Manche Bücher, die ich verschenke, lese ich vorher selbst. Dazu gehört auch die Einführung in das Thema Polyamory von Thomas Schroeter und Christina Vetter bim Schmetterlingsverlag.
Sie beziehen sich in diesem Buch auch auf die Formulierung der „vielfältigen Lebensweisen“ nach Jutta Hoffmann. Die Praxis und Konzeption der vielfältigen Lebensweisen lehnt die bisher vorherrschende „Dreieinigkeit von Liebe, Sexualität und Lebensform (Ehe)“ ab.
Die Entstehung und Festigung dieser Dreieinigkeit hing im derzeit dominanten Kulturraum eng mit der Festigung von ökonomischem Privateigentum zusammen. Nach einer langen Vorgeschichte, bei der sich in verschiedenen Regionen häufig unterschiedliche Praxen entwickelten, wurde schließlich die Kleinfamilie zur „zentrale[n] Lebensform der Industriegesellschaft und Reproduktionsagentur des fordistischen Produktionsregimes“. Allerdings gilt:
„Gesellschaften, in denen es die Norm ist, dass eine Frau mit einem Mann eine langfristige Beziehung auf der Basis von leidenschaftlicher Liebe eingeht, sind in der Geschichte der Menschheit eine Ausnahme gewesen.“
Ich selbst lebe in einer kulturellen Umwelt, in der die Dreieinigkeit von Liebe, Sexualität und Ehe als „normal“ gilt. Vor ein paar Tagen sah ich eine Reportage über Menschen, die polyamorös leben. Auch diese Sendung war so ausgerichtet, dass diese Lebensweise dargestellt wurde als „Abweichung von der Norm, die dem normalen Durchschnittsmenschen erklärt werden muss, damit er sich anschließend als tolerant inszenieren und als verständnisvoll profilieren kann“.
Dabei könnte das Bekanntwerden anderer Lebensformen auch als Türöffner für ein völlig neues Verständnis von Liebe und Zusammenleben ermöglichen. Die Liebe, das beginnt sich inzwischen auch herumzusprechen, kann verschiedene Formen annehmen. Die Autor*innen berichten von verschiedenen Formen der Liebe, die der Autor John Alan Lee in seinem Buch „Colors of Love“ genannt hat:
- Eros: Suche nach einem perfekten Geliebten
- Ludus: spielerisch
- Storge: liebevoller, partnerschaftlicher Umgang, wie zwischen Brüdern und Schwestern oder Freunden aus Kinderzeit
- Manie: zwanghafte, eifersüchtige, irrationale Liebe
- Agape: sanfte, uneigennützige, pflichterfüllte Liebe; geschenkte Liebe ohne Hintergedanken und ohne (verknüpfte) Bedingungen
- Pragma: betont Übereinstimmung und gesunden Menschenverstand, z.B. bei „arrangierten Hochzeiten“
All dies ist Liebe, nicht nur die eine oder andere Form, die kulturell dominant propagiert wird.
Insbesondere ist auch die Einschränkung des alltäglichen Lebensvollzugs, der Liebe und der Sexualität auf nur zwei Personen, normalerweise unterschiedlichen Geschlechts, ebenfalls nicht biologisch-natürlich erzwungen, sondern kulturell entstanden.
Aus diesem Korsett sind viele Beziehungen zwischen Menschen inzwischen längst entkommen und diese Praxis wird unter anderem „Polyamory“(oder auch Polyamorie) genannt. Schroeter und Vetter zitieren eine Definition von „Polyamory“ durch Christian Klesse:
„Polyamory ist ein Beziehungskonzept, das es ermöglicht, sexuelle und/oder Liebesbeziehungen mit mehreren Partner_Innen gleichzeitig einzugehen. Voraussetzung ist, dass alle Beteiligten um den nicht-monogamen Charakter der Beziehungen wissen und diesen befürworten.“
Dieser Begriff setzte sich wohl vor allem auch durch offene Diskussionen im Internet durch, nachdem es vorher schon andere Bezeichnungsweisen wie das sperrige „Verantwortliche Nicht-Monogamie“ gegeben hatte. Schroeter und Vetter nennen Polyamory eine neue Identitätskategorie. Das Queer-Konzept scheint dagegen weiter zu gehen:
„Queer kritisiert alle Identitätskategorien. Die Theorie hinterfragt die hinter diesen Kategorien versteckten Herrschaftsstrukturen und macht Normalisierungsprozesse sichtbar.“
Ein Mensch kann deshalb gar nicht „queer sein“, sondern jede Person kann „queeren“, d.h. Möglichkeitsformen darstellen und sich nicht festlegen (lassen).
