Die folgenden Texte sind eine Antwort auf den Kommentar von Simon in diesem Blog. Diese Antwort untergliedert sich in mehrere Schwerpunkte, für die ich jeweils einen Blogbeitrag einstelle. Da in einem Blog jeweils das zuletzt Eingestellte zuerst erscheint, füge ich die Beiträge hier so aneinander, dass sie von oben nach unten gelesen werden können.
Als Vorrede noch eine Bemerkung: ich nehme hier häufig gegenüber früher von mir selbst vertretenen Standpunkten die Rolle des Advocatus Diaboli ein, auch wenn die Kritiken scheinbar andere treffen. Wenn ich bestimmte Standpunkte in Frage stelle, so sind das meist Überlegungen, die mir zumindest auch schon gekommen sind, die ich aber als zu einseitig oder in der Konsequenz doch als fragwürdig empfinde.
Es gibt folgende Beiträge:
- Geschichtsphilosophische Notwendigkeit erst für die Eule der Minerva
- Menschliches Streben aus seinem Wesen?
- Wann ist die Bedürfnisbefriedigung beschränkt – und was folgt daraus?
- Weltgeschichte getrieben vom Streben nach Bedürfnisbefriedigung?
- Verhältnis einer kategorialen Theorie des Menschlichen zur (transformierenden) Praxis
März 20, 2017 at 3:20 pm
Zur Klärung der Ziele
Ich fühle mich dazu angetan zu klären, was ich eigentlich mit dieser Diskussion will. Ich habe das Gefühl als würdest du mir unterstellen, dass ich aus diesem allgemeinen Streben des Menschen nach Bedürfnisbefriedigung ableiten wollen würde, dass alle Menschen immer auf den Kommunismus hinarbeiten:
Mir geht es nicht darum zu zeigen, dass alle Menschen dem heute eigentlich folgen sollten. Beschränkte Bedürfnisbefriedigung und der Wunsch diese zu überwinden bedeutet noch lange nicht, dass Menschen ihm folgen werden. Menschen habe eher vielerlei Gründe und Ideologie diese Möglichkeit der Veränderung/Befreiung zu leugnen (wie du es schön darstellst). Nichts wäre schwerer unter der ständigen Möglichkeit des Kommunismus in der Selbstbeherrschung zu verbleiben. Deshalb gibt es viele Ideologien welche die Möglichkeit gedanklich verunmöglichen (Menschen sind ja alle egoistisch, Veränderung macht’s wohl nur schlechter, etc.). Nein, ob Menschen handeln ist von den konkreten Bedingungen abhängig.
Mir geht es um eine Begründung für die Möglichkeit der befreiten Gesellschaft (welche wir ja beide sehen), für eine Grundlage der Kitik und eine Grundlage für die allgemeine Bestimmung der befreite Gesellschaft. Diese allg. Bestimmung der Utopie (kategoriale-abstrakte Utopie) lässt da Schlüsse darauf zu, wie die Keimform aussehen muss, welche zu ihr führen könnte. Das Begreifen des Menschen ist weiter entscheidend für die Kritik: Ohne ein Begreifen des Menschen, kann ich zwar sagen, dass der Mensch leidet, aber nicht woran.
Zitate: Sie leiden alle unter der Tatsache, dass du sagst, dass die konkreten Menschen gerade nicht zum Kommunismus streben. Einer Aussage, der ich gar nicht widerspreche:
– „In dem Teil zur Beschränkung der Bedürfnisbefriedigung wies ich schon darauf hin, dass es in der kategorialen Grundlegung des Begriffs der „Handlungsfähigkeit“ erst einmal keine Bevorzugung einer Richtung gibt, auch wenn die Richtung der Erweiterung der Bedingungsverfügung als die befriedigendere unterstellt wird.“ (2 Diskurse)
Abstrakt gibt es eine Bevorzugung: Menschen wollen lieber ihre Bedürfnisse besser befriedigen. Konkret, aber kann es natürlich sehr viel Sinn machen, nicht auf diese Befreiung/Erweiterung zu zielen.
– „Du gehst davon aus, dass dieses zumindest Vorstellbare irgendwie das Ziel menschlichen Strebens sei.
Wieso aber soll das gelten? Wir haben hier eigentlich dasselbe Argumentationsproblem, das Kritische PsychologInnen bei der „Handlungsfähigkeit“ haben. (…) Dabei wird vorausgesetzt, dass eine gemeinsame Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten grundsätzlich möglich ist.“ (Beschränkte Bedürfnisbefriedigung)
Nun ich erkenne nicht das Argument, weshalb Handlungsfähigkeit oder Kommunismus nicht das Ziel ist, sondern, dass Problem das Menschen diesem nicht konkret folgen. Das ist natürlich ein Problem, aber ein anderes. Hier geht es um die konkreten Bedingungen. (Und ja, ich glaube das eine bessere Verfügung über unsere Lebensbedingungen möglich ist, du nicht?)
– „Ich setze dagegen immer die Vorstellung, dass sich das historisch konkrete Ziel menschlichen Handelns nicht direkt aus Wesensbestimmungen des Menschen ableiten lässt. Denn diese Wesensbestimmungen sind immer in irgendeiner Form verwirklicht.“ (2 Diskurse)
Kein Widerspruch. Wichtig ist aber trotzdem: das allgemeine Ziel menschlichen Handelns spielt in das konkrete Handeln hinein und macht dieses (und seine emotionale Wiederspiegelung) erst verständlich.
Zusammenfassung:
Allgemein strebt der Mensch zur höchsten Verfügung über seine Bedürfnisquellen (da er seine Bedürfnisse möglichst gut befriedigen will). Auch der konkrete Mensch strebt dahin (da er ja auch die Bestimmungen des allgemeinen Menschen in sich trägt). Aber er hat gute Gründe (und wie ich finde auch keine brauchbare Möglichkeit) nicht danach zu handeln (und diese wird auch zusätzlich ideologisch-gedanklich verstellt).
Mir kommt es so vor, als müsstest du weniger mich kritisieren, sondern die _Kritische Psychologie selbst_. Diese stellt nämlich mit dem allgemeinen produktiven Aspekt der Bedürfnisse ein allgemeines Streben, eine allgemeine Richtung fest: „Mit den „produktiven Bedürfnissen“ scheint nun aber wieder eine Richtung, nämlich das Streben nach Erweiterung, festgeschrieben zu werden.“ (2 Diskuse) Genau dies Tatsache schneidest du ja an, wenn du von „(dem)selben Argumentationsproblem, das Kritische PsychologInnen bei der „Handlungsfähigkeit“ haben“ (Beschränkte Bedürfnisbefriedigung) sprichst. Die Frage wäre also: Findest du das die KP hier einen Fehler gemacht hat? Ist diese Bestimmung des allgemeinen Strebens des Menschen falsch?
