Ein weiterer Kommentar zu meinem Beitrag „Das Einüben der Ent-Unterwerfung“ bezieht sich auf eine Bemerkung von mir in vorangegangenen Kommentaren:
„Wie du die Unterdrückung deiner Emotionen für die gemeinsame Sache mit der Kritischen Psychologie denkst, würde mich sehr interessieren. Ich schlag mich gerade mit dem Emotions/Motivationskonzept herum, und so richtig will das nicht in meinen Kopf.“
Ich hatte geschrieben:
„Vielleicht bin ich als gelernte Ex-DDR-Bürgerin da auch besonders empfindlich, aber um meine Gefühle hier auch kritisch analysieren zu können (und nicht wieder “im Dienste der gemeinsamen Sache” unterdrücken zu müssen), dazu verhilft mir u.a. auch die Kritische Psychologie“
Gefühle sind ein besonderes Thema, das natürlich mehr Aufmerksamkeit verlangt, als ich grade beitragen kann. Aber zu dem speziellen Kontext, in dem ich davon spreche, kann ich schon noch etwas mitteilen.
Ich gehe dabei davon aus, dass ich Gefühle erst einmal habe und dass ich mich dann bewusst ihnen gegenüber verhalten kann. Ich kann sie nicht „wegwünschen“ oder „wegdenken“ – nein, sie sagen schon etwas über meine Beziehung zu meinen Lebensbedingungen aus, sie enthalten eine Bewertung dieser Beziehungen, ob sie mir gerade gut tun oder eher wenig, zuerst auch einmal unabhängig von meinem Denken.
Bei der genannten Demonstration fühlte ich mich unwohl. Andere erlebten so ein Gefühl in dieser Situation nicht. Ich kann mich nun fragen, was dieses Gefühl auslöste: Es war das Aufdrängen der Uniformierung und der gleichartigen Schilder. Das weckte meine unguten Erinnerungen an die DDR-Manifestationen. Damit setzte auch das Denken ein: Ich weiß noch, dass solche Demonstrationen einst auch ein Stück Großartigkeit hatten, man „gehörte dazu“ – mit den Losungen skandierenden Stimmen kamen auch die Herzen in eine Art „Gleichklang“. Menschen aus der älteren Generation hatten schon länger darauf verwiesen, dass sie diese Art Manifestationen sehr an die Nazi-Aufmärsche erinnerte. Damals hatte ich das weggewischt, denn „Für Frieden und Sozialismus“ war es ja wohl wert, zu demonstrieren statt für die Nazi-Ideologie. Mein „bewusstes Verhalten dazu“ war also das Abwürgen des kritischen Nachdenkens (vielleicht weil mir das Dazugehören wichtiger war). Aber ich erinnere mich durchaus auch an ein Unwohlsein, das nicht mehr zu verbergen war bei der großen Demonstration am Vorabend des 40. Jahrestags der DDR.
Nach diesem ersten Aufschrecken entsetzte mich das Gehabe des „Vorturners“ bei der Warmlauf-Demo nur noch mehr. Alle meine Sinne waren geschärft – auch gegenüber anderenorts wahrscheinlich als harmlos wahrgenommenen Vorgängen. Ich fühlte mich nun überrumpelt und instrumentalisiert.
Was hat das nun mit der Kritischen Psychologie zu tun? Es war schon länger klar gewesen, dass gesellschaftstheoretisch und -praktisch der menschlichen Individualität eine größere Bedeutung beigemessen werden muss als im klassischen Marxismus, bei dem – zumindest in der Form, wie wir ihn offiziell in der DDR kennen lernten – die Interessen des Individuums ziemlich unvermittelt aus der Klassenlage abgeleitet wurden (im Bedingungsdiskurs). Wie kann man diesem Determinismus entkommen, ohne in die gegenteilige Falle des Willkürsubjektivismus zu verfallen? Für diese Fragestellung war die Kritische Psychologie vor über zehn Jahren für mich eine wertvolle Bereicherung geworden.
Sie stellt Begriffe zur Verfügung, die verschiedene Vermittlungsfaktoren und -ebenen zwischen (je) mir und der Welt benennen (Bedingung, Bedeutung, Prämisse, Interesse, Grund…). Unter den gleichen Bedingungen müssen nicht alle HartZ-IV-Betroffenen die gleichen Handlungsinteressen und Gründe haben. Ich habe das Recht und es entspricht meiner menschlichen Natur zutiefst, mich nicht den von anderen definierten Bedeutungen zu unterwerfen, sondern selbst diese Vermittlungen zu bedenken und zu eigenen Schlüssen zu kommen. Ich entschlüssele viele, auch linke, politische Praktiken als kurzschlüssige Abkürzung auf diesem Vermittlungsweg. „Alle Hartz IV-Empfänger müssen Interesse an der Teilnahme der Montagsdemos haben, sie sind nur zu faul oder dumm/verdummt… um zu kommen…“. Anti-Atom-Proteste „müssen“ sich durch ein einheitliches Logo kenntlich machen, um in die Öffentlichkeit einwirken zu können. Müssen sie? Muss ich?
Früher war ich so „sozialisiert“, dass ich meine eigenen Interessen leicht den „größeren“ unterordnete (bei mir hat die DDR-Erziehung recht gut gewirkt). Klar war ich „Für Frieden und Sozialismus“ – die bedenklichen politischen Praktiken blieben da eher ausgeblendet und meine unguten Gefühle ihnen gegenüber gestand ich mir selber am liebsten nicht ein. (Das stimmt natürlich so absolut nicht. Bei mir bewirkte das Erlebte eher, dass ich mich selbst im Sinne der versuchten Verbesserung dieser Praktiken speziell in der FDJ engagierte, bis hin zu einer hauptamtlichen Tätigkeit dafür).
Für die Unterordnung des Individuellen unter das Gesellschaftliche stand z.B. die Durchsetzung der Interpretation zum Thema „Sinn des Lebens“, wo durchaus ernst gemeint propagiert wurde, dass unser aller Sinn unseres Lebens darin bestünde, den weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus zu vollziehen. Rein theoretisch kann ich das natürlich immer noch nachvollziehen, dass es nicht ganz sinnlos ist, sich dafür einzusetzen, aber rein praktisch blieb uns nicht mal viel Spielraum, selbst zu entscheiden, wie wir das machen wollten. Die alten Genoss_innen pflegten häufig noch die Losung: „Wo die Partei dich hinstellt, das ist dein Platz.“ Ungute Gefühle dem gegenüber wurden als egoistisch, ja sogar a-sozial herabgewürdigt. Letztlich kümmerten sich nicht viele wirklich darum, aber ich will hier schildern, wie es einer/m geht, wenn man gutwillig ist und den in der DDR Herrschenden auch kein bosartiges Diktatorentum unterstellt, sondern von deren ernsthaften Bemühen ausgeht, sich für den gesellschaftlichen Fortschritt, so wie sie ihn verstanden, einzusetzen. Die Gefühle in solch einer Situation waren recht widersprüchlich, in der DDR-Literatur kann man vieles davon nachlesen. Im realen Leben hatte man aber letztlich die unguten Gefühle, die sich bei der Unterdrückung der individuellen Eigenständigkeit einstellen, möglichst zu verdrängen.
Die Kritische Psychologie dagegen behandelt das Individuelle als eigenständiges Thema, ohne die gesellschaftliche Dimension zu verleugnen. Die Kritische Psychologie nimmt mir nicht weg, davon auszugehen, dass wir bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen unterliegen (während wir sie reproduzieren). Sie erlaubt mir aber mir vorzustellen wie das von mir politisch Gewollte (Befreiung von Ausbeutung, Unterdrückung, Elend, Würdelosigkeit, Unmündigkeit…) auf eine Weise voran gebracht werden kann, ohne dass das Ziel selbst konterkariert wird wie im Realsozialismus.
Ich darf jetzt auf meine Gefühle hören, auch wenn sie sich innerhalb von Aktionen und Bewegungen zeigen, die eigentlich emanzipativ wirken wollen. Gerade da muss ich auf sie hören, wenn ich nicht das gemeinsame Ziel der Emanzipation wenigstens für mich verraten will. Ich kann im Einzelnen gründlich darüber nachdenken, unter welchen Bedingungen, aus welcher Lebenslage und Position heraus und in Bezug auf welche Interessen ich diese oder jene Gründe zu einer bestimmten Handlung habe. Gefühle leiten meine Erkenntnisse darüber an, sie stehen nicht mehr gegen die Rationalität, sondern wirken orientierend für sie. Herz und Hirn können zusammen wirken, ich muss sie nicht mehr gegeneinander ausspielen…
September 30, 2012 at 8:52 pm
Dass die Zeriomoniemmeister der DDR ihre Rechtfertigungsideologie als „klassischen Marxismus“ ausgegeben hatten, sagt über das, was sich über „klassischen Marxismus“ aussagen lässt erst einmal nicht viel.Deren Anmaßung (nicht nur) in dieser Hinsicht war Staatsdoktrin, andersmeinen unterdrückt.
Marx Perspektive war die Etablierung eines weltgemeinschaftlichen Miteinander der sich in freien Assoziationen organisierenden Menschen. Ich kann darin keinen Antiindividualismus entdecken.
