch Waren produzieren und damit in Konkurrenz stehen, stehen diese Genossenschaften noch immer unter Verwertungszwang. Das bedeutet sie müssen noch immer Mehrwert abschöpfen. Dieser Mehrwert zerfällt jetzt aber nicht mehr in den (Luxus-)Konsum der Kapitalist*innen und der Reinvestition, sondern wir komplett reinvestiert. Dieser Traum findet sich sowohl bei der Solidarischen Ökonomie, als auch bei frühen Reformist*innen und Sozialdemokrat*innen. Ich sehe aber keinen Grund, weshalb dies kein Kapitalismus sein soll. Geld-/Tauschvermittlung wäre weiterhin die bestimmende Vermittlung, Produkte würden weiter als (Privat-)Eigentum hergestellt werden, es gäbe weiterhin Konkurrenz, Verwertungszwang und Exklusionslogik. Also: Es gibt einen Kapitalismus ohne Klassen.
(Es gäbe auch andere Kapitalismen, bspw. ein Kap. in der nicht die Arbeiter*innen ihre Fabriken selbst besitzen, sondern das Eigentum der Produktionsmittel weit gestreut, bspw. durch Banken, in welche die ganze Bevölkerung einzahlt (das ist wahrscheinlich die Richtung des heutigen Kapitalismus))
Eine Frage wäre ob dieser Genossenschaftskapitalismus stabil wäre, oder ob sich das Kapital nicht wieder konzentrieren würde. Hier bin ich mir noch weniger sicher, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die „skrupelloseren“, getrennteren Eigentümer*innen eine bessere Ausbeutungsrate aufweisen und sich dadurch durchsetzen könnten.
Liebe Grüße, Simon
Januar 21, 2019 at 12:01 pm
@ Simon: Du schreibst „von den Pk ausgeschlossen“ – es geht natürlich um die Produktionsbedingungen im weiteren Sinn (zentral: die Produktionsmittel, d.h. Pm). Die Pk sind immer noch Pk der Menschen, wenn auch im Kapitalismus alle Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit als Produktivkräfte des Kapitals erscheinen (MEW 26.1: 365), aber sie sind von den Menschen nicht wirklich trennbar.
Januar 21, 2019 at 12:06 pm
„Getrennte Privatproduktion kann auch existieren, wenn ein Großteil der Bevölkerung nicht von den Pk ausgeschlossen ist. Vorstellbar wäre dies bspw. als ‚Genossenschaftskapitalismus‘. Es gäbe keine getrennten Eigentümerinnen, sondern die Arbeiterinnen selbst würden ihre Fabriken verwalten. Weil sie jedoch Waren produzieren und damit in Konkurrenz stehen, stehen diese Genossenschaften noch immer unter Verwertungszwang. Das bedeutet sie müssen noch immer Mehrwert abschöpfen.“
Ich sehe nicht, warum diese Genossenschaften unter „Verwertungszwang“ stehen würden. Es könnten sich ja dann Gruppen von Menschen mit IHREN Produktionsbedingungen zusammentun, um mit IHREN Produktionsbedingungen das von ihnen Benötigte und für den Austausch mit gleichartig arbeitenden Gruppen oder Individuen zu erarbeiten.
Beispiele sind die vielen kleinen Märkte in aller Welt, ganz besonders verweise ich auf die Erfahrungen von Juchitan.
Oder siehe die weltweit weitverbreiteten Praktiken des „Potlatschs“ oder anderer Praktiken zur Verhinderung von Reichtums- und Machtanhäufungen. Wir können ja nicht die Realität bei uns schon wieder „ontologisieren“ und die Tatsache, dass die (eben schon kapitalistischen) Märkte EINE Bedingung dafür sind, dass Mehrwert abgeschöpft wird, allen Märkten unterstellen.
Januar 21, 2019 at 9:26 pm
Dann wäre es aber keine GETRENNTE Privatproduktion mehr. Zu schaffen ist doch die Möglichkeit der gemeinschaftlichen (öko-kommunistischen) Bestimmng der Produktionsbedingungen / des menschlichen Soffaustausches mit der Natur. Das geht nicht ohne eine längere Phase des Übergangs, bei der Genossenschaften (imsbesondere wenn sie Prozizierende und Konsumierende vereint) gewisse eine emanzipationsproduktive Rolle spielen können. Aber Ziel muss doch die Möglichkeit einer gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch vernünftigen Gestaltung der Produktionsbedingungen sein.
