Die folgenden Beiträge werden zur Zeit wohl eher als „Alarmismus“ verschrieen werden. Warum soll man sich nach einigen warmen Sommern schon Sorgen um den Klimawandel machen? Es gibt doch wohl Hoffnung auf ein rechtzeitiges Sinken der Treibhausgasemissionen wie einst bei FCKW, oder nicht?
Es könnte aber auch sein, dass mein Enkel mich nach dem Lesen dieses uralten Textes anstarrt und fragt: „Ja, Ihr wusstet doch alles, warum – verdammt noch mal – habt Ihr nicht alles unternommen, um uns eine lebbare Umwelt zu hinterlassen?“
In einer Studie zu den Schadensrisiken durch den Klimawandel (die sog. „Vulnerabilität“) wird vorgeschlagen, die Risiken nur sehr vorsichtig zu kommunizieren:
Die Risiken des Klimawandels können zu Verdrängungsreaktionen oder sogar zu fatalistischen Reaktionen („Ich kann ja doch nichts tun.“) führen. Um diese Reaktionen von vornherein zu verhindern, sollte ein „Katastrophismus“ – d.h. die Betonung von potenziellen Klimafolgen katastrophalen Ausmaßes – vermieden und die Kommunikation von Risiken immer mit der Kommunikation von Anpassungsmöglichkeiten verbunden werden. Zur Kommunikation von Anpassungsmöglichkeiten sind Vorbilder, die Anpassungsmaßnahmen „vorleben“, besonders geeignet. (Zebisch u.a. 2005: 11)
Zuerst muss man dazu ja aber wohl wissen, woran man sich anzupassen haben wird. Je länger der Eindruck entsteht, dass es ja so schlimm nicht werden würde, werden weder genug Ressourcen für eine Anpassung, noch für den Kampf um eine Vermeidung von jeweils noch Schlimmerem aktiviert werden.
Denn jede Verzögerung führt dazu, dass die Bedingungen für eine Anpassung oder Veränderung schlechter werden. Kohlendioxid verweilt mehr als 120 Jahre lang in der Atmosphäre (je nach Einbindung in langfristige Prozesse). Was wir seit Beginn der Industrialisierung hochgeblasen haben, summiert sich bis heute und die heutigen Emissionen summieren sich noch jahrzehntelang. Die nachteiligen Wirkungen treten erst zeitverzögert ein und dies erschwert ein vorsorgendes Verhalten. Dass sich die Natur (im Gegensatz zu uns Menschen) bereits auf den Klimawandel einstellt, zeigen alle Untersuchungen. Dass diese Veränderungen langsam genug sind, dass die Ökosysteme sich anpassen und uns weiterhin eine geeignete Basis z.B. für eine ausreichende landwirtschaftliche Versorgung sein können, kann man nur hoffen. Leider gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass es schon in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr nur bei ein paar Hitzetagen im Sommer mehr bleiben wird. Wenn die Treibhausgase einmal in der Atmosphäre sind, verändern sie die Lebensumwelt aller Organismen auf dieser Erde. Und wenn das Ausmaß so groß wird, dass die sog. „Kipp-Elemente“ (wie der Golfstrom, das Eis von Arktis und Grönland, die Permafrostböden) kippen, dann drohen so radikale Veränderungen, wie sie die Menschheit in den letzten 10 000 Jahren nicht verkraften musste. Naomi Klein, die sich erst seit 2009 mit dem Klimawandel beschäftigt, nannte ihr Buch darüber (im englischen Originaltitel): „Das ändert alles“. Noch kann man das auch positiv deuten: Wenn die Menschheit auf einem hohen kulturellen und wirtschaftlichen Niveau ihre Naturnutzung im Einklang mit den Möglichkeiten der Anpassungsfähigkeit von Atmosphäre und Biosphäre einrichten will, muss sie eine „Große Transformation“ (WBGU 2011), oder wie auch immer man das nennt, durchführen.
Da es aber noch kein Anzeichen dafür gibt, dass das wirklich in Angriff genommen wird, wird die Bemerkung „Manchmal könnte ich schreien…“ von Hans Joachim Schellnhuber (2009) nachvollziehbar. Solch ein Schrei kann – zumindest nach Holloway (2002) – ein Anfang sein.
„Im Anfang ist der Schrei. Wir schreien.
Wenn wir schreiben oder lesen, vergessen wir schnell, dass im Anfang nicht das Wort ist, sondern der Schrei. Angesichts der Verstümmelung des menschlichen Lebens durch den Kapitalismus, ein Schrei der Trauer, ein Schrei des Entsetzens, ein Schrei des Zorns, ein Schrei der Verweigerung: NEIN.“
Kriegt die Menschheit wirklich nicht mehr hin als ein wenig Effizienzsteigerung bei der Fahrt in den Klima-Crash und ein wenig Anpassungsrhetorik als Airbag? Oder ist nicht eher die Verabschiedung eines ganzen Zeitalters angesagt?