„Queering ist ein Aufruf gegen den Entscheidungszwang einer Entweder-Oder-Gesellschaft. Queer ist Vielfalt, qeer ist „queering“. Queeriges Verhalten ist […] ausbrechen aus Schubladen und leben in vielfältigen Lebensweisen.“
Dabei steht Polyamory nicht bloß für eine Beliebigkeit in den Liebes-, bzw. sexuellen Verhältnissen. Es wird gefordert, dass Beziehungen bewusst gestaltet und ausgehandelt werden; Verantwortung spielt eine große Rolle. Prinzipien wie Konsens, Ehrlichkeit, gegenseitiger verantwortungsvoller Umgang, Integrität (Treue zu sich selbst) und Achtung vor individuellen Grenzen gehören dazu.
Dabei wird auch die übliche Konkurrenzlogik kritisiert sowie festgestellt, dass eine Aufrechnung von Leistungen in der Art einer Tauschlogik dabei völlig ausgeschlossen ist. Natürlich entsteht dabei das Problem der Eifersucht. In der entstandenen besitzorientierten Kultur scheint die Eifersucht notwendig zur Liebe dazuzugehören. Wer nicht eifersüchtig wird, wenn sich die Partnerin oder der Partner jemand anders zuwendet, scheint nicht genug zu lieben.
Bei einer Studienwoche in Berlin hörte ich den schlichten Satz:
„Liebe ist nicht knapp, d.h., sie wird nicht weniger, wenn man mehr gibt.“
Akteure der Polyamory argumentieren deshalb, dass Eifersucht eine „eine gesellschaftliche Programmierung ist, eine erlernte Reaktion, begründet in einer „Programmierung auf Mononormativität““. Im Durchleben von alternativen Praxen entstehen dagegen ganz neue Gefühle, die auch neue Begriffe prägen. So steht das „Frubblig-Sein“ dafür, sich an der Freude des oder der Anderen mitzufreuen, statt eifersüchtig zu sein.
Die Praxis und das Konzept der Polyamory beinhalten, so die Autor*innen Schroeter und Vetter, „einen subversiven Aspekt, der herkömmliche repressive Moralvorstellungen angreift“. Ein verantwortungsvoller Umgang miteinander, anstatt der Unterwerfung unter Normen, bricht mit den Konkurrenzerwartungen in unserer Gesellschaft.
Andreas Exner nennt mehrere Argumente, wie Polyamory gegen kapitalistische Grundstrukturen wirkt:
- Polyamorie kann nicht auf der Basis von Konkurrenz, Eigentumsdenken und Tauschlogik funktionieren.
- Polyamorie kann im Gegenteil wesentlich nur auf der Grundlage von Mitfreude und der Förderung der Entfaltung jedes Einzelnen gedeihen, auf der Basis von Konsens, Verbindlichkeit, Solidarität, Verantwortlichkeit.
- Polyamorie erlaubt keine Kompensation von Versagungserfahrungen der Warengesellschaft innerhalb der Formen dieser Gesellschaft, also durch privateigentümliche, ausschließende Beziehungen; stattdessen entstehen intime Netzwerke.
- Polyamorie impliziert die Enthegung von Gefühlen und verändert damit tendenziell die disziplinierte und konsumifizierte Gefühlskultur des Kapitalismus.
Heißt das nun, dass eine „politisch korrekte“ Lebensweise nur polyamorös sein kann? Stefan Meretz schließt einen Vortrag über den Zusammenhang von Mononormen und Kapitalismus mit dem Satz, der sich inhaltlich auch im Text von Andreas Exner findet:
„Ziel ist nicht die Errichtung neuer (Liebes-) Normen sondern die Entnormierung der sozialen Beziehungen.“
Letztlich wäre ja auch eine Polynorm eine Norm!
