Ich lese grad in einem Büchlein folgenden Absatz:
„Wir funktionieren wie am nicht enden wollenden Fließband, drehen unsere Runden, immer wieder, solange nichts passiert. […] Das kann doch nicht das ganze Leben sein!
Nein, ist es auch nicht. Es ist die Absicherung uns elementar scheinender Lebensregelungen. Diese Elemente alltäglicher Lebensführung – die übrigens auch den Arbeitsalltag vieler strukturieren – halten uns den Rücken frei. Wofür? Für das Leben, für das „eigentliche“ Leben – für Sinn, Perspektive, Glück und Liebe. Aber wo finden wir das „Eigentliche“?“ (Bader 2016: 95)
Kann das wirklich nicht das ganze Leben sein? Gibt es für alle Menschen noch so etwas wie das „Eigentliche“? Gibt es das für Dich, für Sie? Wie ist es aushaltar, dass das Hamsterrad alle Kräfte schlaucht und immer weniger für das „Eigentliche“ übrig bleibt? Lässt es sich zusammenbringen?
August 5, 2016 at 3:21 pm
Keine Antwort auf deine Frage, aber ich musste bei der Überschrift an ein kleines, schwarzes Büchlein denken, dass Benny und ich letztens im Buchladen gelesen haben. Das Tagebuch eines Hamsters namens Eduard, der sich zu Höherem berufen fühlt und daran verzweifelt, dass seine Tage ausgefüllt sind von Fressen, Schlafen und Hamsterrad. Eimal steht die Gittertür offen und er reißt aus, flüchtet dann aber doch wieder zurück in den Käfig. Irgendwie hat mich das ziemlich tief berührt, weil es, obwohl es ziemlich plakativ um einen Hamster ging, eben doch ein sehr gutes Bild für das Leben der Menschen in dieser Welt ist….
August 5, 2016 at 3:23 pm
Auf der Suche nach dem Eigentlichen ist der Hamster auch. Er findet es für einen kurzen Moment in einer Hamsterdame, die dann aber vom Hamsterrad erschlagen wird… tragisch, so ein Hamsterleben.
August 5, 2016 at 3:48 pm
Danke für diesen Hinweis!
Ich habe inzwischen gelesen, warum Klaus Holzkamp Wert auf diese Unterscheidung des Alltäglichen und des Eigentlichen legt. (Er meint nicht, das sei voneinander zu trennen, manchmal geht es auch ineinander über… aber das „Eigentliche“ ermöglicht die Erkenntnis des Beschränktseins des Alltäglichen…)
Ich frage mich, ob das überhaupt für viele Menschen so zutrifft. Sind nicht viele auch mit dem alltäglichen Einerlei durchaus zufrieden? Kann das Hamsterradtreten das „Eigentliche“ sein/werden?
Ich stelle diese Frage hier wirklich, denn ich will es mir nicht anmaßen, das für andere zu beantworten (weder in dem Sinne, dass es normal sei, mit dem Alltagstrott und seinen Freuden zufrieden zu sein – noch in dem, dass ich unterstelle, dass „eigentlich“ alle Menschen so ein „Eigentliches“ haben müssten, sie es nur noch nicht gesucht oder gefunden hätten…).
August 5, 2016 at 3:58 pm
Vielleicht fange ich mal an: Für mich zeigte sich das „Eigentliche“, als ich ca. 14 Jahre alt war. Ich hatte utopische Romane gelesen, und da es damals nicht so unendlich viele davon gab, bin ich in der Bibliothek in Richtung der populärwissenschaftlichen Bücher über Astronomie weiter gerückt.
Ich habe dann ein ganzes Wochenende lang darin gelesen und mir Hefter angelegt, in dem ich das Wissen über die verschiedenen Planeten zusammen trug. Ich spürte nach einigen Stunden, dass genau diese Seinsart – etwas zu studieren, etwas zusammenzutragen – das ist, was mich ausmacht. Ich hab den Moment wirklich bewusst erlebt, dass ich kurz innehielt und genau wusste: DAS ist es, was ich den Rest meines Lebens tun will!
Den Zustand, den ich damals zum ersten Mal erlebte, nennt man auch Flow (https://de.wikipedia.org/wiki/Flow_(Psychologie)). Für mich ergab sich daraus mein Lebensentwurf. Das Alltägliche dient mir wirklich nur zur Ermöglichung des für mich „Eigentlichen“, und es entsteht für mich der Widerspruch, dass ich zu viel Zeit vor allem für die Lohnarbeit aufbringen muss, die mich vom „Eigentlichen“ abhält und viel davon verhindert (es ist mir leider nicht wirklich gelungen, meine „Berufung“ auch zum Brotberuf zu machen…). Wer keine solchen Ansprüche nach dem Eigentlichen, das gegen das Alltägliche erkämpft werden muss, hat, lebt sicher leichter…
Ich muss also immer mal ins Hamsterrad, einerseits, um den Staub von den Büchern meiner Bibliothek zu bekommen, andererseits um meinen Anteil Raumkosten dafür aufzubringen… aber mein eigentliches Heim befindet sich außerhalb.
August 7, 2016 at 9:10 am
„Alle Wesen bisher schufen Etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser grossen Fluth sein und lieber noch zum Thiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?… South Korean professional Go player Lee Sedol is seen on a TV screen during the Google DeepMind Challenge Match against Google’s artificial intelligence program, AlphaGo.“
Zeit war da, ein Heimcompter war da, aber als ich mit 15 nach dem mühseligen Abtippen eines Schachprogramms eine Fehlermeldung erhielt, widmete ich mich fortan lieber den neuesten Schmökern von Stephen King. Weil, ich entstamme einer sehr gläubigen Familie. Und wenn mit einem „lieben Gott/heiligen Vater“ jemand Sorge für alles trägt, will man eigentlich nicht mehr als „glücklich“ sein. Das erwähnte „Eigentliche“ neben dem Hamsterrad dürfte sich also für die allermeisten Menschen erschöpfen im Erwerb einer Bibel und eines Tippscheins für die Lotterie. Was nicht weiter schlimm wäre, alle Geschichtsschreibung hat Heere von Statisten nötig. Tragisch bloß, dass so viel Übermenschliches davon zertrampelt wird. Friedrich Nietzsche hätte es beinahe erwischt, mein Ordner mit 300.000 Wörtern Prosalyrik wird abgetan als „Geschreibsel“, warum ich stattdessen nicht lieber ein Kind zeuge, und wenn ein junges Paar sich sein Liebesnest einrichten will, wen schert dann das zusammengetragene Wissen einer älteren Dame, das den Platz für ein französisches Bett wegnimmt?