Januar 21, 2019 at 11:47 pm
Die Herstellung von Produkten erfolgt nun nicht um ihres Gebrauchswertes willen, nicht um der Bedürfnisse der Nutzer willen, sondern weil bei ihrer Herstellung Mehrwert entsteht, der im Verkauf realisiert wird. Und nur um der Verkaufbarkeit willen, muss Gebrauchswert vorhanden sein oder wenigstens versprochen werden.
Wir sollten aufpassen, hier nicht in krudem Moralismus zu verfallen. Wie edel die Motive sind, geile Laptops statt olle Schreibmachinen zu produzieren, ist doch Wurscht. Das dringend zu behebende Problem ist doch, dass die tolle Bedürfnisbefriedigung, die Kapitalismus ermöglicht, nicht in einer vernünftigen Weise mit den dafür in Kauf zu nehmenden Kosten ins Benehmen gesetzt werden (können) und auch nicht mit gesellschaftlichen Zielen sozialer bzw. ökologischer Natur.
Januar 21, 2019 at 11:51 pm
Ist es möglich, das fehlende Wörtchen „mit“ zwischen „nicht“ und „gesellschaftlichen“ zu ergänzen. Und aus „Ziele“ korrekterweise „Zielen“ zu machen? Wäre echt nett 🙂
Januar 22, 2019 at 2:36 pm
Ja.
November 4, 2020 at 5:27 pm
[…] Zirkulationsprozesse (3) untersucht Marx zuerst für die „einfache Warenzirkulation“ (MEW 23: 163) mit der Zirkulationsformel W – G – W (W: Ware, G.: Geld) im ersten Band des „Kapitals“ und ausführlich auch für den Zirkulationsprozess des Kapitals im zweiten Band. Diese beinhalten die Kauf- und Verkaufsprozesse beim Einkauf der sog. „Produktionsfaktoren“ (Arbeitskräfte, Produktionsmittel) durch das Kapital und den Verkauf der Waren. Dass im Gesamtprozess der Verwirklichung des Kapitalkreislaufs noch eine Ebene, nämlich die der Produktion, verborgen ist, zeigt das folgende Bild (aus Schlemm 2011b): […]
Juni 23, 2022 at 5:56 pm
Noch mal zu Simon: „Ich würde sagen die Trennung der Arbeitskräfte (Ak) von den Produktionsmitteln (Pm) ist ein gegebener Umstand in Europa. Nicht diese Trennung ist das Entscheidende, sondern welche Form die Trennung annimmt.“
Genau, und hier ist die Frage, ob die Formänderung zwischen Feudalismus und Kapitalismus nur das beinhaltet, was Du schreibst (Kommerzialisierrung der Trennung) oder sich damit nicht vollständig fassen lässt. Meine Betonugn der Klassengesellschaft bleibt. Letztlich bilden sich hier neue Klassen, ein neues Klassenverhältnis entsteht. Es ist nicht nur „mehr“ oder eine „jetzt dominante“ Kommerzialisierung. Es ist auch nicht nur einfach „der Markt“, der den Zugang zu Land und anderen Produktionsmitteln bestimmt, sondern der „Arbeitsmarkt“ ist von der Besonderheit gekennzeichnet, dass die eine Gruppe auf der einen Seite (Produktionsmittelbesitzende) die anderen erpressen kann zu ihren Bedingungen und mit der von ihnen gegebenen Zwecksetzung zu arbeiten und die andere (Nur-Arbeitskraftbesitzende) das nicht kann, bzw. nur über kämpferische Zusammenschlüsse auf die Bedingungen zu ihren Gunsten einwirken kann.
Dabei vollziehen die (Lohn-)Arbeitenden neben der abstrakten auch die konkrete Arbeit, sind also „überhistorisch“ jene, die den Reichtum erzeugen – und die Pm-Besitzenden nur am abstrakten Wert-Reichtum interessiert sind und im allgemeinen Sinn unnötig bis verhindernd auf die Weiterentwicklung einer vernünftigen Reproduktion im Interesse aller Menschen (außer ihnen) einwirken. Deshalb stehen diese beiden Menschengruppen nicht einfach nur in irgendwelchen Marktbeziehungen wie z.B. die Unternehmen als „Privatproduzenten“ untereinander, sondern in dem Klassenverhältnis gibt es wesentliche Unterschiede, Gegensätze, Widersprüche…, die sich in der „grau- in- grau-„Ansicht des „Alles ist Wert… Alles ist Markt“ nicht erkennen lassen.