Andreas Exner benennt weitere Widersprüche, die sich in diesem Kontext ergeben:
- Anforderung nach („fortlaufender“) „Beziehungsverhandlung“ versus „Sich-Fallenlassen“
- Anforderung nach (beständiger) „rationaler Beziehungswahl“ versus „schrankenloser, tiefgehender Öffnung“
- Anspruch, eine „Offenheit“ von Beziehungsformen zu praktizieren, z.T. jedoch eine kulturelle Abgrenzung gegen „introvertierte, nicht verhandlungsfähige“ Haltungen oder gegen „oberflächlich promiskes“ Verhalten, oder gegen starke emotionale Verhaftungen
Er stellt auch die Frage, ob der Aufbruch aus der Mononorm nicht gerade der derzeitigen Formerneuerung des Kapitalismus entspricht:
„Sind die (naturalisierten) Anforderungen an ein „flexibles Liebessubjekt“ eher eine weitere Praxis der Generalisierung einer „Ökonomie der beständigen Wahl“ und projektförmiger „Kreativitätsgemeinschaften auf Zeit“?“
Ich bin in meinem Leben noch nicht in die Versuchung gekommen, mehr als meine schon langjährige Beziehung leben zu wollen. Die vermittelten Informationen zur Polyamory bestätigen mir jedoch meine bisherige Meinung, dass es nur dann sinnvoll ist, zusammen zu bleiben, wenn man sich aktuell stark verbunden fühlt und nicht, weil man mal eine Eheurkunde unterschrieben hat. Mehr Vielfalt wäre möglich, muss aber nicht. Überhaupt finde ich die beiden Begriffe „Vielfalt“ und „Verantwortung“ gute Leitorientierungen für zukunftsträchtige Beziehungen.
Literatur:
- Schroeter, Thomas; Vetter, Christina (2010): Polyamory. Eine Erinnerung. Stuttgart: Schmetterling-Verlag.
- Exner, Andreas: Von der Einhegung der Liebe zur Polyamory?
- Exner, Andreas; Meretz, Stefan (2014): Mononorm und Konstitution des Kapitalismus
In der neuen Nummer von „Gehirn und Geist“ (2/15) gibts grad einen Beitrag zur Polyamorie. (Der Verweis auf weitere Quellen führt leider immer nur auf Links, bei denen die Texte dann doch bezahlt werden müssen…)
Januar 9, 2015 at 9:15 am
Liebe Frau Schlemm,
mir geht es in meiner Stellungnahme weniger um ihre Gedanken im einzelnen sondern grundsätzlich um die sogenannte „Polyamorie“.
Dieser Begriff, der Ende der 90er Jahre in die Diskussion eingeführt wurde ist ein Euphemismus. Er suggeriert, es ginge um besonders viel Liebe und es müsse sich dabei um eine gute Sache handeln.
Dieser Begriff bezeichnet und verschleiert aber das damit dasselbe gemeint ist, was traditionell mit den Begriffen Ehebruch, Betrug, und „Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“ bezeichnet wurde.
Etwas traditionell als schlecht Konnotiertes wird durch Umbenennung zu einem scheinbar Gutem verwandelt.
Das ist etwa so, wie man heutzutage einen Angriffskrieg zu einer „humanitären Intervention zur Wiederherstellung des Friedens umdeutet.
Mit dem gleichen Recht könnte man auch die Folter als kontrollierte Motivation zur Erzeugung in der Rechtspflege benötigter Erkenntnisse bezeichnen.
Das stärkste Argument der Apologeten der Polyamorie ist, dass solange sich die beiden Beteiligten darüber einig seien, es ja nichts Schlechtes sein könne. Auch in ihrer Argumentation taucht dieses Argument auf.
Dieses Argument, das vordergründig einleuchtet, ist aber keine hinreichende Bedingung des Guten. Ein Kreditvertrag mit Wucherzinsen ist nicht deshalb gut, nur weil ihn der Kreditnehmer ihn in seiner Not unterschrieben hat. Es bleibt ein Kreditvertrag mit Wucherzinsen und ist moralisch zu verurteilen. Deshalb haben auch sowohl das Judentum, das Christentum und der Islam das Zinsnehmen sogar generell verboten. Im Islam gilt dieses Verbot bis heute.
Die Polyamorie ist nicht deshalb schon vernünftig weil sie in beiderseitigen Einvernehmen möglich ist. Deshalb legt Hegel auch den Akzent der Vernunft auf die Wirklichkeit und nicht auf die Möglichkeit (obwohl, wie sie richtig sagen, die Wirklichkeit die Möglichkeit immer schon mit einschließt, umgekehrt gilt das aber nicht.)
Es ist zweifellos möglich sich ein Loch ins Knie zu bohren, eine Schraube hinein zu drehen und einen Eimer Wasser daran aufzuhängen aber deswegen ist das noch lange nicht vernünftig. Es ist deshalb von pathologischen Ausnahmen abgesehen auch nicht wirklich.
