In der Arbeit werden Stoffe und Energien aus der Natur für menschliche Zwecke umgewandelt (Tjaden 1992: 1, 35). Die Zufuhr mit den nötigen natürlichen Ressourcen und die Abfuhr des Abfalls waren in der Geschichte schon häufig problematisch – derzeit haben die Probleme jedoch ein globales Ausmaß. Deshalb muss die Beziehung zwischen den natürlichen Quellen des Reichtums und der menschlichen Arbeit sehr genau analysiert werden.
Tjaden führt eine interessante Unterscheidung ein. Aus marxistischer Sicht ist der Begriff der „Produktivkräfte“ bekannt. Um die oben genannte Beziehung zwischen den natürlichen Quellen des Reichtums und der menschlichen Arbeit genau zu erfassen, ist eine Unterscheidung sinnvoll: Es wird unterschieden zwischen
- dem „produktiven Potential“, d.h. den „Wirkungsvermögen, die in der jeweiligen Bevölkerung und dem jeweiligen Naturhaushalt enthalten sind“ (ebd.: 15) und
- der Produktivkraft der Arbeit, als der „Kraft, die in produktiver gesellschaftlicher Arbeit überhaupt wirkt und verwirklicht wird“ (ebd.: 55).
Wir kennen die Unterscheidung zwischen Potential und Kraft auch in der Naturwissenschaft („Eine Kraft gibt es erst dann, wenn ein ‚Probekörper“ in dieses Feld/Potential gesetzt wird.“). Diese Unterscheidung zeichnet den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit nach. Natürlich ist auch das Potential/die Möglichkeit etwas, das wirklich vorhanden sein muss – aber in Bezug auf den Prozess, den wir betrachten, also die gesellschaftliche Arbeit, ist er inhaltlich unbestimmter als das, was wir als verwirklichte Kräfte in dieser Arbeit in ganz bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen vorfinden. Die Potentiale in den Menschen, der Natur und auch der Gesellschaft können zu Trägern der gesellschaftlichen Produktivkräfte werden, ob sie es wirklich werden, hängt von den wirklichen Arbeiten in der konkret-historischen Gesellschaftsform ab. (Zum Begriff der „Gesellschaftsform“ gibt es bei Tjaden auch längere Abhandlungen, die ich hier übergehe.)
Auf diese Weise „verschiebt“ sich die Unterscheidung „zwischen Natur und Mensch“ in unserer Betrachtung zwischen die natürlichen Potentiale und die in der konkreten Gesellschaft verwirklichten produktiven Kräfte der Arbeit. Das verändert die Sichtweise deutlich:
Man kann nicht mehr sagen, die „Produktivkräfte“ wären jene Entität, die sich über den Wechsel der Gesellschaftsformen hinweg entwickle (quasi als Ersatz für den idealistischen „Weltgeist“). Die produktiven Kräfte der Arbeit sind inhaltlich an die spezifischen Zwecke der Produktion in jeder Gesellschaftsform gebunden. Sie beruhen auf Bedingungen, die im jeweils vorhandenen Potential gegeben sind (und durch die vorherige Entwicklung auch jeweils verändert wurden).
Das produktive Potential ist „letztlich in der Bevölkerung und in dem Naturhaushalt verortet […], die das jeweilige Wirtschaftsgebiet umfaßt“ (ebd.: 15), d.h., es „nährt sich vor allem aus den Wirkungsvermögen, die in der jeweiligen Bevölkerung und in dem jeweiligen Naturhaushalt enthalten sind“ (ebd.: 15).
Die Bedeutung dieser beiden Potentiale wird vor allem dann deutlich, wenn man im Kontrast dazu vereinseitigende Konzepte kennt. Peter Ruben etwa will nur die menschliche Arbeit als Quelle anerkennen, während Hans Immler nur der äußeren Natur Produktivität zuerkennt (nach Tjaden 1992: 55f., vgl. auch Schlemm 1998). Bei Marx gibt es die interessante Unterscheidung zwischen Wert- und Reichtumserzeugung. Nur die Arbeit kann Wert erzeugen, aber an der Herstellung des Reichtums sind Arbeit und Natur beteiligt. Es gilt: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“ (MEW 19: 115 ).