Eine andere Frage wäre: Ist die Befriedigung dieses Bedürfnis deiner Meinung nach unmöglich und deshalb auch sinnlos danach zu streben?
März 20, 2017 at 3:22 pm
Was bedeutet das für das konkrete Handeln?
„Vielleicht fehlt der „kategorialen Ableitung“ mindestens noch genau eine Zwischenebene: die der konkreten Utopie. Die konkreten Inhalte wären dann eine, unter veränderten Bedingungen mögliche Form des Allgemeinen.“ (2 Diskurse)
Du hast nun viele Argumente genannt, weshalb der Mensch konkrete Gründe hat nicht nach dem Kommunismus zu streben und das du glaubst es sinnvoll wäre ihm eine konkrete Utopie, eine konkrete Möglichkeit einer anderen Gesellschaft aufzuzeigen. Ich würde sagen, es geht darum eine konkrete Möglichkeit zur Transformation hin aufzuzeigen. Um eine Transformation zu bestimmen, welche die Möglichkeit hat die befreite Gesellschaft zu erreichen benötigen wir eine Vorstellung, grundlegende kategoriale Bestimmung dieses Ziels. Damit dieses Ziel nicht objektiv willkürlich ist, müssen wir zeigen, dass es in dem Möglichkeitsraum des Menschen liegt. Damit dieses Ziel nicht subjektiv willkürlich ist, müssen wir zeigen, dass es in der „menschlichen Situation“, vom menschlichen Wesen aus geht.
Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass wir konkrete Menschen sind?
„Du schreibst zwar, dass die „kategoriale Utopie“ nicht perfekt ist und sich der Wahrheit nur annähern kann. Aber ich bin mir wirklich nicht sicher, dass das, was jetzt als das allgemeine Wesen bestimmt wird, nicht auch noch einmal grundsätzlich hinterfragt werden wird. “ (2 Diskurse)
Wir sind konkrete Menschen, somit sind wir immer gesellschaftlich geprägt. Unsere Vorstellungen sind also keine objektive Wahrheit und sind somit sicher auch falsch. Ich bin mir aber relativ sicher, dass sie nicht grundlegend falsch sind (diese Potenz könnte man natürlich nochmal versuchen gesellschaftlich zu begründen). Wir haben nicht die Wahrheit, sind aber „auf dem Weg zur Wahrheit“. Um großen Unwahrheiten zu entgehen, bemerke ich bei mir selbst oft den Versuch möglichst wenig „Allgemeines“ anzunehmen.
Beziehung zu Naturrecht
Deine Zitate in welcher Tradition ich da stehe finde ich schon erschreckend, aber ich glaube es gibt da schon noch wichtige Unterschiede. Müsste ich mich noch länger damit beschäftigen. Eine spannende Frage finde ich: Was stattdessen als „Grundlage der Kritik“ verwenden? Am verbreitesten ist Ethik. Aber Ethik hat noch ein viel wackligeren Grund. Sie bestimmt sich meist aus rein politischen Überlegungen, philosophischen Herleitungen (bspw. aus der menschlichen allgemeinen Vernunft) aber noch viel öfter irgendwelchen unausgewiesenen Annahmen über das menschliche Wesen.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau wie Marx das macht. Im Kapital zeigt er ja v.a. einfach die Verrücktheit, die Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber dem Menschen. Ich weiß, dass manche kritischen Theoretiker*innen Marx noch dafür beneiden, dass die bürgerliche Epoche des 19 Jh. noch Werte kannte (Gleichheit, Wohlstand, Friede, etc.), deren Nicht-Verwirklichung man ihnen dann vorwerfen kann, während die Postmoderne mit einem „Hoffentlich wirds nicht schlechter“ aufwarten kann. Die Kritik (und damit die Utopie) muss ihre eigene Grundlage finden. Und diese Grundlage kann nur der Mensch sein.
Ich glaub beim Marx kommt hier ein Gegenargument hinein in Form von: jede Annahme über den Menschen verhindert dessen Entwicklungsmöglichkeiten und schreibt ihn fest. Und deshalb ist jede Utopie auch falsch, weil sie den Möglichkeitsraum des Menschen beschränkt. Das stimmt. Aber ich glaube, Menschen haben bestimmte Grenzen und darum gibt es auch Notwendigkeit die in der Utopie erfüllt sein müssen. Selbst wenn sie bestimmte Bedürfnisse (wie jenes nach der vorsorgenden Verfügung) verlieren könnten, gilt dies heute noch nicht. Deshalb finde ich es gut von den Menschen, welche wir historisch kennen auszugehen um die Utopie zu bestimmen. (Es ist auch fraglich komplett veränderte Menschen überhaupt noch Menschen wären, auf jeden Fall können wir diese Veränderungen nicht vorwegnehmen und anstatt ins „große Unbekannte“ aufzubrechen, breche ich lieber in Richtung objektive Möglichkeit und menschliche Utopie auf.)
Annahmen über das höchste Form des „Sich-Entwickelnde“
„Du schreibst vom Bedürfnis „nach menschlicher Bedürfnisbefriedigung in unbeschnittener Form“. Dieses setzt Du dann doch als „höchste Form des Sich-Entwickelnden“, obwohl Du bestreitest, so etwas zu haben.“ (Beschränkte Bedürfnisbefriedigung)
Ich bin mir bei diesem Punkt nicht sicher, aber ich setzte die „höchste Form des Sich-Entiwckelnden“ nicht voraus. Ich blicke (mit der Kritischen Psychologie) in die Geschichte und stelle fest, dass Menschen nach der vorsorgenden Verfügung über ihre gesellschaftlichen Bedürfnisquellen streben. Das ist nichts Vorausgesetztes für mich.
Ich würde aber auch Stefans Vorstellungen widersprechen, dass „Erst mit einem Begriff eines Aufgehobenen kann die Kritik des Aufzuhebenden ihr kategoriales Fundament bekommen. Erst am Ende ist der Anfang begründet (…)“ Vielleicht versteh ich’s auch falsc, aber ich würde sagen das kategoriale Fundament ergibt sich aus der Analyse des Menschen in seiner Geschichte und seiner Entwicklung. Das kann als Fundament dazu genutzt werden zu bestimmen was die Utopie wäre.
Beziehung zum Entremdungsdiskurs
Das müsste ich mir noch mal genauer angucken. Aber prinzipiell ist der Mensch für mich ja heute nicht entfremdet. Er lebt sein Mensch-Sein, aber halt ein beschränktes Mensch-Sein. Er würde mehr wollen, aber sieht keine Möglichkeiten dies zu verwirklichen.
