An der Universität Jena fanden nach 1990 mehrmals sog. „Alternativ-Unis“ statt. Nach der Durchsetzung der Bachelor-Master-Studien war dazu dann einige Jahre lang keine Kraft mehr vorhanden. Aber jetzt gibt es wieder so etwas Ähnliches: Die Alternativen Orientierungstage (ALOTA).
Ich werde heute nachmittag einen Workshop zum Thema „Welches Wissen brauchen wir?“ mit gestalten. Dabei fiel mir wieder einmal die klassische Rede von Schiller hier in Jena aus dem Jahr 1789 ein.
Er unterscheidet da zwischen den Brotgelehrten und den philosophischen Köpfen. Das liest sich immer wieder gut…
„Wo der Brodgelehrte trennt, vereinigt der philosophische Geist. Früher hat er sich überzeugt, daß im Gebiete des Verstandes, wie in der Sinnenwelt, alles in einander greife, und sein reger Trieb nach Uebereinstimmung kann sich mit Bruchstücken nicht begnügen. […]
Neue Entdeckungen im Kreise seiner Thätigkeit, die den Brodgelehrten niederschlagen, entzücken den philosophischen Geist.“
„Zu allem was der Brodgelehrte unternimmt, muß er Reiz und Aufmunterung von aussen her borgen: der philosophische Geist findet in seinem Gegenstand, in seinem Fleiße selbst, Reiz und Belohnung. […]
Nicht was er treibt, sondern wie er das, was er treibt, behandelt, unterscheidet den philosophischen Geist.“
Oktober 21, 2016 at 6:56 pm
Verwende ich auch in Vorlesungen und Aufsätzen – danke, dass Du es auch hier verbreitest! Verarmung und Verschulung der Universitätsausbildung fördern den Typ des Brotgelehrten.
Oktober 22, 2016 at 8:00 am
Zu Schillers Zeiten wurden an den Universitäten vor allem Pfaffen und Beamte ausbildetet, die „philosophischen Köpfe“ waren sicher damals schon die Ausnahme. In den letzten Jahren wurden die Hochschulen ziemlich erfolgreich neoliberal umgebaut und auch für die meisten, die an die Unis einziehen, ist Studium eigentlich nur eine normale Berufsausbildung. Sog. „höhere“ Interessen sind da auch eher die Ausnahme. Deshalb gibt es auch so wenig Kritik an dem Schmalspur-Horizont.
Echte Bildung geht heute anscheinend anders. Ich habe gerade vom Projekt des „autodidaktischen Semesters“ gelesen: http://www.handlungsspielraum-berlin.de/
Oktober 22, 2016 at 9:18 pm
Vor etwa 20 Jahren antwortete ein Professor auf die Frage der Deutschen Hochschulzeitung, was ihm an der „heutigen Studentengeneration“ besonders gefalle, „ihr Pragmatismus“.
Das bestätigt die Klage eines deutschen Kollegen in „europhysics news“ Anfang der 1990-er Jahre, dass die „Wissenschaft zur Marktschreierin verkommen ist“.
Natürlich hat auch das Vorgänger: In seinem 1977 erschienenen Physik-Lehrbuch schreibt ein Fermi-Schüler: „Physik ist das, was die Physiker spätabends tun“.
Möglicherweise hat Kuczinsky recht, wenn er schreibt, dass das westdeutsche System für etwa 3% der Studenten besser sei. Reicht das aber aus, um die überragende deutsche Ingenieurskunst zu erklären?
Oktober 23, 2016 at 7:00 am
„überragende deutsche Ingenierskunst“??? Glaubst Du da wirklich dran? Ich kenne eine Firma, die sich lange eingebildet hat, die Chinesen könnten ihre Technologie nie nachbauen, weil die alle nur auswendig lernen würden in der Schule und im Studium. Aber inzwischen kommen die meisten Patente zu diesem Gebiet aus China (was natürlich auch mit der reinen Menge an aktivierbarem Potential dort zu tun hat). Aber aus der Quantität ist eben auch Qualität entstanden.
Gleichzeitig hört man hier immer mehr, dass die neoliberale Umgestaltung auch der Ingenieursstudien nichts Gutes bringt…
Oktober 23, 2016 at 10:13 am
„Überragende“ deutsche Ingenieurskunst ist vermutlich zu pathetisch und gilt natürlich nicht für alle Gebiete, sondern vor allem für jene, die uns zum Export-Weltmeister machen. Freilich holen andere Länder auf bzw. haben dies bereits. Japan baut bereits ein Viertel Jahrhundert Autos nicht nur nach, sondern ist in den 1990-er Jahren mit praktischen Details und längeren Garantiezeiten vorangeschritten. Siemens hat China ein Kompetenzzentrum für Telekommunikation geschenkt, um den Transrapid loszuwerden. Jetzt punktet Huawei mit originellen Smartphones (nur das Update der Firmware haben sie noch nicht im Griff). Die in den 1970-er Jahren, in denen viel zu oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde, in Westdeutschland entstandene Skepsis gegenüber Technik, Ordnung und Disziplin hat die Situation natürlich auch nicht verbessert. Ein BEng ist i. d. R. gut für alltägliche Ingenieursarbeiten. Die breitere Ausbildung nebst gründlicherer Beschäftigung mit einem Spezialgebiet befähigt einen MEng aber eher zu strategischem Denken und zu Leitungsfunktionen.
Oktober 23, 2016 at 10:17 am
HandlungsSpielRaum ist eine tolle Idee – wohl denen, die es sich leisten!