Über den Umweg des Pohrtschen Buches „Theorie des Gebrauchswertes“ komme ich auch wieder zu der Fragestellung, die in Holloways Buch „Kapitalismus aufbrechen“ zentral ist: dem Nachdenken darüber, wie die kapitalistische Form der Arbeit überwunden werden kann.
Bei Marx zieht sich ein Zwiespalt durch fast alle Kategorien der Kritik der Politischen Ökonomie: der zwischen Gebrauchswert und (Tausch-)Wert. Bei der Arbeit gibt es den Doppelcharakter von konkreter und abstrakter Arbeit und der Produktionsprozess erweist sich als Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess.
Wie kann man damit umgehen? Unterwirft sich das Kapital als Totalität letztlich auch die gebrauchswertorientierten Aspekte vollständig? Oder steckt in den gebrauchswertorientierten Aspekten das Potenzial zum „Aufbrechen“ des Kapitalismus, wie es Holloway für die Kategorie der konkreten Arbeit tatsächlich annimmt?
1. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit bei Pohrt
Wir finden bei Wolfgang Pohrt wie schon bei der Betrachtung des Gebrauchswerts im Allgemeinen zwei wesentlich unterschiedene Entwicklungsformen des Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Bei der ersten liegt zwar schon ein Kapitalverhältnis vor, aber der Kapitaldominanz wirken noch andere Faktoren entgegen; es subsumiert sich das Leben noch nicht vollständig (1.1). In einer späteren Entwicklungsform dagegen ist das Kapital zur „Totalität“ geworden (1.2.).
1.1. Das Kapital als Verhältnis und die lebendige Arbeit als ihr Gegensatz
Pohrt zeichnet Marxens Kritik an Smith und Ricardo bezüglich des Austauschs zwischen Kapital und Arbeit nach. Marx geht davon aus, dass der Unterschied zwischen vergangener und gegenwärtiger Arbeit bei der Wertbestimmung von Waren gleichgültig ist, jedoch von „entscheidender Wichtigkeit“ ist, „wenn vergangene Arbeit (Kapital) mit lebendiger Arbeit ausgetauscht wird“ (MEW 26.2: 396). Der wichtige Unterschied kommt daher, dass die Arbeit selbst gar kein Wert ist, sondern Wert bildet. „Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werte aber sie selbst hat keinen Wert.“ (MEW 23: 559) Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit ist also ein ungleicher (MEW 26.3: 8).
Pohrt bezieht diese Ungleichheit nun nicht bloß auf die Menge der ausgetauschten Arbeit, das heißt es geht ihm nicht nur um die Frage der Aneignung des Mehrprodukts durch die Kapitalbesitzer. Er bestimmt die „lebendige Arbeit […] als die von den ökonomischen Formbestimmungen verschiedene Qualität“. Er kritisiert wie auch Marx das Konzept von Ricardo, bei dem die lebendige Arbeit „stets schon als in der Formbestimmung aufgegangene, als im Kapital vergegenständlichte“ betrachtet wird (Pohrt 1995: 73). Anders ausgedrückt: Es liegt ein qualitativer Unterschied darin, dass die Arbeitskraft mehr Wert erzeugen kann, als sie zur Reproduktion benötigt. Die Ware Arbeitskraft hat (für das Kapital, in dessen Verfügung sie erst mit den sachlichen Produktionsvoraussetzungen zusammen gebracht wirksam werden kann) den Gebrauchswert, mehr Wert erzeugen zu können. Deshalb fällt sie nach Pohrt aus den ökonomischen Formbestimmungen heraus (70). Und nicht nur das, die Arbeit kann als einzigster Gebrauchswert einen Gegensatz zum Kapital bilden:
„Der einzige Gebrauchswert daher, der einen Gegensatz zum Kapital bilden kann, ist die Arbeit […].“ (MEW 42: 198)
Arbeit kann also einen Gegensatz zum Kapital bilden, aber sie tut das nicht automatisch. Als Bedingungen für einen solchen Gegensatz erkennt Pohrt:
- Das Kapital selbst muss in sich widersprüchlich sein und das ist es nur, solange „es noch nicht zweite Natur geworden ist“ (122).
