Ein weiterer Kommentar zu meinem Beitrag „Das Einüben der Ent-Unterwerfung“ bezieht sich auf eine Bemerkung von mir in vorangegangenen Kommentaren:

„Wie du die Unterdrückung deiner Emotionen für die gemeinsame Sache mit der Kritischen Psychologie denkst, würde mich sehr interessieren. Ich schlag mich gerade mit dem Emotions/Motivationskonzept herum, und so richtig will das nicht in meinen Kopf.“

Ich hatte geschrieben:

„Vielleicht bin ich als gelernte Ex-DDR-Bürgerin da auch besonders empfindlich, aber um meine Gefühle hier auch kritisch analysieren zu können (und nicht wieder “im Dienste der gemeinsamen Sache” unterdrücken zu müssen), dazu verhilft mir u.a. auch die Kritische Psychologie“

Gefühle sind ein besonderes Thema, das natürlich mehr Aufmerksamkeit verlangt, als ich grade beitragen kann. Aber zu dem speziellen Kontext, in dem ich davon spreche, kann ich schon noch etwas mitteilen.

Ich gehe dabei davon aus, dass ich Gefühle erst einmal habe und dass ich mich dann bewusst ihnen gegenüber verhalten kann. Ich kann sie nicht „wegwünschen“ oder „wegdenken“ – nein, sie sagen schon etwas über meine Beziehung zu meinen Lebensbedingungen aus, sie enthalten eine Bewertung dieser Beziehungen, ob sie mir gerade gut tun oder eher wenig, zuerst auch einmal unabhängig von meinem Denken.

Bei der genannten Demonstration fühlte ich mich unwohl. Andere erlebten so ein Gefühl in dieser Situation nicht. Ich kann mich nun fragen, was dieses Gefühl auslöste: Es war das Aufdrängen der Uniformierung und der gleichartigen Schilder. Das weckte meine unguten Erinnerungen an die DDR-Manifestationen. Damit setzte auch das Denken ein: Ich weiß noch, dass solche Demonstrationen einst auch ein Stück Großartigkeit hatten, man „gehörte dazu“ – mit den Losungen skandierenden Stimmen kamen auch die Herzen in eine Art „Gleichklang“. Menschen aus der älteren Generation hatten schon länger darauf verwiesen, dass sie diese Art Manifestationen sehr an die Nazi-Aufmärsche erinnerte. Damals hatte ich das weggewischt, denn „Für Frieden und Sozialismus“ war es ja wohl wert, zu demonstrieren statt für die Nazi-Ideologie. Mein „bewusstes Verhalten dazu“ war also das Abwürgen des kritischen Nachdenkens (vielleicht weil mir das Dazugehören wichtiger war). Aber ich erinnere mich durchaus auch an ein Unwohlsein, das nicht mehr zu verbergen war bei der großen Demonstration am Vorabend des 40. Jahrestags der DDR.

Nach diesem ersten Aufschrecken entsetzte mich das Gehabe des „Vorturners“ bei der Warmlauf-Demo nur noch mehr. Alle meine Sinne waren geschärft – auch gegenüber anderenorts wahrscheinlich als harmlos wahrgenommenen Vorgängen. Ich fühlte mich nun überrumpelt und instrumentalisiert.

Was hat das nun mit der Kritischen Psychologie zu tun? Es war schon länger klar gewesen, dass gesellschaftstheoretisch und -praktisch der menschlichen Individualität eine größere Bedeutung beigemessen werden muss als im klassischen Marxismus, bei dem – zumindest in der Form, wie wir ihn offiziell in der DDR kennen lernten – die Interessen des Individuums ziemlich unvermittelt aus der Klassenlage abgeleitet wurden (im Bedingungsdiskurs). Wie kann man diesem Determinismus entkommen, ohne in die gegenteilige Falle des Willkürsubjektivismus zu verfallen? Für diese Fragestellung war die Kritische Psychologie vor über zehn Jahren für mich eine wertvolle Bereicherung geworden.