Eine wichtige Ergänzung möchte ich hinzufügen: Zum Potential gehört neben den von Tjaden genannten Wirkungsvermögen der Bevölkerung und des Naturhaushalts auch das in den Produktionsmitteln bereit gestellte Wirkungsvermögen.
In der Philosophie von Möglichkeit und Wirklichkeit wird die geschichtliche Veränderung folgendermaßen denkbar (dies ist eine Ergänzung von mir, unter Verwendung der entsprechenden Hegelschen Begriffe): Wenn wir von den Potentialen sprechen, meinen wir nicht die Möglichkeit als „abstraktes Moment der Wirklichkeit“ (HW 8: 282), sondern die „seiende Möglichkeit“, das ist die „Möglichkeit eines Anderen“, die sich als „Bedingung“ zeigt (HW 8: 287, vgl. HW 6: 204). Hier können wirkliche Zustände durch die Veränderung von Bedingungen sich verändern (vgl. HW 8: 287).
Für die Arbeit habe ich schon früher eine Unterscheidung von Arbeitsvermögen und Arbeitskraft vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wird bestärkt durch die Verallgemeinerung dieser Unterscheidung auf alle produktiven Potentiale und Kräfte.
Zur Unterscheidung von Kraft und Potential in der Physik
Das im „produktiven Potential“ erfasste Wirkungsvermögen liegt unabhängig davon vor, in welcher konkreten gesellschaftlichen Form die Aneignung der Ressourcen und die Produktion in der Gesellschaft organisiert sind und auch davon, was in der Gesellschaft überhaupt als produktiv gilt. Die „Produktivkraft der Arbeit“ ist demgegenüber „die Kraft, die in produktiver gesellschaftlicher Arbeit überhaupt wirkt und verwirklicht wird“ (ebd.: 55).
Die Produktivkraft der Arbeit kann nicht unabhängig von der Gesellschaftsform bestimmt werden. Man kann also auch nicht einfach von einer überhistorischen, quasi eigengesetzlichen „Produktivkraftentwicklung“ sprechen, denn was als „produktiv“ gilt, verändert sich mit dem historischen Wandel der Zwecksetzungen der Produktionsweise.
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- Literatur
Februar 18, 2012 at 1:24 pm
“ dem „produktiven Potential“, d.h. den „Wirkungsvermögen, die in der jeweiligen Bevölkerung und dem jeweiligen Naturhaushalt enthalten sind“ (ebd.: 15) und
„der Produktivkraft der Arbeit, als der „Kraft, die in produktiver gesellschaftlicher Arbeit überhaupt wirkt und verwirklicht wird“ (ebd.: 55).“
Wir kennen die Unterscheidung zwischen Potential (z.B. potentielle Energie) und Kraft auch in der Naturwissenschaft („Eine Kraft gibt es erst dann, wenn ein ‘Probekörper” in dieses Feld/Potential gesetzt wird.“).“
Ich empfinde das als überdefiniert und eher als Zeichen fortbestehender Entfremdung denn als Mittel, sie aufzuheben. Wenn Marx von Arbeitskraft spricht, spricht er vom Arbeitsvermögen, d.h. dessen produktivem Potenzial, das sich im Kapitalismus zum Potenzial zur Herstellung von Tauschwerten mausert an deren Aneignung die Interessensvertreter des – außerhalb des menschlichen Arbeitsvermögen – vergegenständlichten Produktivvermögens zuvorderst interessiert sind. Der Prozess heißt bei ihm Arbeit, nicht Produktivkraft.
Produktivkraft der Arbeit ist nach der (Tausch-)Wertseite hin bzw. ökonomisch betrachtet, was gegen ein bestimmten Quantum Geld (hier in Kapitalfunktion) zu tauschendes Arbeitsvermögen in der Zeit seiner Benutzung an Tauschwerten schafft .