- Es müssen Subjekte vorausgesetzt sein, die von ihm verschieden sind. (ebd.)
Diese Bedingungen gelten nach Pohrt nicht mehr für den entwickelten Kapitalismus (siehe 1.2.), sondern nur für prä- und frühkapitalistische Zustände und auch nicht für den „nachrevolutionären Zustand“ (138). In den frühen kapitalistischen Zustandsformen sind vor allem die Subjekte noch mehr, als vom Kapital gesetzt:
„Befreien können sich nur Menschen, die nicht sind, als was sie vom Kapital gesetzt sind. Unter dieser Voraussetzung erst stellt sich die Setzung als Zwang dar, der zu bekämpfen ist.“ (138)
1.2. Das zur Sache gewordene Kapital und Subjekte, die mit ihm identisch geworden sind
Wenn die eben genannten Bedingungen nicht (mehr) gelten, ist der Schein wirklich geworden, „das Kapital Sache“ (ebd.):
„In keinem Verhältnis von Personen zueinander existiert es mehr, sondern in Verfahrensvorschriften, objektiven Produktionsabläufen und materialisiert in Konzernpalästen, Autobahnen, Fernsehern, Raketen, Doseneintopf.“ (122-123)
Dies gilt, so Pohrt, weil die Wirkung des Wertgesetzes durch Aktiengesellschaften aufgehoben sei und das Kapital deshalb kein Verhältnis mehr darstelle, sondern nur noch eine herrschende Sache.
Interessant ist, dass Pohrt diese Darstellung des gegenwärtigen Kapitals in der indikativen Form schreibt, die Darstellung des Arbeiters dagegen immer noch im Konjunktiv formuliert.
„Als mit der Bestimmung identisch, unter welche ihn das Kapitalverhältnis setzt, zerfiele er in kreatürliche Bedürftigkeit, wo er Person ist, und in reine Subjektivität, d.h. blinde Naturkraft, wo er Arbeiter ist.“ (123)
Später verzichtet er aber auf den Konjunktiv:
„Wo dem Kapital die Arbeit nicht mehr als fremde gegenübersteht, sondern eins seiner Momente geworden ist, also im Produktionsprozeß, dort tritt es in Beziehung nur noch zu sich selbst, wobei es sich aus einem gesellschaftlichen Verhältnis in einen Gegenstand verwandelt.“ (143)
2. Mehrarbeit als geschichtsbildende Kraft
Wolfgang Pohrt teilt Marxens historische Bewertung des „zivilisierende[n] Einfluß[es] des Kapitals“ (MEW 42: 323). Wegen der bereits eingetretenen Übernutzung der ökologischen Ressourcen und des ziemlich sinnlos-verschwenderischen Konsums in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern wird die Produktivkraftentwicklung (PKE) heute oft kritisiert (siehe auch 2.3.). Viele gehen davon aus, dass eine Befreiung der Menschen von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu jeder Zeit möglich gewesen wäre, wenn die Menschen nur gewollt hätten. Selbstverständlich sind die produktiven Kräfte sowieso Kräfte der Menschen und nichts von ihnen Getrenntes. Deshalb gilt an dieser Stelle auch: Wenn die Menschen bisher den Kapitalismus noch nicht abgeschafft haben, hatten sie dazu entweder nicht den Willen oder, bzw. in Verbindung damit, nicht die Kraft dazu. Wenn wir die „Kräfte der Individuen selbst“ als Produktivkräfte verstehen (wie Marx in MEW 3: 75), so sind es damit doch die Produktivkräfte, welche sich entwickeln müssen.