Sie stellt Begriffe zur Verfügung, die verschiedene Vermittlungsfaktoren und -ebenen zwischen (je) mir und der Welt benennen (Bedingung, Bedeutung, Prämisse, Interesse, Grund…). Unter den gleichen Bedingungen müssen nicht alle HartZ-IV-Betroffenen die gleichen Handlungsinteressen und Gründe haben. Ich habe das Recht und es entspricht meiner menschlichen Natur zutiefst, mich nicht den von anderen definierten Bedeutungen zu unterwerfen, sondern selbst diese Vermittlungen zu bedenken und zu eigenen Schlüssen zu kommen. Ich entschlüssele viele, auch linke, politische Praktiken als kurzschlüssige Abkürzung auf diesem Vermittlungsweg. „Alle Hartz IV-Empfänger müssen Interesse an der Teilnahme der Montagsdemos haben, sie sind nur zu faul oder dumm/verdummt… um zu kommen…“. Anti-Atom-Proteste „müssen“ sich durch ein einheitliches Logo kenntlich machen, um in die Öffentlichkeit einwirken zu können. Müssen sie? Muss ich?

Früher war ich so „sozialisiert“, dass ich meine eigenen Interessen leicht den „größeren“ unterordnete (bei mir hat die DDR-Erziehung recht gut gewirkt). Klar war ich „Für Frieden und Sozialismus“ – die bedenklichen politischen Praktiken blieben da eher ausgeblendet und meine unguten Gefühle ihnen gegenüber gestand ich mir selber am liebsten nicht ein. (Das stimmt natürlich so absolut nicht. Bei mir bewirkte das Erlebte eher, dass ich mich selbst im Sinne der versuchten Verbesserung dieser Praktiken speziell in der FDJ engagierte, bis hin zu einer hauptamtlichen Tätigkeit dafür).

Für die Unterordnung des Individuellen unter das Gesellschaftliche stand z.B. die Durchsetzung der Interpretation zum Thema „Sinn des Lebens“, wo durchaus ernst gemeint propagiert wurde, dass unser aller Sinn unseres Lebens darin bestünde, den weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus zu vollziehen. Rein theoretisch kann ich das natürlich immer noch nachvollziehen, dass es nicht ganz sinnlos ist, sich dafür einzusetzen, aber rein praktisch blieb uns nicht mal viel Spielraum, selbst zu entscheiden, wie wir das machen wollten. Die alten Genoss_innen pflegten häufig noch die Losung: „Wo die Partei dich hinstellt, das ist dein Platz.“ Ungute Gefühle dem gegenüber wurden als egoistisch, ja sogar a-sozial herabgewürdigt. Letztlich kümmerten sich nicht viele wirklich darum, aber ich will hier schildern, wie es einer/m geht, wenn man gutwillig ist und den in der DDR Herrschenden auch kein bosartiges Diktatorentum unterstellt, sondern von deren ernsthaften Bemühen ausgeht, sich für den gesellschaftlichen Fortschritt, so wie sie ihn verstanden, einzusetzen. Die Gefühle in solch einer Situation waren recht widersprüchlich, in der DDR-Literatur kann man vieles davon nachlesen. Im realen Leben hatte man aber letztlich die unguten Gefühle, die sich bei der Unterdrückung der individuellen Eigenständigkeit einstellen, möglichst zu verdrängen.

Die Kritische Psychologie dagegen behandelt das Individuelle als eigenständiges Thema, ohne die gesellschaftliche Dimension zu verleugnen. Die Kritische Psychologie nimmt mir nicht weg, davon auszugehen, dass wir bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen unterliegen (während wir sie reproduzieren). Sie erlaubt mir aber mir vorzustellen wie das von mir politisch Gewollte (Befreiung von Ausbeutung, Unterdrückung, Elend, Würdelosigkeit, Unmündigkeit…) auf eine Weise voran gebracht werden kann, ohne dass das Ziel selbst konterkariert wird wie im Realsozialismus.

Ich darf jetzt auf meine Gefühle hören, auch wenn sie sich innerhalb von Aktionen und Bewegungen zeigen, die eigentlich emanzipativ wirken wollen. Gerade da muss ich auf sie hören, wenn ich nicht das gemeinsame Ziel der Emanzipation wenigstens für mich verraten will. Ich kann im Einzelnen gründlich darüber nachdenken, unter welchen Bedingungen, aus welcher Lebenslage und Position heraus und in Bezug auf welche Interessen ich diese oder jene Gründe zu einer bestimmten Handlung habe. Gefühle leiten meine Erkenntnisse darüber an, sie stehen nicht mehr gegen die Rationalität, sondern wirken orientierend für sie. Herz und Hirn können zusammen wirken, ich muss sie nicht mehr gegeneinander ausspielen…