Menschliche Verhältnisse begreifen – Teil I:
Allgemeines, Besonderes und Einzelnes in der Hegelschen Urteilslogik
I 1. Menschen als Einzelne, Besondere und Allgemeine
Menschlich zu leben bedeutet nicht nur biologisch zu funktionieren. Menschliche Individuen reproduzieren sich innerhalb gesellschaftlicher Infrastrukturen und jedes einzelne Individuum trägt kulturell einen großen Teil der Menschheit in sich. Man kann auf ein Individuum zeigen, man kann sehen, dass er mit anderen interagiert… die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ganzes kann man weniger deutlich sehen. Kein Mensch kann jedoch sein Leben außerhalb der gesellschaftlichen Arbeits- und Kooperationsbeziehungen fristen, seine menschlichen Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus seiner Teilhabe an den gesellschaftlichen Zusammenhängen.
Wenn wir die Strukturen zwischen den Individuen, den durch sie gebildeten Gruppen und ihrer Gesamtheit betrachten wollen, werden wir Kategorien wie „Einzelne“ (Individuen), „Besondere“ (Verhaltensweisen) und „Alle“ (Menschen) verwenden. Vor allem wenn uns die Beziehung der einzelnen Individuen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, d.h. den die Rahmenbedingungen bestimmenden Strukturen, interessiert, spielt es eine große Rolle, WIE wir denken. Welche Denkmittel stehen uns zur Verfügung, um das Verhältnis von Einzelnen (Individuen) zur Gesellschaft (dem Allgemeinen) und umgekehrt zu denken?
Dualistischer Verstand
Wikipedia bietet uns bei der Fragestellung nur eine sehr dürftige Konstruktion für das Denken des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinem an. Das Einzelne wird nicht definiert und das Allgemeine wird bestimmt als „Eigenschaften… die allen Elementen einer Menge von Einzelfällen in nicht zufälliger Weise, d.h. aufgrund von Gesetz- oder Regelmäßigkeiten zu eigen sind“. Dann gibt es für die gegenseitige Beziehung von Einzelnem und Allgemeinem nur zwei Möglichkeiten: Entweder bestimmt das Allgemeine das Individuelle oder aus Einzelfällen wird das Allgemeine abstrahiert.
Dabei wird, weil das Ganze auch von vornherein in den Kontext einer Unterscheidung von „idealistisch“ und „empiristisch“ gestellt wird, implizit davon ausgegangen, dass das sinnlich-Empirische als Einzelnes existiert und das Allgemeine eine Abstraktion darstellt.
Die Beziehung zwischen Einzelnem und Allgemeinem lässt sich in einem Satz ausdrücken: „Diese Rose ist rot.“ Die einzelne Rose hat (mindestens) eine Eigenschaft, die sie Anteil haben lässt an etwas Allgemeinerem: rot zu sein. Formal ausgedrückt: „E=A“. Wir befinden wir uns damit im Bereich der Urteilslogik. „E=A“ ist logisch betrachtet ein Urteil, nicht nur eine Aussage (bei der Einzelnes mit Einzelnem zusammengebracht wird, z.B. “Ich, einzelne Person, sitze gerade mit Rückenschmerzen am Arbeitstisch…“, bin also in einer ganz bestimmten, besonderen Situation, bei der eine Zuordnung zum Allgemeinen grad nicht interessiert).
Über die Denkform des Urteilens stellte Immanuel Kant fest: „In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird.“ (KrV: 108f.). In einem Urteil wird der Gegenstand, der durch etwas Allgemeines näher gekennzeichnet werden soll, Subjekt genannt, das Allgemeinere, auf das er sich bezieht, ist das Prädikat und das Urteil heißt dann: „S ist P“. Das Subjekt ist die Sache, um die es geht, das Prädikat ihr Inhalt (Iber 2008). Zwischen beiden wird das Übereinstimmende, d.h. die Identität formuliert (durch die Kopula „ist“). Wenn Menschen auf diese Weise denken, dann wenden sie ihren Verstand an (Verstand = das Vermögen zu urteilen, KrV: 109).