Zur besagten Demo
1) Es hat auf der Demo offensichtlich viele gegeben, die sich haben nicht nötigen lassen
2) Die offentlichwirksame Theatralik und Symbolik („Warmlaufen“ für den großen Protest) im Sinne einer Mobilisierung für das kommende Großereignis stand bei der Aktion offensichtlich im Vordergrund. (Die Frage ist, in wie weit das aus Aufrufen etc. bereits ersichtich war)
2) Es ist unklar, ob das ebenso offensichtliche Fehlverhalten des Leibchen-Anbieters nach deiner Schildung, der Ausrutscher eines Einzelnen war oder Ausdruck einer generellen Fehlorientierung in dem Fall
3) Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass die erlebte Nötigung typisch für die gegenwärtrige Demonstratiionskultur ist, die ist auch ohne Eingreifen der kritischen Psychologie in der Lage, auch in den eigenen Aktionen die Menschenwürde zu wahren.
Oktober 1, 2012 at 4:09 pm
Alle Hartz IV-Empfänger müssen Interesse an der Teilnahme der Montagsdemos haben, sie sind nur zu faul oder dumm/verdummt… um zu kommen…“.
Aber wer behauptet das außen eine Handvoll High-Level-Moralisten mit seltsamen Wahrnehmungsmustern?
Anti-Atom-Proteste „müssen“ sich durch ein einheitliches Logo kenntlich machen, um in die Öffentlichkeit einwirken zu können. Müssen sie? Muss ich?
Ich denke, dass das leicht auch als Diffamierung empfunden werden könnte.
Es gibt da einfach kein Muss. Du schießt auf selbstgebaute Pappkameraden bzw. verallgemeinerst ein Erlebnis mit einem Menschen, der unhöflich wurde, weil du nicht mit den Symbolen des Aufbegehrens am Leib demonstrieren wolltest (was natürlich dein gues Recht ist und keinerlei Rechtfertigung bedarf).
ich liebe jedenfalls die Anti-AKW-Sonne, und ich denke,dass ich nicht der Einzige bin.
Oktober 3, 2012 at 9:26 am
Unsere ganze Debatte hier bestätigt das Grundproblem: Ein Gefühl eines einzelnen Teilnehmers wird nicht ernst genommen und meine Gedanken dazu werden ebenso nicht wirklich zur Kenntnis genommen. So stelle ich mir den Umgang in einer „freien Assoziation“ gerade nicht vor.
Oktober 3, 2012 at 4:06 pm
Entschuldige bitte, aber ich kann wirklich aus keinem Kommentar ablesen, dass jemand dir dein Gefühl abspricht. Aus meiner Sicht wird eher dein Begründungsmuster kritisiert, Symbole als Ausdruck politischen Handelns als Ursache deines Unbehagens auszumachen.
Ich habe auch den Eindruck, dass du „Pappkameraden“ aufbaust. Niemand hat behauptet, dass Symbole benutzt werden müssen. Ich und HHH argumentieren lediglich dafür, dass Symbole für uns ziemlich sinnvolle Bestandteile politischer Aktionen sind.
Emotionen sind nach Kritisch-Psychologischer Auffassung zwar erkenntnisleitend, aber keine objektive Letztheit, die keiner Klärung mehr bedarf.
Wenn sich ein Mensch durch die Anzahl von „Ausländern“ in Deutschland bedroht fühlt, kann ich daraus nicht ableiten, dass alle anderen Menschen dieses Gefühl in dem Sinne „ernstnehmen“ müssen, dass sie es nicht mehr hinterfragen dürfen.
Gefühle sind Ausdruck von Interssen, die widerum sind abhängig davon, wie ich die Welt interpretiere (kritisch-psychologisch würde man das wohl mit Bedingungen-Bedeutungen-Prämissen-Gründen machen).
Sowohl ich als auch HHH haben manchen poltitschen Symbolen, hier konkret der Anti-Atom-Sonne gegenüber, sehr andere Gefühle, als du.
HHH schrieb: „ich liebe jedenfalls die Anti-AKW-Sonne, und ich denke,dass ich nicht der Einzige bin.“
Ich würde zwar nicht sagen, dass ich die Anti-Atom-Sonne liebe, aber ich habe sehr positive Gefühle ihr gegenüber, und zwar genau deshalb, wie ich schon geschrieben habe, weil ich Symbole als Ausdruck gemeinsamer Interessen verstehe. Wenn nun die Sonne als Symbol der Ablehnung der Atomkraft so massenhafte Verbreitung findet, wie sie es tut, entspricht das meinem Interesse, mich mit möglichst vielen anderen Menschen anhand dieses durch das Symbol zum Ausdruck gebrachten gemeinsamen Interesses zusammenzuschließen. Das verbinde ich mit der Hoffnung, dadurch die Bedingungen, also die Nutzung der Atomkraft, tatsächlich verändern zu können.
Deine recht wütende Ablehnung von diesem konkreten Symbol löst bei mir eher negative Gefühle aus, und zwar deshalb, weil ich damit die Form, in der sich Widerstand in diesem konkreten Fall (und damit meine ich nicht diese campact-demo, sondern den gesamten Anti-Atom-Widerstand) organisiert, angegriffen sehe.
Ich denke, HHH will etwas ähnliches zum Ausdruck bringen, wenn er schreibt: „Ich denke, dass das leicht auch als Diffamierung empfunden werden könnte. “
Dein Einwand gliedert sich in drei Teile, wenn du sagst:
„Anti-Atom-Proteste „müssen“ sich durch ein einheitliches Logo kenntlich machen, um in die Öffentlichkeit einwirken zu können. Müssen sie? Muss ich?“
1. Teil: Proteste müssen sich einheitlicher Logos bedienen.
Ich und HHH haben auch dazu eine ähnliche Meinung: das hat niemand behauptet. Daher kommt auch der Vorwurf des „Pappkameraden“: Du argumentierst gegen eine Aussage, die niemand so getätigt hat. Das widerspricht zumindest meinem Interesse, zu einer Verständigung zu kommen, daher macht es mich wütend.
2. Teil: Müssen Sie?
Nein, natürlich müssen sie nicht. Aber im Fall des Anti-Atom-Widerstands tun sie das sehr häufig. Wie ich oben schon ausführlich begründet habe, finde ich das an sich auch nicht problematisch.
Um deine Ablehnung dagegen zu verstehen, fände ich es sinnvoller, zu versuchen zu klären, wie deine Ablehnung begründet ist. Die Begründung, die ich bis jetzt aus deinen Kommentaren abgelesen habe, hilft mir da nicht sehr hilfreich, weil sie über das Feststellen negativer Gefühle bei dir nicht hinauskommt.
So, wie ich das Emotionskonzept verstanden habe, sind Gefühle Ausdruck von subjektiven Interessen, die aus deiner Interpretation der Welt zu erklären sind. Daher entspricht deine Argumentation mit der Kritischen Psychologie, Gefühle derart ernst zu nehmen, dass sie nicht mehr hinterfragt werden, nicht meinem Verständnis von Kritischer Psychhologie (siehe Ausländer-Beispiel).
Zu klären wären für mich die Gründe, aus denen du Symbole als Ausdruck politischen Protests ablehnst.
Währen du in deinem letzten Kommentar mit dem nicht-ernstnehmen argumentierst, während ich den Kommentar davor von HHH eher als Argumentation gegen einen Teil deiner Begründung lese und nicht als nicht-ernstnehmen, begründest deine negativen Gefühle gegenüber der Gesamtsituation (nicht nur dem Teil über die Sinnhaftigkeit von Symbolen) in deinem ursprünglichen Beitrag:
„Ich kann mich nun fragen, was dieses Gefühl auslöste: Es war das Aufdrängen der Uniformierung und der gleichartigen Schilder. Das weckte meine unguten Erinnerungen an die DDR-Manifestationen.“
Damit nähern wir uns dem
3. teil: Muss ich?
Nein, natürlich musst du nicht. Was meinem Eindruck nach auch dem „eigentlichen“ Problem, dass in der Diskussion irgendwie vernachlässigt wurde, näher kommt.
Deine Begründung für das schlechte Gefühl gliedert sich meiner Lesart nach in 2 Teile: Uniformierung und Gleichartigkeit, die in der Diskussion anhand der Frage nach politischen Symbolen diskutiert wurden, und dem Aufdrängen.
1. Teil: Symbole
Du begründest deine Ablehnung mit dem Abwürgen des kritischen Nachdenkens. Deine damalige Begründung, nicht die Gleichförmigkeit an sich zu kritisieren, sondern durch die „Inhalte“ einen Unterschied zu Nazi-Ideologien zu sehen, verwirfst du. An dieser Stelle ist mir deine Argumentation gegen deine ursprüngliche Auffassung nicht ganz klar. Ist das Abwürgen des kritischen Nachdenkens das einzige Argument, oder ziehst du daraus den Schluss, jegliche „Massenaktionen“ abzulehnen? Dann verstehe ich aber nicht, warum du zu Demonstrationen gehst. Oder geht es um bestimmte Aspekte von Massenaktionen? Welche genau? Meinst du jetzt, in Symbolen den Aspekt ausgemacht zu haben, der Massenaktionen „schlecht“ machen? Warum?
