… warum sich hier grad nichts tut…
Die Stille hier im Blog widerspiegelt keine geistige Ruhepause, sondern das Warten auf „Großes“…
Ich erlebe gerade wieder einmal, wie sich ein Thema in verschiedene Richtungen ausstülpt und aufbläht. Ich will zu diesem Thema einen ca. 10-seitigen Beitrag schreiben. Aus einer Fragestellung ergibt sich ein neues Thema, für das ich eine neue Word-Datei anlege und nach spätestens 3 Seiten auf dieser Datei ergibt sich die nächste Abspaltung. Das ist wie bei einem Fraktal: Ich brauche letztlich jede Themenfigur in ihrer Feinverästelung – aber in jedem Ast gibt’s wieder eine Struktur, die nicht vernachlässigt werden kann.
In meinem Fall sind es gerade folgende Themen:
Ich denke über den Status von „Commons“ nach und stelle in Frage, dass sie einfach die Auflösungsform von „Eigentumsverhältnissen“ (die es in juristischer Form vor allem im Kapitalismus gibt) in Richtung von Verhaltensweisen sind, die näher an der Nutzung, am „Besitzen“/Verfügen sind.
Die beiden Pole der Betrachtung: A) Verdinglichung als „Sache Eigentum“ und B) Verflüssigung (Auflösung in „soziales Verhalten“) reichen mir nicht aus.
Ich erinnere mich an frühere Gedanken zum dem Problem, dass es einerseits richtig ist, Verdinglichtes in Richtung Prozessualität aufzulösen, dass dies aber letztlich nicht ausreicht. Wo die Verdinglichung „realer Schein“ ist, ist sie geistig und real aufzulösen. Aber dafür reicht es nicht aus, die gesellschaftlichen Strukturen „aufzulösen“ in das Netzwerk von beliebig veränderbaren Handlungen, d.h. vom Strukturalismus überzugehen zum Voluntarismus.
Dieselbe Problematik entdeckte ich in dem neuen Buch von John Holloway (Den Kapitalismus aufbrechen), das ich gerade als Nebenbei-Leküre lese. Er schreibt: „„Wir schaffen die uns ermordende Welt, und da wir sie erschaffen, können wir auch aufhören, sie zu schaffen, und etwas anderes an ihre Stelle setzen.“ Denn „nur wenn wir alles Gesellschaftliche auf unser Tätigsein, unser Schaffungsvermögen zurückführen, können wir die Frage nach einer Alternative stellen.“ Gleichzeitig weiß er aber auch: „Im Kapitalismus ist es die Bewegung des Werts, die bestimmt, was getan werden sollte und wie; kein Mensch bestimmt dies, nicht einmal die Kapitalistenklasse.“ Einen Fluchtweg versucht Holloway durch den Antagonismus von konkreter und abstrakter Arbeit hindurch zu sprengen und hofft: „Unser Tätigsein ist nicht völlig der abstrakten Arbeit untergeordnet.“ Jegliche Lebensregung, die nicht direkt der Kapitalverwertung dient, wird zur revolutionären Tat erhoben.
Bei Holloway steht beides dann doch ziemlich unvermittelt nebeneinander: die realistische Anerkennung der Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten durch die herrschenden Strukturen und der Aufruf dazu, sich „in-gegen-und-darüber-hinaus“ zu verhalten. Dieser Aufruf ist mir übrigens sehr sympathisch, ich finde sehr vieles wieder, was ich auch unterstütze und umzusetzen versuche.
Für mich ist die Argumentationsstruktur aber nicht schlüssig. Letztlich basiert die Vorstellung auf dem Entfremdungskonzept nach Marx, bei dem das Problem darin besteht, dass das „eigentlich Untentfremdete“ (hier die „bewusste Lebenstätigkeit“) entfremdet als (Lohn-)Arbeit vorliegt – woraus sich als Befreiungsstrategie das Abschütteln der Entfremdung und die erneute Praktizierung des Unentfremdeten ergibt. Dasselbe Muster sieht Holloway im Marxschen „Kapital“ im Antagonismus von konkreter und abstrakter Arbeit nur anders benannt. Das stimmt aber in mehrfacher Hinsicht nicht (weder wird im Kapitalismus tatsächlich im Produktionsprozess abstrakt gearbeitet (sondern das Problem besteht in der privaten Form der konkreten Arbeit durch vereinzelte Einzelne), noch werden die Voraussetzungen für diese konkrete Formierung („Entfremdung“) ausreichend begriffen). Der Lösungsversuch setzt in einer theoretischen Sphäre an, die philosophisch gesprochen noch zu tief in der wesenslogischen, zirkulationstheoretischen, also zu abstrakten Sphäre steckt. Was gebraucht wird, ist ein tieferes Eindringen in die Gründe für das, was in dieser Sphäre real als Schein existiert.
