Ich war ja eine/r der wenigen Nicht-Psycholog_innen beim „Symbiosium. Tage der außerordentlichen Psychologien“, aber die Veranstaltungen, die ich besucht habe, waren sehr interessant und informativ (über „meine“ Veranstaltung berichte ich morgen). Es ging um wissenschaftstheoretische Grundlagen der Psychologie, um Erfahrungen aus dem „Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg“, die Entwicklung von „Radical Peer Support“ und die Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen.

Martin Wieser sprach über „Nutzen und Nachteil der Wissenschaftstheorie für die Psychologie“. Dabei ging es vor allem um Karl Popper und dessen Gegenspieler Thomas S. Kuhn. Alle Wissenschaftstheorien haben Vorannahmen, die häufig nicht beachtet werden. Letztlich zeigt sich z.B. auch bei Popper, der eigentlich alle Metaphysik ablehnen will, dass er Annahmen über die Verfasstheit des Seins zugrunde legen muss (die „Drei-Welten-Theorie“). Seit Kuhn ist der „Paradigmenwechsel“ zu einem fliegenden Wort geworden. Martin Wieser zeigte, dass das oft nicht den Begriff bei Kuhn meint, sondern nur im übertragenen Sinne irgendeinen Wechsel von Grundannahmen bezeichnet. Auf jeden Fall hängt das Verständnis des eigenen Fachs stark von den wissenschaftstheoretischen Grundannahmen, denn was überhaupt als Problem bestimmt wird, und was z.B. unter einer Person verstanden wird, ist in den einzelnen „Schulen“ und „Paradigmen“ recht unterschiedlich. Wieser sprach sich vor allem dafür aus, jede Wissenschaftsform in den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext einzubetten.

Am Samstag nahm ich am Workshop mit Margrit Schiller teil, die die Veranstaltung ausdrücklich nicht auf ihre gesamte interessante Biographie, sondern die Zeit beim „Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg“ beschränkte. Sie las dazu einige Seiten aus ihrer Autobiographie „Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung“ und berichtete über die Bedeutung des SPK für ihre Entwicklung.

Dabei betonte sie, dass die damaligen Entwicklungen eng mit dem zeitgeschichtlichen Kontext verwoben waren und es keinen Sinn macht, dieses Konzept einfach in die heutige Zeit zu verpflanzen. Trotzdem wandten sich die Beteiligten in der Diskussion dann verstärkt der Frage zu, wie es denn in der heutigen Zeit aussieht mit dem Umgang mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen. Einerseits wurde auf enorme Verbesserungen in der psychiatrischen Behandlung verwiesen, aber andererseits bleiben noch Bereiche offen, in denen eine stärkere Selbstorganisierung gewünscht wird.

David Wichera bot daraufhin an, im Open-Space-Bereich der Veranstaltung einen Workshop zu einer Projektidee anzubieten, in der sich vor allem politische Aktive umeinander kümmern. Der Workshop zum Thema „Radical Peer Support“ war dann vor allem durch Diskussionen der Anwesenden bestimmt, deshalb konnte ich wenig über dieses Projekt erfahren. Der Ausgangspunkt war wohl, dass einige Menschen aus radikalen politischen Zusammenhängen festgestellt haben, dass viele irgendwann zusammenbrechen und die Psychiatrie dafür keine Lösung ist. Es geht eher darum, wie man sich selbst gegenseitig helfen kann.

Zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang auch die Informationen des Icarus-Projekts (Wikipedia). Es gibt auch schon einen Leitfaden zum risikoarmen Absetzen von Psychopharmaka auf deutsch. Im insgesamt sehr empfehlenswerten Reader „Game over? Politisch aktiv, ohne kaputtzugehen“ wird ab S. 47 über einen Workshop zu Radical Peer Support berichtet.

Für den „Alltagsgebrauch“, also den Umgang mit Menschen in außergewöhnlichen Zuständen (oder wie auch immer man das sagt), habe ich folgendes gelernt:

  • Wichtig ist, dass die Definition über die eigenen Zustände bei den Menschen selbst bleibt.
  • Es ist wichtig, nicht irgendwie nur helfen zu wollen, sondern ganz deutlich und konkret zu fragen: Was brauchst Du jetzt von mir? Und: Was soll ich sein lassen?
  • Für die Begleitung eines solchen Menschen werden u.U. recht viele Menschen benötigt, eine kleine Menschengruppe (gar nur die Familie) reicht nicht aus, weil sich die Unterstützer_innen auch mal zurückziehen müssen.

