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Während der Beschäftigung mit dem Thema „Bedürfnisse“ wies mich Tom K. auf ein Buch von Agnes Heller mit dem Titel „Theorie der Bedürfnisse bei Marx“ hin. Auf der Rückseite ihres Buches steht die fundamentale Frage: | ![]() |
„Die Bedürfnisstruktur der kapitalistischen Gesellschaft gehört zur kapitalistischen Gesellschaft – allein und ausschließlich. Wenn aber ein Bedürfnissystem zu einem gegebenen gesellschaftlichen Gebilde gehört, wie können dann die subjektiven Kräfte zustande kommen, die diese Gesellschaft stürzen?“
Einzeltexte hierzu:
- Zur Bedeutung der Arbeit von Agnes Heller über Bedürfnisse
- Marx zu Bedürfnissen (im Kapitalismus)
- Maßstab und Zielhorizont des „Nicht-Entfremdeten“
- Bedürfnisse im Kapitalismus und ihre Ziel-Mittel-Umkehrung
- Radikale Bedürfnisse – für eine alternative Revolutionstheorie
- Bedürfnisse in der „Gesellschaft der assoziierten Produzenten“
- Überwindung des Kapitalismus oder Frustration der radikalen Bedürfnisse?
Einen umfassenden Text über Bedürfnisse gibt es jetzt im Philosophenstübchen als pdf.
Februar 1, 2017 at 10:08 am
Ist doch einfach: das Bedürfnis nach einer revolutionären Anpassung der Aneignungsbedingungen an ein gewisses Ausmaß an Entwicklung der menschlichen Schaffenskräfte (die immer auch Destruktivkräfte sind) ist in der Entwicklung des Bedürfnissystems der alten Gesellschaft angelegt, und es käme darauf an, dieses Bedürfnis mitsamt der entsprechenden Fähigkeiten (Produktivkräfte) zu stärken.
Februar 3, 2017 at 9:13 am
So einfach scheint es nicht zu sein. Und „einfach“ ist Deine Antwort „Bedürfnis nach einer revolutionären Anpassung der Aneignungsbedingungen“… auch nicht. Ich kann mir zwar denken, worauf Du hinaus willst, aber das ist eine recht abstrakte Aussage, und sagt nichts darüber aus, wie die Menschen, wie Du und ich dieses Bedürfnis erleben. Und auch nichts darüber darüber, wie wir mit Menschen reden und handeln können, die so ein Bedürfnis in ähnlicher Weise haben. Oder wie wir damit umgehen, wenn wir das Gefühl haben, dass zu viele Menschen um uns herum solche den Kapitalismus überschreitenden Bedürfnisse nicht haben…
Vielleicht wird die Problematik noch etwas klarer, wenn ich mit dem Aufschreiben einiger geplanter Texte zum Thema Bedürfnisse, und zu Agnes Heller weiter gekommen bin.
Februar 3, 2017 at 9:47 am
Die zitierte Aussage von Agnes Heller ist ja nun mal eine abstrakte, und ich habe lediglich auf deren zentralen Denkfehler hingewiesen, nämlich . die für das undialektische Feinbilddenken des „Anti-Kapitalismus“ typische Vorstellung eines widerspruchslosen und entwicklungsunfähigen Bedürfnissystems des Kapitalismus, dem immer gleiche Bedürfnisse entsprechen. Diese Wahrheit ist einfach, die daraus zu ziehenden praktischen Konsequenzen, nämlich eine Reformorientierung mit einer (öko-) kommunistischen Transformationsperspektive zu entwickeln, ist ein wenig komplizierter – aber möglich ;-).
Februar 3, 2017 at 10:45 am
Woher hast Du, dass sie ein „undialektisches Feindbilddenken“ habe mit einer „typische[n] Vorstellung eines widerspruchslosen und entwicklungsunfähigen Bedürfnissystems des Kapitalismus, dem immer gleiche Bedürfnisse entsprechen“ ?
