Klaus Holzkamp legte Wert darauf, dass das Methodische zu gemeinsamen Selbstverständigungsprozessen nicht zu einem festen Ablaufplan gerinnt. Denn die Beteiligten sollen selbst den Fahrplan schreiben. Das Ganze soll aber auch nicht einfach mit einem „Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben…“ enden. Wenn schon die Begrifflichkeit der Kritischen Psychologie nicht trivial ist, so ist ihre Verwendung im gemeinsamen Gespräch sicher nicht einfacher.
Das Konzept der Kritischen Psychologie setzt z.B. voraus, dass die gesellschaftlichen Bezüge herausgearbeitet werden, wobei diese aber vom Standpunkt und die Perspektive des individuellen Subjekts aus betrachtet und diskutiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass das Handeln und dessen Begründung innerhalb von Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen widersprüchlich sind und deshalb nicht eindeutig und offensichtlich zu erfassen sind. Diese Widersprüchlichkeit führt vor allem dazu, dass wir erst – und das oft gegen einen verständlichen Widerstand – herausarbeiten müssen, wie die gängigen und häufig verwendeten Begründungsmuster den Lebensentwürfen des Individuums sogar entgegen wirken, obwohl sie in ihrer Anwendung erst einmal auch „subjektiv funktional“ sind. Dies erfordert schon einige methodische Vorüberlegungen. Außerdem bauen jeweils folgende Phasen und Schritte auf vorherigen auf, deshalb ist die Reihenfolge auch nicht beliebig.
A) Beschreibung
Der Ausgangspunkt sind Probleme, die die beteiligten Personen als für sie wichtig identifizieren. Sie gehen davon aus, dass ihr bisheriges Handeln diese Probleme nicht löst, obwohl sie für dieses Handeln bisher mehr oder weniger bewusste Gründe haben. Diese Gründe gilt es als erstes herauszubekommen, um sie gegebenenfalls ändern zu können.
Wie auch im Sokratischen Gespräch ist es sinnvoll, im ersten Schritt das Problem durch eine genaue Beschreibung zu erfassen. Dazu bietet sich an, eine konkrete Szene des alltäglichen Lebens, in dem das Problem auftaucht, zu beschreiben. Hierbei sollte, um genügend Zeit für eine ausführliche Schilderung zu haben, an dieser Stelle nur eine Person die „Beispielgeberin“ sein (die Beteiligten, die ja aufgrund der Themenwahl alle ähnliche Probleme haben, müssen sich also im Vorfeld darauf einigen, wer zuerst die beispielgebende Person ist – später können die Erfahrungen der anderen mit eingebracht werden oder das Gespräch wird wiederholt mit einem neuen Beispielgebenden).
Aus den Erfahrungen der Sokratischen Gespräche kann auch die Methode übernommen werden, möglichst viele Aspekte dieses Beispiels möglichst genau mit zu notieren.
Nachdem das Problem eines Menschen von ihm eine Zeitlang ohne Zwischenrede erläutert wurde, können im Anschluss daran Fragen gestellt werden. Zuerst geht es um reine Verständnisfragen oder darum, die Informationen zu ergänzen, die den anderen ermöglichen, das Problem zu verstehen. Hier werden noch keine deutenden Hypothesen eingebracht, sondern alle verbleiben auf der beschreibenden Ebene. (Bei der „Entwicklungsfigur“ nach Markard wird bereits die 1. Instanz „Deutung“ genannt, diese folgt hier in B).) Am Schluss des Beschreibungsprozesses sollte eine „prägnante Formulierung der aktuellen Problematik/Fragestellung durch den/die Darstellende/n“ (AG Berufspraxis) stehen.
B) Analyse
Danach beginnt die Analyse dieses Beispiels. Nachfragen aus der Runde sollten versuchen, folgende Aspekte zu klären:
- In welcher Situation trat das Problem auf?
- Welche Rolle spielt es in der gesamten Lebensführung? Wie hängen die Lebensbereiche (Familie, Arbeit, Freizeit…) diesbezüglich zusammen?
- In welchen Zusammenhängen spielt es eine Rolle? (Familie, Freizeit, Arbeit…)
- Worin genau besteht das Problem? Welche Schwierigkeit stellt sich, welche Hindernisse werden erfahren? (πρόβλημα bedeutet „Behinderung“, „Hürde“)
- Welches Ziel, welche Bestrebung wurde behindert?