Die Wirklichkeit spricht eindeutig für die Ehe und Familie. Natürlich sind diese Institutionen nicht vom Himmel gefallen oder religiös offenbart sondern von Menschen gemacht. Sie sind aber deshalb von Menschen gemacht, weil sie vernünftig sind, und weil sie vernünftig sind, sind sie wirklich.
Es ist immer wieder amüsant zu sehen, mit welchen Tricks die VertreterInnen der Polyamorie die Geschichte in der Art versuchen umzuschreiben, dass der Eindruck entsteht, es gäbe gar keine die verschiedenen Kulturen und die Geschichte übergreifende Institution der Familie.
An einer anderen Stelle in ihrem Blog habe ich schon einmal den Kommentar hinterlassen:
„Es gibt vier Grundbedingungen der Humanität; Die Familie, das Privateigentum, die Würde und das Leben. Ich kann nicht begreifen, wie man einen Menschen verehren kann, der zwei dieser Komponenten der Humanität abschaffen wollte.“
An dieser Stelle möchte ich den Grundwert der Familie verteidigen. In der Familie geht es gar nicht in erster Linie um Liebe. Die Engführung der Ehe auf den Aspekt der sexuellen Anziehung ist eine sehr späte Entwicklung unserer Kulturgeschichte.
Die Familie ist der Grundbaustein verantwortlichen Zusammenlebens. Die Abschaffung der Familie in der Gesellschaft wäre gleichbedeutend mit der Abschaffung der Atome in der Physik und der Moleküle in der Chemie. Auch das wäre nicht vernünftig.
Es ist zwar theoretisch möglich, dass zwei sich Liebende und das Bett miteinander teilende Menschen kein Problem damit haben, wenn der Partner, wie soll ich sagen, polyamoriert, praktisch wirklich ist das aber nicht.
Noch gehen die meisten Ehen genau aus diesem Grund auseinander, was wiederum vernünftig ist. Begleitet werden diese Konflikte von einem unendlichen Leid und von Verletzungen auf beiden Seiten. Am meisten leiden darunter die Kinder. Das ist die Wirklichkeit!
Wirklich schlimm ist aber, dass dieser Verfall der Familie hierzulande seit fünfzig Jahren massiv gefördert wird. Begonnen hat es mit der antifeministischen Parole: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“
Den Höhepunkt erreicht diese Propaganda in dem mit Milliardenaufwand geförderten Programm des Gender Mainstreaming, das an jeder Universität des Abendlandes implementiert ist.
Diese Agenda verfolgt nicht nur die Abschaffung der Familie sondern betreibt auch die Abschaffung der sexuellen Identität, worauf ich jetzt nicht im einzelnen eingehen will.
Zurück zur Familie. Die Ehe und die Familie hat vor allem zwei Funktionen, die sehr viel bedeutender sind als die sexuelle Anziehung: Das Zeugen, Gebären und Aufziehen der Kinder und die gegenseitige Hilfe im Alter. Das ist gemeint, wenn die Eheleute vor dem Traualtar einander versprechen, sie wollen sich lieben und ehren so lange sie leben.
Die Schwäche unserer Kultur besteht darin, dass sie das Gute, Wahre und Schöne primär vom Individuum her denkt. Der Begriff der Würde, den ich oben stark gemacht habe, wird im Westen als Menschenwürde bzw. Menschenrecht des Einzelnen gegen den Staat und andere Institutionen verstanden.
In Islamischen Ländern und auch in unserer eigenen Tradition bis in die fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts ist der Begriff der Würde auf die Familie bezogen. Die Ehre (Würde) eines Mannes ist verletzt, wenn seine Frau die Ehe bricht. Die Ehre der Familie ist verletzt, wenn eine Tochter vor der Ehe ihre Unschuld verliert. Sie bringt dann Schande nicht nur über sich sondern über die ganze Familie. Natürlich ist das alles patriarchalisch. Die Würde der Frau wurde aus der Würde des Mannes abgeleitet.
Ich mache mich hier nicht für die Scharia stark. Ich will damit nur zeigen des der Begriff der Würde in den meisten anderen Kulturen völlig anders, nämlich sozial und nicht individualistisch, besetzt ist.
Dass das in unserer Gesellschaft mittlerweile völlig anders gesehen wird, kann man bzw. Frau das Fortschritt und Befreiung sehen was es ja auch ist. Aber jeder Fortschritt hat auch eine dunkle Seite, die es wert ist, betrachtet zu werden.