2.1 PKE als Subjektentwicklung/Individualisierung
Wie geschichtliche Studien zur Entwicklung der Individualität zeigen, entstand eine persönliche Eigenständigkeit für die Mehrheit der Menschen erst auf der Grundlage der Ablösung von traditionellen Bindungen an Natur und Blutsfamilie.
„Derselbe Prozeß, der die vermeintliche vorbürgerliche Idylle zerstört und den Arbeiter von der Erde losreißt, ihn expropriiert, macht ihn daher umgekehrt überhaupt erst potentiell zum Subjekt der Geschichte.“ (Pohrt 1995: 239)
Im interkulturellen Vergleich kann eine solche Position durchaus zu herrschaftsförmigen Ideologien führen – letztlich muss diese Frage in der je eigenen Kultur aus diskutiert werden und für meine, die europäisch-westliche, gehe ich schon davon aus, dass Individuen wie z.B. ich als weibliches Wesen aus armen Schichten in den letzten Jahrzehnten enorm an Lebenschancen gewonnen haben.
Nicht umsonst gingen die jungen Mädchen aus der dumpfen Unterdrückung im Dorf zumeist sehr freiwillig in die Städte, auch wenn sie da in den Fabriken und Büros hart arbeiten mussten. Das frühere Leben wird meist nur aus großem Abstand zur dörflichen Idylle verklärt.
Ein Fortschritt in der Entwicklung individueller, subjektiver Fähigkeiten ist meist sogar bzw. ausgerechnet dort zu verzeichnen, wo im Kapitalismus die Ausbeutung intensiviert wird. Der Übergang von der sog. Fordistischen zur sog. Toyotistischen Organisationsform der Arbeit basierte gerade auf der besseren Abschöpfung und Entwicklung der individuellen menschlichen Leistungsfähigkeit. (Um Missverständnissen vorzubeugen: dies ist nicht Pohrt entnommen)
2.2 PKE als Arbeitsproduktivitätssteigerung und Entlastung von notwendiger Arbeit
Ein wichtiges Moment der Produktivkraftentwicklung, der bei Pohrt angesprochen wird, ist die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Zumindest solange noch allgemeiner Mangel herrscht, kann es nicht nur um eine „gerechtere“ Verteilung gehen, sondern um das Aufheben der Mangelsituation durch Produktivkraftentwicklung. Marx drückt sehr drastisch aus, was er befürchtet, wenn lediglich der „Mangel verallgemeinert“ wird:
„ […] andrerseits ist diese Entwicklung der Produktivkräfte […] auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung, weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müßte […].“ (MEW 3: 35)
von bloß materieller Produktion“ wichtig (Pohrt 1995: 88)? Vor dem Kapitalismus wurde lediglich für die unmittelbare Konsumtion produziert. Dies stellte auch eine „Schranke für die freie Entfaltung der menschlichen Natur dar“ (ebd.: 217).
Im Kapitalismus löste sich der Zweck der Produktion von diesen unmittelbaren Bedürfnissen. „Produktion um der Produktion willen“ heißt –zumindest innerhalb der Schranken der ökologischen Nachhaltigkeit – nichts weiter, „als Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte, also Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur als Selbstzweck“ (MEW 26.2: 111). Der Kapitalist „zwingt […] rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die Basis einer höheren Gesellschaftsformbilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist.“ (MEW 23: 618)
Das Ziel besteht, so Marx und Pohrt, letztlich darin, „ daß Maschinen die Arbeit tun und die Menschen von ihr befreit werden“ (Pohrt 1995: 119).
Das Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, besteht- zumindest zeitweise – in der Entwicklung der Produktivkräfte auf dem Wege der kapitalistischen Arbeit, d.h. der Mehrarbeit.
Weil die Mehrarbeit trotz bzw. sogar wegen ihrer kapitalistischen Form zur „geschichtsbildenden Kraft“ wird (Pohrt 1995: 114), hat die Mehrarbeit nicht nur eine quantitative Seite (dass sie quantitativ mehr Wert erzeugt als zur Reproduktion der Arbeitskraft benötigt wird), sondern ebenso eine wichtige qualitative: dass sie die Voraussetzungen für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung schafft.