Immanuel Kant unterschied verschiedene Urteilsformen. Es gibt demnach eine Einteilung der Urteile nach Quantität (Anzahl, Menge…) nach Qualität (Beschaffenheit, Eigenschaften), nach Relation (Beziehung) und nach Modalität (Möglichkeit/Kontingenz ec.). Bei der Einteilung nach Quantität unterscheidet Kant einzelne, besondere und allgemeine Urteile (KrV: 110f.). Ein solches Urteil, also ein Satz, bei dem ein „unmittelbarer Gegenstand“ (die Rose) auf einen „Begriff, der für viele gilt“ (z.B. rot zu sein) bezogen wird, bezieht sich zwar auf tatsächliche, auch sinnlich vorhandene Gegenstände – aber indem wir denken, verbinden wir im Urteil natürlich nur das jeweils (vom Einzelnen und vom Allgemeinen) Gedachte aufeinander. Kant stellte alle ihm bekannten Grundformen solcher Gedankenverbindungen zusammen, dabei abstrahierte er „von allem Inhalte eines Urteils“ (ebd.: 110). Es entstand ein ziemlich schematisches Gebilde (das man inzwischen auch nachbilden kann 😉 ):
Urteilsformen (dtv-Altas zur Philosophie, S. 138)
In der gegenwärtigen Philosophie und leider auch in dem, was aus dem Mainstream ins Allgemeinwissen (Wikipedia!) dringt, wird für das philosophische Denken und auch die Logik meist vorausgesetzt, dass die Welt aus einer Menge von Erscheinungen besteht und man ihre Komplexität am besten verstehen kann, wenn man sie so weit wie möglich auf einfachere Elemente reduziert (auch die Komplexitätstheorie begeistert sich vor allem für die Rückführbarkeit sehr komplexer Erscheinungen auf nur wenige einfache Regeln). Viele der großartigen Weiterentwicklungen der Logik beruhen konzeptionell auf der analytischen Traditionslinie, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgreich gegen ihre dialektische (als „metaphysisch“ diffamierte) Konkurrenzlinie durchsetzen konnte (vgl. Horstmann 1984). An der Begründung der analytischen Philosophie (als Abwendung von der dialektischen) war insbesondere Bertrand Russell beteiligt, der von der Hegelschen Philosophie herkam, aber diese wohl nur in beschränkter Weise aufnehmen konnte (Russell 1992). Ein Hintergrund für das Unverständnis der Hegelschen Philosophie war für ihn die Tatsache, dass er sich die Welt nur vorstellen konnte als „unordentliches Durcheinander von Flickwerk und Löchern“ (Russell 2001: 72). Wenn es so ist, dann ist alles das, was ich im Folgenden aus der Hegelschen Logik vorstellen möchte, ziemlich sinnlos und wir kommen über die Verstandesansicht, wie sie auch bei Wikipedia vertreten wird, nicht hinaus.
I 2. Mit Hegels Urteilslogik den Verstand zur Vernunft bringen
Wir finden auch bei Hegel die Urteilsform „E = A“. Bei ihm wird diese Urteilsform „positives Urteil des Daseins“ oder auch positives, qualitatives Urteil genannt. Hegels Urteilsformen können auch recht schematisch dargestellt werden:
Qualitatives Urteil, Urteil des Daseins
„Die Rose ist rot“ (E=A) ist ein positives, qualitatives Urteil. Die Rose ist ein unmittelbares Einzelnes, die Farbe rot dagegen stellt etwas Allgemeines dar. Bei der Rose wird von allem anderen abstrahiert, außer von ihrem Rotsein, beim Roten wird von allem anderen abstrahiert, außer der Beziehung auf diese Rose. Das Einzelne und das Allgemeine werden hier also nur in abstrakter Weise gedacht.
- Im positiven, qualitativen Urteil werden abstrakt Einzelnes und abstrakt Allgemeines verbunden.
Wir wissen jedoch, dass die Rose noch weitere Eigenschaften hat, außer rot zu sein und die Färbung rot kommt auch anderen Gegenständen zu außer dieser einen Rose. „Subjekt und Prädikat im unmittelbaren Urteil berühren so einander gleichsam nur an einem Punkt, aber sie decken einander nicht.“ (HW 8: 324, § 173 Z)
Da es auch anders gefärbte Rosen gibt, ist mit der Zuschreibung der Eigenschaft, rot zu sein, nicht das Wesen der Rose erfasst.