Februar 3, 2017 at 1:22 pm
Ich spreche allein von der zitierten Aussage. Über Agnes Heller maße ich mir kein Urteil an. Werde ihren Text wohl auch lesen und dann sehen. Aber vielleicht ist das ja gar keine Behauptung eines Widerspruchs zwischen kapitalistischen Bedürfnissystem und der Möglichkeit des Bedürfnisses, diese Gesellschaft (bzw. Gesellschaftsordnung) zu stürzten, sondern tatsächlich die Frage nach den im kapitalistischen Bedürfnissystem steckenden Revolutionspotenzial. Dann hätte ich die Aussage missverstanden und nehme alles zurück.
Februar 3, 2017 at 4:55 pm
„Ich spreche allein von der zitierten Aussage“ – also wirklich, das ist zu viel hineingelesen. Sie spricht von zwei Bedürfnissystemen, aber dass da „undialektisches Feindbilddenken“ und eine „typische Vorstellung eines widerspruchslosen und entwicklungsunfähigen Bedürfnissystems des Kapitalismus“ drin steckt, ist allein Deine Hineinprojektion.
Mich stört das wirklich, dieses Hineinprojizieren und dann die ach so kluge Kritik, die auf diesen erst selbst erzeugten Fehler einschlägt. So kann man kaum eine Aussage machen, ohne dass sie zuerst mal fehlverstanden wird und dann vom wirklich Spannenden ablenkende Debatten geführt werden müssen.
Februar 5, 2017 at 1:34 pm
Wenn also wirklich die Frage sein soll, wie die in der Entwicklung des kapitalistischen Bedürfnissystems steckenden Dispositive des Bedürfnis nach (öko-) kommunistisch bestimmten Interaktionsbedingungen entdeckt und voran gebracht (weiterentwickelt und gestärkt) werden (können) ist diese Frage natürlich äußerst sinnvoll und es käme darauf an sie emanzipationsproduktiv zu beantworten.
Und sollte dies zu der Erkenntnis führen, dass es auf eine emanzipationsproduktive Wechselwirkung ankäme von einerseits Zielsetzungen, die von den GEGENWÄRTIGEN Möglichkeiten absehen aber aber entsprechend sozio-ökologisch bestimmter Notwendigkeiten gesetzt werden und andererseits einer Reformpolitik, die wirkliche (soziale) Fortschritte in Richtung des als notwendig erkannten anstrebt bzw. organisiert, so könnte tatsächlich eine sehr konstruktive Debatte beginnen.
Februar 5, 2017 at 3:45 pm
Du formulierst hier ein „wenn“ und ein „sollte“. Ich lese das bei Dir so, dass Du schon alles weißt, und nur „wenn“ sich dem alle anschließen, könnte eine Debatte beginnen…
Oder hast Du selbst auch noch offene Fragen?
Februar 5, 2017 at 7:18 pm
Hast du missverstanden. Gemeint habe ich: sollte Anges Heller mit der von dir zitierten Aussage zum Ausdruck gebracht haben, dass es jetzt darauf ankäme, Dispositive des Bedürfnisses nach (öko-) kommunistisch bestimmten Interaktionsbedingungen zu entdecken (weiterzuentwickeln und zu stärken) wie sie sich innerhalb der historisch gewachsenen Bedürfnissysteme des Kapitalismus herausbilden, dann wäre das natürlich sehr gut.
Dem (gemeinsam) nachzugehen könnte unter der Voraussetzung sehr fruchtbar sein, dass die Bedeutung einer adäquaten Reformpolitik (einschließlich der auf sie drängenden sozialen Bewegungen) für die Möglichkeit eines dementsprechenden Bedürfniswandels nicht unterschätzt oder gar negiert wird.
März 11, 2017 at 6:16 pm
Vielen Dank für die Beiträge! Ich bringe den Kommentar hier an, weil es mir so scheint, als würde er hier am besten passen (nach dem er zuerst woanders war ;)). Und zwar geht es um die Beziehung zwischen Produktivkräften, Bedürfnissen und radikalen Bedürfnissen.
Bei deiner Darstellung kam es mir so vor, als würde Heller die marxsche geschichtsphilosophische Bewegung von dem Gattungswesen zu den Produktivkräften mitzumachen. Nicht die allgemeinen-abstrakten Bedürfnisse des Menschen werden durch den Kapitalismus negiert, sondern im Kapitalismus (durch die neue Produktivkraftentwicklung) entstehen neue (radikale) Bedürfnisse, welche den Kapitalismus transzendieren können. Dies scheint mir doch im Widerspruch zur kritisch-psychologischen Konzeption zu stehen, in der der produktive Aspekt der Bedürfisse (die Teilhabe an und Kontrolle der Lebensbedingungen) eine allgemein-abstrakte Bestimmung der menschlichen Bedürfnisse ist. Oder habe ich diesen Widerspruch nur hineininterpretiert?