Bezogen auf die aktuellere Situation ist mir nicht klar, welches kritische Nachdenken unterbunden wurde. Vielleicht könntest du das nochmal etwas deutlicher machen.
2. Teil: Das Aufdrängen.
Ich habe ein wenig das Gefühl (im Sinn von: die Ahnung), dass das eigentlich der wesentlichere Punkt ist. Über den Punkt ist bis jetzt hier wenig diskutiert worden, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass du, ich und HHH da die gleiche Meinung haben: Geht nicht klar. Einzig Holzkamp Anfang der 80er war da anderer Meinung (siehe meine Antwort auf deinen anderen Artikel).
Mein „Geht nicht klar“ würde ich politisch begründen: Nach meiner Vorstellung von emanzipatorischer Politik kann ich niemanden dazu nötigen, eine bestimmte Art des Protestes zu praktizieren.
Mit meinem schon erwähnten Beitrag zu deinem anderen Artikel würde Holzkamp das Problem als Vermittlung des Allgemeininteresses bzw. als nicht vorhandenes Allgemeininteresses verstehen. Mit dieser Lesart der Kritischen Psychologie stimmt ich zwar nicht vollkommen überein, aber sie fasst den Konflikt schon nicht ganz falsch: Wenn deine Interessen an dieser Demo mit denen der Organisation übereinstimmen, kann es gar kein Aufdrängen geben. Das richtet den Blick dann auf die Klärung der Interessenlage, wie wir das ja auch in unserer Diskussion zumindest auf Seite deiner Interessen versuchen. Was uns dabei aber etwas hinten runter Gefallen ist, bringt Holzkamps Blick auf die Situation wieder ins Bild: Wie sieht es eigentlich mit den Interessen der Organisation aus? Wo sind genau die Widersprüche?
Aus deinem ersten Artikel zu dem Thema erinnere ich mich daran, dass du auch das abzielen auf Medienbilder kritisiert hast, was nochmal eine neue Dimension in die Diskussion um die Klärung deines Unbehagens bringt.
Während mein Beitrag irgendwie schon wider viel länger wird, als ich vorhatte, erinner ich mich daran, dass des öfteren mal darauf hingewiesen wird, dass die Kritisch-Psychologische Klärung einer einzigen Situation eine Diplomarbeit füllt 😉
Vielleicht wäre es erstmal besser, du würdest nochmal versuchen, deine Begründungen noch klarer zu formulieren und auf meine Hinweise auf Verständnisprobleme einzugehen, falls du noch ein Interesse hast, die Diskussion weiterzuführen.
Spannend fände ich auch, deine positiven Vorstellungen von „gelungenen“ Aktionen klarer zu kriegen, um dein Interesse an der Teilnahme an Aktionen zu klären.
Oktober 3, 2012 at 5:26 pm
Zur Frage der Interessen der Organisationen, zu denen campact gehört:
auf ihrer website sagen sie über sich:
„Die Kampagnen werden vom Campact-Team konzipiert und bei Aktionen vor Ort mit viel Unterstützung der Campact-Aktiven realisiert. Der Campact E-Mail-Newsletter informiert über die aktuellen Kampagnen und die Möglichkeiten mitzumachen. Schon mit ein paar Minuten Zeit in der Woche können Sie Ihren politischen Vorstellungen wirksam Ausdruck verleihen.“
Das Problem mit dem „Aufdrängen“ ist dann wohl die konsequente Durchführung der Grundidee: Die Konzeption „Tragen von Leibchen mit Anti-Atom-Sonne“ wurde vom Team erdacht, von den Campact Aktiven, zu denen du durch deine Teilnahme gehörtest, wir erwartet, diese Konzeption zu realisieren.
Das ist eine klare, völlig transparente hierarchische Protestorganisation. Andere Formen des Protests als die des Konzepts sind nicht vorgesehen.
Aus anarchistischer oder autonomer Perspektive ist das klar abzulehnen. Bei einer marxistischen Perspektive bin ich mir da nicht so sicher.
Ich hätte mit campact auch noch das Problem, dass sie lediglich Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems anstreben, während ich der Meinung bin, dass das System der Fehler ist. Es liegt nicht in meinem Interesse, innerhalb der parlamentarischen Demokratie und der neoliberalen kapitalisitschen Wirtschaftsordnung nur kleine Verbessungen zu erreichen, sondern für eine anarchistische Gesellschaft zu kämpfen.
In konkreten Aktionen sieht das dann zwar oft ähnlich aus, aber gerade im Anspruch, das Ziel im Weg schon vorwegzunehmen und damit auch Ansprüche an eine herrschaftsfreie (oder zumindest herrschaftskritische) Organisierung zu stellen, zeigen sich die Unterschiede recht deutlich.
Ich würde nicht zu einer campact-Aktion gehen, da ich keine ausreichende Übereinstimmung der politischen Interessen sehe.
Vielleicht erklärt das auch einen Teil deines Unbehagens?
Oktober 3, 2012 at 7:30 pm
Bin jetzt nicht sicher, wie das gemeint ist. Dass Beauftragte der Veranstalter einer Demo Teilnehmende dazu NÖTIGEN, sich mit Symbolen des Protestes zu behängen, geht aus einer marxistischen Perspektive m.E. gar nicht. Und selbst von derjenigen „Trotzkistischen Internationalen“, deren Aktivisten dadurch auffallen, dass sie allesamt ähnliche Schildchen mit gedruckten Parölchen hoch halten und dadurch so ein wenig „fremdgesteuert“ wirken, würde ich nicht erwarten, dass sie Leute anmachen, die ihre Schildchen nicht tragen wollen.
Allgemein: In einer an Marx anknüpfenden Perspektive, wie ICH sie vertrete, steht die möglichst optimale Mobilisierung für das konkrete Anliegen im Fordergrund… ??? äh, Vordergrund, die Brisanz der Forderungen, in der Regel (wenn auch nicht in jedem erdenklichen Fall) die mögliche Breitenwirksamkeit. Dazu gehört auch die mögliche Medienwirksamkeit. Dies auch wegen dem Effekt der Selbstmobilisierung / Selbstsensibilisierung. Erst in zweiter Linie interessieren die dabei womöglich wachsenden Denk- und Motitationsfortschritte in Richtung ernsthafter Bemühungen, Kapitalismus Geschichte werden zu lassen. Auch wenn letzteres letztlich das primäre Ziel marxistischer Praxis bleibt.
Grundsätzlich ist es Sache der Träger einer Kampagne/Aktion deren Mittel und Zwecke zu bestimmen, da ist Transparenz der Wiillens- und Entscheidungsfindung und die Bereitschaft, alle einzubeziehen, die sich beteilogen wollen, das gemeinsame Ziel unterstützen und keine menschenverachtende Ideologie vertreten (Rechtsextreme, religiöse Fanatiker). Aber selbstverständlich kann das nicht einschließen, Einzelne zu diesem und jenem Outfit zu nötigen.
Selbst in autonomen Blöcken, die da ja schon sehr symbolverliebt sind was das Outfit angeht, würde ich nicht erwarten, dumm angequtscht zu werden, wenn ich da in nem grünen Jacket herumpaziere. (Am letzten Samstag bei der UmFAIRTeilen-Demo hielten mich allerdings schon deren Parolen „AA Anti-Kapitalista“ oder „Produktionsmittel umverteilen“ auf gebührendem Abstand 🙂 ).
Naja, da scheiden sich unsere Geister ;-).
Oktober 3, 2012 at 7:41 pm
Wie gut, dass es WIKIPEDIA gibt
http://de.wikipedia.org/wiki/Campact
Oktober 4, 2012 at 2:33 am
Du schreibst:
“ Dass Beauftragte der Veranstalter einer Demo Teilnehmende dazu NÖTIGEN, sich mit Symbolen des Protestes zu behängen, geht aus einer marxistischen Perspektive m.E. gar nicht. Und selbst von derjenigen “Trotzkistischen Internationalen”, deren Aktivisten dadurch auffallen, dass sie allesamt ähnliche Schildchen mit gedruckten Parölchen hoch halten und dadurch so ein wenig “fremdgesteuert” wirken, würde ich nicht erwarten, dass sie Leute anmachen, die ihre Schildchen nicht tragen wollen. “
Na ja, so, wie ich das verstanden habe, bestand die Nötigung aus schrägen Blicken. Ne ziemlich normale Sanktion für das nicht-Erfüllen von Erwartungen, die an einen Menschen gestellt werden. Daher ist es für mich die logische Konsequenz daraus, die Aktivist_innen lediglich als Menschen zu sehen, die vorgefetigte Konzepte realisieren sollen, aber bitte schön nicht beanspruchen sollen, über diese Konzepte mitzuentscheiden.
Falls du dir die website von campact mal durchgelesen hast, die ich informativer finde als den wikipedia-Eintrag, wir sehr deutlich, dass die einzige vorgesehene Form, in der Aktivist_innen an der Planung teilnehmen können, das Vorschlagen von Kampagnen per mail ist. Entschieden wird dann vom team.