Das positive Urteil geht also folgerichtig in das negative Urteil über: „Diese Rose ist nicht gelb“ und da sich das bis ins Unendliche fortsetzen lässt („sie ist auch nicht blau und nicht grün und nicht….“), ins unendliche Urteil. Damit haben wir uns, indem wir einfach weiter über die Rose und ihre Prädikate nachgedacht haben, durch die Unterformen des qualitativen Urteils hindurchbewegt.
Wir haben nicht einfach nur verschiedene Denkformen in Schubladen zusammengefasst, sondern wir haben über den anfänglichen Inhalt weiter nachgedacht (Was bedeutet „E=A“? ⇒ es bedeutet auch „E=nicht anderes A“ ⇒ und es bedeutet: „E= nicht dieses, nicht jenes und auch nicht ein solches „A“). Dieser Fortgang des Nachdenkens führt zu immer neuen Beziehungen, die gedacht werden können und damit immer neuen Denkformen. Diese folgen einander in einer inhaltlich begründeten Weise, sie sind keine „tote[n], unwirksame[n] Behälter von Vorstellungen und Gedanken“, sondern sie sind „der lebendige Inhalt des Wirklichen“ (HW 8: 310, § 162). Es ist ja tatsächlich so, dass diese Rose rot ist (positives Urteil), dass sie nicht gelb ist (negatives Urteil) und dass sie auch nicht blau oder violett oder… ist (unendliches Urteil). Das Urteil(en) ist nicht nur ein äußerliches Tun (durch unsere Erkenntnisleistung), sondern „eine Bestimmung des Gegenstands selbst“ (HW 8: 316, § 166).
…„alle Dinge sind ein Urteil,– d. h. sie sind Einzelne, welche eine Allgemeinheit oder innere Natur in sich sind“ (HW 8: 318, § 167)
Das zuerst genannte Urteil hat von vielem abstrahiert, was wir später mit einbeziehen in unsere Überlegungen. Es ist nicht falsch, dass die Rose rot ist, aber sie ist nicht nur rot, sondern sie ist auch nicht blau und nicht violett usw. Mit jeder Urteilsform haben wir mehr über die Rose erfahren, unsere Erkenntnis vertiefte sich (bisher in Bezug auf qualitative Eigenschaften der Färbung). Wir haben also Subjekt und Prädikat immer mehr in Übereinstimmung gebracht und dies wird auch den weiteren Weg der Überlegungen bestimmen: Durch das Weiterdenken des Inhalts, durch das Einbeziehen jeweils vorher nicht berücksichtigter Zusammenhänge wird erreicht, „Subjekt und Prädikat, Einzelnes und Allgemeines bzw. Allgemeines und Einzelnes, in immer größere Entsprechung zu bringen“ (Hösle 1998: 236).
Reflexionsurteil
Bisher haben wir Urteile mit Prädikaten gehabt, die lediglich beliebige Eigenschaften („rot sein“) beschrieben. Wir betrachteten diese Rose ohne jede Beziehung zu anderem, in ihrer direkten Unmittelbarkeit. Anders sieht das aus, wenn wir sagen: „Diese Rose ist dornig“, denn nun bezieht sich die betrachtete Eigenschaften auf etwas anderes, die Freßfeinde etwa. Die Prädikate in Reflexionsurteilen sind nicht mehr beliebige Eigenschaften, sondern jene, die „wesentliche allgemeine Gesichtspunkte bezeichnen, die eine Sache ins Verhältnis zu anderem setzen“ (Iber 2008).
Wir wissen, dass auch andere Pflanzen dornig sind. Wir können nun unser Urteil erweitern in die Form: „Einige Pflanzen sind dornig“.
Dabei wurde aus dem vorher singulären Urteil (über ein einzelnes Subjekt) ein partikuläres Urteil (über eine besondere Menge von Einzelnen, vgl. HW 6: 329). Bezogen auf eine übergreifende Gesamtheit bilden die dornigen Pflanzen eine besondere Gruppe. Aber innerhalb dieser Gruppe sind alle ihre Mitglieder sind dornig – dies ist ein universelles Urteil.
Die dornigen Pflanzen teilen etwas Gemeinschaftliches. Die dabei erreichte Form der Allgemeinheit wird auch Allheit genannt.
- Im universellen Reflexionsurteil beziehen wir ein gemeinschaftlich-allgemeines Prädikat auf alle Subjekte, die ihm unterliegen.
Diese Form des Allgemeinen ist jene, auf die sich der Wikipedia-Artikel bezieht und die wir uns meistens vorstellen, wenn wir das „Allgemeine“ zu denken versuchen.