Der gesellschaftliche Trend zur Individualisierung und Aufhebung der Ehe und Familie vereinzelt die Menschen, macht sie leichter kontrollierbar und erzeugt einen riesigen Mehrwert, weil mittlerweile jeder seine eigene Spülmachine und mehrere Fernsehgeräte sein eigen nennt.
Der Trend zur „Patchworkfamilie“, ein verniedlichender Ausdruck für die Krisen, Verletzungen und Verwerfungen, die einer solchen Familie notwendig vorausgehen, erzeugt massenweise Kinder mit ADHS. Sie leiden unter einem Aufmerksamkeitsdefizit, weil ihre Eltern sich durch Polyamorie selbst verwirklichen wollten. Die Psychosomatischen Kliniken schießen jetzt schon wie Pilze aus dem Boden. Die ADHS-Kinder werden mit Sicherheit zu ihren zukünftigen Stammkunden werden. Das alles ist nicht vernünftig.
Nun kann man einwenden, Menschen mit Polyamorie müssen ja keine Kinder in die Welt setzten. Das ist richtig. Wer auf die Würde verzichten kann, kann auch auf das Leben verzichten. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Das Problem erübrigt sich dann innerhalb einer Generation von selbst, weil es dann keine Menschen mehr geben wird.
PS. Am Thema der Polyamorie kann man sehr gut den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit erkennen.
Januar 14, 2015 at 4:08 pm
»Dieser Begriff bezeichnet und verschleiert aber das damit dasselbe gemeint ist, was traditionell mit den Begriffen Ehebruch, Betrug, und “Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr” bezeichnet wurde.«
Wow, das passt nun wirklich ins Gruselkabinett des reaktionären Unfugs. Sorry, dass ich so deutlich bin, aber würden Sie sich mal bitte nun ein wenig besser informieren? Ich empfehle zum schlichten Start den Wikipedia-Artikel zu Polyamory. Dann das von Annette besprochene Buch, wenn es sein muss, auch meine Beiträge.
Januar 14, 2015 at 6:16 pm
Wenn Sie sich vor „Ehebruch, Betrug, und “Häufig wechselndem Geschlechtsverkehr” „gruseln“ ist das Ihre Sache, ich will Ihnen da keine Vorschriften machen. Allerdings verstehe ich nicht, was an „Ehebruch, Betrug, und “Häufig wechselndem Geschlechtsverkehr” „reaktionär“ oder fortschrittlich sein soll, handelt es sich doch um die normalsten Erscheinungsformen einer jeden Kultur. Die Frage ist, wie man das bewertet. Wenn es für sie gut und schön ist, dann ist es für sie gut und schön. Ich für meinen Teil finde es weder gut noch schön und mindestens der Betrug verträgt sich nicht mit meiner Vorstellung von Wahrheit, aber das können Sie natürlich anders sehen, das ist Ihre Sache.
Januar 14, 2015 at 9:24 pm
Ok, nochmal explizit: Die Zuschreibung von Ehebruch etc. – also genau das, was so häufig Monogamie begleitet – zu Polyamorie ist reaktionärer Unfug. Entweder bewusst oder uninformiert geäußert. Ich unterstelle zweites, denn dem lässt sich abhelfen, s.o.
Januar 15, 2015 at 8:25 pm
Vielleicht ist es ja „uninformierter Unfug“, wie sie sagen, aber warum ist es „reaktionärer“ Unfug?
Januar 15, 2015 at 9:36 pm
Reaktionär ist es, weil es rückwärtsgewandt die heilige Familie und Monogamie beschwört und Veränderungen nur als als Verfall von Kultur und Sitten wahrzunehmen vermag und entsprechend denunziert (wie hier die Polyamorie). Das erinnert mich schwer an Pegida und andere rechte und christlich-fundamentalistische Kreise. — Dabei will ich es jetzt belassen.
Januar 20, 2015 at 11:53 pm
Kompliment, in Ihren Schubladen herrscht Ordnung. Sie hätten es 1933 weit bringen können.