Voraussetzungen zu schaffen ist aber erst die „halbe Miete“. Es gibt keinen Automatismus:
„Obzwar das Kapital revolutionstheoretisch nur als Produktionsverhältnis interessiert, welches eine Etappe auf dem Wege der Befreiung der Menschen von bloß materieller Produktion ist, besteht sein Beitrag zur Befreiung doch nur darin, eben die materielle Produktion, die den Menschen dereinst nicht mehr alles bedeuten soll, umfassend zu entwickeln; den Rest müssen die Menschen selber tun.“ (Pohrt 1995: 88)
Damit Menschen dies tun, brauchen sie ein Interesse daran und Pohrt gibt Hinweise dafür, welche Art Ausbeutung über die bessere finanziell-materielle Versorgung hinaus eine wichtige Rolle spielen könnten: Ausbeutung besteht demnach vor allem im
Versagen der Aneignung „der durch die Arbeit geschaffenen gesellschaftlichen Produktivkräfte“ (115). Wirklicher Reichtum besteht in der Freiheit, „Geschichte zu machen, nicht nur das Immergleiche tun zu müssen“ (116f.). Daran „hat keiner teil, der bloß über konsumierbare Sachen verfügt“ (117).
Diese Dimension von Ausbeutung geht über die Lohnfrage und die Frage nach dem materiellen Lebensstandard weit hinaus. Sie ist verwandt mit dem Widerstands- und Kampfimpetus der „Würde“, der vor allem in Lateinamerika wirksam wird und auch dem „Buen Vivir“, das sich als Gegenkonzept zur kapitalistischen Konsumwelt herauszubilden beginnt. Sie bereichert diese aber auch um den Gedanken der Befreiung von mühseliger Arbeit, um die Vision der Reduzierung und Umgestaltung von notwendiger Arbeit zugunsten des Bereichs dessen, was jeder Mensch „wirklich, wirklich tun“ (F. Bergmann) will.
Die Realität zeigt, dass die Kräfte zur Aufhebung des Kapitalismus bis jetzt nicht ausgereicht haben. Das könnte daran liegen, dass auch auf technischer Ebene doch noch nicht genügend Mittel zur Verfügung standen (wie das Internet für den „zusammenhängende[n] Weltverkehr“ (MEW 3: 35) als Basis der Selbstorganisierung der „weltgeschichtliche[n], empirisch universelle[n] Individuen“).
2.3 PKE als Entwicklung von Destruktivkräften
„Aber wir wollten doch
nur Arbeitsplätze schaffen“
Die lange Verzögerung hat aber auch zu neuen Problemen geführt. Diese hat Pohrt noch nicht in Betracht gezogen. Spätestens seit Mitte der 80er Jahre übernutzen wir die ökologische Regenerationsfähigkeit auf unserem Planeten, und wir erzeugen wesentlich mehr Treibhausgase, als das Klima für seine relative Stabilität verträgt.
Damit schlagen die Produktivkräfte nun um und werden Destruktivkräfte, weil sie die Lebensgrundlagen gefährden.
Hier wirkt sich die Verselbständigung der Kapitalakkumulation von bewusst gesetzten Zwecken desaströs aus. Im Kapitalismus ist die Produktivkraft der Arbeit nicht Zweck der menschlichen Aktivität, denn dann würde sie auch einer umfassenden Bewertung aller gewünschten und unerwünschten Wirkungen unterzogen, sondern sie ist lediglich ein Mittel, um den relativen Mehrwert zu erhöhen.