„Alle sind alle Einzelnen; das Einzelne ist unverändert darin. Diese Allgemeinheit ist daher nur ein Zusammenfassen der für sich bestehenden Einzelnen; sie ist eine Gemeinschaftlichkeit, welche ihnen nur in der Vergleichung zukommt.“ (HW 6: 331)
Bestimmte Prädikate, nämlich jene, die einer Gesamtheit von Subjekten zukommen, verweisen für jedes besondere Exemplar dieser Gesamtheit auf das Gemeinschaftlich-Allgemeine. Die Allgemeinheit „reflektiert“ sich für das Besondere von der Gesamtheit her. „Die Allheit ist Reflexionsallgemeinheit, weil sie auf die besonderen bezogene, reflectierte ist.“ (Erdmann 1864: 116, § 146 Anm 3). Wenn wir „alle Menschen“ sagen, so sprechen wir damit nicht nur von der Gesamtheit der Menschen, sondern wir sprechen dem Einzelnen zu, Anteil an der Allgemeinheit zu haben. Das Einzelne ist nicht mehr nur unmittelbar vorhanden (wie im Urteil des Daseins/des qualitativen Urteils), sondern es erweist sich als vermittelt (reflektiert) durch das Allgemeine . Die Bestimmung des Einzelnen durch das Allgemeine nimmt hier die Form der Subsumtion an, d.h. das Prädikat ist „als das ansichseiende Allgemeine gegen sein Subjekt bestimmt… eine Bestimmung, nach welcher das Subjekt nur eine wesentliche Erscheinung ist“ (HW 6: 334). Dieser komplizierte Satz drückt alle Vorwürfe aus, die dem Allgemeinen gegenüber dem Singulären immer wieder entgegen gehalten werden. In der Form des Reflexionsurteils bestimmt sich das Einzelne durch das Allgemeine. Die Vorstellung sieht hier das Allgemeine über dem Einzelnen herrschen. Wir werden sehen, dass diese Denkform des Allgemeinen nicht das letzte Wort bei Hegel sein wird. Denn es geht weiter:
Welche bisher noch nicht betrachtete Information steckt in dem Satz: „Alle Rosen haben Dornen“? Er besagt, dass das Dornen-Haben zum Rose-sein dazu gehört. Dornen zu haben gehört zur „Natur“ der Rose, zu ihrem Wesen. Reflexionsallgemeine Prädikate „drücken eine Wesentlichkeit aus“ (HW 6: 326).
Urteil der Notwendigkeit
Wenden wir jetzt den Blick von der äußeren Erscheinung des Wesens zurück zum ursprünglichen Gegenstand, dem Subjekt, so sehen wir nicht mehr nur die äußere Erscheinung des Wesentlichen, sondern wir sehen, dass diese Äußerung aus der „inneren Natur“ des Gegenstands herrührt. Es geht nicht mehr nur darum, ob die Sache wesentlich für anderes ist, sondern es geht um ihr eigenes Wesen selbst (Iber 2008). Das, was das Prädikat ausdrückt, ist damit nicht mehr beliebig oder veränderbar, sondern notwendig. Subjekt und Prädikat beziehen sich nun notwendig, durch die „innere Natur“ bestimmt, aufeinander.
Im Urteil der Notwendigkeit erhält die Allgemeinheit eine erweiterte Bedeutung, die in der Allheit des Reflexionsurteils noch nicht enthalten ist: Die Allheit fast Gemeinsames zusammen, das Gemeinsame kommt allen Elementen der Gesamtheit zu: So haben alle Menschen Ohrläppchen. Das Ohrläppchen-Haben gehört aber nicht zur notwendigen innersten Natur des Menschseins, es bestimmt nicht das, was den Menschen zum Menschen macht. Was aber macht Menschen zu Menschen? Ihr Wesen ist die Freiheit (HW 12: 129), ihre besondere Natur ist ihre „Subjektivität, die sich als Mittel zur Vernünftigkeit verhält“ (HW 11: 532). Diese Urteile drücken ein notwendiges Verhältnis aus: „Die Rose ist eine Pflanze“; „Der Mensch ist vernünftig und frei“. Die Subjekte sind mit Notwendigkeit durch etwas bestimmt, was auch ihre „Substantialität“ genannt wird.