(Dieser „Widerspruch“ berührt auch die Frage nach der ‚zivilisatorischen Mission‘ des Kapitalismus. Denn wenn erst der Kapitalismus „kommunistische Bedürfnisse“ entwickeln könnte, wäre diese Epoche ja notwendig.)
Ich würde mich eher auf die Seite der KP stellen: schon die allgemein-abstrakte Bestimmung des Menschen (die menschliche Natur) zielt auf den Kommunismus. Jedoch können Epochen der historischen Bewusstwerdung dafür nötig sein um diese auszudifferenzieren, zu entwicklen, etc. Die Frage inwiefern die gesellschaftliche Entwicklung eine Entwicklung der Bedürfnisse darstellt finde ich dabei sehr spannend. Dies berührt wiederum die Frage nach der Geschichtsphilosophie.
Stefan bestimmt die Geschichte ja manchmal als „Selbstentfaltungsprozess des Mensch-Gesellschafts-Verhältnis“. Marx bindet ja die Entfaltung wieder an die Produktivkraftentwicklung zurück: nur so weit kann sich der Mensch entfalten, wie es die Produktivkräfte zulassen. Die Produktivkraftentwicklung (PKE) folgt nun aber nicht menschlichen Bedürfnissen, sondern hat eine eigene Dynamik. Diese ‚Vorherrschaft‘ der PKE führt bei Adorno dazu, diese Geschichte als unmenschliche „Vorgeschichte“ zu kennzeichnen, welche bloß durch die Verbesserung der (inneren und äußeren) Naturbeherrschung begriffen werden kann. Aber ist wirklich die PKE entscheidend? Ellen Wood betont ja auch die bestimmten sozialen Entwicklungen, welche zum Kapitalismus führten und nicht durch die PKE erklärbar sind. So lange wir nicht die „Logik der Geschichte“ finden könnten wir aber noch immer die Logik der menschlichen Entfaltung (der Bedürfnisse) innerhalb der Gesellschaftsepochen suchen. Aber Geschichte bleibt einfach kompliziert.
Alles Liebe,
Simon
März 12, 2017 at 7:43 am
Zu den PKE noch: In Deinen Bemerkungen schwingt die Frage mit, ob es die menschlichen Bedürfnisse seien, die die Entwicklung voranbringen oder die PKE (Produktivkraftentwicklung)…
Das impliziert eine Trennung zwischen den Menschen und den PK (Produktivkräften). Damit sind die PK aber nicht allgemein-überhistorisch bestimmt, sondern spezifisch kapitalistisch. Allgemein betrachtet sind die PK die PK der Menschen.
Die Trennung ist im Kapitalismus ein „objektiver Schein“, indem die PK im Kapitalismus ebenso „verkehrt“ werden wie andere Beziehungen. Die menschlichen PK erscheinen als PK des Kapitals und diese verselbständigen sich in dieser Gesellschaft gegenüber den Menschen. Das ist dann das, was Adorno und Co. ansprechen…
März 12, 2017 at 9:53 pm
Auch Bedürfnisse sind Produktivkräfte. Sie sind notwendiges Element der Her- und Bereitstellung von Gebrauchswerten, also der der Bedürfnisbefriedigung dienlichen Mittel, die nicht von der Natur gratis bereit gestellt werden.
Die Entwicklung von Bedürfnissen und die der technologischen, wissenschaftlichen, geistigen, individuellen, gesellschaftlichen, nationalen usw. Fähigkeiten, sie zu befriedigen vollziehen sich in Wechselwirkungen zueinander und vermittels von Regeln (bzw. Produktionsbedingungen), die durch sie jeweils – historisch – möglich bzw. notwendig werden,
In den kapitalistischen Vermittlungsformen angelegter Kommunismus zeigt sich etwa im (aus meiner Sicht hoffentlich bald ausgesprochen produktivkräftigen) Begehren, Widersprüche zwischen dem (welt-) gesellschaftlichen Charakter kapitalistischer Produktion und Aneignung und deren privateigentümlichen Vermittlung / Ausrichtung, wahrzunehmen und gegebenenfalls die Aufhebung dieses Grundwiderspruches herbeizuführen, d.h. Produktionsverhältnisse zu etablieren, deren zentrales Merkmal es wäre, dass über wesentliche Zwecke, Standards usw. der Produktion und Aneignung der zur Bedürfnisbefriedigung dienlichen Mittel (welt-) gemeinschaftlich und zwar mit dem Ziel entscheiden zu können, dass am Ende alle gut leben können sollen ohne dass dies die Grundlagen des guten Lebens aller zerstört. .
