Ebenfalls zum Themenblock „Gesellschaftskritik“ gehörte auf der Ferienuni Kritische Psychologie die Vorstellung und Kritik von Studien zur Verbreitung von kapitalismuskritischen „Einstellungen“ in der BRD. Guido Spiekmann stellte die Ergebnisse von zwei Studien dazu vor (siehe auch seine Veröffentlichung in der „Z.“ ). Erstaunlicherweise konnte aus der Beantwortung verschiedener Fragen bereits im Jahr 2003 (also vor der Krise) bei 58% der Befragten in der BRD eine „kapitalismuskritische“ Einstellung ermittelt werden. Solche Einstellungen gingen meist Hand in Hand mit der Zustimmung zur Demokratie und „nur“ bei ca. 17% mit einer Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen.
Nach dem Krisenausbruch (2010) nahm die Friedrich-Ebert-Stiftung eine ähnliche Befragung vor. Die Zahl der Kapitalismuskritiker hatte um 5,2% (auf 63,2%) zugenommen, die Zahl der Globalisierungskritiker um 5,6 % (auf 83,6%) und die der Antikapitalisten sogar um 12,6% (auf 42%). Man kann nun lange diskutieren, was darunter jeweils verstanden wird, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind usw.. Die Friedrich-Ebert-Stiftung macht darauf aufmerksam, dass wohl doch ein hoher Anteil des Antikapitalismus eher völkisch als emanzipativ begründet ist. Es wurde auch deutlich, dass die Krise in der BRD eigentlich gar nicht bei den meisten Menschen ankommt; die Krise wird vor allem als Gefährdung des eigenen nationalen Wirtschaftstandortes interpretiert.
Katrin Reimer übte dann eine ziemlich grundsätzliche methodische Kritik an solchen „Einstellungsforschungen“. Zwar könne man auch aus solchen Studien wichtige Inhalte herausfischen, aber man müsse sich der methodischen Mängel bewusst sein, die auch nicht innerhalb der quantitativ-statistischen Methode korrigierbar sind. Man könne höchstens zu den Ergebnissen der Antworten auf Einzelfragen feststellen: „So und so viele Menschen stimmen folgender Aussage zu…“. Aber es ist damit bei aller statistische Kunstfertigkeit prinzipiell nicht möglich, Zusammenhänge und Gründe zu erforschen.
Wie geht nun die subjektwissenschaftliche Forschung an die gestellten Fragen heran? Das Verhältnis von Subjektivem und Gesellschaftlichem, auf das die „Einstellungsforschung“ ja zielt, ist in der Kritischen Psychologie mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit erfasst, so Morus Markard. Die Analyse der Gründe für die Beantwortung einer Frage durch eine Person füllte allein eine Diplomarbeit. Ich kann mir vorstellen, dass es noch mehr Antworten auf diese Frage gibt, wer kann und mag, könnte hier in den Kommentaren weitere Literatur dazu empfehlen…
September 21, 2012 at 7:53 pm
Es lassen sich mit so standardisierten Befragungen schon Anhaltspunkte ermitteln, Erkenntnisse über Korrelationen oder Verändernungsprozesse. Ich würde bei Antikapitalismus z.B. immer Sachen abfragen, die Aufklärung über evt. Neigungen zu Verschwörungstheorien oder Antisemitismus bei den Befragten versprechen. Man kann jedenfalls voraussetzen, dass „antikapitalistische Einstellungen“ so etwas von schillern, ganz unterschiedliche Aspekte berühren oder ganz verschieden motiviert sind. Alles ist auch hier im Fluss, eine Vorstellung oder deren Dominanz geht in die andere über.
Eine kritische Reflektion über die Bedeutung des Auftauchens von kapitalismuskritschen Einstellungen, welche qualitative Unterschiede sich da vielleicht ausmachen ließen wäre sowieso zusätzlich zu leisten.
(etwa im Hinblick auf Vorstellungen darüber, wie Kapitalismus denn nun Geschichte werden könnte und auf welcher Grundlage das menschliche Füreinander dann vielleicht zu einem mitmenschlicheren und ökologisch refektierteren Miteinander werden könnte) ,
Und man braucht auf alle Fälle AUCH qualitative Befragungen, wobei dann überhaupt erst bestimmte Aspekte, Denkmuster, typische Anlässe usw.zum Vorschein kommen, die dann wieder auch Grundlage standardisierter, quantitativer Befragungen werden können.
Zur Kritischen Psychologie und dem Außen und Innen meine ich, dass halt ein Unterschied zwischen der Forschungsperspektive und der politischen Perspektive gemacht werden muss. Es stimmt immer noch, dass jeder Zentimeter wirklicher, d.h. selbstgemachter (sozialer) Bewegung mehr wert sind als 1000 Parteiprogramme. (Engels) Als wir noch eine kleine radikale Minderheit waren, die gegen Atomkraftwerke zufelde zogen, da waren die Anti-AKW-Aktivitäten gegenüber denen, die in der Frage (noch) anders dachten natürlich ERST EINMAL äußerlich. Nur das unser Bestreben eben war, dass sich immer mehr an diesen Aktivitäten beteiligen (zumindest innerlich).
Und da galt es erst einmal, mittels Konfrontation zu irritieren (Großdemos, Bauplatzbesetzungsversuche) und Denkprozesse in Gang zu setzen bzw. zu fördern, die allerdings nur nachhaltig sein können, wenn die Frage einer ökologisch korrekten Energieversorgung nicht zur höchstpersönlich eigenen Angelegenheit also ein inneres .Bedürfnis wird.
Es gab in den 1970er/1980er Jahren z.B. Meinungsverschiedenheiten darüber, wie den Schauermärchen der Atomlobby vonwegen Arbeitsplatzvernichtung durch AKW-Nee zu begegnen wären. Einige meinten, darauf einzugehen sei opportunistisch, weil die militärische Nutzbarkeit als eigentlicher Grund für das Atomprogramm der Bundesrepublik ausgemacht worden war. Das war zwar nicht falsch. Aber zum Glück arbeiteten dann doch ausreichend viele Menschen an der Perspektive Erneuerbare Energien …
Gruß hh
September 22, 2012 at 1:31 pm
Ene Korekur st notwenig. Das Wort „nicht“ hatte den Sinn ins Gegenteil verkehrt
Richtig muss es heißen:
Und da galt es erst einmal, mittels Konfrontation zu irritieren (Großdemos, Bauplatzbesetzungsversuche) und Denkprozesse in Gang zu setzen bzw. zu fördern, die allerdings nur nachhaltig sein können, wenn die Frage einer ökologisch korrekten Energieversorgung zur höchstpersönlich eigenen Angelegenheit also ein inneres .Bedürfnis wird.
September 23, 2012 at 6:26 am
Letzteres ist übrigens eine BEDINGUNG für die Entwicklung von Handslungsfreiheit in Richtung einer (welt-)gemeinschaftlichen Beherrschung der menschlichen Produktivkräfte, oder?