Ausgedrückt wird dieses Verhältnis zuerst durch das kategorische („kategorisch“ bedeutet auch: unbedingt gültig) Urteil. Es gibt bei der Rose einen Unterschied zwischen dem früher verwendeten Prädikat „rot sein“ und dem „Pflanze sein“.
Das erste kennzeichnete nur eine beliebige Eigenschaft, jetzt dagegen ist der ausgesagte Inhalt „die Totalität der in sich reflektierten Form“ (HW 6: 335).
Es gibt nun auch andere Pflanzen außer Rosen und vielleicht sind auch andere Lebensformen vernünftig und frei. In der Denkform des kategorischen Urteils kommt das Moment der Besonderheit noch nicht zu seinem Rechte (HW 8: 329, § 177 Z). Gemeint ist die Besonderheit des Subjekts. In der Allheit hatten wir das zusammengefasst, was allen Subjekten (Einzelnen) gemeinsam ist. Aber das, worin sie unterschiedlich sind (ihr Besonderes), war nicht in Betracht gezogen worden. Genau diese Abstraktion von der Besonderheit des Subjekts wird ja dem Allgemeinen üblicherweise vorgeworfen. Das, worin die Subjekte in ihrer Besonderheit allgemein bestimmt sind, ist zwar im kategorischen Urteil schon implizit enthalten, aber erst im hypothetischen Urteil wird diese notwendige Beziehung auch explizit geäußert: „Wenn A, dann B“. Gemeint sind hier wieder unmittelbare Erscheinungen, die nun allerdings nicht mehr zufällig und einander äußerlich verbunden sind, sondern nun ist das Sein des einen unmittelbar das Sein des Anderen „Wenn es regnet, ist es nass“. In der Denkform des hypothetischen Urteils werden notwendig miteinander verbundene Seiten als Momente ein und derselben Identität betrachtet (HW 6: 338). Das Besondere dieser Urteilsform (die ja nicht nur in unserem Denken darüber besteht, sondern in den Gegenständen selbst ist) ist, dass jede der Erscheinungen die „Einheit seiner selbst und des Anderen“ (ebd.) ist. „Es regnet“ ist der Regen und gleichzeitig die Nässe, „es ist nass“ beinhaltet den erzeugenden Regen und die entstehende Nässe.
Wie können wir nun ein solches Verhältnis der „Einheit seiner selbst und des Anderen“ denken? A ist nicht mehr nur mit A identsich. Es ist eine Gattung, die in Arten unterteilt ist. Dabei „vererbt“ die Gattung ihre inhaltlichen Bestimmungen an die Arten („generisch“) und sie ist selbst die Gesamtheit ihrer Arten. Es gilt: „A ist entweder B oder C“ -und gleichzeitig: „A ist sowohl B als auch C“- wir haben das disjunktive Urteil erreicht. Das Allgemeine wird durch die Gattung gebildet und diese besteht aus einer Gesamtheit besonderer Arten. Im disjunktiven Urteil bildet das Gattungsallgemeine das Subjekt und dieses ist durch die Kopula identisch gesetzt mit der Totalität der besonderen Arten („A=B“, vgl. HW 6: 339).
Für die Vorstellung eines Verhältnisses, bei der das Allgemeine als Einheit seiner selbst und seines Anderen, also seiner besonderen Formen/Arten, begriffen wird, hat Hans Heinz Holz die Spiegelmetapher aufgegriffen. Sie beschreibt das „Strukturmodell des dialektischen Verhältnisses“:
„Der Spiegel ist, was er ist, indem er ein spiegelndes Ding ist; und als solches ist er – er selbst. Aber er ist nur er selbst, indem er ein Bild des Anderen, des Bespiegelten, ist, und dieses Andere ist von ihm unterschieden, gerade insofern es sein eigenes Aussehen ist und er nur ist, was er ist, indem er so aussieht wie das Bespiegelte. Der Unterschied zwischen dem Spiegel und dem Bespiegelten liegt so im Spiegel selbst […]“ (Holz 1986: 79)
Ins Logische übersetzt:
Das konkret-Allgemeine ist, was es ist, indem es Besonderes ist und als solches ist es – es selbst. Aber es ist nur es selbst, indem es das Andere, das Besondere setzt, und dieses Andere ist von ihm unterschieden, gerade insofern es sein eigenes Aussehen ist und es nur ist, was es ist, indem es das Besondere darstellt. Der Unterschied zwischen dem konkret Allgemeinen und dem Besonderen liegt so im konkret-Allgemeinen selbst.