Januar 22, 2015 at 5:48 pm
Lieber Hans Arandt, bitte nicht so. Dieser Kommentar ist völlig fehl am Platz. Ich lasse ihn aus dokumentarischen Gründen noch stehen. Vielleicht kommen Sie selber noch auf die Idee, um seine Löschung zu bitten…
Januar 9, 2015 at 9:37 am
Die Funktionen, die Sie für Familie nennen: „Das Zeugen, Gebären und Aufziehen der Kinder und die gegenseitige Hilfe im Alter“ – warum sollen sich darum nur jeweils zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts kümmern können? Sie können es ja nicht wirklich. Eine alte Weisheit sagt: „Um ein Kind großzuziehen, braucht man ein ganzes Dorf“. Und wie jeweils nur ein Partner heutzutage das oft lange und beschwerliche Alt- und Dementwerden des jeweils Anderen alleine tragen sollte, weiß ich auch nicht.
Auch wenn Sie am Begriff der „Familie“ mit seinen notwendigen Funktionen festhalten wollen, so schließt das nicht aus, dass die konkrete empirische Umsetzung dessen, was „Familie“ jeweils ist, durchaus Unterschiede bis hin zu polyamoren Beziehungen zulassen.
Falls Sie das Konzept der Polyamorie als Durchsetzung des Individualismus auf Kosten des Sozialen verstanden haben, so ist das ein Missverständnis. Gerade auch im Unterschied zu den früheren Konzepten „freier Liebe“ bekennen sich polyamore Menschen i.a. zu ihrer Verantwortung für die Beziehungsgestaltung (auch mit den Kindern).
Für die Kinder ist es meines Erachtens wichtiger, sich in guten, emotional warmen Verhältnissen – welcher konkreten Art auch immer – geborgen zu wissen, als dass zwei Menschen um es herum sind, die zwar mal Eheringe getauscht haben, sich ansonsten aber nur noch angiften und das Kind zum Opfer ihrer Unzufriedenheit machen.
Januar 9, 2015 at 11:36 pm
Kennen Sie „Polyamorie“ lebende Menschen mit glücklichen Kindern, die selbst damit glücklich sind? Haben Sie selbst Kinder?
Januar 11, 2015 at 6:58 pm
Ich bin selbst ein Scheidungskind und bin auf jeden Fall auf diese Weise besser groß geworden als in einer der vielen nervigen Ehebeziehungen, die ich in meinem Umfeld erleb(t)e. Deshalb verabsolutiere ich die Ehe nicht.
Ansonsten kenne ich mehrere (wohl doch recht glückliche) Kinder aus so was wie Patchworkfamilien; Polyamorie ist wohl noch nicht weit genug verbreitet, als dass ich sie persönlich bei Freunden oder Bekannten erlebt hätte.
Januar 12, 2015 at 8:24 am
Ich bestreite nicht, dass Kinder in Patchworkfamilien glücklich sein können. Sie sind wie Flüchtlinge, die eine neue Heimat gefunden haben. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass die Familie, aus der sie geflohen sind, viel schlimmer war als ihr neues Refugium.
Wenn sie Glück haben, sind sie in ihrer neuen Heimat nicht nur glücklicher als vorher sondern außerdem auch „resilienter“.
(https://hansarandt.wordpress.com/2014/12/29/resilienz/)
Das heißt die nächste Scheidung in ihrem neuen Patchwork-Elternhaus verkraften sie besser als die vorige. Es ist auch faktisch einfacher, weil lediglich die Stiefmutter oder der Stiefvater ausgetauscht wird. Besonders resiliente Kinder geben ihre Kinder im Vergnügungspark oder bei Ikea im Bällchenbad ab und kümmern sich nicht mehr um sie.
Januar 9, 2015 at 11:55 pm
Natürlich muss sich nicht die Familie um die Kinder Kümmern, das können auch andere machen. Wie eine Zukunft ohne Familie aussehen könnte, hat sehr plastisch und eindrücklich Aldous Huxley in seiner „Schönen neuen Welt“ beschrieben oder Shulamith Firestone, die ganz ersntshaft genau diese Vision als Befreiung der Frau propagiert hat, indem sie forderte, die Reprodukion der Menschheit von der gebärenden Frau auf die Retorte zu verlagern. Wollen Sie das?
Januar 11, 2015 at 7:00 pm
Muss man sich als „Alternative“ immer gleich auf ein Horrorbild versteifen? Dass Polyamorie, die ich hier vorgestellt habe, mit den von Ihnen genannten Konzepten nichts zu tun hat, sollte doch deutlich geworden sein.