So, wie ich dich und dein Verständnis von Marxismus verstanden habe, ist es dir nicht wichtig, eine herrschaftskritische Organisierung zu haben. Daher wird für mich auch nicht klar, warum die „Nötigung“ nach deinem Verständnis von Marxismus nicht gehen sollte. Kannst du ja vielleicht noch mal verdeutlichen.
Ich verstehe auch nicht, was Transparenz über die Entscheidungsfindung helfen soll. campact macht völlig transparent, dass Entscheidungen über Mittel und Zwecke von einem kleinen Kreis „Professioneller“ Organisator_innen getroffen werden. Das schließt aus, dass alle an Entscheidungen beteiligt werden, die sich einbringen wollen. Und zwar nicht „aus Versehen“, sondern so gemeint. Wenn sich dann an Entscheidungen nicht Beteiligte nicht an die Entscheidungen halten wollen, kommt es halt zu Situationen, in denen versucht wird, diese Entscheidung durchzusetzen, da sonst das geplante Ziel der Aktion nicht erreicht wird.
Das mit den autonomen Blöcken ist nochmal ne andere Geschichte. Beim schwarzen Block geht von der Idee her nicht in erster Linie darum, irgendwas symbolisch auszudrücken, sondern die Uniformierung hat den Zweck, Menschen vor Repression zu schützeb, was in der Realität auch oft genug (natürlich nicht immer) klappt, um die ganze Uniformierung zu rechtfertigen. In zweiter Linie geht es vielleicht darum, Bereitschaft zur Militanz, verstanden nicht nur als Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt, sondern als eine grundsätzlich kompromisslose Haltung, symbolisch auszudrücken.
Dass das alles dem schwarzen Block schwer anzusehen ist und auch vielen, zumindest in Deutschland, nicht klar ist, ist eine ganz andere Geschichte. Mir ist das erst klar geworden, als ich einen schwarzen Block mal ernsthaft in Aktion erlebt habe, und das passiert in Deutschland ausgesprochen selten. Dann macht auf einmal all das, was du viellleicht als „Symbolverliebtheit“ wahrnimmst, ganz konkret und praktisch Sinn.
In einem autonemen Block, der es gerade sehr ernst meint,könntest du schon damit rechnen, wegen einer grünen Jacke nicht nur dumm angequatscht, sondern auch darum gebeten zu werden, den Block zu verlassen.
Schwarzer Block ist aber nicht gleich autonome / anarchistische Politik, sondern lediglich ein Teil davon, und mit dem eigentlichen Thema dieser Diskussion hat das ziemlich wenig zu tun.
Oktober 4, 2012 at 5:30 am
Kann sein, dass das bei kurzfristigen Sachen ist, die Campact allein verantwortet. Und auch da besteht die Freiheit, sich dem anzuschließen oder nicht. Bei größeren Sachen, für die ein Bündnis steht, dürften die Träger gemeinsam entscheiden. Ich fnde den Gewinn an Professionalität und Effizienz durch Campact erst einmal gut. Kann aber auch sein, dass das negative Aspekte hat, wie tatsächlich eine mangelnde Eigenleistung der Träger. (Was aber schon immer ein Problam war) So hatten bei der UmFairTeilen-Demo in Berlin die Blocks der verschiedenen Träger meist eher den Eindruck hinterlassen,dass sie selbst nur halbherzig mobilisiert hatten. Kann aber auch sein, dass mein Eindruck falsch war oder dass es an allen möglichen Konstallationen lag.
Zu der „Warmlaufen“ Demo. Die hatten es offenbar für eine gute Idee gehalten, „Warmlaufen für die große Akltion“ zu veranstalten um einen Werbefilm für die Aktion daraus zu machen (Oder war der Film nicht vom BUND?) Jedenfalls war das Video schon etwas seltsam. Falls die entstehenden Bilder tatsächlich so sehr im Vordergrund standen, dass es zu Unhöflichkeiten gegenüber denen kam, die die ästhetischen Erwarttungen nicht erfüllen wollten, finde ich das fragwürdig. Jedenfalls wäre es trotzdem ein ganz falsches Verhalten, wenn sich die Teilnehmenden rechtfertigen sollen, wenn sie keine Textilien oder Fähnchen mit den Symbolen am Leib tragen wollen.
Die Leibeigenschaft hat der Kapitalismus ja immerhin abgeschafft, dahintzer sollte man natürlich nicht zurückfallen.
Oktober 4, 2012 at 5:44 am
Ok, kann schon sein. Ich würde dann halt denken. Ok, das gehört zu deren Autonomie, ergibt vielleicht auch einen Sinne. Ich respektiere das und guck, ob ein anderer Lautsprecherwagen auch gute Musik hat :-).
Oktober 4, 2012 at 6:05 am
Oktober 4, 2012 at 2:34 pm
„Ich fnde den Gewinn an Professionalität und Effizienz durch Campact erst einmal gut. Kann aber auch sein, dass das negative Aspekte hat, wie tatsächlich eine mangelnde Eigenleistung der Träger. (Was aber schon immer ein Problam war)“
Ich glaube, man sollte aufpassen, Effizienz nicht als einziges Kritierum für politischen Aktivismus zu sehen. Und Professionalität finde ich tatsächlich noch gefährlicher. Versteh mich nicht falsch, es spricht nichts dagegen, Aktionen gut zu planen. In dem Moment, in dem es aber professionelle Plander und Aktive gibt, die nur noch den Plan umsetzen, finde ich das schwierig. Menschen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, haben auch eine andere Beziehung zu dieser Arbeit als Menschen, die es nur aus Überzeugung tun. Wenn die Organisator_innen einer Organisation angehören, die auf Spenden angewiesen ist, wird das Einwerben von Spenden zu einer wichtigen Dimension der Arbeit. Dann wird Medienpräsenz nicht nur aus politischen Gründen wichtig, sondern auch, um die eigene Existenz zu sichern.
Am Anfang dieser Diskussion habe ich das Problem auch schon mal angesprochen, dass diese Hierarchie zwischen Orga und Teilnehmer_innen bei Massenaktionen nicht wirklich zu vermeiden ist. Man kann es aber abschwächen, indem man versucht, Möglichkeiten zum Mitreden in der Planung zu schaffen, und dadurch, dass es prinzipiell die Möglichkeit gibt, sich der Orga anzuschließen und damit auch den Planungsprozess mitbestimmen zu können. Die Möglichkeit besteht nicht mehr, wenn das team aus Profis besteht. Durch Interesse der Teilnehmer_innen, an der Orga teilzunehmen, kann das team nicht wachsen, die Bewegung nicht stärker werden.
Ich bin mir nicht sicher, wen du genau mit „Trägern“ der Aktion meinst: Das Orgateam, die Teilnehmer_innen, oder alle gemeinsam? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich campact mit den anderen organisierenden Gruppen abspricht, die Möglichkeiten der Teilnehmer_innen, auch nicht-kurzfrisitg Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen ist nicht vorgesehen. Das ist nicht mal repräsentative Demokratie. Kollektive Entscheidungsfindungen, in welcher Form auch immer, brauchen Zeit und Ressourcen. Es ist also durchaus effizient, sich das zu sparen. Politisch kann ich mir das aber nicht leisten.
Und zum Thema: ja, ich denke auch, dass es eigentlich um Selbstbestimmung / Selbstorganisation und Kritische Psychologie ging.
Und ich bin mir da nicht sicher, ob man das mit Kritischer Psychologie wirklich gut denken kann.
Selbstbestimmung heißt bei der KriPsy ja Teilnahme an der Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen.
Das Allgemeininteresse wurde nur in der frühen Zeit der KriPsy wirklich so benannt, in der neueren Zeit ist das für mein Empfinden alles ziemlich weichgewaschen. Das Allgemeininteresse soll dann irgendwie objektiv bestimmbar sein (ganz brachial: die objektiven Interessen der Arbeiterklasse sind das Allgemeininteresse, die Herrschenden drücken allen ihre Partialinteressen auf). KriPsy soll dann dabei helfen, die eigenen objektiven Interessen erkennen zu können, indem das Individuum in einer wechselseitige Beziehung zu den Bedingungen, die es umgeben, gedacht wird.
Ich denke aber, dass das was meist unter Selbstorganisation verstanden wird, doch noch was anderes ist, was Wert darauf legt, auch bei Protesten die Bedingungen, unter denen man protestiert, Selbst mitbestimmen zu können.
Mich treibt die Kritische Psychologie ziemlich regelmäßig in den Wahnsinn, wenn ich mich mal wieder damit beschäftige, da sie sich in neuerer Zeit mit Politik eigentlich kaum noch beschäftigt, und, meiner Meinung nach als Rechtfertigung und in „Abschleifung“ der Diskussionen, die mit Mainstream-Psycholog_innen geführt wurden, ziemlich schwiereige Rhetoriken entwickelt hat. So wird aus der Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen schon mal die Verbesserung der eigenen Lebensqualität, und vor lauter Beteuerungen, dass verallgemeinerte Handlungsfähigkeit NICHT heißt, Revolution, Protest oder Widerstand zu machen, wird es ernsthaft schwer, zu argumentieren, dass es das schon auch heißen kann. Dazu kommen ständige Beteuerungen, dass man dem Individuum nicht vorschreiben will, was es zu tun oder zu lassen hat.