Es wurde schon oben erwähnt, dass es hier nicht nur darum geht, dass menschliche Wesen die Welt erkennen, sondern in der Welt selbst liegen solche Beziehungen, bei denen „jedes Glied alle anderen Glieder ausdrückt (oder in seiner Besonderheit und durch seine Besonderheit spiegelt“ (ebd.: 84). Nur wenn die Welt selbst ein solches „universelles Reflexionssystem“ (ebd.: 85) ist, ist die durch Hegel entwickelte dialektische Denkweise sinnvoll und einzig angemessen. Das ist natürlich etwas ganz anderes als das von Russell angenommene „Durcheinander von Flickwerk und Löchern“.
Dialektisches Weltverständnis geht also nicht von einem „atomistischen“ Weltbild aus, sondern sieht alles in bestimmten Zusammenhängen. Das bisher häufig verwendete Wort „Gattung“ für das konkret-Allgemeine kann auch vorgestellt werden als der „Gesamtzusammenhang“. Im nächsten Urteil (des Begriffs) sehen wir, dass es genau dies ist, was mit der Hegelschen Kategorie „Begriff“ gemeint ist.
Das Urteil des Begriffs
In einem Zusatz zum oben schon abgehandelten qualitativen Urteil macht Hegel deutlich, wodurch sich das nun erreichte Urteil des Begriffs von ersterem unterscheidet:
„Während bei diesem das Prädikat in irgendeiner abstrakten Qualität besteht, welche dem Subjekt zukommen oder auch nicht zukommen kann, so ist dagegen in dem Urteil des Begriffs das Prädikat gleichsam die Seele des Subjekts, durch welche dieses, als der Leib dieser Seele, durch und durch bestimmt ist.“ (HW 8: 324, § 172 Z)
Auf diese Weise erhält auch das Wort „Urteil“ jetzt eine Bedeutung, die unserem Verständnis des Urteilens gut entspricht. Es geht darum, ob der Gegenstand, das Subjekt, seinem Begriff entspricht. Die erste Form des Urteils des Begriffes ist das assertorische Urteil. In assertorischen Urteilen wird, so sagt es auch Wikipedia, behauptet, „dass der Prädikatsbegriff dem Subjektbegriff tatsächlich zukommt oder nicht zukommt“. Es geht um die Besonderheit in Form der Beschaffenheit eines konkreten Einzelnen. Wie etwas konkret beschaffen ist, geht über das im Urteil der Notwendigkeit Festgestellte hinaus. Das Urteil der Notwendigkeit sagt , dass ein Dach den Regen abschirmen, also dicht sein muss. Ob das konkrete Dach über mir seinem Begriff aber in seiner Beschaffenheit entspricht, ist da noch nicht enthalten.
Es kann seinem Begriff entsprechen oder auch nicht, das assertorische Urteil ist letztlich ein problematisches, d.h. es drückt eine Möglichkeit (von diesem oder jenem) aus.
Dabei ist es nicht beliebig, ob es so oder so beschaffen ist, nur eine Beschaffenheit entspricht dem Begriff. Der Gegenstand unterscheidet in sich letztlich seinen Begriff und seine Beschaffenheit, die dem Begriff entsprechen kann oder auch nicht (HW 6: 348).
„Alle Dinge sind eine Gattung (ihre Bestimmung und Zweck) in einer einzelnen Wirklichkeit von einer besonderen Beschaffenheit; und ihre Endlichkeit ist, daß das Besondere derselben dem Allgemeinen gemäß sein kann oder auch nicht.“ (HW 8: 331, § 179)
Letztlich geht es darum, dass der Gegenstand seinem Begriff entspricht – dies hängt von seiner Beschaffenheit ab. Die Aussage: „Die Sache, so und so beschaffen, entspricht ihrem Begriff“ ist das apodiktische Urteil, es drückt wieder eine Notwendigkeit aus. Das Subjekt im apodiktischen Urteil ist die Sache „in sich gebrochen in ihr Sollen und ihr Sein“ (ebd.: 350).
Dabei drückt der Begriff aus, wie die Sache sein soll. Wenn das Urteil lautet: „Das Haus, so und so beschaffen ist gut“, dann soll ein Haus so und so beschaffen sein.