Januar 12, 2015 at 8:17 am
Ich unterstelle Ihnen keine bösen Absichten, aber wenn man etwas schön redet, muss es deshalb noch lange nicht schön sein. Das zu zeigen war meine Absicht. Ich wollte die theoretische Möglichkeit mit der praktischen Wirklichkeit konfrontieren. (Nebenbei auch ein großes Anliegen Hegels) Das ist ungefähr so wie im Paradies. Die Schlange erzählt von den scheinbar unendlich schönen und großen Möglichkeiten, wenn man das tut, was vernünftiger Weise verboten ist. Die praktische Wirklichkeit jenseits von Eden sah allerdings völlig anders aus, als die Schlange es verheißen hatte. Vernünftige Menschen können es schon vorher wissen.
Januar 12, 2015 at 8:13 pm
Ich denke schon, dass so etwas wie Vernunft in dem Begriff der „Familie“ steckt. Aber ob Familie eine ausschließliche Veranstaltung zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts (zum gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsteile, wie Ihr Porträtgeber wohl formulierte) plus Kinder sein muss, ist damit meines Erachtens noch nicht abgemacht.
Die jeweils möglichen und zweckmäßigen vernünftigen Inhalte verändern sich auch, bei Hegel deutlich sichtbar in der Weltgeschichte, der Geschichte der Philosophie, auch innerhalb der Entwicklung der Ästhetik usw. Die jeweils höhere Form weiß, dass die jeweils frühere Form trotz ihres Anteils an Vernunft noch mangelhaft ist und bewegt sich in Richtung noch höherer Formen. Da ist nichts für immer und ewig festgenagelt.
Was Hegel z.B. direkt für die Liebe schreibt, muss nicht nur für je eine Person und eine andere gelten: „Das erste Moment in der Liebe ist, daß ich keine selbständige Person für mich sein will und daß, wenn ich dies wäre, ich mich mangelhaft und unvollständig fühle. Das zweite Moment ist, daß ich mich in einer anderen Person gewinne, daß ich in ihr gelte, was sie wiederum in mir erreicht.“
Und zur Familie schreibt er: „Sie sind damit in einer Einheit des Gefühls, der Liebe, dem Zutrauen, Glauben gegeneinander; in der Liebe hat ein Individuum das Bewußtsein seiner in dem Bewußtsein des anderen, ist sich entäußert, und in dieser gegenseitigen Entäußerung hat es sich (ebensosehr das andere wie sich selbst als mit dem anderen eins) gewonnen.“
Auch hier gibt es keinen vernünftigen Grund, das auf zwei unterschiedlichgeschlechtliche Menschen plus eigene Kinder zu beschränken.
Die „Ehe“ hat für Hegel dann noch zusätzlich den Zweck, diese Beziehungen nicht nur zwischen den beteiligen Menschen bestehen zu lassen, sondern sie in der Gesamtgesellschaft „anerkannt“ zu wissen.
„Die Ehe ist daher näher so zu bestimmen, daß sie die rechtlich sittliche Liebe ist, wodurch das Vergängliche, Launenhafte und bloß Subjektive derselben aus ihr verschwindet.“ Was Hegel hier ausschließt, ist das bloß Willkürliche, Zufällige.Dem komtm die Polyamorie aber recht nahe, weil es da immer um Verantwortung und Kommunikation geht (was wohl der sog. „freien Liebe“ der 68er auch abging).
Aber wieviele Menschen in „Einheit des Gefühls, der Liebe, dem Zutrauten, Glauben gegeneinander“ leben, ist damit unbestimmt.
Es gibt für die vernünftigen Inhalte einer solchen familiären Beziehung keinen Grund, dies auf zwei unterschiedlichgeschlechtliche Menschen plus eigene Kinder zu beschränken.
Januar 13, 2015 at 10:14 pm
Ich behaupte nicht, dass die Ehe und die Familie das einzige Evangelium sind. Schon immer hat es daneben zum Beispiel auch die bewusste Ehelosigkeit, die Prostitution oder den eingefleischten Junggesellen gegeben.
Was ich aber bedauere, ist, dass die Familie in der westlichen Gesellschaft einem schleichenden Verfallsprozess ausgesetzt ist, der von verschiedenen Seiten befeuert wird.
In Paris sind im vergangenen Jahr eine Million Menschen auf die Straße gegangen um für die Familie zu demonstrieren, weil sie zentrale Werte in der Gesellschaft in Gefahr sehen. In den deutschen Medien wurde diese Bewegung mehr oder weniger totgeschwiegen.