1984 hörte sich das bei Holzkamp noch so an ( http://www.kritische-psychologie.de/texte/kh1984b.html ):
„Holzkamp: Wir können den Menschen nicht vorschreiben, welche Bedürfnisse sie haben sollen. Wenn jemand tatsächlich glaubt. unter diesen oder jenen Bedingungen in der bürgerlichen Gesellschaft zurechtkommen und leben zu können, dann ist es ja in Ordnung. Aber wir glauben, daß dieses Zurückstecken und Sicheinrichten für die meisten Betroffenen selbst widersprüchlich und auf Dauer auch unerträglich ist. Im Grunde merken die Menschen, daß dies „nicht alles gewesen sein kann“. Dieses erfahrene Ungenügen muß zur Artikulation gebracht werden, Aber wo kein Ungenügen erfahren wird, kann auch nichts artikuliert werden.
PH: Es ist also nicht Aufgabe der Kritischen Psychologie oder der Wissenschaft überhaupt, den Menschen Vorschläge zu unterbreiten?
Holzkamp: Nicht ungefragt und von außen. Solange die Erfahrung des Ungenügens nicht den Betroffenen zu Klärungen und zu Veränderungen seiner Lebensbedingungen drängt, solange er sein Leben in Ordnung findet, so lange haben wir uns nicht einzumischen.“
Im Großen und Ganzen ist das auch die Argumentation, die man heute noch vorfindet, nur, dass kaum noch wirklich Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft oder den Kapitalismus genommen wird (zumindest von den Vertreter_innen an der FU, die es noch gibt).
Wenn sich ein Mensch also in der Freiheit des Kapitalismus wohl fühlt, hat die Kritische Psychologie ihm oder ihr nichts zu sagen.
Ich empfinde das als Entpolitisierung. Oft wird dann nur noch über Subjektwissenschaft, Begründungsmuster und intersubjektive Beziehungen geredet.
Die Version, die Anette hier vertritt, kommt mir sehr davon geprägt vor. Daher finde ich den Versuch, damit wieder in die Arena politischer Bewegungen zu gehen und zu schauen, was man damit machen kann, ziemlich spannend. Befriedigend finde ich Anettes Antworten aber bis jetzt noch nicht.
Oktober 5, 2012 at 8:35 am
Sehe ich genauso.
Oktober 5, 2012 at 8:40 am
Die Organisationen und Persönlichkeiten, die die jeweiligen Aufrufe unterzeichnen und für die Aktion also politisch gerade stehen.
Oktober 5, 2012 at 9:05 am
Allgemeininteresse halte ich für eine sehr flexiblen Größe und ist auch nur begrenzt „objektiv“ bestimmbar (etwa nach diskurstethischer Art der idealtypischen Befragung aller potenziell Betroffener). So lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass kaum sinnvoll bestritten werden kann, dass die Einhaltung der basalen Menschenrechte im Allgemeininteresse ist.
Oft geht es aber gerade um die Möglchkeit des Mitwirkens bei der Bestimmung (Pflege und Revision) von gemeinsamen Zielen, Standards usw. also die Herstellung (Produktion) von bestimmten Allgemeininteressen.
Nehmen wir die Überfischung der Meere oder den Klimawandel. Da mag es noch relativ leicht zwischen Partikularinteressen und Allgemeininteressen zu unterscheiden. Aber ist das so einfach? Muss da das Allgemeininteresse nicht wirklich erst konkret als ein Common bestimmt und als politische und soziale Wirklichkeit hergestellt werden?
Marx war in der Sache zwar nicht frei Idealisierung, sprach im Übrigen aber nicht davon, dass „die Arbeiterklasse“ das Allgemeininteresse vertrete, sondern deren Emanzipation.
Oktober 3, 2012 at 2:43 pm
Eine Projektion? Ich sehe in der ganz und gar unbegründeten (aus dem, was ich geschrieben habe,nicht sinnvoll herzuleitenden) Unterstellung, ich würde dein Ärger über den Leibchenanbieter nicht ernst nehmen, jedenfalls keine angemessene, also argumentative Antwort auf meine Anmerkungen.
Oktober 3, 2012 at 2:54 pm
Wir haben hier leider auch das Problem der sehr verkürzten Kommunikationsmöglichkeiten (über geschriebenen Text). Deshalb ist es oft unklar, ob Unstimmigkeiten aus fehlenden bzw. missverstandenen Informationen herrühren oder echten Differenzen.
Es geht hier letztlich aus meiner Sicht nicht um eine „Unterstellung“, sondern nimm einfach die Information von mir auf, dass ich mich in meinem Anliegen nicht ernst genommen empfinde.
Wenn Du das nicht so meinst, kannst Du mir das in einer Antwort gern mitteilen. Aber mein eigenes Empfinden, meine eigene Position dazu ist wieder nicht ernst genommen worden, sondern ich sehe sie wieder als „Unterstellung“ disqualifiziert.
Oktober 3, 2012 at 4:05 pm
Weil man sich bei der schriftlichen Kommunikation nur an dem orientieren kann, was tatsächlich geschrieben steht, bemühe ich mich darum mich möglichst differenziert und präzise auszudrücken und keine versteckten Biotschaften mitzusenden.
Ich habe doch mehrmals deutlich gemacht, dass ich das Verhalten des Leibchenanbieters (dumme Sprüche nach der Verweigerung mit dem Symbol am Leib herumzulaufen) unmöglich finde und deine Verweigerung selbstverständlich keiner Rechtfertigung bedarf. (Ich hoffe, dass du nicht „durch nichts zu rechtfertigen ist“ gelesen hast)
Wir haben sehr verschiedene Erfahrungshintergründe. Deine Aversionen gegen irgendwelche Winkelemente und ähnliche Utensilien als als Demoausstattung finde ich nachvollziehbar.
Ich sehe aber auch keine Anzeichen dafür, dass das, was du beobachten konntest bzw. erleiden musstest typisch für die gegenwärtige Demonstrationskultur innerhalbder Anti-AKW-Bewegung ist und dass die Kritische Psychologie da erst irgendwas korrigieren müsste.
Um mal über meine Gefühle zu reden: Mir bedeuten die Symbole der Ant-AKW-Bewegung sehr viel, Sie haben neben der Wiedererkennbarkeit auch so etwas wie gewitzte Heiterkeit in den Kampf um die Möglichkeit gebracht, über die Entwicklung und Anwendung passender Produktionsmittel in dem Fall in einer mitmenschlichen Weise mitzubestimmen.
Die, die in den Anfängen dieser Bewegung auf die Straße gegangen und vor Bauplätze gezogen waren, wurden zunächst als Gewalttäter und Arbeitsplatzvernichter diffarmiert, ausgegrenzt, Die Ant-AKW-Bewegung musste sich die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung ihres Anliegens mühsam erkämpfen. Man musste sich Sorgen um die eigene Gesundheit machen und lernen, dadurch bedingten Bedenken und Zweifel zu überwinden.
Außerordentlich erkenntnisträchtig war die Erfahrung, dass gerade die Geschlossenheit entlang des Anliegens und damit Verweigerung der Distanzierung von (übrigens zunächst vion der DKP) so genannten „Chaoten“ zu den Erfolgsbedingungen der Bewegung gehörte (ebenso übrigens wie die Tatsache, dass regionale Verwaltungsgerichte immer mal wieder Baustopps verfügt hatten, was z.B. im zentralistischen Frankreich nicht möglich war).
Es ist eine sehr wichtige Frage, wie Individualismus und Vergemeinschaftungsprozzesse (gerade auch, wenn sie sich erst einmal gegen den Mainstream durchsetzen müssen) zusammen gehen können, also wie sich moderne, d.h. freiheitliche Formen der Vergemeinschaftung entwickeln (lassen), sich auch Liberale weltkommunistisch befreien :-).
Und ich bin der Meinung, dass dies der marxschen Perspektive entspricht als auch dass die Anti-AKW-Sonne ein passendes Signal ist, deren Wahrnehmung natrlich auch organisiert wurde und noch organisiert wird. Um so wichtiger, dass sich nicht solche Entfremdungserscheinungen etablieren, wie du sie beschrieben hast.
.
Oktober 3, 2012 at 4:17 pm
Ach,noch ein paar Bildchen zur Illustration
http://www.utopia.de/profile/topist/galerien/zeitzeichen-1297?page=33
Gruß hh
Oktober 4, 2012 at 4:13 pm
„Daher finde ich den Versuch, damit wieder in die Arena politischer Bewegungen zu gehen und zu schauen, was man damit machen kann, ziemlich spannend. Befriedigend finde ich Anettes Antworten aber bis jetzt noch nicht.“
Als fertige Antwort war das alles noch lange nicht gedacht – sondern grad als Frage, ob das noch wen interessiert. Wollen wir zusammen weiter dran arbeiten?
