In der Abschlussrunde zu der von mir angebotenen Veranstaltung „Ums Menschsein geht’s…“ wurde als Vorwurf die Vermutung geäußert, die Kritische Psychologie sei „speziesistisch“ und von daher zu kritisieren.

„Speziesismus“ wird eine Haltung genannt, die erstens mindestens wesentliche Unterschiede zwischen Menschen und Tieren macht, zweitens aus diesen Unterschieden auf eine höhere Wertigkeit für die Menschen (und dementsprechend eine niedrigere für die Tiere) schließt ableitet und drittens aus dieser höheren Wertigkeit der Menschen eine Legitimation für Ausbeutung und Tötung tierischen Lebens ableitet.

Soweit ich es mitbekommen habe, unterscheiden jene, die anderen den Vorwurf des „Speziesismus“ machen, nicht so recht zwischen diesen drei Inhalten. Grundsätzlich soll die Unterdrückung/Abwertung von Tieren politisch genauso abgelehnt werden wie der Rassismus oder der Sexismus. Definitionen für Speziesismus sind:

  • Abwertung von Angehörigen anderer Spezies („Mensch-Tier-Macht“)
  • Diskriminierung von Individuen aufgrund ihrer Art¬zugehörigkeit (analog zu Rassismus, Sexismus etc., also zur Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe bzw. einem Geschlecht). (A. Stößer)
  • Tieren wird auf Grund ihrer „Spezieszugehörigkeit“ eine Minderwertigkeit zugesprochen und so wird die Ausbeutung an ihnen nicht mal als solche wahrgenommen. (Antispeziesistische Aktion Freiburg)

In Freiburg hat sich dazu z.B. eine „Antispeziesistische Aktion“ gegründet. Eine recht lesenswerte Zusammenfassung von zwei Büchern mit Argumenten gegen die Tiernutzung gibt’s z.B. hier. Eine Kritik des Anti-Speziesismus gibt’s dann hier.

Ich bin mit diesem Thema nicht so besonders vertraut, aber ich denke, der Wikipedia-Eintrag zum „Speziesismus“ ist hier recht hilfreich. Er unterscheidet erst einmal verschiedene Ansätze:

  • Der moralphilosophische Ansatz sieht im Speziesismus ein moralisches Vorurteil, das dann zu entsprechenden Handlungen führt.
  • Der historisch-materialistische Antispeziesismus sieht im Speziesismus eine Ideologie innerhalb einer bestimmten Phase der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht auf frühere oder andere Gesellschaftsformen hineinprojiziert werden sollte.

In beiden Fällen wird auf die soziale Konstruiertheit des Mensch-Tier-Verhältnisses verwiesen. Wie es „von Natur aus“ ist, kann nicht ermittelt werden – jede Erkenntnis der Natur ist unsere Erkenntnis.

Wie häufig haben wir hier eine Problematik, die nicht nur um das verhandelte Thema streitet, sondern der zu einem großen Teil tieferliegende erkenntnistheoretische und philosophische Differenzen zugrunde liegen.

Erkenntnistheoretische Differenzen

Kann man tatsächlich annehmen, wir könnten uns irgend etwas ausdenken (entweder: „Die Menschen sind „besser“ als die Tiere“ oder „Menschen und Tiere unterscheidet nichts wesentliches.“) und daraus ergibt sich dann entweder ein ausbeuterisches und herrschaftliches Verhältnis gegenüber den Tieren oder ein nicht herrschaftliches? Das wäre eine radikal-konstruktivistische, eher idealistische Ansicht.