Rao Scranton, der als seine Erlebnisse aus dem Krieg in Irak plötzlich beim Hurrican Katrina wieder erleben musste, nennt sein Buch „Sterben lernen…“ (2015). Erst wenn wir den kohlenstoffbefeuerten „Zombie-Kapitalismus“ (vgl. ebd.: 23) loslassen, ihn sterben lassen und unser Sein ihn ihm, eröffnen sich neue Horizonte. Diese werden den menschengemachten Klimawandel und die entstehenden Folgen umfassen und wir werden neu leben lernen.
April 29, 2019 at 4:14 pm
Zu diesem guten Beitrag passt leider die lange Liste der selbsternannten „denier“ oder „Skeptikerinnen“ – die mit diesem Wort erfolgreich so taten, als wären sie „Skeptiker“. Dabei sind und waren sie Lobbyisten. Ich nehme mal nur einen als Beispiel – aus dutzenden.
Ich habe in den letzten 30 Jahren wohl mehr als tausend Mal Dieter Nuhrs Sprüche von 2003 bis irgendwann 2008 gehört. Fast immer, wenn jemand vom Klimawandel erzählte, kam ab 2003/4 jemand und zitierte Nuhr: Wir müssen mehr Auto fahren! Damit es wieder so schön wird wie im Sommer 2003!
Der Satz variierte, aber das war immer die Quintessenz. Ich glaube, an diese Auftritte erinnert sich Nuhr nicht mehr so gern, aber der ARD ist er immer noch „Satiriker“. Es ist übrigens gar nicht so leicht, manches von Nuhr – auch wenn tausende es nachgeredet haben – heute noch im Internet zu finden. Lustig.
Grade Nuhr ist ein schönes Beispiel – es gibt da viele, viele mehr – wie diese selbsternannten „Skeptiker“ sich dann immerzu rauswinden. Der extreme Vielflieger Nuhr wurde von Leuten, die keine Lust hatten, „sich einzuschränken“, wie sie das nannten (einschränken? Im Westen? Wer?) also tausende Male zitiert. Verbrennen wir noch mehr fossile Energie, ha ha ha, Thema erledigt.
Aber nachdem seine ursprünglichen Positionen – und nicht nur seine – nicht mehr zu halten sind (sie waren es nie) – sagen seine Fans inzwischen einfach: das wäre nur ironisch gewesen. Der hätte das doch sicher nicht so gemeint…(„Was geb ich auf mein Geschwätz von gestern“-Theorie? Oder baut man darauf, daß alle das Langzeitgedächtnis verloren haben?)
Nuhr ist ein Beispiel von sehr vielen. Er ist ein wenig das Sprachrohr des alten Stammtisches. All diesen selbsternannten „Skeptikern“ zusammen ist es wunderbar gelungen, denen, die sich für die Fakten interessierten, „Alarmismus“ vorzuwerfen.
Und da heute alles so schön bunt und wirr ist, passt es dann auch gut, daß einer von ihnen, Eckart von Hirschhausen, der große Erfolge mit dem „deutschen Jammerlappen“, der vor allem bei den Deutschen dann noch im Hirn vorkomme, feierte – also vor rund 10 Jahren im „Das ist doch alles Alarmismus“-Trend mitschwamm – dann 2018 urplötzlich Greta Thunberg gut findet!
Kehrtwende! Ohne zu sagen, Leute – da hab ich wohl ein paar fade Scherze zuviel gemacht, früher.
Es wäre doch vorteilhaft, mehr Menschen könnten sich merken, was all diese vielen Leute, die der Klimawissenschaft „Alarmismus“ vorwarfen, und sas Nuhr, Hirschhausen einst und jetzt sagten. Denn solche Strategien und Denkweisen verschwinden ja nicht einfach.
Es steckt gehörig Lobby-Arbeit und Strategie hinter diesen Leuten, die uns dauernd „Alarmismus vorwarfen, seit 3 Jahrzehnten. Es freute Millionen, wenn Nuhr sagte, das sei doch alles nur Angstmacherei. Wenn man die Geschichte dieser Verharmlosungen ansieht, kann einem schlecht werden. Denn um 1990 waren die Chancen, wirklich etwas zu erreichen, weit, weit höher.
Mai 2, 2019 at 9:36 am
Danke für den Kommentar. Ich kannte den Spruch noch nicht “ Wir müssen mehr Auto fahren! Damit es wieder so schön wird wie im Sommer 2003!“
Ich finde es gut, dass es diesen Spruch gibt, der ist so entlarvend, dass er auch später in die Geschichtsschreibung eingehen wird als Beantwortung der Frage, wie doof wir waren. Ich fürchte aber, die nehmen das als ernsthafte Meinung von uns allen wahr.