Nach der Gebrauchswertseite oder ökologisch betrachtet, d.h. die Stoffwechselbedeutungen betrachtend, ist die Produktivkraft der Arbeit, was das Arbeitsvermögen in der Zeit seiner Anwedung an Gütern und Diensten herstellt bzw. was dann der Stoff(bedeutungs)wechsel in der Arbeit sonnst noch so an mehr oder weniger erwünschten Effekten produziert.
Betreffend der Wertseite ist von ja großer Wichtigkeit, dass sich die Lage aus Sicht des Einzelkapitals vollkommen anders darstellt als für die Kapitalseite überhaupt. Weil das Einzelunternehmen einen Konkurrenzvorteil auf zwei Wegen herstellen kann, nämlich, dass dafür weniger Arbeitszeit verbraucht wird als es die Konkurrenz vermag oder dass es neune Produkte auf den Markt wirft, deren Gebrauchswert die Konkurrenz noch nicht oder noch nicht zu einem günstigeren Preis reproduzieren kann.
Gesemtgesellschaftlich führt das aber bekanntlich der durch die Konkurrenz bewirkte Anpassungsprozess zur Entwertung der produzierten Arbeitsergebnisse, was die Soffmenge natürlich ausdehnt. Von der Wertseite nimmt die Produktivkraft bzw. das Produktivvermögen der Arbeitkraft ab, von der stofflichen Seite hin zu.
Deutlich z.B. darin, dass der Stoffaustausch für Lebensmittel noch nie so groß war wie heute obwohl dabei – zumindest beim direkt landwirtschaftlichen Teil – nir noch vergleichsweise wenig Wert produziert wird.
Gruß hh
Februar 18, 2012 at 1:31 pm
Aus genau dem Grund finde ich z.B. auch den Begriff „Arbeitswertlehre“ so irreführend.
Februar 18, 2012 at 2:00 pm
„Die Produktivkraft der Arbeit kann nicht unabhängig von der Gesellschaftsform bestimmt werden.“
Das schon deshalb nicht, weil „Arbeit“ hier als Kurzform von „Lohn- und Gehaltsarbeit“ bzw. „Erwerbsarbeit“) genommen ist also produktive Tätigkeit als Moment bestimmter – historischer – Produktionsverhältnisse oder der historischen Gesellschaftsform – weshalb die obige Bemerkung im Grunde eine Tautologie ist.
„Man kann also auch nicht einfach von einer überhistorischen, quasi eigengesetzlichen „Produktivkraftentwicklung“ sprechen,“
Aber sicher kann man das. Eben weil „Produktivkraft der (Gelderwerbs-) Arbeit“ eben ein historischer und kein überhistorischer Begriff ist, steht dem ersteinmal gar nichts im Wege. Es wäre höchstens von Nöten, die unterschiedlichen Produktivkräfte und die dazu nötigenden oder dessen Ausbeutung ermöglicvhenden Produktionsverhältnisse ein wenig differenzierter zu betachten und da endlich mal eine gewisse Systematik hinein zu bekommen. (Zum Beispiel refektierend, dass Aneignungsvermögen sozial bzw. ökologisch gesehen auch Produktivkräfte sind und in der einen oder anderen Weise im Widerspruch zu den vorherrscehnden Aneigungszwängen geraten können.
„— denn was als „produktiv“ gilt, verändert sich mit dem historischen Wandel der Zwecksetzungen der Produktionsweise.“
Genau so ist es. Oder etwas genauer, die Aneignung dessen, was da so kräftig produziert wird (Verwüstung von Ackerböden, Wirbelstürme infolge der Meereserwärmung usw.) bereitet nicht zu allen Zeiten und nicht allen „Produktivkräften“ (der ökohumanistischen Art) das gleiche Vergnügen.
Gruß hh
Februar 18, 2012 at 6:53 pm
Ich finde die Betrachtung von Kraft und Potenzial interessant. Die potenziellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Neugeborenen in verschiedenen Ländern ist viel weniger unterschiedlich als der Wohlstand in ihnen.
Peter
PS: Der Text „Potentiale und Kräfte“, auf den verwiesen wird, enthält leider viele Ungenauigkeiten und Fehler (Feldlinien), das sollten wir mal separat durchgehen.