Ich sehe in der Familie eine kritische Institution auch Fehlentwicklungen der Gesellschaft gegenüber. Totalitäre Gesellschaften neigen dazu, den Einfluss der Familie zurückzudrängen und alle Loyalität der Kinder und Jugendlichen auf den Staat oder eine Ideologie zu ziehen. Das war im Faschismus so und das wurde auch in der DDR im wesentlichen so betrieben.
Menschen, die ihres familiären Rückhalts beraubt werden, sind umso leichter manipulierbar. Je versingelter eine Gesellschaft ist, desto einfacher kann man sie kontrollieren.
Die Ideologie des „anything goes“ beraubt eine Gesellschaft ihrer Wertvorstellungen. Das Individuum und dessen Wohlbefinden wird utilitaristisch zum Kriterium der Wahrheit.
Jedes vernünftige Elternhaus erzieht aber seine Kinder zur Verantwortung den Mitmenschen gegenüber und zum Respekt voreinander.
Mit dem schleichenden Tod der Familie, der ja längst in vollem Gange ist, sterben auch Wertvorstellungen, die das Wohl der Gemeinschaft noch vor das egoistische Eigeninteresse des Einzelnen zu stellen in der Lage sind.
Wo eine solche Entwicklung hingehen kann, ist wirklich sehr anschaulich in Huxleys „Schönen neuen Welt“ beschrieben. Das Vergnügen hat die oberste Priorität und wird mit Drogen aufrecht erhalten, die Menschen werden manipuliert und konditioniert, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann, und die Familie wird in ein Indianerreservat verbannt. In der Gesellschaft gehört die Worte, gebären, Vater, Mutter und Familie zu den politisch unkorrekten Ausrücken die als unanständig gelten und peinlich sind.
Es ist einfach nicht zu übersehen, dass unsere Gesellschaft sich in diese Richtung bewegt. Die intakte Familie könnte eine kritische Kraft sein, die gegen diese Fehlentwicklungen immunisiert. Nicht zufällig waren es die Geschwister Scholl, zwei Kinder einer Familie, die ihre Stimme erhoben, als es an der Zeit war.
Januar 14, 2015 at 7:32 am
Meine ganz persönliche Phantasie einer schönen neuen Welt habe ich hier zum Ausdruck gebracht:
Wikikea: Bällchenpädagogik
https://hansarandt.wordpress.com/2015/01/14/wikikea-ballchenpadagogik/
Januar 23, 2015 at 5:45 pm
Die “Toleranz” gilt grundsätzlich allen gegenüber mit einer Ausnahme: Sie gilt nicht den Intoleranten gegenüber.
Intolerant sind grundsätzlich alle, die eine andere Meinung haben, da ja nur die “Toleranten” tolerant sind.
Deshalb sind die “Toleranten” nicht selten intoleranter als die meisten anderen.
Februar 16, 2015 at 7:43 am
Da du die Polyamorie für ein erstrebenswertes Lebensmodell hälst, bist du sicher auch für die Polygamie, wie sie in muslimischen Familien nach wie vor häufig vorkommt, auch hierzulande.
Die Polygamie ist sogar eine besonders erstrebenswerte Form der Polyamorie, da sie mit einem sehr hohen Maß an Verbindlichkeit und Verlässlichkeit für die in dieser Lebensgemeinschaft lebenden Personen einhergeht.
Das einzige Problem besteht darin, dass man hierfür das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland ändern müsste, in dem Polygamie nach wie vor unter Strafe gestellt wird.
Allerdings wird es auf muslimische Familien nicht angewandt, was eine Form der Klassenjustiz darstellt.
Aber auch dieser Paragraph, da bin ich sicher, wird wie viele andere Paragrafen über kurz oder lang durch irgendwelche Regenbogenparagrafen ersetzt werden, die wahrscheinlich rigider ausfallen werden, als die Paragrafen, die sie ersetzten, jemals gewesen sind. Wer aufmerksam die Zeitgeschichte verfolgt, kann diese Tendenz mit Schrecken beobachten.
August 2, 2015 at 3:47 pm
Ich kann es mir echt nur schwer vorstellen, wie es konkret gehen soll, diese Lieben miteinander zu kombinieren. Irgendeiner muss ja anfangen, wahrscheinlich die- oder derjenige, die oder der sich in einen zweiten Menschen verliebt und das Konzept der Polyamory kennt.
Wie es dann weiter gehen kann, dazu gibt es einen sehr schönen Text:
http://www.polyamory.ch/doc/texte:so_sie_wollen_also_polyamouroes_sein