„Die Produktivkräfte der Arbeit „vergegenständlichen“ sich, wie Marx sagt, in den „sachlichen Arbeitsbedingungen“ – darunter die technischen Produktionsmittel – und erscheinen als Produktivkräfte des Kapitals.“(Klaus Peters 1988)
Die Produktivkräfte der Arbeit erscheinen also als Produktivkräfte des Kapitals. Dieser Schein ist, wie auch bei den anderen Fetischformen wie Geld, nicht nur eine illusionäre Einbildung, sondern ein wirkliches gesellschaftliches Verhältnis. Wenn wir nach der Rolle der Produktivkraftentwicklung in der menschlichen Geschichte fragen, so geht es gerade nicht primär um den technischen Fortschritt (der zu oft mit „Produktivkraft“ verwechselt wird, siehe Peters 1988). In der Technik liegt weder das Problem noch die Lösung des Problems, sondern es geht um das gesellschaftliche Verhältnis.
Das Überschreiten der Maße der ökologischen Verträglichkeit macht das nur umso dringlicher. Wenn dies –aufgrund der Verwechslung von Produktivkräften und technischen Mitteln – jedoch durch einen Rückbau der technischen Möglichkeiten geschähe, statt durch ihre zweckmäßige bewusste Anwendung und Weiterentwicklung, landen wir angesichts der bereits unwiderruflich zerstörten natürlichen Ressourcen wahrscheinlich noch stärker in Notdurft, Mangel und der „alten Scheiße“.
3 Reduzierte Dialektik
Möchte man die Pohrtsche Theorie bewerten, so fällt als erstes auf, dass bestimmte Kennzeichnungen des entwickelten Kapitalismus fragwürdig sind. So haben die Monopole bzw. die Aktiengesellschaften die gegenseitige Konkurrenz nicht aufgehoben und auch die Einverleibung neuer Sphären der Kapitalverwertung (territorial, Natur, Biologie, Informationssphäre…) ist noch längst nicht abgeschlossen.
Es fällt auch auf, dass Pohrt i.a. der historisierenden Lesart der Marxschen Theorie folgt, indem er die Marxschen Aussagen bezüglich der Zirkulation auf vor- oder frühkapitalistische Zeiten und jene zur Produktion auf entwickelte kapitalistische Zeiträume verlegt.
Aus der Sicht einer dialektischen Betrachtung gilt für Pohrt, dass er viele Züge dialektischen Denkens aufgreift, aber letztlich ihre Möglichkeiten nicht ausschöpft. Dies wird vielleicht erst anhand einer umfassenderen Konzeption, die ich in diesem Text noch nicht darstellen kann (das folgt vielleicht später), deutlicher. Auffallend ist die „Schließung der Dialektik“ beim Erreichen der „Totalität“, wie sie sich letztlich bei Hegel durchaus finden lässt und zusätzlich sogar das Konstatieren einer Erstarrung durch den Verlust der Widersprüchlichkeit, die neuen Widersprüchen oder neuen Ausprägungen alter keinen Raum lässt.
Dass Pohrt die Naturverhältnisse nur als zivilisatorisch zu überwindende darstellt, reiht ihn in die Reihe unkritischer Fortschrittsapologeten ein und wird den bekannten ökologischen Problemen und Begrenzungen nicht gerecht. Spätestens hier wächst dem Kapital (wenn nicht der menschlichen Zivilisation als solcher) wieder ein Gegensatz entgegen, der heute unbedingt betrachtet werden muss.
In seinen Ausführungen schwankt Pohrt zwischen der zustimmenden Referierung der dialektischen Positionen von Marx, z.B. bei der Frage nach der zivilisatorischen Notwendigkeit des Kapitalismus, und der eher enttäuschten Zustandsbeschreibung seiner Gegenwart hin und her. Es scheint so, verfolge er einerseits über viele Dutzend Seiten seine eigenen früheren Hoffnungen, deren Scheitern er letztlich aber doch nicht verhehlen kann.
