Zu diesem Thema gab es am 08.12.2016 in Schlöben innerhalb der „Nachhaltigen Begegnungen“ einen Vortrag von A. Schlemm.  Als Nachtrag gibt es einen kleinen Bericht mit Ausblick auf den Webseiten des Bioenergiedorfes Schlöben.


Viele der bereits 1972 im Bericht an den Club of Rome diskutierten „Grenzen des Wachstums“ sind bereits überschritten. Es geht dabei nicht nur um den Verbrauch vorhandener Ressourcen, sondern vor allem die Grenzen der Selbstregulierung vieler Stoff-, Energie- und ökologischer systemischer Netzwerke wurden überschritten.

Um dies darzustellen, wurde von Rockström und anderen vom Stockholm Resilience Center (Rockström et al. 2009a, Rockström et al. 2009b, Rockström et al. 2009c, Rockström 2015, siehe auch Steffen et al. 2004) das Konzept der „Planetaren Grenzen“ entwickelt. Diese Grenzen kennzeichnen das Maß, an dem die Belastbarkeit der Regulationsprozesse, die sogenannte „Resilienz“, überschritten wird.

„Durch das Überschreiten dieser Grenzen erhöht sich das Risiko, dass der Einfluss des Menschen die Erde weniger lebensfreundlich macht, dass Bemühungen zur Armutsbekämpfung beeinträchtigt werden, und dass sich das menschliche Wohlergehen in vielen Teilen der Welt verschlechtern könnte, auch in reichen.“ (Will Steffen 2015)

Das Leben auf der Erde beruht auf sehr komplexen Regulationsmechanismen, bei denen sich physikalische, chemische und biologische Prozesse so regulieren, dass hochgeordnete Strukturen existieren und sich entwickeln können. Dies wurde bereits etwas mystisch als Eigenschaft einer „lebendigen Erde“ („Gaia“) diskutiert. Dabei bilden sich Gleichgewichtszustände aus, bei denen Stoff-, Energie- und Entropieflüsse so ausgeglichen sind, dass der jeweilige komplexe Zustand über sehr lange Zeiträume hinweg aufrecht erhalten wird. (vgl. Steffen et al. 2004) Diese Stabilität ist aber sehr fragil. Derartige Systeme haben die Eigenschaft, dass geringe Veränderungen (z.B. die Entnahme von Ressourcen oder das Einleiten von Abfällen) lange Zeit auch nur geringe Folgen haben, aber an bestimmtem Schwellwerten plötzlich zusammenbrechen können. Das System „kippt“ dann in ein anderes Prozessverhalten, das sich vom vorigen radikal unterscheiden kann. (Scheffer et al 2009)

Für viele Systeme können diese Kipppunkte auch quantitativ bestimmt werden, und im Konzept „Planetare Grenzen“ werden die Bereiche, innerhalb derer die Parameter liegen, die dem Kipppunkt sehr nahe sind, als kritische Bereiche bezeichnet.

Umkippprozesse nach dem Erreichen von Schwellwerten

Für zwei Prozesse sind im Folgenden solche Zusammenbruchs- bzw. Umkippprozesse gezeigt. Auf der x-Achse befindet sich die Kontrollvariable (z.B. der CO2-Anteil in der Atmosphäre oder die veränderte Landnutzung), auf der y-Achse die Folge (z.B. die Menge des Landeises oder die irdische Kohlenstoffbindung) (aus Rockström 2009b). Es ist zu sehen, dass innerhalb der Unsicherheitszone, in der Nähe des Schwellwerts das Systemverhalten sich mehr oder weniger abrupt ändert.
Schwellwerte

Im Konzept „Planetare Grenzen“ wird der Bereich des sicheren Zustands bis hin zur Planetaren Grenze grün dargestellt, die Zone der Unsicherheit in gelb und schließlich der Bereich außerhalb dieser Zone in rot (siehe das Bild unten).

Als Beispiel eines regionalen abrupten Wandels kann der Beginn der aktuellen Trockenzeit in der Sahel-Wüste vor ca. 5500 Jahren diskutiert werden (aus Steffen 2004: 13, deMenocal et al. 2000):
Steffen 2004

Eine Veränderung der Sonneneinstrahlung durch eine leichte Änderung der Erdbahn (Diagramm a) führt zu einem trockenerem Klima (Diagramm b). Die Monsunregen hängen zwar von der Lage der Erdbahn ab, aber sie führen nur zu fast kontinuierlichen Veränderungen. Die daraufhin sinkende Vegetation zeigt schon eine Beschleunigung des Abbaus während des gesamten Prozesses. Noch sprunghafter –nämlich innerhalb von 4 Jahrhunderten – steigt der Anteil offenen Bodens ohne Pflanzenbedeckung, der sich in gesteigerten Sedimentierungsraten im Ozean neben dieser Zone in Mauretanien äußert (Diagramm d).

Ein solcher abrupter Wandel beim Erreichen eines Kipppunktes kann simuliert werden, wenn Wechselbeziehungen zwischen Ozean, Atmosphäre und Vegetation betrachtet werden, die von einer relativ kontinuierlichen Veränderung einer Variable, nämlich der Sonneneinstrahlung, beeinflusst werden.

