Im zweiten Input dieses Tages wurden wichtige Begriffe und Denkkonzepte aus der Kritischen Psychologie vorgestellt, die bei den späteren praktischen Übungen zur Sozialen Selbstverständigung über das Thema „Lebensführung und Emanzipation“ benötigt wurden. | ![]() |
Ein wichtiger Begriff ist z.B. die Handlungsfähigkeit. Dies bezeichnet im Kritisch Psychologischen Kontext nicht einfach nur die Wortzusammensetzung der Fähigkeit, zu handeln, sondern ist als Begriff bestimmt: Es geht dabei um die „Möglichkeit des Menschen, über die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess seine eigene Existenz zu reproduzieren“ (Klaus Holzkamp). Allen Menschen in allen Gesellschaftsformen und unter allen Lebensumständen kommt diese Handlungsfähigkeit zu, denn das Leben und die Reproduktion jedes menschlichen Individuums beruht auf seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess, in welcher beschränkten Form auch immer. Dass Menschen ihre eigenen Lebensbedingungen herstellen – in welchen historischen Formen auch immer – unterscheidet sie von Tieren.
Die eben mit genannte Einschränkung verweist schon auf die Praxis: Die Art und Weise der Teilhabe an der Gesellschaft, speziell der kapitalistischen, ist nicht für alle Individuen gleich. Aber jedes Individuum kann sich innerhalb der für ihn wirksamen Beschränkung in zwei Richtungen bewegen: Es kann (und muss, siehe die erste Brechtsche Klugheit) sich innerhalb der Beschränkungen aufhalten und sein Leben führen, es kann aber auch (entsprechend der zweiten Brechtschen Klugheit) über diese Beschränkungen hinaus streben. Begrifflich wird die erste Richtung als „restriktive Handlungsmöglichkeit“ und die zweite als „verallgemeinerte Handlungsmöglichkeit“ bezeichnet. Diese Begriffe sind nicht für eine moralisierende Bewertung von Verhaltensweisen oder gar Menschen gedacht. Jeder Mensch hat gute Gründe, sich so oder so und manchmal auch anders zu verhalten. Ein Urteil „von außen“ steht niemandem zu, meint die Kritische Psychologie, für die der Subjektstandpunkt maßgeblich ist. Individuen werden dabei nicht als Objekte des Beurteilens und Einwirkens durch andere behandelt, sondern sie werden als Subjekte, die selbst der Ursprung der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse sind, betrachtet. Die Begriffe und konzeptuellen Überlegungen der Kritischen Psychologie dienen also nie der Beurteilung oder Behandlung anderer Menschen „von außen“, sondern können nur jeweils mir als Individuum helfen, meine Situation und meine Befindlichkeit besser zu verstehen und gegebenenfalls Alternativen zu entwickeln.
Alternativen sind vor allem dann sinnvoll bzw. sogar notwendig, wenn ich erkenne, dass mein Verhalten angesichts der Notwendigkeit der Klugheit erster Art (im restriktiven Modus) mir selbst letztlich schadet. Bringt mich die Konzentration auf eine Karriere in meiner Selbstentfaltung wirklich voran? Was nützt es unserem politischen Ziel, wenn ich andere Beteiligte instrumentalisiere? Ich werde nicht sofort durch bessere Selbsterkenntnis den restriktiven Modus verlassen können, denn ich muss immer noch zu Abend essen… Aber ich kann vielleicht einiges verändern in meinem Leben und vor allem: Ich kann mich mit anderen zusammen tun, um Schritte in eine bessere Welt einzuleiten.
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