Ich habe schon erwähnt, dass die jungen Leute in den digitalen Spielen bestimmte Eindrücke und Erfahrungen sammeln, die Meinungen und Überzeugungen über die Welt außerhalb der Spiele stark prägen.

„Games show them how the world works.“ (Beck, Wade 2006: 133)

Für die soziale Welt gilt dabei z.B.: Es geht immer um Wettbewerb und im sozialen Bereich gibt es Unterordnung sowie Konkurrenz und Verbündete. Die Gamer lernen auch, mit welchen Strategien sie in einer solchen Welt ihren Heldenstatus immer weiter festigen und sich verbessern können.
Sie lernen hier, dass das Leben in einem freien Markt nicht fair ist, und dass nur das von Wert ist, wofür andere zu bezahlen bereit sind (ebd.: 150) Wenn soziale Beziehungen durchgespielt werden, so geht es jeweils um ein begrenztes, unpersönliches Ziel (ebd.: 118). Und nach Beck und Wade ist das gut so, denn: „so is business“.

„Man spiele, was die Gesellschaft sowieso von den Bürgern möchte: Aufbau, Leistung, Konkurrenz, Weiterkommen. Nur mache es in diesem Fall Spass.“ (P.M. Ong, zitiert in Quelle)

Es wird auch geschrieben, dass der „Kern-Spielmechanismus“ in der „stetigen Bedrohung“ liegt. (Quelle) Im wirklichen Leben macht das eher weniger Spaß. Genau hier verläuft wohl die Trennlinie zwischen wirklichem Leben und Spaß. So lange das eigene Agieren in der Wirtschaftswelt tatsächlich als derartiges Spiel verstanden werden kann mit Anstrengungen, Verbesserungen, Belohnungen und Siegen, verwischt diese Linie. Für jene, die übrig bleiben, weil nicht alle und nicht immer siegen können, also die vielen Untergebenen, die es als heldenhafte Spielrolle ja gar nicht gibt und die Ältergewordenen und die Prekären und Überflüssigen dieser wirklichen Welt, ist die Welt der Spiele mit ihren nur gespielten, d.h. eingebildeten Siegen dann wenigstens ein Ersatz.

Die Spiele bekräftigen die eigenen Erfahrungen in der wirklichen Welt, können aber das eigene Loser-Sein erträglich machen.

„Wer jemals morgens zwischen vier und sechs in einer Großstadt U-Bahn gefahren ist, wird auch Resident Evil nicht mehr allzu phantastisch finden. Graugesichtige Arbeitnehmer, die sich von überallher müde knurrend und knochenknackend zum Job schleppen […]
Man muß nur ein bißchen metaphorisch denken, dann enttarnen sich die verwinkelten Landhäuser und unterirdischen Laborfluchten der Survival-Horror-Spiele als bürokratische Behörden und Institutionen, das Lösen von Rätseln als das Ausfüllen von Steuererklärungen und Bewerber-Fragebögen und die Interaktion von Projektilen und Krallen als ellenbogenorientierter Wettbewerb von Argumenten und Fähigkeiten.“ (Mertens, Meißner 2002: 65-66)

Die Computerspiele sind also wohl realistischer, als manche/r denkt.

„Von Star Trek abgesehen herrscht Einigkeit. Unsere Zukunft wird düster. Wahrscheinlich hat es überhaupt noch nie in der Geschichte der Menschheit ein Erzählmedium gegeben, dessen Zukunftsprognosen einheitlich apokalyptisch ausfielen wie die der Computerspiele. An eine auch morgen noch funktionierende Ökosphäre glaubt in den Programmierstudios schon lange keiner mehr, dafür jedoch an die politische Dominanz von wirtschaftlich orientierten Konglomeraten und darin, daß die Menschheit zwar ihre Waffentechnologie weiterentwickeln wird, nicht aber gleichzeitig ihren ethischen Horizont.“ (Mertens, Meißner 2002: 185)

In einer Erzählung lässt Tobias O. Meißner wenigstens eine Protagonistin daran zweifeln, ob die Computerspielwelten immer so düster sein müssten. Sie maulte, wie so oft, „daß es eigentlich schade sei, daß alle guten Computerspiele vom Schießen und Verprügeln handelten, während sie sich doch eigentlich danach sehnte, „etwas Schönes zu suchen und zu finden“. Wie immer widersprachen Suicider und Smugglerboy mit dem Argument, daß es nichts Schöneres zu finden gäbe als einen guten virtuellen Krieg, und da Centipede diesem Argument mangels Alternativen wohl zustimmen mußte, war damit das Thema wie immer vom Tisch.“ (Meißner 2001: 111)

Ist es tatsächlich für immer vom Tisch?

(Nicht nur) neue Computerspiele braucht die Welt…

Derzeit beziehen die Spiele einen Großteil ihres Reizes aus der virtuellen Bekräftigung des Unheils. Mertens und Meißner beschreiben den Reiz am möglichst effektvollen Knall: „Lustvoll wird die Utopie zur Dystopie umformatiert. Der Spaß an der Zerstörung und die Zerstörung selbst kennen keine Grenzen“ (Mertens, Meißner 2002:188). Und: „… die Verwüstung wird unbeschreibbar sein und unbeschreibbar schön. (Meißner 2001: 100).

Steckt da der Impuls zur Zerstörung der herrschenden Verhältnisse der wirklichen Welt drin? Oder wird der Wahnsinn zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung?

Die vorhandenen Computerspiele haben einige Effekte, die für die Meisterung der bedrohlichen ökonomischen, sozialen und ökologischen Zukunftsoptionen gebraucht werden. Computerspiele fördern Weitblick, ökosystemisches Denken und Pilotprojektmanagement. Abgesehen vom fehlenden Neustart-Button haben Gamer durchaus Erfahrungen mit so etwas wie der „Kunst der Planetenführung“ (McGonigal 2012: 388), die angesichts der Gefahren für das Menschenzeitalter auf der Erde notwendig wird.

Schon bei der Entstehung der ersten digitalen Spiele gab es Hoffnungen:

„Wenn Computer für jedermann zugänglich sein werden, werden die Hacker übernehmen“ (Brand 1972: 15)

Tatsächlich jedoch wurden die Ego-Shooter von Atari bald zum Training für Soldaten genutzt.

„Aus einer Hippie-Version und real existierenden Alternativfirma war ein straff geführtes Unternehmen mit reservierten Parkplätzen für die BMWs der Marketingabteilung geworden, das keine Skrupel hatte, dem militärisch-industriellen Komplex beizutreten.“ (Mertens, Meißner 2002: 72-73)

Gerade die Spielewelt wird immer stärker vom Kommerz geprägt:

„Ich hasse es, wenn Spieleschmieden von Managern übernommen werden. … Von Spielern für Spieler hieß es mal, heute werden die Kühe gemolken. Wenig Content für maximalen Profit. Fürstliche Gewinne…“ (Kommentar von Mailmanhro in www.spiegel.de)

Es nütz nix, auch hier breitet sich die Erfahrung aus:

„Sie müssen sich eins merken: Wenn eine Firma Ihnen etwas anbietet, ist nur eine Frage relevant: Was hat die Firma davon?“ (Quelle)

Angesichts dieser Grenzen entwickeln sich Alternativen. Auf Spiele werden die Menschen nicht mehr verzichten wollen, aber hoffentlich wollen immer mehr Menschen immer bessere Spiele, nicht nur besser in Graphik und tödlicher Schlagkraft, sondern besser im Sinne des Austestens alternativer Lebens- und gesellschaftlicher Entwürfe.