Kapitalismus
Wie mit den produktiven Potentialen umgegangen wird, wie sie als produktive Kräfte genutzt und ihre Reproduktion organisiert wird, hängt wesentlich von der Art und Weise der gesellschaftlichen (Re)Produktion ab.
Bleiben wir erst einmal beim natural-technischen Aspekt. Es ist ganz offensichtlich dass die industrielle Revolutionierung „zur Transformation der vorhandenen ökologischen Systeme zu ökonomisch-ökologischen Systemen, mit massive Exploitation von Lagerrohstoffen, nachwachsenden Rohstoffen, nicht regenerativer fossiler Energieträger“ führte (Tjaden 1992: 116). Die Produktivkraftexplosion verdankte sich vor allem der Nutzung der fossilen Energieträger.
Aber dieser „natural-technischen Inhalt“ der Entwicklung kann nicht isoliert von der „ökonomisch-sozialen Gestalt“ diskutiert werden.
Wie sonst erklärt sich die Lösung des Heizungsproblems auf folgende Weise:
„Sozialer Bedarf besteht an einem System, das Energie für eine geeignete Aufgabe effizient anwendet; aber diesem Bedarf wird einzig dadurch entsprochen, daß diese waren auf den Markt geworfen und dann das Beste gehofft wird. Ein Ofen wird nicht hergestellt und verkauft als des Herstellers wirksamster Beitrag zur Deckung des sozialen Bedarfs, daß die Wohnungen der Leute im Winter bei 23° (C) zu halten sind. Wenn der Zweck des Fabrikanten durch jene thermodynamische Aufgabe definiert würde, wäre das Produkt zwangsläufig alles andere als ein Ofen – vielleicht eine Wärmepumpe oder ein Solarkollektor.“ (Commoner 1977: 215)
Die Heizung hat nur mittelbar den Zweck, die Raumtemperatur zu erhöhen – der unmittelbare Zweck für ihre Herstellung war die Erhöhung des Profits der Produktionsmittelbesitzer.
Für den Kapitalismus gilt als bezwecktes, produktivitätssteuerndes Produktionsergebnis der Mehrwert (m); der berücksichtigte, produktionswirksame Aufwand an gesellschaftlicher Arbeit in dieser Produktionsweise ist das eingesetzte Gesamtkapital (C), so dass die Effektivitätsformel der Profitrate entspricht Ep = m : C (Tjaden 1992: 107, vgl. MEW 25: 55).
Obwohl meist auch alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den absoluten Mehrwert zu vergrößern (durch Verlängerung der Arbeitszeit), spielt vor allem die Steigerung des relativen Mehrwerts durch eine höhere Produktivität der Arbeit die maßgebliche Rolle. Bei der Erhöhung des relativen Mehrwerts geht es um die Einsparung von Arbeit, Stoffen und Energie, aber die Einsparung von Arbeit „durch organisatorisch-technischen Fortschritt“ ist „leichter zu bewerkstelligen“ als die Einsparung von Stoffen und Energie“ (Tjaden 1992: 136). Bisher war sogar eher der Trend wirksam, durch erhöhten Energieeinsatz („Energiesklaven“) Arbeit zu ersetzen.
Der Mehrwert wird in die Ersetzung und Erweiterung der Produktionsfaktoren gesteckt. Darauf ist die systemische Reproduktion im Kapitalismus dann aber auch beschränkt. Alle nicht als kapitalistisch-produktive Faktoren wirkende, d.h. nicht der Mehrwerterzeugung untergeordnete, Potentiale werden zwar in steigendem Maße ausgeschöpft, aber nicht regeneriert.
„Die kapitalistische Produktionsweise, die eben nur auf die Einsparung bezahlter menschlicher Kräfte und bezahlter natürlicher Mittel achtet und für die die übrige Arbeitsbevölkerung eine willige Reserve und die übrigen Naturbedingungen freie Güter darstellen, ist energievergeudende und stoffverschleudernde Wirtschaftsweise par excellence.“ (ebd.: 158)
Man kann also davon sprechen, dass im Kapitalismus die Produktionskapazität stark entwickelt wird, die Reproduktionskapazität der Gesellschaft jedoch unterentwickelt bleibt (ebd.: 16). Das zeigt sich in der „Vergeudung fossiler Energieträger, der Expansion destruktiver Produktion und der Anhäufung toxischer Abfallstoffe“ (ebd.).