Wenn man dem Grundtenor dieser Arbeit folgt, bleibt uns theoretisch nichts mehr zu tun:
„Der Worte sind genug gewechselt – Lasst mich nun endlich Taten sehn!“
(Literatur im früheren Beitrag)
Oktober 10, 2011 at 9:03 am
Du schreibst:
Wie meinst du das mit Bezug auf Hegel (bei Pohrt ist mir das klar)? Würde Kai dem nicht widersprechen?
Oktober 11, 2011 at 4:18 pm
Ob Kai widersprechen würde, musst Du ihn schon selbst fragen 😉
Es geht letztlich um die Frage, ob Marx Recht hat, zusätzlich zu den Widersprüchen die „wirklichen Extreme“ für das Verständnis der (zumindest) der Gesellschaft zu fordern. Das wäre ja genau das, was über die Widersprüche, deren Lösungsform die reproduktive Bewegung des Systems ist, hinaustreiben könnte. Die Totalität bei Hegel ist genau dann eine Totalität, wenn sie – zumindest wenn genau diese Totalität der Gegenstand der Betrachtung ist – durch nichts anderes mehr bestimmt, erklärt, begründet ist, sondern nur noch durch sich selbst. Das ist ja genau das Problem mit dem Kapital (oder dem „Wert“). Streng hegelsch gesehen, hätte er als Totalität nichts mehr „außer“ sich. Marx dagegen sah im Unterschied/Gegensatz/Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit mehr als einen solchen die Totalität lediglich (wenn auch quantitativ erweitert) reproduzierenden Widerspruch.
Oktober 10, 2011 at 12:43 pm
„Dies gilt, so Pohrt, weil die Wirkung des Wertgesetzes durch Aktiengesellschaften aufgehoben sei und das Kapital deshalb kein Verhältnis mehr darstelle, sondern nur noch eine herrschende Sache.“
Hä? Wie versucht Pohrt denn das zu begründen?
Oktober 11, 2011 at 4:22 pm
Er verweist z.B. auf MEW 25: 453f., wo Marx die Aktiengesellschaften als „höchste Entwicklung der kapitalistischen Produktion“ gleichzeitig als „Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst“ betrachtet. Engels ergänzte hier, „daß in jedem Land die Großindustriellen eines bestimmten Zweigs sich zusammentun zu einem Kartell zru Regulierung der Produktion.“ (ebd.: 453). Pohrt verabsolutiert diese Tendenz, in dem er sogar schreibt, dass die Aktiengesellschaft sich vom Wertgesetz emanzipiere (S. 248). Das folgt u.a. auch Krahl und der Denkweise der Kritischen Theorie i.a..
Oktober 10, 2011 at 12:46 pm
„Die Ware Arbeitskraft hat (für das Kapital, in dessen Verfügung sie erst mit den sachlichen Produktionsvoraussetzungen zusammen gebracht wirksam werden kann) den Gebrauchswert, mehr Wert erzeugen zu können. Deshalb fällt sie nach Pohrt aus den ökonomischen Formbestimmungen heraus.“
Kann darin keinen Sinn entdecken.
Oktober 11, 2011 at 4:41 pm
Zum ersten Satz: Da ist tatsächlich ein Fehler drin: Statt „Ware Arbeitskraft“ muss genau hier stehen: „Arbeit“, meint „lebendige Arbeit“. So schnell kanns gehen, dass man das verwechselt.
Zum zweiten Satz: Genau darum geht es: Ist die „lebendige Arbeit“ vollständig kapitalismusformbestimmt, oder bleibt da noch ein „Rest“, ein Residuum eventuell darüber hinausweisender Aktivität? Für die frühkapitalistischen Zustände bejaht das Pohrt, für die späten nicht mehr.