Demgegenüber müssen sich natürlich alle Versuche, zu einer objektiven Erkenntnis der Welt zu gelangen, immer wieder der Relativität von Wahrheiten stellen. Tatsächlich wurden viele behauptete Unterschiede zwischen Menschen und Tieren inzwischen widerlegt. Für mich sind da genetische Unterschiede gar nicht so wesentlich – aber auch das traditionell marxsche Wesensmerkmal der Menschen, die Herstellung von Werkzeugen, wurde schon bei Tieren beobachtet. Wenig bekannt ist Klaus Holzkamps Verweis auf die sog. „Zweck-Mittel-Verkehrung“, die meiner Kenntnis nach noch nicht bei Tieren beobachtet wurde. Trotzdem kann durchaus in Frage gestellt werden, ob es Sinn macht, solche vereinzelten Merkmale zur Betonung der qualitativen Sonderstellung der Menschen zu suchen, bzw. dann von der Gegenseite her erschüttern zu wollen.

Wichtig dabei ist, dass hier deutlich wird, dass sogar die Vertreter der menschlichen Sonderstellung sich nicht so recht sicher sind, worin diese denn nun besteht. In den Genen doch wohl sicher nicht. Auch „Intelligenz“ oder ähnliches als isolierter scheinbar objektiver Messwert für Gehirnleistungen ist da nicht angemessen.

Anthropologie – Was sind eigentlich Menschen?

Es kommen hier neben unterschiedlichen Erkenntnistheorien auch noch verschiedene anthropologische Konzepte ins Spiel. Selten ins Feld geführt, weil historisch gerade sehr weitab von allen, auch den emanzipativen Mainstreams, ist die Vorstellung von den Menschen, die durch gesellschaftliche Arbeit ihre Lebensbedingungen selbst re- und produzieren.

Wenn wir dies als spezifisch menschlich ansehen, muss schon anerkannt werden, dass keine Tierart dies tut. Als ich dies im Gespräch nach der AlterUni-Veranstaltung äußerte, wurde mir entgegen gehalten, dass die Tatsache, dass (noch?) keine andere Tierart gesellschaftlich-kooperativ arbeitet, daran liegen könnte, dass wir genau das durch unsere Herrschaft verhindern. Okay – das musste ich zugeben, allerdings machte ich auf die historischen Zeiträume aufmerksam: Seit die Menschen in globalem Ausmaß aktiv ihre Umwelt gestalten (und das tun sie spätestens seit einigen Jahrzehntausenden) hatte wahrscheinlich tatsächlich keine Tierart neben uns mehr eine Chance. In den Jahrhundertmillionen vorher aber durchaus. Ich denke schon, dass mit viel mehr Zeit vielleicht auch Elefanten oder Kraken zu so was wie kooperativer Werkzeugherstellung/-verwendung hätten kommen können. Das Problem ist nur: Letztlich ist sehr wahrscheinlich, dass irgend eine Art diesen Sprung über die tierische Nutzung der Umwelt hinaus gemacht hätte und die dann dasselbe Problem hätten…

Aber nein, auch das wird nicht als gültiges Argument akzeptiert…

Evolutionstheorie

Denn schon lange wird in kritischen Kreisen natürlich auch die Evolutionstheorie als Ganzes in Frage gestellt. Einerseits wird die Erwartung, dass es so etwas wie Fortschritt gibt, ausgeschlagen und es wird betont, dass gerade die Vorstellung von einer Entwicklung „vom Niederen zum Höheren“ zur Rechtfertigung der Herrschaft des (angeblich?) Höheren gegenüber dem (angeblich?) Niederen verwendet wird. Also wird das Konzept weggeworfen und nicht überprüft, ob die Evolutionstheorie vielleicht aufrechterhalten werden kann, ohne dass aus dieser Erkenntnis direkt Herrschaftslegitimation entspringt. Hier sind wir wieder bei der Erkenntnistheorie. Eine von deren doch kaum bestrittenen (aber leider selten bekannter) Grundpfeiler ist der Hinweis, dass aus einem SEIN noch lange kein SOLLEN abzuleiten ist (Humes Gesetz). Also: Sogar wenn wir erkennen sollten, dass etwas später Entwickeltes komplexer und entsprechend irgendwelchen Kriterien sogar „weiter/höher/besser“ entwickelt ist, wäre das weder eine Rechtfertigung für Herrschaft noch wäre das Gegenteil ein Argument dagegen.