- Welche Deutung steckt in der Bestimmung dessen, was das Problem ist? (Das Problem der Erwerbslosigkeit kann sein, dass ich kein Geld habe – für jemanden anderes besteht das Problem damit darin, dass andere Menschen ihn deswegen ablehnen. Das macht einen Unterschied ums Ganze aus: Bin ich und meine Unfähigkeit, einen Job zu finden das Problem – oder ist es die Tatsache, dass ich nur durch ein verdientes Einkommen meine Existenz fristen kann?).
- Gibt es in der Darstellung Widersprüche? (vgl. das entsprechende Vorgehen in der Erinnerungsarbeit)
Nun wird die Aufmerksamkeit den Handlungsgründen zugewendet. Das bisherige Verhalten wurde aus bestimmten Gründen heraus realisiert, die erst einmal herausgefunden und artikuliert werden müssen. Diese Gründe sind nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern hängen mit den Lebensbedingungen und den Bedeutungen, die diesen gegeben werden, zusammen.
- Welche ermöglichenden und behindernden Bedingungen sind für das Problem und meine Sicht darauf wichtig?
- Welche übersehe ich, werden aber von anderen gesehen?
- Wie schränkt mein Standort meine Sicht auf die Bedingungen ein?
- Welche Bedeutung haben die dadurch erfassten Gegebenheiten für mich?
- Welche möglichen Bedeutungen sehe ich nicht, sondern werden von anderen gewählt bzw. vorgeschlagen?
- Welche Begründung habe ich aus diesen Bedeutungen entwickelt, um im Sinne meiner Lebensinteressen zu handeln?
Vielleicht ist es auch sinnvoll, noch herauszuarbeiten, welche Bedürfnisse durch die bisherige Handlungsbegründung erfüllt werden konnten. Dies entspricht dem Vorgehen in der „Gewaltfreien Kommunikation“, bei der ausgehend Strategien entwickelt werden sollen, die die Bedürfnisse befriedigen, aber nicht mehr andere oder sich selbst schädigen und so zu Konflikten führen.
Hier, in der Kritischen Psychologie geht es nicht nur um Strategien an sich, sondern um die Begründung von Handlungen. Da die Handlungen, die auf diesen Gründen beruhten, bisher nicht zu einer Problemlösung führten, müssen die Gründe nun hinterfragt werden. Dafür bieten sich aus Sicht der Kritischen Psychologie einige Leitgesichtspunkte an. Diese entstammen konzeptionellen Überlegungen und bisherigen Erfahrungen zu Selbstbehinderungen bei Problemlösungen im gesellschaftlichen Kontext.
Die dabei gefundenen Beschränkungen in den vorhandenen Begründungen werden erst deutlich, wenn vorausgesetzt wird, dass es andere Möglichkeiten gibt, die diese Beschränkungen überwinden. An dieser Stelle können die Beiträge der anderen Teilnehmenden helfen, den Kontrast zwischen den bisherigen Begründungen und möglichen anderen Begründungen aufzuzeigen. Das Gespräch sollte aber nicht auf ein allgemeines „Ratschlaggeben“ hinauslaufen, sondern auf der analytischen Ebene bleiben, so dass die Schlussfolgerungen für eine andere Begründung und letztlich ein anderes Handeln weiterhin dem beispielgebenden Subjekt bzw. den Individuen mit dem konkreten Problem überlassen bleiben. Die folgenden Fragen können als Anhaltspunkte für ein Hinter-Fragen der bisherigen Handlungsbegründungen dienen:
Hinter-Fragen:
- Kontraproduktivität/ Selbstschädigung:
Wie wird mit der derzeitigen Problemlösung(sbegründung) dazu beigetragen, das Problem zu verfestigen? (Beispiel: Aus Angst, die Beziehung zu gefährden, geht jemand Konflikten aus dem Weg und riskiert dabei, dass die Konflikte nicht gelöst werden, sondern zur Auflösung der Beziehung führen, vgl. Markard 1988: 288)
Ein anderes Beispiel: Unter den Bedingungen der allgemeinen Einflusslosigkeit und Ohnmacht entsteht oft ein zwanghaftes Bedürfnis, alles unter Kontrolle zu haben – dies verhindert aufgrund der damit verbundenen Starre die Entwicklung in Richtung der Aufhebung dieser Bedingungen (Osterkamp 1988: 299).