Die letzte Veranstaltung, die ich besuchte, war die von Klaus Ottomeyer über „Psychologie und Psychotherapie zwischen Widerstand und Anpassung am Beispiel des Umgangs mit traumatisierten Flüchtlingen“. Er berichtete über mehrere Fallbeispiele von Asylbewerbern in Österreich, die er u.a. mit Hilfe der Traumatherapie nach Luise Reddemann behandelt hat. Schon zwischendurch wurde er mehrmals mit recht kritischen Nachfragen, ob er nicht die Menschen zu stark aus einem westlich-europäischen Kontext heraus behandle und ob er nicht ihren Subjektstatus beschädige, unterbrochen. Er hatte übrigens zu Anfang auf seine gute (frühere) Bekanntschaft mit Klaus Holzkamp verwiesen und darauf, dass sie natürlich auch inhaltliche Differenzen hatten.

Ich selbst war erst einmal sehr interessiert an dem Ansatz seiner Methode, bei dem die Menschen viel malen und er erläuterte nach einer der Fragen auch, inwieweit er gerade die kulturellen Eigenarten der betroffenen Menschen ins Geschehen einbeziehe (so können Trauerrituale ja nicht einfach übernommen werden – in anderen Kulturen werden keine Kerzen angezündet, sondern z.B. Hühner geschlachtet…). Das Ziel der Therapie besteht vor allem darin, den Menschen zu mehr Handlungsfähigkeit zu verhelfen. Das erfordert vor allem, sie aus der „einbetonierenden Opferrolle“ herauszuholen, ihr eigenes Bild vom Opfer hin zum Survivor (Überleber) zu verändern helfen.

Besonders spannend fand ich die Thematisierung der schon in der Ankündigung genannten Frage: „Wie kann man handwerklich und fachlich gut arbeiten und zugleich produktiv mit seiner Empörung über die Verletzung von Menschenrechten umgehen?“

Dabei bezog er sich auf die von Peter Brückner (über den es auch eine Veranstaltung gab), thematisierte „Dialektik zwischen Anpassung und Widerstand“. Im Leben kommt beides vor, der Alltag ist unter den gegebenen Bedingungen ständig gefährdet und allein seine Aufrechterhaltung erfordert nur allzuoft Widerstand. Wenn jedoch der Widerstand sich verselbständigt entsteht ein „Amoklauf der Abstraktionen“ (P. Brückner) und letztlich werden aus der Gruppe der Widerständigen heraus jene beschimpft, die es sich im Alltag aus ihrer Sicht heraus allzu gemütlich machen.

Angesichts vieler „Fälle“, bei denen die Asylsuchenden in Österreich wieder auf unwillige Beamte stoßen, die ihnen z.B. sogar bei extremsten körperlichen Verletzungen nicht glauben, wenn sie den Vorgang der Folterung nicht genau schildern können, sieht sich auch Klaus Ottomeyer in einem Konflikt: Einerseits setzt er sich vehement auch politisch und rechtlich gegen dieses Vorgehen ein, entwickelt dabei auch die entsprechenden kämpferischen psychischen Zustände – in der Therapie mit den Menschen dagegen muss er ruhig, besonnen und ausgeglichen sein. Wie lebt man das?

Gleichzeitig kann er auch begreifen, woher die (Einfühlungs-)Abwehr dieser Leute kommt: Man kann es wirklich kaum mit seinem Weltbild vereinen, dass es „so etwas“ in dieser Welt gibt. „Das darf nicht sein! So darf die Welt nicht sein! (Das könnte ich nicht ertragen).“ Übrigens betrifft diese Einfühlungsabwehr nicht nur die anderen. Klaus Ottomeyer zeigte uns ein Bild über die selbst erlebten Greuel, das eine Frau gezeichnet hatte. Dann fragte er uns, woran wir uns erinnern konnten. Morde wurden genannt, ein abgeschlagener Kopf. Niemand hatte die Figuren im Zentrum des Bildes wahrgenommen: Eine Frau, die ihren Armstumpf – die Hand war abgeschlagen – dem kleinen Kind neben ihr hinstreckte.

Mir erschien die geäußerte Kritik in dieser Veranstaltung recht abstrakt, quasi vom eingenommenen Standpunkt der besseren Position aus geäußert und nicht dem Geschilderten direkt angemessen. Ich würde mir sehr wünschen, dass z.B. Vertreter_innen der Kritischen Psychologie die durchaus erfolgreichen Konzepte und Methoden so aufnehmen, dass ihre Grundlagen reinterpretiert werden (so wie es einst Ute Osterkamp mit der Psychoanalyse begann) und dass diese auf diese Weise konkret kritisiert, aber eben auch in ihrer besonderen Funktion wertgeschätzt würden.