Die Kritische Psychologie, die ja Ausgangspunkt dieser Debatte auf der AlterUni war, geht übrigens tatsächlich von einer Evolutionstheorie aus, wobei auf eine bestimmte Weise jeweils immer wieder neue Qualitätsunterschiede entstehen (mehr siehe hier).

Philosophie

Letztlich berührt die Frage nach dem Verhältnis von den Lebewesen, die als „Tiere“ bezeichnet werden und denen, die als „Menschen“ bezeichnet werden, ganz basale logischen Strukturen, die u.a. in der Philosophie behandelt werden.

Im Gespräch fiel mir auf, dass jene, die antispeziesistisch argumentieren wollten, immer wieder betonten, dass die „Grenzziehung“ zwischen Menschen und Tieren verantwortlich sei für das ausbeuterische und herrschaftliche Verhalten gegenüber Tieren. Abgesehen von der Verletzung des Humeschen Gesetzes liegt hier eine weitere Unbedachtheit vor. Es wird so getan, als wäre im Interesse der Vermeidung von herrschaftsbegründender Grenzziehung/Unterscheidung keine Unterscheidung sinnvoll. Als ich fragte, ob die Alternative sei, dass „alles eins“ sei, dass „nichts vom anderen unterscheidbar“ sei, konnte nicht geantwortet werden. Kritische Positionen haben häufig diese Schwierigkeit, dass sie zwar wissen, was sie nicht wollen, dass sie aber überhaupt keine Vorstellung davon (und meist auch kein Interesse daran) haben, wie sie eigene Positionen fernab von moralisch-politischen Behauptungen begründen wollen.

Ich schlug also als kleine Weiterführung der Debatte vor, zu bedenken, dass es schon rein logisch außer der absoluten Entgegensetzung auch Unterscheidungen gibt, die notwendig werden, wenn nicht „alles eins“ sein soll. Gerade wenn ich „Besonderheiten“ hervorheben will, z.B. die Empfindungsfähigkeit von Tieren o.ä., dann brauche ich Unterscheidungen (z.B. gegenüber den Steinen, die in diesem Sinne nicht empfindungsfähig sind). Bei allen Übereinstimmungen – ich kann allen Teilen dieser Welt (in der Erkenntnis und im Handeln) nur gerecht werden, wenn ich mit ihnen entsprechend „ihrer Natur“ umgehe, d.h. ihre jeweiligen Besonderheiten erkenne und berücksichtige.

Menschen müssen Tiere vertreten

Bei den Tieren wurde – nun doch übereinstimmend – festgestellt, dass gerade in dem Aspekt, den ich in meinem Vortrag vorgestellt habe, der subjektiven Begründetheit menschlicher Handlungen (siehe auch mein Text zum „Begründungsdiskurs“) doch ein Unterschied zwischen Menschen und Tieren besteht.

Die schon erwähnte Tatsache, dass Menschen durch gesellschaftliche Arbeit ihre Lebensbedingungen selbst re- und produzieren, führt dazu, dass einzelne menschliche Individuen nicht direkt an der Suche und Erzeugung der Lebensmittel beteiligt sein müssen und auch nicht biologisch oder sozial in ihrem Verhalten eindeutig determiniert sind. Statistisch gesehen müssen alle Menschen zusammen natürlich den Reproduktionsprozess aufrechterhalten und genügend Güter bereitstellen, dies wirkt sich nicht direkt auf den Einzelnen als Handlungsanforderung aus. Dies stellt ihn objektiv in eine Möglichkeitsbeziehung, die er auch subjektiv verwirklicht: Menschen entscheiden sich aus Gründen heraus, dies oder jenes zu tun (unabhängig davon, ob sie sich der Gründe immer bewusst sind). Begründet handeln heißt, dass es nicht die Umweltbedingungen sind, die direkt das Handeln steuern, sondern das Individuum wählt selbst aus, welche der durchaus gegebenen Bedingungen (also auch Menschen handeln nicht im luftleeren Raum) als Prämissen in seine Begründungen einfließen. Solche Gründe gelten jeweils nur für „je mich“, niemals gleichermaßen für alle Menschen z.B. in ähnlichen Lebenspositionen (wie es traditionell marxistisch häufig angenommen wurde). Menschen können sich nun über diese je individuellen Gründe verständigen.