Oder: Indem ich mich in Konkurrenz stelle und andere ausgrenze, bin ich aktiv an der Unterdrückung anderer beteiligt und erlebe mich selbst im Zweifelsfall auch als Unterlegener, Schwacher und Ausgegrenzter, anstatt die Bedingungen in Frage zu stellen (Osterkamp 2000: 36)
Die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse (z.B. nach Sicherheit) untergräbt die Entwicklungsfähigkeit (Unflexibilität wegen Kontrollzwang etc.)… dabei gilt: „Nicht die Bedürfnisse, sondern bestenfalls die Wege ihrer Befriedigung“ sind fragwürdig (Osterkamp 1988: 300) - Objektivierung von Subjekten
Wie werden andere Menschen erfasst? Als äußere Umwelt, Randfiguren? - „zentrierter Beziehungsmodus“:
(Wo) bin ich an der Instrumentalisierung, Ausgrenzung und Unterdrückung anderer beteiligt?
Oder: Gibt es eine Zentrierung auf je nur einen Lebensbereich (Arbeit und dann von daher fragen, wie die mit Familie vereinbar ist – oder umgekehrt… ) (Holzkamp 1996a: 91)
Was wird ausgeblendet, weil etwas Bestimmtes im Zentrum steht?Einer hält ein schwarzes Buch hoch und sagt: „Dieses Buch ist rot!“
Die Anwesenden vor ihm protestieren einstimmig und rufen: „Nein!“
Der mit dem Buch seinerseits beharrt darauf und sagt: „Doch, ist es!“
Und alle wiederholen: „Das ist nicht richtig!“
Nun dreht er das Buch um und –
die Rückseite ist rot!
Der mit dem Buch blickt in die beschämten Gesichter und meint:
„Sage niemals jemandem, er liege falsch, solange du die Dinge
nicht aus seiner Perspektive gesehen hast.“ - Personalisierung
Wo wird das Problem als Problem einer bestimmten Persönlichkeitseigenschaft gemacht (d.h. der eigenen Persönlichkeit oder der anderer?)? - Emotion/Kognition/Motivation
Werden die Emotionen als nur „innerliche“ Prozesse verstanden oder als „Bewertung von Umweltgegebenheiten am Maßstab der eigenen Befindlichkeit“ (Holzkamp 1983: 98)?
Verläuft das Denken vorwiegend in einem („deutenden“) Modus, der das Gegebene als unveränderbar hinnimmt und andere Möglichkeiten negiert? Wo sind Klischees eingebaut? Wo werden überschreitende Möglichkeiten ausgeblendet?
Wovon bin ich „motiviert“? Kommen die Antriebe für mein Tun vorwiegend von außen? - Bedingtheitsdiskurs
Was wird als unveränderbar angenommen?
Welche Bedeutung wird bestimmten Bedingungen gegeben?
Inwieweit stecken in den Bedeutungen gesellschaftlich dominante Deutungsmuster? (vor allem solche, die auf die Gefahren des Verlassens des Hamsterrads hinweisen?) - Unmittelbarkeit
Welche Vermittlungen werden nicht gesehen und ausgeblendet? - Risiko und Bedrohungen
Welche Risiken sind mit der bestehenden Begründung verbunden?
Fallen mir Risiken ein, die sich ergeben, wenn ich anders handeln würde, meine Handlungen anders begründen würde?
Welche Kompromisse ergeben sich aus der Abwehr von Risiken?
Haben diese Kompromisse für mich schwerwiegendere negative Folgen als wenn das Risiko eingegangen wird?
Spätestens bei dem letzten Punkt wird auch deutlich, dass es bei Kritisch-psychologischen Gesprächen nicht um eine Art Entlarvung geht, sondern es wird verständlich, warum unter den gegebenen Bedingungen ein Handeln im bloß restriktiven Sinne für je mich durchaus sinnvoll ist und ich es letztlich eigentlich nicht überall vermeiden kann. Ich kann einerseits erkennen, wie diese Art Handlungsbegründung für mich sinnvoll ist – man kann auch sagen, sie ist „subjektiv funktional“, denn sie erfüllt aus subjektiv-individueller Sicht ihre Aufgabe, zu „funktionieren“. Andererseits kann ich aber nach dieser Analyse auch begreifen, an welchen Stellen diese Art des Begründens der Handlungen und damit die Handlungen für mich selbst schädlich werden und spätestens dann kann ich aufgrund des Wissens über ihre Schranken (wenigstens gedanklich) über diese Schranken hinausgehen.