Es kann übrigens nicht schaden, immer einmal wieder einen Blick auf Marx Ausführungen dazu zu werfen.
https://oekohumanismus.wordpress.com/damit-die-entfremdung-eine-unertragliche-macht-wird/
https://oekohumanismus.wordpress.com/about/marx-ueber-die-aufhebung-materieller-verhaeltnisse-und-darin-wurzelnde-rechtsauffassungen/
https://oekohumanismus.wordpress.com/about/richtiges-streben-im-falschen-leben/marx-uber-sein-und-bewusst-sein/
Siehe auch: https://oekohumanismus.wordpress.com/about/marx-ueber-die-aufhebung-materieller-verhaeltnisse-und-darin-wurzelnde-rechtsauffassungen/
März 12, 2017 at 7:49 am
Zur „Notwendigkeit“ des Kapitalismus.
Der Kapitalismus war insofern „notwendig“, als alle Bedingungen zu seiner Verwirklichung gegeben waren/sind (Vorliegen der Bedingungsgesamtheit ist das Bestimmende für etwas Notwendiges).
Aus der Sicht der heutigen Situation war natürlich der Kapitalismus die Voraussetzung für das, was daraus entstanden ist, im Guten wie im Schlimmen.
Ob auf andere Weise lebenswerte Gesellschaften ohne Ausbeutung, Unterdrückung bzw. die Voraussetzungen dazu hötten entstehen können, müssen wir offen lassen. Das werden wir wissen, wenn wir mehrere Zivilisationen im Universum studieren können und schauen können, obs auch welche ohne so was wie eine kapitalistische Phase geschafft haben. Oder man nimmt einfach die Kulturen auf der Erde ernst, von denen mitgeteilt wird, dass sie auch auf einem Niveau, dem wir nur eine geringe PKE zuschreiben würden, glücklich und zufrieden sind/waren und das wäre dann auch okay.
März 15, 2017 at 7:13 pm
Ob Gesellschaften auf Grundlage lokalkommunistisch bestimmter Vergesellschaftung ok oder nicht ok sind, ist wohl nicht die Frage.
Entscheidend ist, dass wo immer die Individuen das Vermögen verlieren,über die Entwicklung und den Einsatz der eigenen Produktionsbedingungen (mit) zu bestimmen und deshalb zur Lohn- und Gehaltsarbeit (Vermietung ihres Arbeitsvermöges) oder deren Ausbeutung) genötigt sind, sobald sich also kapitalistische Verhältnsse herausbilden, geraten die „loklalkommunistisch“ bestimmten Gesellschaften notwendig in Bedrängnis. Diese Bedrängnis können nach Marx/Engels, und das halte ich für eine starke These, nur auf dem Weg zur Etablierung globalkommunistisch bestimmter Interaktionsbedingungen überwunden werden.
Das Lokalkommunistische könnte letztlich nur im Welltkommunistischenaufgehoben sein – im doppelten Sinne deren Bewahrung und Überwindung.
In eine kommunistische Richtung gehende Geschichtsphilosophie kann nicht mehr als nachvollziehbare Gründe zusammentragen, die ein entsprechendes Wunschdenken rechtfertigen und sich darüber hinaus sich in die Lage versetzen, Bedingungen der Möglichkeit eines solchen Geschchtsverlaufs zu benennen.
Dazu gehört logiisch, dass 1.) die prinzipielle (!) Möglichkeit einer weltgemeinschaftlichen Bestimmung der Ressourcennutzung hinstorisch herangereift ist, man aber 2.) in diese Richtung auf Basis der gegebenen Produktionsbedingungen nicht hinreichend voran kommt und dass 3.) das Wissen um den strukturellen Mangel an Möglichkeit, das gesellschaftliche Für- und Voneinander auf Grundlage eines weltgemeinschaftlichen Ressourcen bzw. Nachhaltgkeitsmanagements zu regeln….