Oktober 5, 2012 at 1:19 am
Sorry, war nicht als Angriff gedacht. Ich hab auch keine fertige Antwort darauf. Ich hätte schon Interesse dran, da weiter dran zu arbeiten. Ich denke aber mehr in die Richtung, welche Rolle Kritische Psychologie bei der Bewältigung von Verletzungen durch Herrschaftsstrukturen, besonders sexualisierte Gewalt und Repression, spielen könnte, also eher in Richtung Krankheitsverständnis. Da hab ich die Antwort auch schon fertig: auf dem stand, auf dem sie jetzt ist, gar nicht. Noch offen ist die Frage, was wie ergänzt / geändert werden müsste, damit sie es kann.
Oktober 5, 2012 at 8:31 am
Ich nehme das mal zum Anlass, darüber laienhaft ‚laut‘ nachzudenken was ich mir von meiner Perspektive aus betrachtet, als eine Aufgabe kritischer Pschologie in der Hinsicht vorstellen könnnte.
Vielleicht:
1) Hilfestellung für Betroffene bei der Bewältigung der Verletzungen mit speziellem Blick auf die Widerherstellung des Gefühls menschlicher Würde, z.B. Thematisierung und Überwindung eigener Schuldgefühle und der Berechtigung von Zorn.
2) Begleitende Forschung von Selbsthilfeprojekten und die Erarbeitung und Bereitstellung vion Erkenntnissen für alles, was der Prävention dient (unter Einbeziehung künstlerischer Mittel z.B. der Filmkunst)
3) Die Ergründung und öffentliche Reflexion gesellschaftlicher Strukturen (Behauptungsbedingungen), die Einfluss auf die Häufigkeit und Art der Ausübung von (sexualisierter) Gewalt haben
4)Formulierung von Reformbedarf (meinetwegen auch Revolutionsbedarf, muss sich ja nicht widersprechen, wie uns etwa Rosa Luxemburg lehrt) und die kritische (und selbstkritische) Begleitung einer entsprechenden Praxis.
Oktober 5, 2012 at 9:05 am
@HHH: „Ich nehme das mal zum Anlass, darüber laienhaft ‘laut’ nachzudenken was ich mir von meiner Perspektive aus betrachtet, als eine Aufgabe kritischer Pschologie in der Hinsicht vorstellen könnnte.“
Klingt gut. In dieser Hinsicht hab ich bei der Ferienuni mitbekommen, dass einige an einigen Ecken dieses Projekts zugange sind. Wir müssten jetzt bloß noch zusammen kommen…
Oktober 5, 2012 at 9:08 am
@“ich“: “ Ich denke aber mehr in die Richtung, welche Rolle Kritische Psychologie bei der Bewältigung von Verletzungen durch Herrschaftsstrukturen, besonders sexualisierte Gewalt und Repression, spielen könnte, also eher in Richtung Krankheitsverständnis.“
Ja, das ist bisher wenig ein Thema. Ich war aber froh, auf der Ferienuni da einiges zu erfahren, z.B.: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/09/23/psychisches-leiden-an-den-verhaltnissen/
Soweit ich es verstanden habe, ist Ariane Brenssell auch sehr interessiert an Kontakten und Kooperationen zu dieser Problematik.
Oktober 5, 2012 at 2:00 pm
Ja, bei Ariane Brensell war ich auch, und das, was sie macht, ist meiner Idee schon sehr nahe. Allerdings hab ich ein wenig Probleme damit, „nur“ nach neuen Begriffen von Krankheit zu suchen, ohne wirklich klar zu haben, was diese anderen Begriffe von Krankheit denn abbilden sollen und was daraus folgt, dem Kind einen anderen Namen zu geben (das hab ich gerade nicht wirklich auf den Punkt gebracht, kann es aber im Moment nicht besser ausdrücken).
Ich glaube, sie ist nicht nur KriPsy, sondern auch ne Menge Feminismus, was mir auch sehr nahe kommt 😉
Und irgendwie sehe ich die Gefahr, dann wieder nur über die gesellschaftliche Bedeutung von Krankheit zu reden, und, wie du glaube ich irgendwo mal formuliert hast, irgendwie am wirklichen Leiden von Menschen vorbeizureden.
Das kam in der Diskussion auf der Ferienuni auch ganz gut raus, als ihr Vorschlag, statt von Depression von Streik zu reden, dafür kritisiert wurde, die Unfreiwilligkeit von Depression nicht abzubilden.
Oktober 5, 2012 at 3:15 pm
„Ich nehme das mal zum Anlass, darüber laienhaft ‘laut’ nachzudenken was ich mir von meiner Perspektive aus betrachtet, als eine Aufgabe kritischer Pschologie in der Hinsicht vorstellen könnnte.“
Kannst du natürlich machen, geht an meiner Frage aber grandios vorbei. Gerade in Bezug auf sexualisierte Gewalt hat die zweite Frauenbewegung eine Menge getan, und zwar auf sehr vielen verschiedenen Ebenen, von der Thematisierung über die Änderung von Gesetzen bis zum tatsächlichen (nicht theoretisch gedachten) Aufbau von Strukturen zur Unterstützung von Betroffenen, wie autonome Frauehnäuser und Beratunsstellen mit feministischen Anspruch.
Außer ziemlich destruktiver Kritik hat die KriPsy dazu nichts beigetragen, während sie selber bis jetzt daran gescheitert ist, eine eigene Praxis zu entwickeln.
Antworten auf die Frage gibt es, und auch sehr viel ausgearbeiteter, erprobter und umgesetzter als dein laienhafter Versuch.
Meine Frage ist aber, wo die Fehler in der KriPsy sind, die eine Praxis verhindern, und welche Ansatzpunkte sie hat (und die hat sie), die man weiterentwickeln müßte.
Oktober 5, 2012 at 6:21 pm
Wenn das so ist, begreife ich die hier vorgetragene Begeisterung für die Kritische Psychologie um so weniger.
Ich wüsste nicht, womit ich so einen herablassenden Kommentar provoziert haben könnte. Ich habe beschrieben, was ich als jemand, der mit der Kritischen Psychologie bisher noch nicht groß befasst war, von einer Kritischen Psychologie in der Frage erwarten würde. Ich habe nicht behauptet, der Erfinder meiner Bedürfnisse in der Hinsicht zu sein.
Oktober 6, 2012 at 6:38 pm
Ich weiß nicht, womit ich den Eindruck erweckt habe, ich würde mich in unkritischer Begeisterung mit KriPsy beschäftigen. Was sie geleistet hat, ist in einem universitären Kontext mit wirklich unzumutbaren mainstream-psychologischen Inhalt über eine Zeit von 40 Jahren einen gesellschaftskritischen Gegenstandpunkt zu vertreten und eine Menge Text zu produzieren, mit dem es sich aus emanzipatorischer Perspektive zumindest lohnt, sich auseinanderzusetzen.
Das, was du als herablassend empfindest, während ich der Meinung bin, das es schlicht eine Tatsache ist, hast du dadurch provoziert, nicht auf meine Frage zu antworten, sondern auf eine andere Frage. Klar, kannst du machen, trägt zu einer Diskussion, in der sich Beiträge schon irgendwie aufeinander beziehen sollten, aber nichts bei.
Aber du hast recht, ich war ziemlich genervt davon, und das hört man wohl auch raus. Kommt wohl daher, dass ich mich nicht wahrgenommen fühle, wenn jemand auf eine deutlich formulierte Frage mit der Antwort auf eine andere Frage antwortet.
Es macht halt wirklich wenig Sinn, über eine recht komplexe Theorie zu diskutieren, wenn man sich mit ihr nicht auseinandergesetzt hat.
Oktober 6, 2012 at 7:53 pm
Die Frage war:
Und ich habe das zum Anlass genommen, zu beschreiben, was ich in der Hinsicht von einer Kritischen Psychologie erwarten würde. Mir ist unklar, was daran falsch sein soll.
Ich hatte allerdings den jetzten Halbsatz überlesen „In Richtung Krankheitsverständnis“, was dir offenbar sehr wichtig ist.
Mir ist die Frage des Krankheitsverständnisses tatsächlich nicht wichtig. Krankheitsbegriffe sind nach meinem Verständnis Schall und Rauch. Dass einem Verhältnisse krank machen können hatte ich für eine Binsenweisheit gehalten. Dass man gesellschaftlicher Zustände nicht gern partogisch nennt, rührt vielleicht aus der Erfahrung mit Nazideutschland oder dem Stalinismus. Da ist Vorsicht geboten. Aber was sind die gesellschaftlichen Zustände und Diskurse im HInblick auf sexualisierte Gewalt in Südafrika. Sie sind krank. Wie das Apardheidsystem krank war, das so viele Menschen brutalisiert hat und traumatisiert oder beides zugleich. .
Oktober 4, 2012 at 4:21 pm
Zu HHH „Notwendigkeit, sich dafür rechtfertigen zu müssen, was das eigene Verhalten für das Leben anderer bedeutet bzw. für die Umsetzung gemeinsamer Ziele im Prinzip schon für einen Indikator sozialer Emanzipation.“
Das steckt in den Begriffen von vornherein drin, weil ein Mensch immer als als „natürlich gesellschaftlich“ betrachtet wird und nicht als erst einmal isoliertes Wesen, zu dem dann das Soziale quasi noch „hinzukommt“.