Frage: Glaubst du überhaupt, dass die vorsorgende Verfügung über die Lebensbedingungen eine bessere Bedürfnisbefriedigung gewährleistet?
Zusätze
„Moralische Aufrufe von Menschen, die ein Bedürfnis dazu trieb, haben die Sklaverei so lange nicht beendet, wie die Sklaverei ökonomisch sinnvoll war innerhalb der herrschenden Verhältnisse.“
Ich glaube hier müssen wir aufpassen die menschlichen Bedürfnisse nicht zu viel aus der Geschichte zu streichen und sie in eine bloße Produktivkraftentwicklung zu verwandeln. Das können Operaist*innen ganz gut ;). Z.B. Bei Sklaverei zeigt Heide Gerstenberger, dass die abgeschafft wurde, obwohl sie ökonomisch nicht sinnlos war.
„Du versuchst den „virtuellen“ Standpunkt der möglichen besseren Zukunft aus dem abstrakt-allgemeinen Begriff des Menschlichen zu gewinnen. Da ich weiß, dass alle anderen möglichen „Seitenzweige“ in Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft diesem abstrakten Begriff ja auch entsprechen, ist das für mich nicht sinnvoll.“
Verstehe ich nicht. Nur weil es andere Zukünfte gibt, kann ich ja trotzdem gucken wie es möglich wäre zu der von mir bevorzugten Zukunft zu kommen. Oder wie meinst du das?
Die kategoriale Analyse im Diskurs _ein_ soll keine konkretistische „Auspinselung“ (Schreibfehler, bei „Zwei Diskurse“)
Sehr spannend diese Faszination von Mittelalter als Faszination für eine „einfache“ „unabhängigere“ Welt (und vl. gleichzeitig gedankliche Vorbereitung für postkapitalistisches?)
PS: Ich weiß gerade nicht wie die Verwendung bei Holzkamp ist, aber ich finde ebenfalls den Begriff „produktive Bedürfnisse“ problematisch, weil ja dieses „prod. Bed.“ in (fast?) allen Bedürfnissen drin steckt. Deshalb sprech ich von „produktiven Aspekt“.
Alles alles Liebe! Simon
März 20, 2017 at 5:47 pm
Hallo Simon,
ich hatte die einzelnen Themen extra zum Teil in Extra-Blogbeiträge gepackt, damit sich die Diskussion ein wenig um die Schwerpunkte herum ordnet. Wahrscheinlich sind die nicht so gut ausgewählt. Ich werde wahrscheinlich in der Antwort dann wieder „kleinere Packen“ machen, wobei leider bei den weiteren Kommentierungen der Platz dann immer enger wird bzw. die Schachtelungsmöglichkeit schnell aufhört.
(Kennst Du noch das frühere Projekt Opentheory von Stefan? Das wäre eigentlich nicht schlecht für diese Diskussion, aber leider gibt es das nicht mehr).
März 21, 2017 at 7:44 pm
Lieber Simon,
jetzt komme ich noch dazu, auf Deine neuen Kommentare zu antworten. Vielen Dank dafür. Miteinander zu reden, würde sicher manche Mißverständnisse schneller abarbeiten, aber schreiben ist definitiver und auch nachlesbar. Wir kommen ja auch auf wichtige Themen, deshalb vielen Dank für Dein Einsteigen in diese Debatte…
Mehr dann in einzelnen Kommentaren. Bis gleich…
März 21, 2017 at 7:57 pm
„Mir geht es um eine Begründung für die Möglichkeit der befreiten Gesellschaft (welche wir ja beide sehen), für eine Grundlage der Kitik und eine Grundlage für die allgemeine Bestimmung der befreite Gesellschaft. Diese allg. Bestimmung der Utopie (kategoriale-abstrakte Utopie) lässt da Schlüsse darauf zu, wie die Keimform aussehen muss, welche zu ihr führen könnte. Das Begreifen des Menschen ist weiter entscheidend für die Kritik: Ohne ein Begreifen des Menschen, kann ich zwar sagen, dass der Mensch leidet, aber nicht woran.“
Hm, sollten wir nicht erst mal die Leute fragen, woran sie leiden? (Wozu sind KSVs gut 😉 ) Wissen wir das wirklich besser, wenn wir „den Menschen begriffen“ haben?
Ich bin ja nun wirklich auch eher theorie- und philosophieaffin. Aber eigentlich reicht mir Friederike Habermanns Sammlung von Beispielen aus Praxen und Büchern zu dem, was heutzutage offensichtlich möglich ist, durchaus aus, um die Möglichkeit des Neuen zu sehen.
Ich kann es irgendwie nicht ändern – ich lese auch aus diesen Sätzen von Dir wieder die Denkstruktur heraus, die ich mit der Kritik des Entfremdungs-Denkens gemeint habe. Vielleicht wird es (mir) später noch klarer…
März 21, 2017 at 8:20 pm
„Ohne ein Begreifen des Menschen, kann ich zwar sagen, dass der Mensch leidet, aber nicht woran.“
Hm, daran nage ich noch. Leiden Menschen wirklich an der Distanz des gerade Lebbaren/Möglichen zu dem, was im „Begriff des Menschen“ steckt, oder an konkreten Erscheinungen ihrer gegebenen Gesellschaftsordnung, die in der nächsten geändert werden können?
März 26, 2017 at 12:27 am
Ich glaube die Frage verstehe ich nicht richtig. Menschen leiden immer konkret. Da sich ihre Bedürfnisse immer in einer konkreten Gesellschaftsform ausprägen und in konkreten Situationen verletzt werden. Sie leiden nicht an der Distanz zwischen dem was ist und was möglich wäre (egal ob „im Begriff des Menschen“ oder in der „nächsten Gesellschaftsordnung“). Jedoch kann ihr Leiden nur mit einem Begriff des Menschen wirklich verstanden werden (welchen wir heute natürlich noch nicht ganz begriffen haben) – bspw. das der Mensch seine Bedürfnisse vorsorgend befriedigt, aber diese vorsorgende Befriedigung in dieser Gesellschaft von seiner Arbeitsfähgikeit abhängig ist. Es geht als nicht um irgendwas zukünftiges.
März 30, 2017 at 7:53 am
„Jedoch kann ihr Leiden nur mit einem Begriff des Menschen wirklich verstanden werden“
Das verstehe ich nicht, wie soll das gehen?
