Für die Philosophie als Nachdenken über das menschliche Leben in dieser Welt sollte der Abschied von dieser Welt und der Weg dahin, das Alter(n), ein wichtiges Thema sein. Das Hoffmeistersche „Wörterbuch der philosophischen Begriffe“, das unter Philosophie die „Lehre vom Erkennen und Wissen überhaupt und Prinzipienlehre der Einzelwissenschaften“ versteht, kennt das „Alter“ aber überhaupt nicht. Auch meine anderen drei philosophischen Wörterbücher retten die Ehre der Philosophie nicht. Das Alter ist kein Thema für sie.

Deshalb wohl war mir vor kurzem auch das Büchlein “Gutes Leben im Alter. Die philosophischen Grundlagen“ (siehe Literatur) besonders aufgefallen. Das war interessanterweise ganz kurz bevor dieses Thema für mich im Familienkreis wieder akut wurde. Am Lebensende meiner Mutti war die Krankengeschichte so dominierend gewesen, dass das Alter im Allgemeinen noch nicht zum Thema wurde. Aber wenn Menschen in die 90er kommen und dann plötzlich abbauen, dann stellen sich doch Fragen über das Menschsein in dieser Welt in so dringender Weise, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass die Philosophie das nicht interessiert.

Zwei Ethiken

Thomas Rentsch beantwortet die Frage nach der Behandlung des Themas „Alter(n)“ in der Philosophie so, dass es in der Tradition der Philosophie zwei Weisen gibt, ethische Fragen zu thematisieren (Rentsch 2012: 189). Da ist einerseits die universale Ethik. Sie bezieht sich formal, universal und abstrakt auf alle freien, potentiell moralischen Wesen. Die alte, antike Ethik fragt dagegen: Wie ist gelingendes Leben für den Menschen möglich? Sie thematisiert auch die Leibhaftigkeit, Endlichkeit und Verletzlichkeit des menschlichen Seins. Nur für diese zweite Form, die heutzutage aus der Mode gekommen zu sein scheint, ist das Alter(n) ein Thema.

In Folgenden stelle ich einige allgemeine, das Nachdenken über das Alter(n) strukturierende Konzepte vor.

Vier Dimensionen des Alterns

Auffallend ist zunächst einmal das Nachlassen der physischen Leistungsfähigkeit bis hin zum körperlichen Verfall. Diese physische Dimension bezieht sich auf die Körperlichkeit/Leiblichkeit des Menschen.

Als psychische Dimension werden z.B. folgende Erfahrungen genannt. Wie schon Schopenhauer erkannte, verändert sich im Alter das Erleben der Zeit. In der Jugend erscheint die Zukunft unendlich lang – aus der Sicht des Alters war das Leben dagegen erstaunlich kurz. Eine andere Erfahrung betrifft das Feld der Möglichkeiten. In jungen Jahren ist noch alles möglich – im späteren Leben gräbt sich das Leben meist eine Bahn und irgendwann ist nicht mehr genug Zeit für alles Denk- und Wünschbare. Es gibt Senior_inne, die noch ein Studium abschließen – aber ein ganzes Berufsleben auf dieser Grundlage ist dann eben nicht mehr drin.

Die soziale Dimension des Alter(n)s betrifft den Verlust von Angehörigen und Freunden. Irgendjemand sagte schon mit ca. 50: „Die Einschläge kommen immer näher.“ Mein Opa war in seinem Dorf der Letzte seiner Generation, kein anderer saß mehr auf einem Bänkchen vorm Haus. Obwohl er im eigenen Haus von der Tochter versorgt wurde, schrumpfte seine Welt allein wegen dem Fehlen der Gleichaltrigen zusammen. Angesichts der allgemeinen Beschleunigung des Lebens, von „Fortschritt“ mag ich da gar nicht unbedingt reden, haben die Alten den Jüngeren auch oft nichts zu sagen, was diese als wichtig empfinden würden. Die Ollen leben beinah auf einem andern Stern – denn sie tauchen nicht im Facebook-Newsstream auf. Diese Veränderungen haben auch eine kulturelle Dimension.

Diese 4 Dimensionen des Alter(n)s (nach Rentsch 2012) zeigen, dass Alter(n) viel mehr ist als einfach nur krank und schwach und dement zu werden. Der Mensch ist nicht nur die Summe aus seiner Physis und den kognitiven Fähigkeiten, ein Mensch braucht für ein menschliches Leben auch Kommunikation, Angenommensein, Anerkennung, Berührung, und vieles mehr, das eher mit dem sozialen Umfeld zu tun hat. Wie erlebt der Alte(rnde) dieses Umfeld? Wie blicken die Menschen aus dem Umfeld auf den Alte(rnde)n? Welche gesellschaftlichen Bedingungen werden gebraucht, damit alte(rnde) Menschen weiter in Kommunikation bleiben, Anerkennung erfahren, emotional berührt und bestärkt werden?

Da vorwiegend das eher anscheinend Unveränderbare, die mehr oder weniger rapid schwindende physische und psychische Leistungsfähigkeit ins Zentrum gerückt wird, werden jene Umstände, an denen wir besonders viel verändern könnten, nämlich die unmittelbaren sozialen und den strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen, vernachlässigt.


Weiter demnächst mit „Die Phasen und der mögliche Sinn des Alter(n)s“