Dabei werden, wie wir an dem Zitat von Barry Commoner gesehen haben, nicht nur thermodynamisch uneffektive technische Lösungen akzeptiert, solange die Profiterwirtschaftung funktioniert, sondern wie wir wissen, werden auch viel zu viele, viel zu unnütze und viel zu wenig haltbare bzw. reparaturfähige Güter hergestellt, solange der verkaufte Anteil zur Profiterwirtschaftung beiträgt. Die ganze kapitalistische Wirtschaft ist strukturell darauf angewiesen, dass die Wertproduktion immer weiter steigt – dabei lässt sich der Nutzen für die Menschen gar nicht in der gleichen Weise steigern:
„Der Gebrauchswert findet an den (nicht grenzenlosen) Bedürfnissen der Menschen eine Grenze und zählt qualitativ, während der Wert, losgelöst von den menschlichen Bedürfnissen, sich nur quantitativ bemißt und daher nach Erweiterung, nach grenzenlosem Wachstum strebt.“ (Altvater 1986: 145)
Es ist fast unmöglich, den qualitativen Nutzen der Arbeit für die Menschen zu quantifizieren. Mit Indikatoren wie dem „Human Development Index“ wird mittlerweile versucht, das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für den Wirtschaftserfolg abzulösen. Wenn dieser Index in Abhängigkeit vom Energieverbrauch der entsprechenden nationalen Wirtschaft dargestellt wird, sehen wir, dass mehr Energieverbrauch ab einem bestimmten Maß nicht mehr wirklich zur Erhöhung des Wohlbefindens beiträgt. Ökologisch und klimatisch akzeptabel wäre übrigens der in dem gelben Bereich dargestellte Energieverbrauch pro Kopf.
Pro Kopf Energieeinsatz und der Index menschlicher Entwicklung (HDI) für 1991/1992 (verändert aus WBGU 2003: 25)
Der Versuch, in einem „Green Capitalism“ die „externalisierten Kosten“ durch eine geeignete Umwelt- bzw. Klimapolitik in irgendeiner Weise ins wirtschaftliche Rentabilitätssystem zu „internalisieren“ würde letztlich dazu führen, dass irgendwann „jede Steigerung des Sozialprodukts um 1 DM Kosten von 2 bis 3 DM verursacht“ (Altvater 1986: 152). Einzelne ökologische Schädigungen konnten durch ein Umsteuern bzw. Produktionsverlagerungen bereits aufgehalten werden, aber das Gesamtsystem der kapitalistischen Reproduktion folgt weiterhin – und in ökonomischen Krisen sogar verstärkt – der Logik der Externalisierung der nicht direkt profitgenerierenden Aufwände.
Über den Kapitalismus hinaus?
Karl Hermann Tjaden entwickelt Begriffe, die in ihrer Konsequenz deutlich über den Kapitalismus hinaus weisen (wir werden im Abschnitt „Sozialismus“ mehr darüber erfahren). Im Schlussteil es Buches, das wie schon erwähnt im geschichtsträchtigen Jahr 1989 fertig wurde, bezieht er sich dann auch positiv auf die „Nachhaltigkeit“, wobei er insbesondere die „Eigenständigkeit“ der gesellschaftlichen Entwicklung betont (Tjaden 1992: 231f.). Er setzt sich dafür ein, „daß der Grundsatz der eigenständigen und nachhaltigen Entwicklung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in allen gegenwärtigen Gesellschaften nachdrücklich zur Geltung gebracht werden muß“ (ebd. 236).
Tjaden macht dann für beide damals noch zu diskutierende Gesellschaftsordnungen, den Kapitalismus und den Sozialismus, deutlich, was eine angemessene Umorientierung entsprechend den gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsanforderungen bedeuten würde. Natural-technisch ist eine „rigorose Reduktion und Restrukturierung der Energiebereitstellung und des Abfallausstoßes sowie eine Optimierung der technischen Infrastrukturen der Volkswirtschaft nach ökologischen Kriterien“ (ebd.: 247) notwendig. Ökonomisch-sozial steht eine „Verstärkung des Gewichts der lebendigen gegenüber der vergegenständlichten Arbeit“ (ebd.) auf der Dringlichkeitsliste. Im Jahr 2010 wiederholt er diese Forderung – es gehe um „weniger vergegenständlichte, zu Sachkapital gewordene Arbeit, mehr lebendige, Wertschöpfung bewirkende Arbeit“. Außerdem reiche es nicht aus, sich lediglich „am Gebrauchswert“ orientieren zu wollen, sondern auch bei den Gebrauchswerten müssen wir uns auf „gute Gebrauchswertdienste“ im Rahmen vernünftiger, das heißt reproduktiver Zielsetzungen, orientieren.