April 3, 2017 at 1:53 pm
Wir müssen etwas über die Bedürfnisse des Menschen wissen um sein konkretes Leiden zu verstehen. z.b. den produktiven Aspekt seiner Bedürfnisse über seine gesell. Befriedigungsquellen zu verfügen. Umso besser unser Begriff des Menschen ist, umso besser können wir unsere Probleme verstehen.
Andere Theorien sperren sich einer Bestimmung des Menschen und können damit aber auch sein Leiden nicht wirklich begreifen. Ich habe dieses Problem bei Adorno festgestellt. Er sagt das Leiden verweist auf das Nichtidentische, aber dieses ist nicht zu begreifen, denn damit würde es eben durch den Verstand zugerichtet, beschnitten. Somit bleibt aber die Frage: Woran leiden Menschen nun? weitgehend unbeantwortet. (er spricht natürlich von Hunger und Gewalt, aber es gibt kein tieferes Eindringen meine ich)
April 3, 2017 at 7:55 pm
„Wir müssen etwas über die Bedürfnisse des Menschen wissen um sein konkretes Leiden zu verstehen. z.b. den produktiven Aspekt seiner Bedürfnisse über seine gesell. Befriedigungsquellen zu verfügen.“
Ich hätte dazu gern mal Forschungsergebnisse (bzw. Ergebnisse aus KSVs)…
Ich vermute, wir sehen da erst mal recht deutlich, dass es den meisten Menschen (außerhalb unserer alternativen Filterblase) naheliegernderweise vor allem um die „gesellschaftlichen Befriedigungsquelle“ geht, die unter den jeweils gegebenen Verhältnissen dominant sind: früher: Einbindung in Versorgungseinheit, heute: Geld…., Das Weiterführende… naja, auf der Suche danach war schon Bloch in seinen drei Bänden „Prinzip Hoffnung“. Aber wir müssten da eben mal nicht nur in unserer Filterblase drüber reden, sondern mit mehr Leuten „von der Straße“ oder sonstwo…
Primär werden „die Leute“ erst mal unter zu wenig oder keinem Geld leiden…, dass dieses Problem durch allgemeine Verfügung aller über alles unter inklusiven Strukturbedingungen aufgehoben werden könnte, muss erst noch klar gemacht werden.
Du willst im Diskurs 1 zeigen, dass dies grundsätzlich möglich ist, weil es im Begriff des Menschen steckt… Aber Du musst auch noch zeigen, dass das genau auch die Bedürfnisse befriedigt, die erst mal nur auf Geld o.ä. gerichtet sind. Das ist noch mal eine andere Argumentationsschiene, ich weiß nicht, ob das so einfach in den Diskurs 2 passt. Und letztlich: Ohne Entwicklungsnotwendigkeit (siehe Diskurs 0) wird das wohl auch nicht wirklich geschichtsmächtig….
März 21, 2017 at 8:21 pm
„Abstrakt gibt es eine Bevorzugung: Menschen wollen lieber ihre Bedürfnisse besser befriedigen.“
Siehe eben: Woran misst sich das „Bessere“? Wirklich am Begriff des Menschen?
März 26, 2017 at 12:36 am
Nun ja „besser“ hat mit dem (Begriff des) Menschen etwas zu tun. Wir wollen eine sicherere Vorsorge. Wir wollen eine sichere Bedürfnisbefriedigung. Diese ist gesicherter und stabiler wenn sie nicht auf Kosten anderer geht, etc. Man kann also aus dem Begriff des Menschen ein besseres bestimmen. Aber für den konkreten Menschen kann es natürlich besser sein andere Menschen auszunutzen und zu unterdrücken.
März 30, 2017 at 7:54 am
„Nun ja „besser“ hat mit dem (Begriff des) Menschen etwas zu tun.“
Wie soll das gehen, wenn der Begriff des Menschen nicht so etwas wie das „Eigentliche“ ist, dem das Verwirklichte zustrebt/ zusteben soll/ zustreben wird?
April 3, 2017 at 1:57 pm
Ich glaube nicht, dass man behaupten kann, dass der Mensch etwas „Eigentlichem“ zustrebt, aber ich würde sagen, dass der Mensch versucht seine Bedürfnisse möglichst gut zu befriedigen. Aber in diesem „möglichst gut“ liegt schon das ganze Problem. Es kann für uns sehr viel sinnvoller sein andere Leute zu beherrschen und auszunutzen, so dass man nicht sagen kann, dass der Mensch eigentlich dem „Besseren“ zustreben wird. Aber man kann sagen, dass es eine bessere Form von Bedürfnisbefriedigung als die beherrschende, ausnutzende, exkludierende gibt.
April 3, 2017 at 7:41 pm
„Aber man kann sagen, dass es eine bessere Form von Bedürfnisbefriedigung als die beherrschende, ausnutzende, exkludierende gibt.“
Naja, das gilt aber schon in aller menschlichen Geschichte. Warum sollte die gerade jetzt verwirklicht werden? Weil wirs der Welt mal wieder erkären?
Ich glaube nicht mehr daran, dass früher bloß die Bedingungen/Produktivkraftentwicklung noch nicht gegeben gewesen seien und erst in dem, was wir erleben („Industrie 4.0“) diese Voraussetzungen endlich da seien. Auch unter den früheren Voraussetzungen wären andere menschliche Gesellschaftsformen (theoretisch) möglich gewesen, dass sie sich nicht durchsetzen konnten, lag am (historisch wahrscheinlich sogar kontingenten) Sieg einer Variante, die alles andere unterdrückt hat.
März 21, 2017 at 8:32 pm
Du gibtst hier anscheinend eine Antwort auf meine letzten beiden Fragen: „Allgemein strebt der Mensch zur höchsten Verfügung über seine Bedürfnisquellen (da er seine Bedürfnisse möglichst gut befriedigen will).“
Aber was sind „seine Bedürfnisquellen“? Sind das für ihn tatsächlich alle Bedingungen der gesamten Menschheit? Oder beziehen die sich auf die konkreten Gegebenheiten seiner Zeit? Mal sind die Bedürfnisquellen vermittelt über den Clan, also strebt ein Mensch unter diesen Bedingungen zur für ihn höchstmöglichen Verfügung über die Ressourcen des Clans (durch Zugehörigkeit, Beteiligung an Aktivitäten,die die Zugehörigkeit festigen etc…). Mal sind die Bedürfnisquellen vermittelt über den Zugang zu Geld – also strebt er „zur höchsten Verfügung über seine Bedürfnisquellen“, also nach viel Geld. Ein andermal wird anhand konkreter Erfahrungen klar, dass Geld(wirtschaft) die Verfügung über wichtige Bedürfnisquellen (ökologische Stabilität) zerstört und er dann (hoffentlich bald) konkret nach einer anderen Art der Verfügung strebt.