Indem spätestens jetzt auch die anderen Teilnehmenden ihre Gründe für ein Handeln, das nichtsdestotrotz zu Problemen führt, mit einbringen und in dem eben genannten Sinne hinterfragen, gehen die Beteiligten zu einer Gesprächsform über, in der deutlich wird, dass nicht nur je ich eine besondere Begründung für mein Handeln habe, sondern jede andere Person auch. Wenn wir das verstehen, kann jede_r von uns einen „de-zentrierten“ Standpunkt einnehmen. Ich gehe nicht von mir aus und übertrage meins auf andere, die so zu einem Objekt meines Tuns werden – sondern ich gehe mit ihnen intersubjektive Beziehungen ein. Damit verstehe ich auch mich selbst anders: Auch ich bin für die anderen ein Subjekt: „Ich als Subjekt erfahre dich als ein Subjekt, das mich als ein Subjekt erfährt.“ (ich bin für andere der andere). Das entspricht einer Meta-Perspektive (Holzkamp 1996a: 95).
„Damit ist […] potentiell auch der Andere in seinem Selbstverständigungsprozeß einbezogen, er ist aufgefordert oder es ist ihm anheimgestellt, meinen Versprachlichungsversuch bei sich nachzuvollziehen, um herauszufinden, ob er damit auch zu größerer Klarheit, etwa über „Lebensführung“ zu gelangen vermag.“ (Holzkamp 1995: 834)
Frühere Texte über Begründungsdiskurse verweisen darauf, dass ich bei der Analyse des „Zerpflückens“ meiner bisherigen Handlungsgründe tendenziell Widerstand entgegen setze (z.B Markard 1988: 291, vgl. auch Osterkamp 2000). Wenn es gelingt, diesen auch zu artikulieren, kann an diesen Stellen auch genauer nachgefragt werden, was es ist, wogegen ich mich sperre. Wahrscheinlich sind genau das die Punkte, bei denen ich mich noch unbewusst dagegen wehre zu erkennen, wie ich mir selbst schade. Methodisch hilfreich ist hier wahrscheinlich, einen distanziert-analytischen Standpunkt einzunehmen – so wie bei der Erinnerungsarbeit dezidiert nur an den Texten gearbeitet wird und eben nicht direkt die Person angesprochen ist. Es muss auch immer wieder deutlich gemacht werden, dass es nicht um die Person bzw. um Personen als Problem, sondern um Probleme des Individuums in seiner Situation geht.
Auf dieser Analysestufe kann nun das Begründungsmuster reformuliert werden. Es geht darum, noch einmal zusammen zu fassen, inwieweit das bisherige Begründungsmuster subjektiv-funktional war und welche Bedeutungen und Bedingungen sie nahe legten (vgl. Markard 2009: 284).
Als theoretisches Ergebnis wird bei solch einem positiven Gesprächsverlauf das Verständnis des Problems auf eine höhere Stufe gehoben:
„Man redet am Schluß letzendes noch über das gleiche wie am Anfang, aber auf einem höheren Niveau der Selbstreflexion und des Gegenstandsbezugs“ (Holzkamp 1996a: 106)
C) „Umkehrung“
Wenn wir in B) die kritischen Momente der verwendeten Begründungsmuster herausgefunden haben, kann ich jetzt auch genauer bestimmen, inwieweit sie mit meinen Ausgangsproblemen zu tun haben. Wenn diese Muster dazu führen, dass sie mich hindern, meine Lebensinteressen zu erfüllen, dann sollte ich sie verändern und glücklicherweise sind solche Begründungen in den meisten Fällen tatsächlich veränderbar.
Wir haben in der Zusammenstellung der Analysegesichtspunkte schon einige Begriffe bereitgestellt, die jetzt genutzt werden können für Überlegungen nach Ansätzen für eine Veränderung. Aus der Methode der Zukunftswerkstätten kennen wir die Methode der Umkehrung. Dort wird die zusammengefasste Kritik an einem Thema positiv umformuliert, um zur Utopie zu kommen. In unserem Gespräch auf dem Weg zu geeigneteren Begründungen für problemlösendes Handeln können wir die in den Leitgesichtspunkten ermittelten kritischen Momente der bisherigen Begründungsmuster zuerst einfach umkehren. Aus Personalisierung kann De-Personalisierung werden, aus Zentrierung De-Zentrierung, aus der Unmittelbarkeitsverhaftetheit das Durchbrechen dieser, d.h. das Berücksichtigen von Vermittlungsschritten usw.