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 34 – 35
März 12, 2017 at 7:32 am
An einem Teil dieses Themenkomplexes habe ich mich abgearbeitet in dem Text – Maßstab und Zielhorizont des „Nicht-Entfremdeten“ – (https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2017/02/19/massstab-des-nicht-entfremdeten/).
Das Problem ist, dass die KrPs eine Art Sonderstellung einnimmt. Sie positioniert sich da nicht ganz eindeutig (weil sie ja auch keine Geschichts- oder Zukunftsphilosophie ist).
Ich bin eigentlich mittlerweile ziemlich vollständig auf den „Eule der Minverva“-Standpunkt gerückt. Man kann aus dem erreichten Stand der Geschichte Rückschlüsse auf die Entwicklung bis dahin ziehen, Aussagen über die Zukunft sind ein ganz anderes Thema.
Und ich bezweifle, dass es eine durchgängige „Logik der Geschichte“ gibt. Man kann so eine Logik nur rekonstruieren „nach hinten“ vom Standpunkt der Eule der Minerva. Dann hat man aber nur die Lösungsmöglichkeiten der Entwicklungswidersprüche im Blick, die sich historisch durchgesetzt haben, nicht die, die vom Standpunkt der damaligen Situation her auch möglich gewesen wären. Erst im Nachhinein kann man konstatieren, dass sich etwas mit Notwendigkeit durchgesetzt hat, weil die Gesamtheit aller Bedingungen gegeben war. Die Bedingungen ändern sich in der Gegenwart und erst recht der Zukunft aber ständig, nicht zuletzt durch das eigene Tun, das nicht vollständig determiniert ist. Insbesondere gibt es im Verlauf der rekonstruierten Geschichte auch Umbrüche, die sich nicht logisch aus dem Vorherigen ableiten lassen, wie z.B. die ursprüngliche Akkumulation in Europa. Ich denke, der künftige Umbruch vom Kapitalismus zu irgend etwas ist auch so ein „unlogischer Bruch“, der wesentlich bestimmt wird durch die Folgen des Überschreitens der Planetaren Grenzen. Dieses Überschreiten folgte zwar letztlich der kapitalististischen Expansions- und Blindheit-gegenüber-ökologischen-Folgen-Logik, aber was daraus folgt, lässt sich nicht logisch ableiten. Wir können nur die Bedingungen analysieren und daraus das Möglichkeitsfeld abstecken und das Unsere tun um die Bedingungen so zu verändern, dass die von uns gewünschten zukünftigen Zustände eine höhere Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung erhalten. Die Erfahrung, wie Umbrüche früher stattfanden, kann da heuristisch hilfreich sein (und hier findet auch die „Keimform-Theorie“ durchaus ihren Platz).
Wenn Du schreibst: „schon die allgemein-abstrakte Bestimmung des Menschen (die menschliche Natur) zielt auf den Kommunismus“ – so weiß ich wirklich nicht, wie eine abstrakt-allgemeine Bestimmung auf etwas „zielen“ sollte. Die abstrakt-allgemeine Bestimmung ist IMMER realisiert, wenn auch in unterschiedlichen Formen. Diese Formen werden sich weiter verändern, aber dass sie irgendwie näher an die abstrakt-allgemeine Bestimmung rankommen söllten, ist für eine (materialistische) zeitliche Entwicklungsbetrachtung nicht begründbar. Ein Tier wird nicht erst in den höheren Entwicklungsstufen „wirklich Tier“…. Wieso sollte die menschliche Gesellschaft erst im Kommunismus eine „wirklich menschliche Gesellschaft“ werden, war sie vorher „unwirklich“?
Diese Vorstellung der zeitlichen Verwirklichung des abstrakten Wesens ist wirklich ein Relikt aus der logischen Betrachtungsweise durch Hegel. Nur da ist das, was am Ende „rauskommt“ am Anfang schon „an sich“ gegeben und entfaltet sich dann immer mehr. Für die zeitliche Entwicklung wäre das eine zusätzliche mystische Annahme.