- Das Urteil des Begriffs der Notwendigkeit setzt den Gegenstand ins Verhältnis zu seinem Begriff.
Auf diese Weise gelangen wir zum Begriff als Maßstab der Kritik der Beschaffenheit von Gegenständen.
Mit dem Urteil des Begriffs wird die verbindende Kopula „ist“ (zwischen Subjekt und Prädikat, zwischen Einzelnem und Allgemeinem) nicht mehr nur behauptet, sondern durch die Beschaffenheit (Besonderheit) sogar begründet. Damit wird die Teilung des Ur-Teils überwunden und der Begriff zeigt sich als höhere Einheit als vor diesem Durchgang. Das heißt, die entwickelten Momente des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen können in ihren konkreten Begründungszusammenhängen nachverfolgt werden. Dies geschieht in der auf die Urteilslogik folgenden Schlusslogik. Diese ist aber nicht mehr der Gegenstand dieser Zusammenfassung.
- Morgen gehts weiter mit einer Zusammenfassung zum Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen (mit Erkenntnissen aus der Urteilslogik)
Februar 22, 2013 at 8:09 pm
Gibt es so ein Verhältnis? Verhalten sich nicht gesellschaftlich strukturiert (d.h. innerhalb historischer Behauptungsbeziehungen) handelndene Individuen zueinander?
Februar 23, 2013 at 10:48 am
Wonach fragst Du, was soll es „geben“ oder „nicht geben“? Es „gibt“ eine Beziehung zwischen Menschen (die nicht unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen bestimmt sind) und es „gibt“ natürlich auch eine Beziehung zwischen mir als einzelnem Individuum und (den Strukturen) der Gesamtgesellschaft.
Wenn wir fragen, zwischen welchen Momenten es ein Verhältnis bzw. eine Beziehung „gibt“ sind wir logisch genau im Thema. Innerhalb der Urteils- und Schlusslogik von Hegel wird dann auch abgehandelt, warum welche Sichtweise jeweils gegenüber anderen möglichen Sichtweisen nicht ausreichend ist und wie weiter gedacht werden kann („weiter“ im Sinne von: mehr Vermittlungen in die Betrachtung hineinnehmen, die vorher nicht expliziert wurden).
Du kannst die beiden Formulierungen: „gesellschaftlich strukturierte Individuen verhalten sich zueinander“ und „Verhältnis von einzelnen Individuen zur allgemeinen Gesellschaft“ beide innerhalb der logischen Strukturen finden (genau für die Klärung solcher Fragen schreibe ich ja diese Texte) und dann selbst feststellen, worin die Erkenntnisleistung besteht und wo sie jeweils weiter geführt werden können.
Das ich die von mir gewählte Formulierung als eine Ausgangsfrage verwendet habe, liegt an dem Bezug auf die aus meiner Sicht völlig unzureichende Behandlung der Thematik „Allgemeines/Einzelnes“ bei Wikipedia. Aber der gesamte Text zeigt inhaltlich, dass die Antwort nicht einfach darin bestehen kann, eine Formulierung gegen eine andere auszutauschen, sondern das „System der Schlüsse“ jeweils zwischen Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem zu begreifen. (An dem Teil zur Schlusslogik arbeite ich gerade)
Februar 25, 2017 at 11:53 am
Warum gleichen sich Kants Kategorien und Hegels Kategorien von ihrer Struktur her. Weiter: Warum sind Kategorien nach beiden Philosophen überhaupt so strukturiert. Hat diese Struktur eine Metabedeutung.
Sieht man sich beide Strukturen nur an, so beruhen sie auf vierfache und dreifache Einteilungen.
Steht da eine Metakategorie dahinter oder liegt zugrunde?
Kant teilt die Kategorien, wie Hegel in vier primäre Gruppen, diese führen dann zu jeweils drei Kategorien. 4 x 3
Die Kategorien aus den Urteilen abgeleitet und daher müssen diese Strukturen daraus hervorgehen. Sie liegen dann doch zugrunde.
Diese vierfach und dreifach Strukturen erscheinen allerorten, z.B. im logischen Quadrat der Gegensätze, vier Urteilsformen, etc.
Alleine bei Kant und Hegel erscheinen diese Trinitäten und Quaternitäten als hergeleitet.
Eine könnte Dialektik heißen, die andere doppelte Dualität, o.ä. Das wären dann Metakategorien