Ich kenne diese Gegend schon seit 40 Jahren, aber einige Gebiete waren mir früher versperrt. Weitläufige Teile der Landschaft waren, z.T. schon seit den 30iger Jahren, militärisches Übungsgebiet. Angst vor „den Russen“ erlebte ich hier nicht, aber die Wege endeten oft an Sperrschildern oder Wachposten und Kaserneneingängen. Seit 1990 konnten die Menschen wieder Besitz ergreifen von der stark zerstörten Landschaft. Einen Teil davon erkundete ich zusammen mit tausenden Anderen gestern beim traditionellen „Radwandertag“, dem sog. RAWATA.
Dabei wurde zwischen Seyda, Mügeln und Jessen ein Rundkurs von 28 km abgefahren, auf dem 4 „Erlebnis-Stempelpunkte“ gesammelt werden konnten. Drei davon reichten aus, um im Anschluss ohne weitere Kosten am Show-Programm mit Bernhard Brink teilnehmen zu können.
Ich war gerade von meinem Ausflug zur Ferienuni „Kritische Psychologie“ zurück an meinen Urlaubsort gekommen und nutzte die Gelegenheit, Landschaft und Leute näher kennen zu lernen. Ein Rad für mich war schnell ausgeborgt, die Tour war wenig anstrengend und das Wetter war außerordentlich schön. Seit 1990 waren vor allem durch ABMs (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) viele geschichtsträchtige Orte zu Sehenswürdigkeiten gestaltet worden. Eine davon beeindruckte mich recht stark: die Heimateiche.
Manchmal fragt man sich ja eher skeptisch, was Heimattümelei und gerade das Vergöttern von „deutschen Eichen“ historisch bedeuten. Hier ist der Kontext folgender:
Schon in den 30er Jahren wurde ein riesiges Waldmassiv zugunsten eines Bombenabwurfplatzes gerodet. Diese Fläche wurde nach 1948 von der Roten Armee weiter als Schießplatz „genutzt“. Nach 1990 beteiligten sich auch die russischen Truppenteile an der Entminung dieses Gebietes. Bei einer ersten Begehung wurde ein kleines Wunder entdeckt: Auf der völlig zerschossenen Fläche hatte sich eine Eiche gehalten. „Sie stand plötzlich da… umgeben von verwüsteter Erde“, selbst noch gespickt mit Geschossen und Wunden von Splittern und Bränden.
Im Rahmen der Sanierungsarbeiten durch ABM-Kräfte wurde nun speziell das Umfeld dieser Eiche ausgestaltet (Kräutergarten, Neupflanzung von Bäumen und Sträuchern…) und die Eiche selbst „saniert“ (z.B. vor dem Eindringen weiterer Nässe in den Stamm geschützt). Sie wurde zum Mahnmal für die „Unsinnigkeit von kriegerischen Übungen“. Der Heimatverein „Glücksburger Heide“ e.V. Jessen engagiert sich nun unter dem Motto:
Heimateiche
Dein Wald um dich herum verfiel
von Feuer und Granaten hingemäht
Du stehst!
Damit du nie vergehst
Ist unser Ziel.
Daß unsere Heide neu und schön
Um dich herum für uns entsteht.
Auf der Festwiese fand dann wie versprochen eine Show statt, bei ziemlich ausgelassener und guter Stimmung, bevor es auf einem langsam schmerzenden Hintern wieder „nach Hause“ ging…
Oktober 5, 2012 at 9:31 am
Nicht umsonst habe ich, letztlich aber nur verhalten, das Problem der „Heimattümelei und gerade das Vergöttern von „deutschen Eichen““ angesprochen. Auf einer Informationstafel zur „Heimateiche“ steht: „Ziel dieser Aktion ist es, allen Besuchern die Unsinnigkeit von kriegerischen Übungen zu verdeutlichen…“
Mir ging da gleich durch den Kopf: „Und diesmal werden die Interessen unserer herrschenden Gesellschaft halt nicht nur durch „kriegerische Übungen“ gleich in der Nähe, sondern durch eine blutige Praxis ganz woanders durchgesetzt…“
Aber so weit weg ist es ja gar nicht. Ebenfalls in Sachsen-Anhalt befindet sich auch heute noch das Gefechtsübungszentrum Altmark. Und hier finden noch ganz aktuell Auseinandersetzungen statt – nicht einmal nur zwischen Kriegs- und Kriegsvorbereitungsgegnern und Militärs, sondern auch zwischen den Gegnern und den Bewohnern der Gegend, die sich durch die militärische Nutzung wirtschaftliche Chancen ausrechnen (siehe den Bericht: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1869921/).
Die „Heimateiche“ steht für ein Aufatmen in dieser Auseinandersetzung, für ein Stückchen befriedeter Erde. Aber das kann nicht alles sein…