(Ich habe ja nicht umsonst vor ca. 2 Jahren das Thema „Geschichtsphilosophie“ abgebrochen, weil mir immer unwohler damit wurde, weil ich da auch noch zu sehr auf dem Trip war, das Logische in das Historische hineinzudeuten. Nach dem Abstand von einiger Zeit kann ich mich selber ganz gut von den eigenen „Verblendungen“ lösen und diese Vorstellung aufgeben.)
Die Frage, was das geschichtlich-„Aufwärtsstrebende“ ausmacht, ist damit nicht abgewiesen, sie muss nur neu beantwortet werden. Nicht mehr mit dem Wirken des abstrakt-menschlichen Wesens.
Allgemein entwicklungstheoretisch gibt es das Prinzip der Irreversibilität durch die Veränderung und Selbstveränderung der Bedingungen (in meinem ersten Buch „gefunden“). Da passt die PKE-Debatte dann besser. Menschen entwickeln ihre Produktivkräfte und damit sich selbst und sich selbst, in dem sie ihre Produktivkräfte entwickeln… Marx schrieb dazu 1846 an Annenkow: „… daß die Menschen, indem sie ihre Produktivkräfte entwickeln, d.h., indem sie leben, bestimmte Verhältnisse zueinander entwickeln, und daß die Art dieser Verhältnisse sich mit der Wandlung und dem Wachstum dieser Produktivkräfte notwendig verändert…“ (MEW 27: 457).
Soweit ich St.Mz. richtig verstanden habe, geht es ihm bei der Bedeutung der Erkenntnis des abstrakt-allgemeinen Wesens für die Zukunft darum, die grundsätzliche Möglichkeit für einen Kommunismus/Commonismus (also die Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr vermittelt über persönliche Herrschaftsverhältnisse oder kapitallogische Dynamiken außerhalb des bewussten Wirkens der Menschen als „frei assoziierte“ gesellschaftliche Individuen ihre Beziehungen bewusst gestalten) nachzuweisen. Also zu zeigen, dass diese gewünschte Form auch innerhalb der möglichen Formen liegt. Das ist meiner Meinung nach in Ordnung. Aber daraus etwas wie eine Triebkraft der Geschichte finden zu wollen, also dass diese Möglichkeit die Wirklichkeit quasi zu sich zieht, das funktioniert nicht.
März 14, 2017 at 4:50 pm
Ich weiss nicht ob ich mich bis jetzt klar ausgedrückt habe. Mir geht es um folgendes:
1. Es gibt keine geschichtsphilosophische Notwendigkeit zum Kommunismus, wohl aber eine Möglichkeit. (Abstrakte Möglichkeit des Kommunismus)
2. Der Mensch strebt aufgrund seiner menschlich-allgemeinen (abstrakten) Situaiton zum Kommunismus. (Abstraktes kommunistisches Streben)
3. Dieses Streben muss sich realisieren. Es benötigt bestimmte Bedingungen um sich auszudrücken. Dann wird das Bedürfnis Motivation. (Konkretes (individuelles) kommunistisches Streben. Konkrete (gesellschaftliche) Möglichkeit des Kommunismus) – Transformationstheorie
Ich glaube unsere Meinungsverschiedenheiten liegen bei Punkt 2. Ich versuche zuerst mal deine Kritik gegen diese „abstrakte“ Ableitung zu sammeln (damit wird davon ausgehen können, dass ich wenigstens deine Kritik verstanden habe). Folgende Punkte sehe ich da (Nebenbemerkung: Die folgenden Punkte erschließen sich nicht bloß aus den Texten auf der Website, sondern stammen auch aus einem Mail-Austausch, ich hoffe, dass sie trotzdem verständlich sind):
1. Aus einer abstrakten-allgemeinen Bestimmung (die Gesellschaft, der Mensch, die Materie) kann kein Streben abgeleitet werden. Der Begriff zielt oder strebt nach nichts bestimmten.