Ich selbst lerne diese Unterscheidung gerade zu schätzen als Grundlage für das, was ich schon versuchte mit der Absetzung des „Arbeitsvermögens“ gegenüber der „Arbeitskraft“. Letztere Unterscheidung wird gar nicht gebraucht, der gemeitne Unterschied besteht in Wirklichkeit zwischen „lebendiger Arbeit“, die nicht Wert IST, sondern Wert BILDEN KANN (aber eben auch NICHT MUSS) und der Arbeitskraft, die als vom Kapitalisten gekaufte/gemietete nur von ihm in Kontakt mit den sachlichen Produktionsbedingungen gebracht werden kann und deshalb nur für ihn wirken kann. Dies gilt meiner Meinung nach – entgegen Pohrt – auch für spätkapitalistische Zustände.
Letztlich ist es auch das, worauf Holloway mit der Hoffnung auf die „konkrete Arbeit“ hinwill – gegen die kapitalistische Formbestimmung des „abstrakten Arbeit“. Er hat nur die falschen Kategorien erwischt. Konkrete wie abstrakte Arbeit sind von vornherein Moment des Kapitalakkumulationsprozesses. Was zu unterscheiden ist, ist die „lebendige Arbeit“, die auch außerhalb ihrer Warenform als Möglichkeit vorhanden ist, von dem Anteil der als „Arbeitskraft“ vom Kapital gekauft/gemietet wird und dann zwar auch konkret arbeitet, aber eben innerhalb des Kapitalreproduktionszyklus.
Oktober 11, 2011 at 6:24 pm
„Zum ersten Satz: Da ist tatsächlich ein Fehler drin: Statt „Ware Arbeitskraft“ muss genau hier stehen: „Arbeit“, meint „lebendige Arbeit“. So schnell kanns gehen, dass man das verwechselt.“
Das finde ich nun in dem Fall, (in Bezug auf den Gebrauchswert) ganz irrelevant. Sowohl das Arbeitsvermögen als auch der Arbeitsprozess haben für das Kapital den Gebrauchswert aus „Geld“ mehr „Geld“ zu machen. Einerseits die (zu ihrem ökonomischen Wert erstandene) Arbeitskraft als POTENZIAL zur Produktion der Waren, die sich zu „mehr Geld“ machen lasssen, und andererseits die Arbeit, der Arbeitsprozess, eben als Produzent der Waren, die sich zu „mehr Geld“ machen lassen.
Sowohl der Apfel, den du kaufst als der, den du isst, haben Gebrauchswert, (= einen Nutzen), der sich aus Haben und Verbrauch zusammensetzt. Nur dass der Gebrauchswert im Lebensmittel-Konsum für den Konsumierenden verschwindet und am Ende die Bedürftigkeit steht, die zum neuen Kontrakt mit dem Kapital nötigt – wobei für das Kapital diese Bedürftigkeit auch wieder ein Gebrauchswert ist. Beim kapitalproduktiven Konsum des bedürftigen Arbeitsvermögens verschwindet zwar dessen Gebrauchswert, Waren produzieren zu können, turnusmäßig und muss erneuert werden, aber am Ende des wertproduktiven Konsums ist der Gebrauchswert für das wertproduktiv konsumierende Kapital nicht verschwunden, zur Bedürfigkeit geworden sondern hergestellt.
Oktober 11, 2011 at 6:26 pm
Naja, es sei denn, es wurde überproduziert 🙂
Oktober 11, 2011 at 7:29 pm
Mir scheint das alles ein wenig zu schematistisch und formalistisch und zu wenig humanistisch bzw. weltkommunistisch gedacht. Gehen wir doch mal zurück auf Marx/Engels anthropologische Bestimmung von „lebendiger Arbeit“, als die entscheidende Kraft der (fortgesetzten) „Menschwerdung des Affen“, nämlich das spezifisch menschliche Vermögen, für sich und andere einen konkreten Nutzen gezielt, (d.h. nach einem bereits im Kopf voraus gedachten Plan) herstellen zu können.