Ich weiß nicht, wie die theoretisch ableitbare allgemeine Bestimmung, dass Menschen im umfassendsten Sinne über ihre Bedürfnisquellen verfügen könnten, wenn sie gesamtgesellschaftlich-kooperativ-vorsorgend handelten, historisch wirklich wirksam werden sollte.
März 21, 2017 at 8:37 pm
Ich glaube, mir wird grad was bewusst:
Vor der Ausarbeitung des Diskurses 1 muss ganz klar sein, wie der Übergang zum Diskurs 2 erfolgt.
Ist es z.B. so gedacht, dass gerade im nächsten Wechsel der Gesellschaftsordnung (hin zur hier „befreiten“ genannten Gesellschaft) das im Begriff Steckende dann tatsächlich verwirklicht wird?
Warum gerade dann und vorher nie? War es vorher nicht möglich, oder gab es andere Gründe dafür, dass es immer nur „daneben-„ging?
März 21, 2017 at 8:43 pm
„Damit dieses Ziel nicht subjektiv willkürlich ist, müssen wir zeigen, dass es in der „menschlichen Situation“, vom menschlichen Wesen aus geht.“
Ich finde in dem, was Ute Holzkamp-Osterkamp über das menschliche Wesen schreibt, nichts, woraus ein Ziel hervorginge:
„Das bedeutet, daß die „menschliche Natur“ als Entwicklungspotenz zur individuellen Vergesellschaftung ein empirische Eigenart der artspezifischen biologischen Ausstattung darstellt, deren Realisierung aber stets im Hinblick auf historisch bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse erfolgt, so daß sie individualgeschichtlich niemals als „allgemeine“, „abstrakte“ im Individuum hockende Essenz erscheint, sondern immer und notwendig als Realisierungsweise des menschlichen Wesens in konkret-historischer Form.“ (ganz unten im Text https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2017/02/19/massstab-des-nicht-entfremdeten/)
März 21, 2017 at 8:53 pm
„Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau wie Marx das macht. Im Kapital zeigt er ja v.a. einfach die Verrücktheit, die Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber dem Menschen. “
„Die Kritik (und damit die Utopie) muss ihre eigene Grundlage finden. Und diese Grundlage kann nur der Mensch sein.“
Ach ja, die Kapitalinterpretation… Ich nehme das Fetischkapitel ernst: Zu denken, dass die Verhältnisse sich tatsächlich verselbständigt hätten, ist genau das fetischartige Denken. Es ist ja nicht einfach falsch, sondern ein „objektiver Schein“, also objektiv, aber auch ein Schein. Den ganzen Rest des „Kapitals“ müht Marx sich ab, zu zeigen, wie dieser Schein zu durchdringen ist und er kommt am Ende bei echten, konkreten menschlichen Verhältnissen des Kapitalismus an, die diesem Schein zugrunde liegen (und nicht mehr verselbständigt sind), nämlich den Klassenverhältnissen. Was ER damit genau sagen, wollte, konnte er da leider nicht mehr entwickeln. Dass es Mode geworden ist, dort gleich den ganzen ML-Kram zu unterstellen und dann jeden Verweis auf Klassen fast reflexartig ablzulehnen, ist halt so, aber ich teile diese Mode nicht. (und wenn das „Kapital“ wenigstens in Grundzügen dialektisch dargestellt ist, ist es auch hier so, dass der Begriff, die „Wahrheit“, d.h. der Grund für alles am Ende der systematischen Entwicklung steht, und nicht auf Seite 100 beim Fetisch und dem Schein des sich selbst verwertenden Werts als „automatisches Subjekt“).
Als Alternative zu der von Dir gesuchten Grundlage traue ich mir nun gerade nicht, auf den Klassenkampf zu verweisen, weil wir da wirklich das entwickeln müssten, was bei Marx so nicht mehr steht und dann eben daraus eine angemessene Antwort für die Quelle und den Grund der Kritik zu finden.
März 21, 2017 at 8:58 pm
„Ich blicke (mit der Kritischen Psychologie) in die Geschichte und stelle fest, dass Menschen nach der vorsorgenden Verfügung über ihre gesellschaftlichen Bedürfnisquellen streben. Das ist nichts Vorausgesetztes für mich.“
Ja, aber das sagt nichts darüber, in welcher Form diese vorsorgende Verfügung stattfindet, oder stattfinden sollte.
Dazu auch: „Glaubst du überhaupt, dass die vorsorgende Verfügung über die Lebensbedingungen eine bessere Bedürfnisbefriedigung gewährleistet?“
Jedes menschliche Leben ist eingebunden in eine IRGENDWIE „vorsorgende Verfügung über die Lebensbedingungen“.
Wahrscheinlich hab ich Dich damit absichtlich zu eng interpretiert. Du meinst sicher: „umfassende, nichts und niemanden ausschließende Verfügung…“ oder so. Dann denke ich natürlich, dass das besser wäre – das wäre es aber seit Anbeginn der Menschheit ….
… was sich wirklich ändert, schreibe ich im nächsten Kommentar. Aus dem, was ich da als Problem zeige, wird sich die „Entwicklungsnotwendigkeit“ ableiten lassen, die wir aus der historischen Analyse der Kritischen Psychologie kennen…
März 21, 2017 at 9:39 pm
Bei vielem sind wir ja auch gar nicht so auseinander, wie es die Begriffsklauberei vermuten lässt. Aber in einer anderen Frage gibt es einen Dissens, der sonst eigentlich nicht zu Wort kommt.
So gehe ich davon aus, dass es gerade der Verlust der relativ stabilen klimatischen Verhältnisse (das Verlassen des Holozäns) ist, der der Menschheit zumindest aus langfristiger Sicht (aus einer Rückschau in ca. 300 Jahren und mehr) den Tritt in den Hintern gegeben haben wird, die bisherigen Beschränkungen zumindest einen weiteren Schritt weiter zu überschreiten.
Ich denke, die meisten Links-Alternativen haben längst noch nicht verstanden, was Naomi Klein mit ihrem Titel des Buches über Klimawandel schreibt: „This changes everything“.
Diese grundlegenden Bedingungsänderungen we/urden von Menschen im Kapitalismus verursacht, sie gehören aber nicht zu dem, was wir bisher als für uns günstige Veränderungen der Bedingungen durch die Produktivkraftentwicklung gesehen hatten. Im Gegenteil: die Destruktivkraftentwicklung wird uns(ere Nachkommen) zwingen, eine vernünftige Gesellschaftsform zu entwickeln. Denn es werden nur die Menschen überleben, die das lernen.