- Durchbrechung der Unmittelbarkeit:
Welche Sprach- und Denkformen sind in meine „Erfahrungen“ eingebaut? Wie kann sie ggf. ersetzen?
Wo stecken nicht hinterfragte „Selbstverständlichkeiten“ über das Funktionieren der Gesellschaft?
Welche nicht sinnlich erkennbaren gesellschaftlichen Strukturen ermöglichen bzw. verhindern Handlungsmöglichkeiten?
Welche Bedeutung gebe ich den Bedingungen? – welche anderen wären möglich?
Welche der Bedeutungen werden zu meinen Prämissen? – welche anderen wären auch möglich?
Ergeben sich aus den gefundenen Alternativen andere Begründungen für mich?
Strukturen hinter Konkurrenzverhältnissen sehen - Emotion/Kognition/Motivation
Emotionalität als Beziehungsaspekt, der nicht primär aus dem Inneren kommt, sondern Wissen über die Welt erschließt
Das das Unmittelbare überschreitende Denken vor dem nur feststellenden Deuten bevorzugen
Interessen und Gründe thematisieren statt „Motivation“ - De-Zentrierung
Das bisher Ausgeblendete mit einbeziehen.
De-Personalisierung/ Menschen als Subjekte nehmen
Intersubjektive Beziehungen statt instrumentalisierenden;
Ich schaffe mit anderen eigenen Bedingungen statt bevormundendes Schaffen von Bedingungen „für andere“ - Kontraproduktivität/Selbstschädigung
Die gefundene Begründung, die zur Problemverfestigung und Selbstschädigung führt, durch eine ersetzen, bei der das nicht zu erwarten ist.
Welche Risiken sind nun zu erwarten? Wie kann ich mit ihnen umgehen?
Damit liegen Komponenten vor, um nach neuen Begründungen zu suchen. Auch wenn die gesellschaftlichen Bedingungen nicht allein und nicht kurzfristig verändert werden können, kann die Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten eventuell in neuen Richtungen vorangetrieben werden. Der Weg dazu führt über neue Begründungsmuster, die die erkannten Beschränkungen nicht mehr aufweisen (vgl. Holzkamp 1996b: 166f.).
Es ist zu erwarten, dass die Beteiligten für ihr jeweiliges Problem neue Sichtweisen entwickeln und neue Handlungsmöglichkeiten entdecken. Obwohl jede Person die Welt anders erfährt und anders in ihr handelt, ist es doch dieselbe Welt (mit denselben strukturellen Bedingungen für alle). Deshalb lässt sich aus den neu gefundenen Handlungsmöglichkeiten sicher auch eine Art „allgemeiner Handlungsraum“ zusammenfassen, der allen weiterhin für ihre nächsten Entwicklungsschritte zur Verfügung steht. Es können „Handlungstypen“ zusammen gefasst werden, die sich „nicht auf Menschen und ihnen zugeschriebene Eigenschaften“, sondern „auf Handlungsmöglichkeiten bei gegebenen Bedeutungs- und Begründungsverhältnissen“ beziehen (Markard 1988: 289).
Mit den gefundenen neuen Begründungsmustern beginnt jetzt der Tanz auf dem Seil, der umso besser funktioniert, je weniger allein die entsprechende Person ist.
„Empfehlenswert wäre, mit den interessierten und beteiligten Menschen nach neuen, ihrer Lebensführung angemessenen Form zu suchen, diese auszuprobieren und im Verlaufe des Prozesses auch zu verändern.“ (Bader 2016: 105)
Im günstigsten Fall können alle Beteiligten sich regelmäßig treffen und die Ergebnisse der Veränderung der Begründungen und Handlungen wieder zusammen diskutieren (so wie es im Projekt „Subjektentwicklung in früher Kindheit“ (Markard 1985) der Fall war). In Entwicklungsprozessen ist ja nicht zu erwarten, dass mit einem Schritt ein neues ständig zufriedenstellendes Ergebnis entsteht. Für solche Prozesse wurde von Morus Markard der Begriff „Entwicklungsfigur“ eingeführt. (Markard 2009: 280f)
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