Auch Altvater lässt es 1986 noch offen, ob die Überwindung des vorherrschenden Industriesystems und eine „weichere“ Ökonomie „innerhalb kapitalistischer Formen realisierbar, ob sie mit der Verwertungslogik, dem Profitprinzip und dem aufgeherrschten Zwang des „Akkumuliere, akkumuliere! Das ist Moses und die Propheten!“ (Marx) in Übereinstimmung zu bringen wäre.“ (Altvater 1986: 153)
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- Literatur
Februar 27, 2012 at 9:43 am
Der erste Satz bestätigt übrigens meine Ansicht, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, Tjadens Empfehlung zu folgen, „von den Begriffen ‚Produktivkraft‘ und ‚`Produktionsverhältnisse‘ die Finger zu lassen.“
„Wie mit den produktiven Potentialen umgegangen wird, wie sie als produktive Kräfte genutzt und ihre Reproduktion organisiert wird, hängt wesentlich von der Art und Weise der gesellschaftlichen (Re)Produktion ab.“
Der Satz funktioniert auch anders herum. Dann würde er so aussehen: „Die Art und Weise der gesellschaftlkichen (Re-)Produktion hängt entschieden davon ab, wie mit den produktiven Potentialen umgegangen wird, wie sie als produktive Kräfe genutzt und ihre Rproduktion organisiert wird.“
Es scheint sch also um eine tautologische Aussage zu handeln. Was als Gehalt bleibt, ist die Erkenntnis, dass Produktivkräfte (die produktiven Potentiale) und Produktionsvrhältnisse (wie sie – nicht – entwickelt und genutzt werden) einander bedingen.
Gruß, eine schöne und produktive Woche!
hh
November 21, 2012 at 10:47 am
Habe meine 2008 verfasste Kritik an K.H.Tjadens Empfehlung, die Finger vom Begriff »Produktivkraftentwicklung« zu lassen, überarbeitet.
http://oekohumanismus.wordpress.com/2008/09/30/wie-produktivkraftentwicklung-produktionsverhaltnisse-in-frage-stellt/
Werde das demnächst noch vertiefen. Mir geht es dabei um die Schaffung einer Grundlage für eine rationale Diskussion der Frage.
Gruß hhh
Februar 27, 2012 at 10:00 am
„Der Versuch, in einem „Green Capitalism“ die „externalisierten Kosten“ durch eine geeignete Umwelt- bzw. Klimapolitik in irgendeiner Weise ins wirtschaftliche Rentabilitätssystem zu „internalisieren“ würde letztlich dazu führen, dass irgendwann „jede Steigerung des Sozialprodukts um 1 DM Kosten von 2 bis 3 DM verursacht“ (Altvater 1986: 152). Einzelne ökologische Schädigungen konnten durch ein Umsteuern bzw. Produktionsverlagerungen bereits aufgehalten werden, aber das Gesamtsystem der kapitalistischen Reproduktion folgt weiterhin – und in ökonomischen Krisen sogar verstärkt – der Logik der Externalisierung der nicht direkt profitgenerierenden Aufwände.“
Eine Erkenntnis, die allerdings bei nicht wenigen „Linken“ allzu oft den fatalen Fehler provoziert, zarte Ansätze einer Green Economy zu bekämpfen statt dazu beizutragen, dass sie als notwendige Zwischenschritte forciert und weiterentwickelt werden.
Gruß hh.
Februar 28, 2012 at 9:45 am
Was sind „zarte Ansätze zu einer Green Economy“? Ich würde hier unterscheiden: Natürlich finde ich es gut, Techniken für Erneuerbare Energien zu entwickeln – allerdings mache ich hier schon Abstriche im Bereich der Elektromobilität. Das sind keine Ansätze in die richtige Richtung, sondern laufen in die falsche Richtung (Verstärkung der Illusion der Beibehaltung der verfehlten Wirtschafts- und Lebensweise). Noch weniger kann ich die Emissionszertifikate als „zarten Ansatz“ sehen, sondern als Weiterführung der Privatisierung der Commons.
Februar 27, 2012 at 10:16 am
Den Gedanken, dass Dienstleistungen wie Raumtemperatur verkauft werden sollten statt Heizungen wurde übrigens in den 1080er/90er Jahren von Mitgliedern des Ökoinstituts und später des Wuppertalinstiuts als Least Cost Planning propagiert.
http://www.neueenergie.net/index.php?id=1332
Allerdings sollten dem – vielleicht allzu unbekümmerten – Bedürfnis nach konstanten 23 Grad Raumemperatur die sozialen bzw. ökologischen Kosten einer Verallgemeinerung dieses Werts entgegen gehalten werden.Sprich: wir brauchen (Re-)Produktionsverhältnisse, die auf Grundlage solcher Abstimmungen (von Bedürfnissen und gesellschaftlichen bzw. ökologischen Kosten) funktionieren also auf Grundage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagements.
Gruß hh