Oder ein Haufen Barbaren bleibt übrig und es dauert noch eine Weile länger, bis irgendwelche Reste von Menschen sich mal wieder aufmachen in eine neue Zivilisation. Diese wird dann übrigens so entleert sein von Ressourcen, dass die gar nicht mehr auf die Idee kommen, so eine verschwenderische Wirtschaft zu entwickeln.
Also im historisch längeren Maßstab sehe ich es schon so, dass Menschen sich in die Richtung, die Du andeutest, weiter entwickeln können. Aber ich gehe davon aus, dass das eben nicht im progressiven Sinne aus dem Jetzigen wächst, sondern dass es erst noch mal kippt. Wir sind jetzt mit unseren Theorien so an die 20 Jahre lang und länger zugange. Bis zum Jahr 2000 konnte man den Eindruck haben, dass wir weiterhin genug Zeit haben, in Ruhe Theorien zu entwickeln, für die die Zeit irgendwann mal kommt und bis dahin geht es Schrittchen für Schrittchen weiter wie bei allen alternativen Projekten seit den 70ern. .
Aber seitdem sind wir in eine „sensible Phase“ der Entwicklung eingetreten, die die Pfade festlegt für die nächsten Jahrzehnte bis Jahrhunderte, und wenn wir in diesen nächsten 20 Jahren nichts Entscheidendes in die direkt-progressive Richtung bewegen können, dann schlägt das Fenster der Offenheit erst mal wieder zu und die Gegenströmung setzt sich fest (Regressive Verstärkung der Exklusionsstrukturen). Es gibt natürlich all das Hoffnungsvolle, von dem z.B. Friederike in ihren Büchern berichtet. Aber es muss in den nächsten 20 Jahren aus den Nischen heraus und geschichtswirksam werden, und es muss gegen massiven regressiven und immer stärker wachsenden Gegenwind. Die Utopien sind längst im Crashtest!
Das ist der Hintergrund, der mich auch dazu brachte, alle Hoffnungen und theoretischen Ableitungen, die darüber einfach hinweggehen, anzuzweifeln (daduch verschärfen sich theoretische Aussagen, die ich vorher nur „keimhaft“ mit drin hatte, so zum Thema Geschichtsphilosophie..). Natürlich stärkt mich das erst mal nicht (Friederikes Motto im Buch: „Glaube nie eine Vorhersage, die dich nicht stärkt“). Aber ich kann ja an den Folgen des Überschreitens der Planetaren Grenzen nicht zweifeln, nur weil mich das nicht stärkt.
Mein Weg wäre, eine Argumentation aufzubauen, warum gerade unsere Vorschläge (wo auch immer sie sonst herkommen) uns helfen, die sich verschlechternden Bedingungen zu meistern (siehe den Anfang in https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2013/12/31/die-zukunft/).
Wahrscheinlich ist es in dieser Argumentation auch sinnvoll, die Argumentation, dass das Neue (inklusiv…) grundsätzlich nicht unmöglich ist, zu haben.
Aber letztlich muss das immer auch bezogen auf diese Bedingungen gehen (deshalb immer wieder mein Insistieren darauf, dass vieles, was wir von der „Produktivkraftentwicklung“ als günstige Bedingungen erwarten, einfach nicht gegeben sein wird (wie weiterhin so wenig Arbeitskraftbedarf in der Landwirtschaft), sondern andere Grundlagen gefunden werden müssen).
Unsere Utopie muss so gut sein, dass sie eben auch für die zu befürchtenden Bedingungen konkret bessere Alternativen hat, als andere exklusive Arten, damit umzugehen.
Dann erst kann ich wieder stark werden…
… Nachtrag:
In Bezug auf die Diskurse wäre das mein Punkt „Diskurs 0″… Daraus kann sich dann tatsächlich die erwähnte Argumentation zur grundsätzlichen Möglichkeit einer alternativen Gesellschaftsform anschließen (so was wie wahrscheinlich im Diskurs 1 gemeint, wobei die Fragestellung danach dringlicher durch D0 begründet wäre), die dann (Diskurs 2) auf die Bedingungen der nächsten 100+ Jahre, soweit sie antizipierbar sind (Folgen der gewachsenen Destruktivkräfte, die auch Produktivkräfte grundlegend verärndern), zurückbezogen werden und gezeigt wird warum gerade sie angesichts dieser Bedingungen „entwicklungsnotwendig“ sind…
März 21, 2017 at 9:51 pm
„„Du versuchst den „virtuellen“ Standpunkt der möglichen besseren Zukunft aus dem abstrakt-allgemeinen Begriff des Menschlichen zu gewinnen. Da ich weiß, dass alle anderen möglichen „Seitenzweige“ in Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft diesem abstrakten Begriff ja auch entsprechen, ist das für mich nicht sinnvoll.“
Verstehe ich nicht. Nur weil es andere Zukünfte gibt, kann ich ja trotzdem gucken wie es möglich wäre zu der von mir bevorzugten Zukunft zu kommen. Oder wie meinst du das?“
Ja, natürlich. So meine ich das. Aber die „bevorzugte Zukunft“ kannst Du nicht aus dem abstrakten Begriff ableiten, weil der eh alles Mögliche (auch die von Dir nicht bevorzugten Varianten) enthält. Stefan macht da zu Recht aufmerksam, dass der wahre Begriff des Begriffs ein „konkret-Allgemeiner“ ist (schwirrt Dir jetzt der Kopf? Tut mir leid, jeder Link den ich Dir zur Verständnishilfe schreiben könnte, macht das wahrscheinlich nicht viel leichter).
Aber ich habe oben schon thematisiert, dass es nicht so einfach ist zu bestimmen, was dieser konkret-allgemeine Begriff im Unterschied zur abstrakten Gemeinsamkeit sein könnte. Da warte ich mal, was Stefan oder Du schreib(s)t…
(Dazu, aus welcher Art Begriff des Menschen das abzuleiten wäre, was Du bevorzugst)
März 21, 2017 at 9:59 pm
„Mir kommt es so vor, als müsstest du weniger mich kritisieren, sondern die _Kritische Psychologie selbst_. Diese stellt nämlich mit dem allgemeinen produktiven Aspekt der Bedürfnisse ein allgemeines Streben, eine allgemeine Richtung fest“
Soviel ich weiß, ist ja genau das auch schon kritisiert worden. Ich habe mich bisher nur direkt auf das von Dir dazu Geschriebene bezogen, aber irgendwo in meinen vielen Bedürfnistexten gehe ich ganz kurz auch darauf ein, dass zu den Entstehungszeiten der Texte der KP manches einfach ziemlich selbstverständlich schien (wie die Möglichkeit, sich in der entsprechenden Partei zu engagieren), was es heute eben nicht mehr ist.