So nachvollziehbar und richtig der Drang zur Auflösung fester versachlichter Strukturen in Richtung von willentlich veränderbarem Verhalten ist – hier fehlt die höhere Aufhebung. Die höhere Aufhebung von beiden richtigen Aspekten – dem strukturellen und dem handlungsbezogenen – vermute ich in jenen Gebilden, die mit „Verhältnis“ oder „konkretem Wesen“ bzw. dem „konkret Allgemeinen“ aus der Hegelschen Dialektik bekannt sind. Dabei stütze ich mich wieder auf die hervorragenden Arbeiten aus der Arbeitsgruppe um Camilla Warnke (1977-1981, DDR, z.T. auch veröffentlicht, aber marginalisiert), aus denen die ich bei jedem Lesedurchgang mehr Substanz schöpfen kann. Es kann jetzt aber nicht darum gehen, einfach die Triade (Seinslogik = Verdinglichtes als abstrakt mit sich identisch; Wesenslogik = Bezug auf Beziehungen und Prozesse der gegenseitigen Wechselwirkung, Begriffslogik: widersprüchliche Bewegung als Einheit der Gegensätze) schematisch durchzuziehen, sondern sich zu fragen, was konkret das für die jeweilige Fragestellung (bei Holloway, bezüglich der Eigentumsproblematik) heißt.
Deshalb sitze ich gleich parallel über mehreren Texten:
- Überlegungen zu Holloway
- Vorstudie zum Verhältnis von Verhalten und Verhältnissen 😉
- Ausarbeitung über Aneignungsverhältnisse
Ich fühle mich bei diesen Studien wieder einmal richtig wohl. Leider gelten in so einer Stimmung eMails oder auch Tipps für Lesematerial (vor allem zu anderen Themen) und auch Veranstaltungen usw. eher als Ablenkung, die ich zu minimieren trachte. Die Sachen sind so komplex, dass man einfach eine längere Zeit geistig darin eintauchen muss, Oberflächlichkeit bringt da nichts.
Ob ich aus diesen Tiefen Material mitbringe, was mich/uns bei realen politischen Fragestellungen weiter bringt, weiß ich noch nicht. Glücklicherweise bereitet mir die Beschäftigung mit diesen Themen auch ohne eine instrumentelle Zwecksetzung Freude. Ich selbst habe jedenfalls war zu vielen politischen Standpunkten im Zusammenhang mit „Keimformen“, „Wegen aus dem Kapitalismus“ und auch den „Commons“ an vielen Stellen noch offene Fragen, und ich denke, dass wir damit im positiven Sinne („aufhebend“) vorankommen können. Viele Unklarheiten hängen mit dem Status der notwendigen Gesamtgesellschaftlichkeit zusammen, also damit, dass es nicht ausreicht, das Neue als Summe von gemeinschaftlichen Aktivitäten zu denken. Diese Gesellschaftlichkeit erfordert philosophisch gesehen eben das (begriffslogische) Denken in Verhältnissen statt nur in (wesenslogischen) Vorstellungen eines wie auch immer gearteten kooperativen Verhaltens.
Damit bewege ich mich natürlich innerhalb von Problemen, bei denen ich Antworten auf etwas suche, für das die meisten die Fragen gar nicht haben. Deshalb ist meine Suchbewegung sicher auch für viele unverständlich. Aber wenn schon ein Blog eigentlich kein Veröffentlichungsmedium für wissenschaftliche Fachtexte ist, sondern eine Art „Tagebuch“, so will ich diesen Beitrag nutzen, um meine Fragestellungen und Motivationen für die hoffentlich bald folgenden weiteren Texte zu beschreiben.
September 9, 2011 at 11:15 pm
Lese in der graphisch wiedergegebenen Notiz in Beziehung zu „Commons als Aneignungsverhältnis begreifen“ gesetzt folgendes: „(vermittelte) Gesellschaftlichkeit statt nur (unvermittelte) Gemeinschaftlichkeit“
Ich denke, dass wir um eine Neubestimmung von Gemeinschaft nicht herum kommen, die eine Perspektive von Prozessen der modernen, freien Vergemeinschaftung beschreibt, die eben nicht (!) „Unmittelbarkeit“ und Negation der sich vergemeinschaftenden Persönlichkeiten und Institutionen mit deren Bedürfnissen bedeutet. Die Frage ist dann die nach (keimförmige Entwicklung von) Gemeinschaftlichkeit (Weltgemeinschaftlichkeit) bildenden Formen und Inhalten der Vermittlung.