Es geht z.B. bei menschlichen Bedürfnissen nie nur um die unmittelbare Befriedigung z.B. von physiologischen Bedarfszuständen (volle Reisschüssel gegen leeren Magen), sondern sie „beziehen sich auf die kooperativ-vorsorgende Schaffung von Lebensbedingungen in der Welt“ (Holzkamp).
Das Problem der im Kapitalismus zuerst einmal nahe liegenden „restriktiven“ Formen des Fühlens, Denkens etc. lässt sich dann nicht durch „rechtfertigen müssen“ (quasi einem Außenstandpunkt gegenüber) lösen, sondern durch das Auffinden der inneren Widersprüchlichkeit (im intersubjektiven Gespräch).
Oktober 5, 2012 at 8:00 am
Habe das Gefühl, dass hier die Ebenen durcheinanderpurzeln. Ersteinmal sind Indikatoren ja keine Anweisungen und schon gar nicht für alle Lebenslagen. Mir steht nicht der Sinn nach der Behauptung von Dogmen oder monokausalen Deutungsmustern.
Die Problematisierung von „Außenstandpunkten“ ist richtig und wichtig. Sich aber JEDEN „Außenstandpunkt“ verbieten zu wollen, ist in meinen Augen wirklich grotesk. Da wird man dann notfalls genötigt sein, sich die Wirklichkeit entsprechend zurecht zu interpretieren. (Wie das bei sehr strengen Geboten halt ist)
Wenn ich sage, dass ich die Notwendigkeit, sich für die sozialen und ökologischen Voraussetzungen und Folgen (also Dimensionen!) des eigenen Mittuns rechtfertigen zu müssen, im Prinzip als ein Indikator sozialer Emanzipation sehe, so behaupte ich gerade nicht, „dass das Soziale dazu kommt“. Ökologisch betrachtet, (also im Hinblick auf die Bedeutungsvielfalt des globalen Stoff- und Energieaustausches, das Soziale ist darin also eingeschlossen) sind wir kapitalistisch füreinander produzierenden Globalisierten dieser Erde bereits miteinander verbunden. Wir sind es aber (noch) NICHT als (umwelt-)bewusst miteinander füreinander Sorge tragende Mitmenschen. Ob in irgendwelchen Begriffen das Gegenteil drin steckt oder nicht, ändert daran nichts. Die tatsächlichen Rechtfertigungsbeziehungen und entsprechenden Behauptungsbedingungen (bzw. deren Entwicklung) sind (entwickeln sich) kapitalistisch voneinander abgekapselt, voller feindlicher Gegensätze, die unter den gegebenen Umständen als solche nicht ohne weiteres erkennbar sind.
Siehe etwa: http://oekohumanismus.wordpress.com/2008/11/23/sind-wir-des-warensinns/
Derzeit besteht eben keine Notwendigkeit, dafür gerade zu stehen, was das eigene (Nicht-) Mittun für die bedeutet, deren Arbeit, Umwelt oder Zukunft das Begehrte herzustellen haben bzw. belastet oder verbaut. Das mag der seiner Art gerechten Haltung des Menschen widersprechen (d.h. unserem aufrechten Gang) und von einigen seltsamen ‚Ideologen‘ (Achtung Ironie) deshalb Althusser hin oder her unmenschlich genannt werden. Dies kann aber mehr oder minder erst in dem Maße vom (welt-)gesellschaftlichen Mainstream so gesehen werden, wie sich eine ALS SOLCHE tatsächlich handlungsfähige Menschheit herausbildet, deren Elemente bzw. Subjekte (Individuen, deren Zusammenschlüsse, institutionen, meinetwegen auch deren Ideen und philsophiosche Grundsätze) sich aufgrund entsprechender Vergesellschaftungsstrukturen nicht länger gleichgültig sein können.
Es ging mir also allgemein um die Problematisierung bornierter Rechtfertigungsbeziehungen in diese (welt-)kommunistische Perspektive. In Bezug auf die ‚Subjektwissenschaft‘ bin ich ein engagierter Freund qualitativer Sozialforschung, meine allerdings, dass dies nicht überideologisiert (ohne Ironie) werden sollte und standardisiert quantitative Methoden ebenso wie die Aufdeckung und Reflexion von Widersprüchen und deren mögliche Verflaufsformen in den gesellschaftlichen Strukturen nach wie vor notwendig sind. Sie können einander prima ergänzen.
Gruß hhh
Oktober 5, 2012 at 9:03 am
„Problematisierung bornierter Rechtfertigungsbeziehungen in diese (welt-)kommunistische Perspektive“
Ja, genau damit beschäftigt sich auch die KrPs – letztlich mit der analytischen Bezeichnung „restriktiv“. Dadurch wird immer das Verallgemeinerte vorausgesetzt und muss nicht irgendwie künstlich hinzugefügt werden.
Das Problem mit der Ergänzung mit anderen Methoden besteht darin, dass viele andere Untersuchungen die Subjektivität der Beteiligten von vornherein verunmöglichen (d.h. über die Bedingungen selbst verfügen zu können und nicht unter vorgegebenen Bedingungen nur auf Reize reagieren zu dürfen). Aus diesen beschnittenen Daten ist dann das Wesentliche nicht mehr rauszuholen, sondern nur noch Unwesentliches. Man kriegt raus, was Menschen machen, wenn sie grad nicht als Subjekte agieren… und dann bestätigen sich immer wieder Menschenbilder, die den Menschen das Wesentliche absprechen. Untersuchungen, die die Möglichkeit, über die Bedingungen zu verfügen, mit abbilden, müssen sich methodisch zeimlich grundsätzlich von den die Bedingung vorgegbenden unterscheiden.
Das fruchtbare In-Bezug-Setzen zu anderen Konzepten beruht in der KrPs auf der sog. „Reinterpretation“, das hat Ute Osterkamp schon in den 70er Jahren anhand der Freudschen Psychoanalyse gemacht. Sehr spannend, aber auch sehr kompliziert zu verstehen, weil man sich ja dann in beiden Konezpten mit ihren Methoden gut auskennen muss (wobei die KrPs damals noch nicht systematisch „grundgelegt“ war) und dann auch noch mitvollziehen muss, wie sie das denn nun macht mit dem Reinterpretieren.
Oktober 5, 2012 at 9:38 am
Das Allgemeine? Was soll das sein außer eine blutleere Abstraktion oder ein imaginisierter Naturzustand?
Mit geht es um Aneignungsprozesse d.h. darum, sich die eigenen (globalisierten) Lebensbedingungen aneignen zu können, was nur als gemeinsame Aktion geht, als entsprechend bewusstes Miteinander – das aber erst hergestellt werden muss, ebenso wie das entsprechende Selbst der Hersteller. Dass Weiterverarbeiter/innen oder Träger/innen von Baumwollprodukten für die Umstände oder auch die Mengen der Herstellung von Baumwolle als Mitmenschen gerade stehen wollen, können oder müssen kann eben NICHT vorausgesetzt werden, ein solches Allgemeininteresse herzustellen wäre gewiss eine Kunst.
Wenn du mich fragst: So wird aber der emanzipatorische Ansatz der qualitativen Sozialforschung (ein wirklicher Gewinn!) zum allein seelig machenden Dogma erklärt und zur Referenz einer Feindbildpflege, die die Möglichichkeiten von Sozialwissenschaft entweder überidealisiert oder gleich ganz wegdenkt, weil sie ja nicht die Wahrheit an und für sich herausfinden können.
Oktober 5, 2012 at 1:47 pm
„Dass Weiterverarbeiter/innen oder Träger/innen von Baumwollprodukten für die Umstände oder auch die Mengen der Herstellung von Baumwolle als Mitmenschen gerade stehen wollen, können oder müssen kann eben NICHT vorausgesetzt werden, ein solches Allgemeininteresse herzustellen wäre gewiss eine Kunst. “
Das Entstehen dieses Allgemeininteressen denk- und für Individuen erreichbar zu machen ist nach meinem Verständnis von KriPsy ganz genau der Plan.
Dazu braucht sie ein Menschenbil, dass Menschen in Verbindung mit gesellschaft denken kann, was gegenüber der Mainstream-Psychologie tatsächlich ein Fortschritt ist.
Wie sich je ich die Gesellschaft subjektiv aneignett, kann man dann über die Herausarbeitung der Bedingungen-Bedeutungen-Prämissen-Gründe klären:
Bedingungen: objektive Bedingungen, also in deinem Beispiel die Produktionsbedingungen der Baumwollproduktion.
Bedeutungen: gesellschaftlich mögliche Möglichkeiten, diese Bedingungen zu verstehen. Also zum Beispiel das Verständnis von Baumwollarbeiter_innen, die keinen Einfluss auf die Bedingungen haben; der Gewerkschaften als Möglichkeit, die Interessen der Arbeiter_innen zu verstehen usw.
Prämissen: Die Bedeutungen, die je ich für mich übernehme, also mein Verständnis der Bedingungen
Gründe: Die Gründe für mein Handeln, die ich aus meinen Prämissen ableite, also der hier schon viel erwähnte Begründungsdiskurs.