Tiere kommunizieren auch, sie nehmen unterschiedliche Positionen in sozialen Geflechten ein. Sie tun mal dies und mal jenes (ich weiß das von unseren Katzen ;-)). Aber meine Katzen können nicht wie wir über unsere Lebensbedingungen und unsere Handlungsmöglichkeiten innerhalb dieser Bedingungen bzw. zur Veränderung dieser Bedingungen sprechen und beraten. Sie können keinen Begründungsdiskurs führen.

Bei der Feststellung, dass die Tiere nicht in diese Weise mit uns reden, wurde mir bei der Debatte auf der AlterUni geantwortet, dass sie dies vielleicht könnten, aber mit Absicht nicht tun, weil sie damit gegen unsere Herrschaft protestieren wollen… Na prima. Was soll ich darauf noch antworten?

Auf jeden Fall stehen wir und auch die Anti-Speziesisten zumindest bis zum Abbruch dieser stummen Proteste vor der Situation, dass die Tiere selbst sich nicht beteiligen an unserem Versuch, sie zu befreien.

Ich, die ich meinen ersten Beruf wählte, „weil ich Tiere liebe“, bin die Letzte, die nicht sehr dafür ist, die Herrschaft über Tiere zu beseitigen, wo immer möglich, auf ihre Nutzung zu verzichten und ihnen eine jeweils tiergerechte Welt zu belassen. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass einst das Essen von Tieren genau so unvorstellbar ist, wie jetzt das Essen von Menschen. Wir werden uns geschichtlich verändern und es ist schon unsinnig, mit der Katze zu schmusen, während das Karnickelfleisch auf dem Tisch steht (nur für die armen Mäuse müssen wir uns dann noch was einfallen lassen).

Aber: Wenn wir dies tun, dann tun wir dies FÜR die Tiere. Sie tun das NICHT SELBST. Und dies ist nun auch wieder eine der Hauptbotschaften aus meinem Vortrag zur Kritischen Psychologie. Menschen sind Subjekt dadurch, dass sie selbst ihre eigenen Lebensbedingungen verändern. Wenn ich das „für“ sie tue und sie dem Ergebnis meines Tuns unterwerfe, behandle ich sie letztlich doch als Objekte.

Aus dieser Perspektive heraus wird klar, dass die fürsorglichsten Tierschützer und Anti-Speziesisten dann doch Menschen und Tiere unterschiedlich behandeln. Sie richten keine Appelle an die Raubtiere, sondern an Menschen. Sie fordern uns auf, für die Tiere zu sprechen und zu handeln – uns, die wir das können. Wir können wie einst die Indianer bei ihren Beratungen den einzelnen betroffenen Wesen eine Stimme geben – aber es sind Menschen, die für sie sprechen (vielleicht glaubt ja wer tatsächlich, dass es die nichtmenschlichen Wesen selbst sind, die durch die sprechenden Menschen hindurch sprechen…, aber diese Annahme ist doch recht spekulativ und mit Begründungsdiskurs hat das dann immer noch nichts zu tun).

Ich muss zugeben, wer das Besondere der Menschen nur in irgendwelchen Genen oder Intelligenzmessungen sieht, bei dem haben die Menschen schnell ihre Spezifik verloren. Wo Menschen dauernd und systematisch ihrer Subjektivität beraubt werden, verblasst der Unterschied zu anderen Tierarten. Die Frage ist nur, ob das antispeziezistische Verbot, das spezifisch Menschliche zu denken und einzufordern, den Tieren tatsächlich hilft oder nur jenen, denen die Menschen eh nichts wert sind.