„Die abrupte klimatische Reaktion auf eine kontinuierliche Strahlungsänderung beruht auf positiven Rückkopplungen zwischen Veränderungen der subtropischen Vegetation, der Albedo und der Niederschläge.“ (deMenocal et al. 2000)

Das Kippverhalten kann man sich auch anders vorstellen (Bild aus Rockström 2012):

Schwellwerte 2

Die Berg-und-Tal-Kurve stellt dabei eine Potentialkurve dar, der jeweilige Systemzustand ist durch die rote Kugel verkörpert. Die eben beschriebenen rückkoppelnden Potentialflächen haben die Eigenschaft, dass sich der Systemzustand durch mehr oder weniger stabile Bereiche bewegen kann. Im ersten Bild auf der linken Seite befindet sich das System in einem von zwei möglichen stabilen Zuständen (die Kugel ruht im rechten Potentialtopf). Wenn sie ein Stück weiter bewegt wird, verändert sich auch die Potentialfläche (wegen den Rückkopplungseffekten), neben dem bisher stabilen „Tal“ bildet sich ein weiteres, noch tieferes Tal… bis die Kugel plötzlich in dieses Tal, d.h. den anderen Zustand hineinrollt und dort eine neue stabile Position einnimmt.

Dies geschieht nach und nach bereits jetzt für viele Ökosysteme. Für den gesamten Planeten ist zu erwarten, dass es auch für die Menge solcher umgekippten Ökosysteme einen Schwellwert gibt, ab dem das gesamte irdische biosphärische System umkippen könnte. In der folgenden Abbildung (aus Barnowsky et al. 2012) wird noch einmal auf eine andere Weise dargestellt:
nature11018-f2.2

Planetare Grenzen

Im Konzept Planetare Grenzen wurden für 9 Kriterien solche Grenzwerte ermittelt, deren Überschreiten eine Veränderung der ökologischen Rahmenbedingung mit sich bringt, die zu gefährlichen Risiken für die Menschheit führen. Seit der Erstveröffentlichung 2009 sind einige Bezeichnungen, Indikatoren und Angaben für die Werte bereits durch umfangreiche nachfolgende Forschungen weiter präzisiert worden (deshalb unterscheiden sie sich in einigen Veröffentlichungen).

Die als kritisch angesehenen Bereiche sind:

  • Klimawandel,
  • Verlust der Biodiversität (in zwei Dimensionen: genetische Vielfalt und funktionale Vielfalt),
  • Landnutzungsveränderungen,
  • Süßwassernutzung,
  • biogeochemische Prozesse (vor allem Stickstoff- und Phosphoreintrag in Gewässer),
  • Versauerung der Ozeane,
  • atmosphärische Aerosolbelastung,
  • Abbau der stratosphärischen Ozonschicht
  • sowie der Eintrag neuer gefährlicher Stoffe (im ersten Paper „Verschmutzung durch Chemikalien“, jetzt ergänzt durch radioaktive und Nanomaterialien). (Rockström 2015)

Die bedeutsamsten beiden Faktoren, der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität, werden als „Kerngrenzen“ herausgehoben.

Für diese Bereiche wurden jeweils spezifische „Kontrollvariablen“ identifiziert, für die Schwellwerte abgeschätzt werden können, die die Stabilität der entsprechenden Prozesse kennzeichnen.
Dabei wechselwirken die 9 Bereiche selbst miteinander. Keins lässt sich isoliert von den anderen betrachten – das erschwert die Analyse und Voraussage natürlich erheblich. Manchmal stabilisieren diese Wechselwirkungen das Gesamtsystem auch dann, wenn Parameter für einzelne Unterbereiche bereits überschritten sind, manchmal jedoch reißt das Überschreiten besonders kritischer Parameter auch die anderen mit in die Instabilität.

Darüber, dass einige der Schwellwerte vom sicheren in den gefährlichen (im Bild unten vom grünen in den gelben) Bereich schon überschritten sind, darüber sind sich die Experten einig. Ihre Gewichtung ändert sich im Laufe der Forschung noch. Im Jahr 2009 wurde eingeschätzt, dass die Kontrollparameter für die Klimawandel, den Verlust der Biodiversität und der Einfluss auf den Stickstoffzyklus überkritisch seien (Rockström 2009a). 2015 wird die Überschreitung des Bereichs der Sicherheit für die Integrität der Biosphäre, den Phosphor- und Stickstoffzyklus, den Klimawandel und die Landnutzung betont Rockström 2015).

aus Rockström 2015_2_Poster

(Bildquelle: Rockström 2015: 6)

Planetare Grenzen: der innere (blaue) Kreis umschließt den sicheren (grünen) Bereich; die gelbe Zone verweist auf die Gefahr der Annäherung an die gefährlichen Kipppunkte und der rote Kreis markiert die Grenze, außerhalb derer die Werte auf gefährliche Veränderungen des Systemzustands hinweisen. (Rockström 2015)

Außerhalb dieser Grenzen drohen uns jeweils „unakzeptable Folgen“ (Rockström 2009b). Sie zeigen sich jetzt schon in verstärkten und lang anhaltenden Hitzewellen, in Trockenheit und Fluten, im schnellen Steigen der Meere, in Pandemien und dem Zusammenbruch von Ökosystemen… Das Wachstum solcher Ereignisse zeigt z.B. diese Darstellung (Quelle: Wikipedia):
645px-Trends_in_natural_disasters

Die Planetaren Grenzen und ihre Werte sowie eine Einschätzung der Annäherung an sie gibt die folgende Tabelle (Quelle u.a.: Wikipedia, Rockström 2009a, Rockström et al. 2013)
Planetare Grenzen


Hier gibts ein Poster, das die Zukunftswerkstatt Jena für den Umwelttag 2015 in Jena gestaltet hat.


P.S. Dieser Text gehört zu den Arbeiten am INFO 2015 der Zukunftswerkstatt Jena

und gehört zu „Kapitalistische Naturverhältnisse führen zum Anthropozän“