Zu diesem Problem bei der Handlungsfähigkeit (die Folgerung/Unterstellung, die „Erweiterung“ sei das Bessere und anzustreben) gab es irgendwo mal eine kritische Debatte, ich finde die Quelle aber nicht mehr. (FKP oder einer der Kongresse…?) Die war dann wohl auch der Ausgangspunkt später (noch mehr) zu betonen, dass diese Kategorien eben für die „Selbstverständigung über die Möglichkeiten“ sind und „nicht zu bewerten“ sind bzw. so ähnlich.
Wer die Quelle oder mehr dazu kennt, mag mich hier bitte korrigieren oder ergänzen.
April 3, 2017 at 1:59 pm
Hmm … ich glaube ich habe jetzt einen Fehler von mir verstanden. Ich will ich mich mal kurz selbst kritisieren: „Mir kommt es so vor, als müsstest du weniger mich kritisieren, sondern die _Kritische Psychologie selbst_. Diese stellt nämlich mit dem allgemeinen produktiven Aspekt der Bedürfnisse ein allgemeines Streben, eine allgemeine Richtung fest.“
Die KP stellt kein Streben fest, sondern nur das es für den Menschen am Besten wäre seine Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer zu befriedigen. Und ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten tatsächlich gemeinsam zu organisieren. Dies ist eine objektive Bestimmung, welche aus der allgemeinen Bestimmung des Menschen selbst folgt. Aber das bedeutet ja eben nicht, dass der konkrete, individuelle Mensch (der einzige der existiert) auch in diese Richtung handelt. Die objektive Bestimmung, dass die Menschen ihre Bedürfnisse besser im Kommunismus befriedigen könnten ist nicht handlungsrelevant.
Die Menschen streben bloß nach einer besseren Bedürfnisbefriedigung, nach einem Abbau von Leid. Theoretisch würde sie dies auf den Kommunismus verweisen, praktisch ist dieser weder bestimmt noch fassbar (Utopieproblem), noch erreichbar (Transformationsproblem).
Da muss ich dir nun zustimmen. Der allgemeine Mensch kann nach nichts Streben, da er nicht existiert (es ist ja bloß eine analytische Trennung, wenn wir vom allgemeinen Menschen sprechen, da er nur als konkreter realisiert existiert). Der konkrete Mensch strebt nicht nach der höchsten Verfügung über seine Bedürfnisquellen, sondern der best-möglichen. Damit dieses ‚Best-mögliche‘ auf ‚Höchstes‘ zielt muss dieses handlungsrelevant werden. An der Frage: Wie wird dieses handlungsrelevant und erreichbar? können wir unsere Praxis orientieren.
Eine Nachfrage: Ich hab nochmal in die Anfänge unserer Mail-Diskussion geguckt und hab da festgestellt, dass wir unter „kategorialer Begründung“ der Utopie verschiedenes verstanden haben. Du meinst ich will die kategoriale Begründung der Utopie – quasi entfremdungstheoretisch – verwenden um zu zeigen, dass der Mensch nie verwirklicht war und damit ‚zu sich selbst strebt‘, ’sein Begriff zu werden versucht‘. Aber mir geht es nicht darum zu begründen, weshalb der Kommunismus kommen muss und sich aus der Geschichte ergibt (Teleologie). Ich möchte zweierlei: Ersten die Möglichkeit des Commonismus mit dem Begriff des Menschen begründen. Zweitens die „wirkliche“ Utopie benennen, also jene welche mit den menschlichen Bedürfnissen und Potenzialen übereinstimmt (wiederum auf der (nur-teilweise-wahren) Basis des Begriffs des Menschen der KP). Würdest du sagen, dass diese zwei Möglichkeiten in unserem theoretischen Rahmen liegen?
Gedanken:
„Aber die „bevorzugte Zukunft“ kannst Du nicht aus dem abstrakten Begriff ableiten, weil der eh alles Mögliche (auch die von Dir nicht bevorzugten Varianten) enthält. Stefan macht da zu Recht aufmerksam, dass der wahre Begriff des Begriffs ein „konkret-Allgemeiner“ ist.“
Stimmt. Ich kann die „bevorzugte Zukunft“ des konkreten Menschen nicht abstrakt bestimmen, diese hängt von konkreten Bedingungen ab. Aber ich will ja über die Zukunft Gedanken anstellen welche den menschlichen Bedürfnissen und Potenzialen am besten entspricht. Und das ist doch möglich? Über diese Gesellschaft kann ich kategorial-allgemein Gedanken anstellen, aber wie sie sich konkret äußert hängt von vielen Umständen ab (bspw. wieviele Menschen daran teilnehmen, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, etc.). Diese zu bestimmen wäre ‚Utopistik’/Auspinseln.
Und ja, das konkret-allgemeine verstehe ich noch nicht 😉 aber ich hoffe das ändert sich noch 😉
„In Bezug auf die Diskurse wäre das mein Punkt „Diskurs 0″… Daraus kann sich dann tatsächlich die erwähnte Argumentation zur grundsätzlichen Möglichkeit einer alternativen Gesellschaftsform anschließen“
Ich glaube, dein Diskurs 0 beeinflusst die Transformationsüberlegung (Diskurs 2), aber Diskurs 1 entwickelt bloß eine kategoriale Utopie, er ist von unserem Begriff des Menschen bestimmt (seiner Potenzen und Bedürfnisse) und nicht durch aktuelle Probleme. Klar, wenn du diese ‚abstrakte‘ Utopie (bin mir hier bei dem Begriff abstrakt nicht sicher) als konkrete Utopie bestimmen willst musst du die aktuelle Bedingungen miteinbeziehen. Durch dieses unkonkrete ist Diskurs 1 jedoch noch keine „Schönwetteruotpie“, aber natürlich kann man nach ihren Bedingungen fragen. Ob sie bspw. nur mit genügend einfach zu bekommender Energie und stabilen klimatischen Bedingungen zu organisieren ist, aber dafür müsste die Utopie erst klarer begriffen sein. Theoretisch sollte im Commonismus die Menschheit ja die Möglichkeit besitzen all ihre Potenziale zu nutzen und damit auch eine vorsorgende Bedürfnisbefriedigung abzuschätzen, was die Vorsorge gegen ökologischen Schwierigkeiten ja auf jeden Fall einschließt.
April 3, 2017 at 7:06 pm
abstrakt und konkret-allgemein… Ja, Stefan hatte das ja an einer Stelle vermerkt, dass es ihm natürlich nicht um einen abstrakten Begriff ginge (der nur das allen Menschen Gemeinsame erfasse), sondern er auf einen konkret-allgemeinen Begriff ziele.