Die zivilisatorische Leistung der (nun bald zuende gehenden!) kapitalistischen Ära ist es, uns diese Fähigkeit zur wahrlich mitmenschlichen Produktion (und Aneignung) in einem ungeheuren Ausmaße aufgenötigt zu haben, aber eben um den Preis, dass genau diese Fähigkeit für die im kapitalistischen Produktions/Aneignungsprozess vereinzelten Einzelnen stets aufs Neue verloren ging / geht bzw. Unerreichbar bleibt und die Menschen sich ausgerechnet in der Arbeit, also der spezifisch menschlichen Tätigkeit, „außer sich“ und sich nicht bei sich, nicht zu Hause fühlen – und eben auch nicht in der Lage, im Hinblick auf den herzustellenden Nutzen (und die dabei zu vermeidenden Schäden) aus dem weltgesellschaftlichen Füreinander ein weltgemeinschaftliches Miteinander zu machen.
Diese Fähigkeiten (= Produktivkräfte) zur mitmenschlichen Produktion und ökologischen Vor- und Rücksicht aber wachsen eben auch innerhalb der frankfurterisch resignativ so genannten „Megamschine“.
Da gibt es eben kein totales Gegeneinander bzw. das totale Gegeneinander nicht in Gänze. Es gibt immer gleichzeitig Momente der Steigerung von Entfremdung und der Ententfremdung! Und immer ist die Frage, wie sich das weiterentwickeln ließe. Der Gedanke an die unbedingte Notwendigkeit eines – innerhalb der nächsten Jahrzehnte auf den Weg zu bringenden – weltgemeinschaftliches Nachhaltigkeitsmanagement liegt doch schon ganz schön nahe. Oder etwa nicht?
Oktober 10, 2011 at 11:54 pm
Nunja, werde mir Pohrts Büchlein, das seit den 1980er Jahren irgendwo in meinen Regalen verstaubt, wohl nicht noch einmqal hervorkramen. Pohrt kannte ich als den, der einst in der KONKRET den „Tschernobyl-Müttern“ (Mütter gegen Atomkraft) Fremdenfeindlichkeit vorwarf, weil die „das Fremde“ aus dem Essen fernhalten wollten. Nunja, so ist das wohl, wenn man immer und überall nur noch „Totaität des Kapitalsverhältnisses“ und „Ende der (Emanzipations-)Geschichte“ … – pardon „…der Dialektik“ sehen willl.
Und nicht mehr nach dem sich zugleich mit allerlei Entfremdungssymtomen auch entwickelnden Emanzipationspotenzial schaut. Ich sehe das so: In der Anti-AKW Bewegung geriet (und gerät noch) die Produktivkraft „Vorsorgevermögen“ im Widerspruch zu den kapitalistischen Zwängen, die das technische Vermögen der „lebendigen Arbeit“ wie warensinnig (und dabei eine Idee zu waghalsig) voranpeitschten. In der Gesellschaft begann sich so das Bedürfnis zu rühren, sich der Gesellschaftlichkeit der Stromproduktion bewusst zu werden…
Oktober 11, 2011 at 4:48 pm
Ich finde es immer schwer, jeweils spätere politische Streitereien (aus Zeiten und zwischen Leuten, die mir als Ossi meist eher unbekannt sind) immer mit einbeziehen zu wollen/sollen. Tatsächlich deuten sich manche Gedankengänge oft schon in frühen Arbeiten von jemandem an – aber es stecken auch oft noch kluge Gedanken drin in dem, womit jemand begonnen hat.
Ich selbst hatte das Buch von Pohrt auch schon weggesteckt, aber es ist erstaunlich, wie anders man es oft nach einigen Jahren liest.
Oktober 11, 2011 at 7:37 pm
Ich erwähnte das u.a., weil den „Streitereien“ (da hatte aber nur einer „gestritten“) offenbar schwerwiegende Analyse-Fehler zugrunde gelegen waren. Nicht nur in Bezug auf die Achtsamkeit bezüglich von Radioaktivität im Essen gibt es eben – zumindest – richtiges Streben im – natürlich immer noch – falschen Leben.