So wie wir natürlich auch nicht „die“ Arbeitsteilung aufheben und höchsten die privateigentümlichen Formen der Arbeitsteilung durch gemeineigentümliche ersetzen können.
Wenn Marx die Aufhebung des Widerspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit im Kapitalismus und der privateigentümlichen Form ihrer Aneignung (bzw. Aneignung ihrer Früchte) als Perspektive sozialer Emanzipation beschreibt, so wirkt die Vermeidung des Begriffs der Vergemeinschaftung m.E. durchaus erkenntnishemmend und man kommt zu so seltsamen sachen wie „wahre Vergesellschaftung“.
Zur „Verflüssigung“ des Fetischbegriffs „Privateigentum“ zugunsten eines besseren Verständnisses privateigentümlicher Aneignung als in bestimmten Strukturen prozesshaft ablaufende soziale Beziehungen schrieb Marx u.a.
„Wie, fragen wir nun, kömmt der Mensch dazu, seine Arbeit zu entäußern, zu entfremden? Wie ist diese Entfremdung im Wesen der menschlichen Entwicklung begründet? Wir haben schon viel für die Lösung der Aufgabe gewonnen, indem wir die Frage nach dem Ursprung des Privateigentums in die Frage nach dem Verhältnis der entäußerten Arbeit zum Entwicklungsgang der Menschheit verwandelt haben.
Denn wenn man von Privateigentum spricht, so glaubt man es mit einer Sache außer dem Menschen zu tun zu haben. Wenn man von der Arbeit spricht, so hat man es unmittelbarmit dem Menschen selbst zu tun“.
MEW: 40, 521-522
Gruß hh
September 10, 2011 at 4:21 pm
Sehr spannend, genau die richtige Fragestellung!
Folgende Ideen von mir dazu: Commons stelle ich vergleichend auf die Ebene der Ware, beides verstanden als soziale Form der Produktion. So wie die Ware alleine den Kapitalismus nicht erklärt, so auch die Commons nicht eine freie Gesellschaft. Die gesellschaftliche Synthese versteht man im Kapitalismus erst über Arbeit, Ware, Wert, Kapital, Mehrwert, Klassen- und Sphärenspaltung etc. Die gesellschaftliche Synthese in einer angenommenen freien Gesellschaft ist nun aber nicht die einfache Negation auf den genannten Dimensionen als bloßes Verschwinden, sondern die kapitalistischen Formen sind ja auch Ausdruck für ein Allgemeines, sind der konkret-allgemeine Ausdruck für die historisch-spezifische Realisierung gesellschaftlicher Funktionen. Also Ware ist eine historisch-spezifische Form Produkte herzustellen, Wert eine historisch-spezifische Form der Realisierung der gesellschaftlichen Allgemeinheit der Produkte (was sich ja als spezielles Problem stellt, da privat-getrennt produziert wird) usw.
Wenn du das so denkst, dann stellt sich die Entfremdungsproblematik auch anders. Dann gibt’s nicht einen unentfremdeten Zustand, der im Kapitalismus dann entfremdet vorliegt. Ein solcher unentfremdeter Zustand hätte keine historisch-konkrete Gestalt. Ein Wesen muss konkret erscheinen und kann nicht nur allgemeine Wesenheit bleiben, die es anzustreben gelte. Das heißt der frühe Marxsche intuitive Entfremdungsbegriff ist zu unklar. Entfremdung lässt sich also ebenso nur historisch-konkret begründen, nicht in Relation zu einer Eigentlichkeit. Das hat Marx dann ja auch mit dem Fetischbegriff geleistet.
ABER: Dennoch ist die entfremdete Realisierung, eine Reallisierung von etwas, einer gesellschaftlichen Funktion. Eine unentfremdete Realisierung einer solchen gesellschaftlichen Funktion ist weder die einfache Negation des entfremdeten Zustands im Kapitalismus, noch die Enthüllung einer Eigentlichkeit, sondern die nicht-entfremdete, freie Realisierung dieser Funktion in einer historisch-spezifischen Gestalt. Diese kann wiederum nur eigenständig begründet werden, als Aufhebung im vollen Wortsinne, also Beendigung und Realisierung in qualitativ neuer Form.
Nur so als Idee mit auf den Forschungsweg 🙂
@hh: Doch, am Denken von Vergesellschaftung verstanden als gesamtgesellschaftliche Vermittlung führt kein Weg vorbei. Auch nicht einer über Gemeinschaften.
September 15, 2011 at 8:23 pm
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November 18, 2012 at 5:15 pm
[…] Zwischenstand zu den Themen Eigentum, Verhalten und Verhältnisse und John Holloway […]