„Man kann, das war bei meiner Bemerkung das Wichtige: den abstrakten Begriff „die Materie“ oder „die Gesellschaft“ oder auch „der Mensch“ nicht dazu verwenden, als Maßstab oder scheinbare Zielorientierung für die historische Entwicklung der Materieformen, der Gesellschaftsformen oder der verschiedenen Weisen, Mensch zu sein, benutzen. (Mail)“
Es „steckt im Begriff (…), DASS der Mensch sich bewusst zu seinen Lebensbedingungen verhalten kann (…). Das sagt aber noch nichts aus, WIE er damit umgeht.(Mail)“
1.2. Die abstrakte Bestimmung drückt sich immer konkret aus. Der Begriff/der Mensch ist immer konkret realisiert. Auch ein Mensch im Kapitalismus realisiert bspw. den produktiven Aspekt seiner Bedürfnisse, wenn auch beschränkt.
1.3. Deshalb ist jeder Versuch ein Streben im Allgemeinen zu finden willkürlich. Es ist ein Hineinprojizieren.
„Wenn Du versuchst, in die allgemeinen Bestimmungen (Möglichkeitsbeziehung, produktive Bedürfnisse…) das hineinzuprojizieren, was Du möchtest (Bedürfnis nach Potentialentfaltung), dann sind es ziemlich willkürliche Setzung. (Mail)“
2. Es gibt keine zeitliche Verwirklichung des abstrakten menschlichen Wesens. Dies ist ein geschichtsphilosophisches hegelsches Relikt. Wenn man dies annehmen würde, müsste man hegelianisch die 3. Stufe (die Bewegung der Gegensätze, das konkrete Identische) der Negation der Negation kennen. Dies gilt aber bloß für den erkenntnistheoretischen Prozess, nicht den historischen. Bei historisch müsste man den kommunistische Mensch voraussetzen. Dann wäre aber das Ziel der Entwicklung, der gesamten Entwicklung schon vorausgesetzt. Das wäre eine Tautologie.
„Wenn dieses Muster „materialisiert“ wird und die logische (ideelle) Entwicklung umstandslos als historische (materielle) gedeutet wird, so entfällt die Begründung für die Bestimmtheit des Weges durch die bereits vorhandene höchste Form des Sich-Entwickelnden. (Maßstab des Nicht-Entfremdeten)“
Nun versuche ich die Antworten:
zu1: In jeder konkreten Gesellschafts-, Materie- und Menschen(?)form realisiert sich der abstrakte Begriff. Es gibt aber einen wichtigen, dir natürlich bekannten, Unterschied zwischen Materie, Gesellschaft und Mensch. Der Mensch ist ein bedürftiges Wesen. Er strebt nach etwas, will etwas. Diese Bedürfnisse sind durch den abstrakt-allgemeinen Begriff des Menschen bestimmt, drücken sich immer konkret aus.
Die hierbei entscheidende allgemeine Qualität der (menschlichen) Bedürfnisse ist: sie haben einen produktiven Aspekt. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen, dass sich zu seinen Bedingungen verhalten kann. Die Gesellschaftlichkeit bedeutet, dass die Quellen seiner Bedürfnisbefriedigung gesellschaftlich vermittelt sind. Die Möglichkeitsbeziehung zur Welt macht die vorsorgende Befriedigung seiner Bedürfnisse zu einem Bedürfnis. Zusammen bedeutet dies, dass der Mensch, aufgrund seines allgemeinen Wesens, das Bedürfnis hat über die gesellschaftlichen Quellen seiner Bedürfnisbefriedigung vorsorgend zu verfügen. Dieses Bedürfnis kommt aus der „menschlichen Situation“, aus dem Mensch-Sein selbst und ist deshalb allen Menschen eigen. Das Allgemeine des Menschen ist für mich also ein ‚bedürftiges Allgemeines‘, ein ’strebendes Allgemeines‘.
Natürlich findet die allgemeine Bestimmung immer einen konkreten Ausdruck, doch auch in diesem gibt es diesen produktiven Aspekt der Bedürfnisse. Dieser ist teilweise befriedigt, indem der Mensch an dem gesellschaftlichen ReProduktionsprozess teilhaben kann und ihn auch teilweise mitgestalten und kontrollieren. Doch war dieses Bedürfnis bis jetzt in allen Gesellschaftsformen auch beschnitten. Die Deprivation der Bedürfnisse äußert sich verschiedenartig emotional als Ohnmacht, Leiden, Unsicherheit, etc. Ziel ist eine bessere Befriedigung der Bedürfnisse sicherzustellen. Ob dieses Ziel und Bedürfnis sich in Motivation umsetzt (und damit in Tat) hängt von den Bedingungen ab. Zum einen natürlich damit wie gut die jetzigen Bedingungen die vorsorgende Bedürfnisbefriedigung gewährleisten können, zum anderen wie nahe, gangbar, möglich eine alternative Form von Bedürfnisbefriedigung scheint (und noch einigen anderen Bedingungen (Bewusstheit des Leidens, etc.).