Zu den verschiedenen Typen von Begriffen bei Hegel hatte ich mal was geschrieben: http://www.thur.de/philo/hegel/hegel7.htm
Der „konkret-allgemeine“ Begriff wäre der dort „Begriff I“ genannte. Das ist ohne entsprechende philosophische Vorkenntnis eigentlich nicht zu verstehen und der gemeinte Inhalt auch nicht ohne diese wirklich auszudrücken…
Das Ganze lässt sich eigentlich, wie alles bei Hegel, nur verstehen, wenn man den Aufbau des Systems bei Hegel kennt. Die höchste Form des Begriffs entsteht als Höhepunkt der Entwicklung der Logik. Die Entwicklung der Logik beginnt beim Abstraktesten (von allem wird abstrahiert, von jeder Bestimmung) und entwickelt sich hin zur höchsten Form des Begriffs, bei dem das Subjektive ins Objektive übergeht, zur Idee wird. Nach der Logik folgt in Hegels System dann die Philosophie der Natur und dann die des Geistes (d.i. der Gesellschaft). Das was Hegel zu so etwas wie dem „Begriff des Menschen“ meinen würde, wäre dann bei dem Thema „Sittlichkeit“ aufzufinden… Die „Philosophie des Rechts“ ist Hegels Versuch vom „BEgriff des Menschlichen/Gesellschaftlichen“.
(versuche bitte nicht, einfach das, was Du Dir normalerweise unter „Sittlichkeit“ und „Recht“ denken würdest, in Hegel hineinzuprojizieren, sondern angemessen kann man das nur nachdenken, wenn man auch diese Kategorien wie bei ihm entwickelt, verwendet…)
Da steckt auch drin, was er schon früher schrieb : „Gemeinschaft der Person mit anderen muß daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden.“ (HW 2: 82) (meint ungefähr das, was jetzt mit „Inklusivität“ gesagt werden will).
Unter der Voraussetzung, „dass Vernunft in der Geschichte ist“, bzw. dass er genau dies auch in der Geschichte sehen kann, gibt es bei Hegels Betrachtung der Gesellschaft auch eine Geschichtsphilosophie. Dort läuft das Historische nicht ganz parallel zum Logischen, aber (mal grob gesprochen) fast. Ein wenig zusammengefasst habe ich dazu hier: http://www.thur.de/philo/hegel/hegel29.htm und die Zusammenfassung: http://www.thur.de/philo/hegel/Logisch_Historisch.pdf.
Zum Verstehen von Hegel ist es notwendig, ganz in den Hegel hineinzukriechen, seine Argumentationen ernst zu nehmen. Wenn man nur das rauspickt, was einem nicht passt (die Kritiker, die schon im Vorhinein wissen, dass sie und was sie ablehnen), oder was einem passt…, dann funktioniert das Ganze argumentativ eigentlich nicht mehr. Das ist schon verflixt kompliziert.
April 3, 2017 at 7:59 pm
Nebenbei noch: Matti, Du wirst diese schnell formulierten Sätze von mir wieder grauslich finden und kannst es viel besser wirklich „hegelsch“. Ich finde diese Kommentierung unter der Kommentierung unter der Kommentierung auch sehr verworren, aber ich hätte wirklich gern so viel wie möglich gute Impulse, die dann aufgegriffen werden können; also bitte notier weiter, was Dir auffällt, auch wenn wirs hier sicher nicht ganz „rund“ bekommen… Danke schon mal für das Bisherige, auch an die anderen… 😉
April 3, 2017 at 7:34 pm
Zur Reihenfolge der Diskurse…
Da magst Du Recht haben. Ich will ja Euer Buch nicht schreiben, ich schreibe danach dann vielleicht meins 😉
Rein „theoretisch“ gesehen kann man natürlich erst was zu einem Begriff schreiben und dann zu Bedingungen, und dann darein das stecken, was derzeit das Herausforderndste ist (bzw. in den nächsten Jahrzehnten wird).
Aber ich würde ein dreigeteiltes Buch mit dem Anfang der Herausforderung, aus der auch die Notwendigkeit des „Zurücktretens und theoretischen Bedenkens“ entsteht und worauf dann im 3. Teil (Diskurs 2) wirklich mit Hilfe des im zweiten Teil (Diskurs 1) geantwortet wird, wo er seine Bewährungsprobe besteht, lieber lesen wollen.
Mein Memento an der Wand ist immer der englische Buchtitel (über den Klimawandel, den sie auch erst seit 2009 ernst nimmt) von Naomi Klein: „Das ändert alles“. Was das nicht ernst nimmt wird als zentrale Herausforderung, hat nicht lange Bestand. Deine Sicherheit, dass das, worauf Du hinauswillst „die Vorsorge gegen ökologischen Schwierigkeiten ja auf jeden Fall einschließt“ muss meiner Meinung nach das Hauptargument werden.
Letztlich wird eine Begründung des Fortgangs der Entwicklung mit irgendwelchen Bedürfnissen, wenn man denn einsähe, dass es vielleicht immer noch besser gehen könne, schlecht funktionieren (wann hat sich die Geschichte schon mal wirklich um die Bedürfnisse geschert (siehe https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2017/03/18/weltgeschichte-und-beduerfnisbefriedigung/)? (bei der Entwicklung des Kindes funktioniert das übrigens, weil das „Vorbild“ des erwachsenen Lebens, der Handlungsfähigkeit eines Erwachsenen auch da ist und nur noch für das Kind vom „an sich“ zum „für es“ entwickelt werden muss – aber bei der Gesellschaftsentwicklung sehe ich das nicht)
Wichtiger sind die Entwicklungsnotwendigkeiten und die sind für die Menschheit in dem gegeben, was aus dem Verlassen der Holozänbedingungen folgt.
Es ist dann wirklich eine Frage auch des Aufbaus des Buches, ob es eher akademische Interessen ansprechen soll oder gleich von der Lebenspraxis aus hinführend zur Theorie (Diskurs 1) und dann zurück zur Lebenspraxis in Veränderung (Diskurs 2) gehen sollte… Ich denke, mit dem letzteren (Dreiteilung statt Zweiteilung) würde auch Euer Buch gewinnen, ich schenke Euch die Idee schon mal, statt sie für mich aufzuheben 😉
(Mir gefällt diese Idee der Dreiteilung immer mehr, je länger ich sie im Kopf habe…)
April 7, 2017 at 1:12 pm
Diese Dreiteilung, das habe ich eben erst gemerkt, entspricht ja auch den drei aufeinanderfolgenden Phasen der Zukunftswerkstatt: Kritikphase – Utopie/Visionsphase – Realisierungsphase. 😉