Oktober 5, 2012 at 9:42 pm
Die Behauptung (an anderer Stelle) dass die Kritische Psychologie im Gegensatz zum „klassischen Marxismus“ sein Augenmerk auf Begründungszusammenhänge der Individuen richten würde, irritiert mich wohl deshalb so sehr, weil es in meinem Verständnis der marxschen Perspektive kaum etwas von größerer Selbstverständlichkeit gibt. Die Welt zu verändern heißt die Begründungszusammenhänge zu verändern innerhalb der sich die Individien (und deren Institutionen) zu behaupten haben.Was sonst?
Zur Frage der Herstellung einer sozial bzw. ökologisch nachhaltigen Baumwollproduktion als ein Common.
Gut, und ich denke doch mal, dass sie nach wie vor in Betracht zieht, dass das Denkbarmachen in hinreichendem, d.h. gesellschaftsveränderndem Ausmaß nur aus einer gesellschaftlichen Praxis hervorgehen kann die sich in Richtung Möglichmachen bewegt.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Urteil über die Mainstreampsychologie so ganz gerecht ist, also dass es da keine Abstufungen gibt in der Einbeziehung der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Jedenfalls ist m.E. nicht so sehr ein bestimmtes Menschenbild notwendig sondern (neben einer gewissen Vorstellung von Menschlichkeit und warum die so wichtig ist) ein Interesse für die konketen Existenzbedingungen der Individuen (und deren Institutionen) und deren Präsenz im individuellen Denken und Empfinden.
Produktiv über die Herstellung einer sozial bzw. ökologisch nachhaltigen Baumwollproduktion als ein (worldwide) Common nachzudenken, heißt, nach Umständen zu forschen, die einem solchen Herstellungsprozess förderlich sein oder als Hemmnis wirken (könnten). Und das betrifft vor allem die jeweiligen Existenz- bzw. Entwicklungsbedingungen und die darin eingebetteten Bedürfnisse und Rechtfertigungsmuster bzw. -referenzen.
Das betrifft die Plantagenbesitzer, Pflücker, die Investoren, alle, deren Existenz- und Bereicherungsmittel an der Weiteraverarbeitung hängen, nicht zuletzt die Mitarbeiter, aber auch das Management und die Aktionäre der Chemiebuden, die die riesigen Mengen an Agrogiften und Düngemittel herstellen, die die Baumwollproduktion verschlingen. Dann diejenigen, die unter den Rückständen der Agrargifte dem Entzug oder der Verschmutzung der Wasserressourcen zu leiden haben.
Wer noch? Örtliche Behörden, Akteure der nationalen Gesetzgebung in den Anbau- und Einfuhrländern oder den Ländern, in denen die Chemiegifte und Düngemittel produziert werden, und was noch an deren Hauptrohstoff hängt (Erdöl) und die , wie im Falle der USA .Hinzu kommen Vertreter von Medien, Aktionsgrupen und NGO´s, die es mit nachhaltger Entwicklung haben oder auch nicht. Hinzu kommen die, die auf internationale Abkommen aller Art. und wie sie umgesetztwerden Einfluss nehmen, die wiederum die Art der Baumwollproduktion beeinflussen.
Wen vergessen? Naja, die an günstigen Klamotten interssierten Einkaufsbummler gehören ja auch noch dazu – aber auch öffentliche Beschaffer.
Was kann die Kritische Psychologie da ausrichten? Wie dazu beitragen, dass all diese „apriori miteinander verbundenen“ Individuen ganz und gar selbstbestimmt Wege finden (wollen), dass bei der Baumwollproduktion und Weiterverarbeitung nur noch Methoden angewandt werden, die eine sozial bzw. ökologisch nachhaltige Textilproduktuuion/-Nutzung ermöglichen (Was womöglich heißt, dass nur noch die Hälfte der bisherigen Mengen produziert werden können und dass die Textilien entsprechend teurer werden)
Gruß hhh
Oktober 6, 2012 at 7:18 pm
„Gut, und ich denke doch mal, dass sie nach wie vor in Betracht zieht, dass das Denkbarmachen in hinreichendem, d.h. gesellschaftsveränderndem Ausmaß nur aus einer gesellschaftlichen Praxis hervorgehen kann die sich in Richtung Möglichmachen bewegt. “
Meiner Meinung nach ist das einer der ganz großen Probleme. Wenn Morus Markard z.B. auf einem Podium der Ferienuni zu Psychologie und Kommunismus sagt, dass Kritische Psychologie Wissenschaft und Psychologie, und explizit nicht Bewegung ist, sehe ich das nicht mehr.
Ein oft geäußerter Vorwurf gegen KriPsy ist, dass das alles irgendwie zu rational und verkopft ist. Es geht, glaube ich, wirklich darum, dass Denkbarmachen erst im Kopf zu vollziehen. Das machen danach ist dann nicht mehr Psychologie und Wissenschaft.
Bei den frühen Versuchen, ein Kritisch-Psychologische Therapiekonzept zu entwerfen, ging es darum, Psychisches Leiden aus gesellschaftlichen Verhältnissen zu erklären, wodurch dann das Verstehen dieser Verbindung dazu führen sollte, sie zu verändern und dadurch das Leiden verschwinden zu lassen.
Es ist aber irgendwie schon schwierig, Menschen mit psychischen Problemen „an die Front“ zu schicken, vor allem, wenn durch zu erwartender Repression erstmal neues Leid produziert werden kann. Mit der Verantwortung des Therapeuten kriegt man da ganz schöne Probleme. Ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Versuche, diese Therapiekonzeption auszuarbeiten, eingestellt wurden. Holzkamp hat sich um machen immer ziemlich herumgedrückt, war halt eher der Denker;)
Oktober 6, 2012 at 7:24 pm
„Ich bin mir nicht sicher, ob das Urteil über die Mainstreampsychologie so ganz gerecht ist, also dass es da keine Abstufungen gibt in der Einbeziehung der gesellschaftlichen Zusammenhänge.“
Es würde helfen, wenn du dich entweder mit der sehr ausführlichen Kritik auseinandersetzt oder Beispiele für psychologische Ansätze bringst, die gesellschaftliche Zusammenhänge einbeziehen.
Oktober 6, 2012 at 8:11 pm
Werde versuchen, mir die Zeit zu nehmen herauszufinden, inwieweit sich meine leisen Zweifel bestätigen oder nicht sind. .
Was mir spontan einfällt ist Umweltpsychologie analog zur Umweltnedizin. Aber das ist wohl auch kein Mainstream.
http://de.wikipedia.org/wiki/Umweltpsychologie
Oktober 5, 2012 at 12:39 pm
@HHH: „Das Allgemeine? Was soll das sein außer …“
Wenn Du das wirklich als interessierte Frage meinst, wird Dir nichts anderes übrig bleiben, als Dich wirklich mal richtig reinzuknieen in die Grundbegriffe der Kritischen Psychologie. Da wird das durchaus erläutert, aber es braucht eben mehr als ein paar kurze definitorische Hinweise oder Erläuterungen, wie ich sie hier in den Blogs geben kann.
Verkürzt hatte ich z.B. mal an einer Stelle (http://www.thur.de/philo/kp/freiheit.htm#_Toc509932286) mit dieser Begrifflichkeit gearbeitet:
„Einerseits kann diese Handlungsfähigkeit prinzipiell auf die gemeinsame Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten überhaupt gerichtet sein (Holzkamp 1985, S. 2). Andererseits ist ein Mensch auch unter Negierung (Verneinung) dieser überschreitenden Möglichkeit handlungsfähig (ebd., S. 385). Die erste Form der Handlungsfähigkeit wird „verallgemeinerter Handlungsfähigkeit“ genannt, die zweite „restriktive Handlungsfähigkeit“. “
Aber das Thema „Handlungsfähigkeit“ in Kritisch-Psychologischer Bedeutung erfordert mehr Vertiefung, wie sie z.B. in vielen Debatten im „Forum Kritische Psychologie“ nachlesbar ist…
Oktober 5, 2012 at 12:40 pm
@HHH: „So wird aber der emanzipatorische Ansatz der qualitativen Sozialforschung (ein wirklicher Gewinn!) zum allein seelig machenden Dogma erklärt “
Die Forschungsmethode der Kritischen Psychologie ist noch nicht mal identisch zu setzen mit der „qualitativen Sozialforschung“. Und es geht nicht um ein DOGMA, sondern es gibt BEGRÜNDUNGEN für eine Kritik bestimmter anderer Methoden und auf diese Begründungen kann man kritisch oder wie auch immer eingehen, aber dann bitte konkret.
Bei der Ferienuni hatte ich einen Beitrag mit einer konkret begründeten Kritik einer anderen Untersuchung erlebt, wer es nachlesen will: Katrin Reimer hat dazu gearbeitet (ich berichtete bereits über das Thema „Kapitalismuskritische Einstellungen…“: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2012/09/21/kapitalismuskritische-einstellungen-in-der-brd/).
Mehr dazu nachlesen kann man in ihrer Dissertation, insb. im Kapitel 1. (http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000010403/Reimer_Dissertation__UB_digital-1.pdf?hosts=)
Eine Reinterpretation von quantitativ-statistischen Studien zu „rechter“ Einstellung gibt es in Kap.5.