Was ist hieran willkürlich? oder hineinprojizieren? Ich behaupte nur, dass der Mensch menschlich ist. Das beinhaltet für mich, dass er ein Bedürfnis nach der vorsorgenden Verfügung über die gesellschaftlich vermittelten Quellen seiner Bedürfnisbefriedigung hat. Es ist kein „Bedürfnis nach Potentialentfaltung“, sondern nach menschlicher Bedürfnisbefriedigung in unbeschnittener Form.
zu 2: Ich gehe nicht von der „höchsten Form des Sich-Entwickelnden“ aus. (obwohl ich glaube, dass man etwas über diese allgemein sagen kann – das wäre die Frage nach der kategorialen Utopie). Ich gehe vom sich historisch entwickelten Menschen aus. Jener, der sich aus dem Tierreich entwickelt und gesellschaftliches Wesen wird. Wenn dann wäre es für die Transformationsfrage sinnvoll sich auf den Standpunkt des „entfalteten“ (bedeutet hierbei nicht-deprivierten, nicht-leidenden) Menschen und seiner Gesellschaft zu stellen und von dort aus zurückzusehen („Eulen von Minerva“).
Kleinere Nachträge zu Kritik:
„Wenn Menschen immer neu nach je vorhandenen Bedingungen (inclusive ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen…) entsprechend Gründen handeln und entscheiden, dann kann es keine Ableitung dessen, was da in Zukunft noch geschehen wird, aus einem „Begriff“ geben, außer die Kenntnis der Tatsache, dass sie das halt menschlich (d.h. mit gnostischer Distanz etc.) machen. (Mail)“
Ja, es kann nicht gesagt werden, was in Zukunft noch geschehen wird. Aber es kann gesagt werden was geschehen kann. Und es kann gesagt werden, dass der Mensch zu einer nicht-leidenden, nicht-deprivierten Existenz und Gesellschaft strebt.
„Auch ein Mensch im Kapitalismus erfüllt seine produktiven Bedürfnisse (…) auf eine besondere Weise, die aus einer erweiterten/verallgemeinerten Weise heraus als „beschränkt“ angesehen werden kann.(…) Ob oder dass und wie sie beschränkt sind (d.h. dass ihn Bedingungen abhalten), ergibt sich nur aus einem Vergleich mit einer anderen, erweiterten besonderen Weise (nicht aus einem Vergleich mit dem Abstrakten, das allem Gemeinsame, was ja sowieso immer da ist). Diese neue mögliche besondere Weise zeigt sich auch nur dann, wenn bestimmte Bedingungen „reif“ sind (objektive und subjektive) – aber nicht, weil sie irgendwie aus dem Begriff herauskommen. (Mail)“
Hmm .. hier bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dass eine Beschäftigung mit Utopie, mit einer realen Möglichkeit, welche aus dem Abstrakten-Allgemeinen gewonnen wird, sehr sowohl erkennen lässt, welche Beschränkungen wir heute erleben. Die Erkenntnis der Utopie ist natürlich von Bedingungen abhängig. Als ich würde sagen, dass der Blick auf die Beschränkungen nicht bloß aus einer „erweiterten besondereren Weise“ kommen kann, sondern tatsächlich aus einer „verallgemeinerten Weise“. Was soll die „erweiterte besondere Weise“ bloß sein? Eine konkrete Utopie? Bewusst muss uns hierbei sein, dass unsere kategoriale Utopie natürlich (wie jede unserer Theorien) nicht perfekt ist, sondern nur „auf die Wahrheit zielt“, sich ihr annähert, sie jedoch nicht erreichen kann.
alles liebe
März 18, 2017 at 9:19 pm
Lieber Simon,
ich habe Dir ausführlich geantwortet in mehreren Blogbeiträgen, siehe hier: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2017/03/18/lange-antwort-an-simon/