Gibt es außerhalb des Kapitalismus auch „Arbeit“? Kann man für die Zeiten vorher schon von „Wirtschaft“ sprechen? Wie sieht es mit „Gebrauchswerten“ aus, wie mit „Subjekten“, mit „Vernunft“, mit „Politik“? Zu all diesen Begriffen gibt es in linken Kreisen immer mal wieder erbitterte Debatten darüber, ob sie in allen menschlichen Gesellschaften (sozusagen „überhistorisch“) vorhanden sind, oder nur dem Kapitalismus zuzuordnen sind. Wenn jemand einen der Begriffe überhistorisch verwendet, wird dies häufig als „Ontologisierung“ kritisiert und zurückgewiesen, so z.B. hier von Wertkritikern:
„Die abstrakte „Arbeit“ erschien demzufolge auch nicht als historische Realkategorie des Kapitalismus, sondern als ontologische ewige Menschheitsbedingung.“ (Ernst Lohoff, Robert Kurz 1998).
Ich selbst habe so etwas in einem aktuellen Blog-Kommentar „beinah als eine „Enteignung“ von Begriffen“ bezeichnet. Der Anlass war ein Vorwurf gegenüber einem anderen Autoren, dass die Aussage „Wirtschaft hat es immer gegeben“ eine Ontologisierung sei.
Mir fallen folgende Begriffe ein, die dementsprechend nur zum Kapitalismus bzw. höchstens noch zu anderen Ausbeutungsgesellschaften bzw. Gesellschaften mit exkludierenen Strukturen gehören sollen: Neben „Arbeit“ auch „Gebrauchswert“ (wozu es hier eine ausführliche Debatte gibt), „Wirtschaft“, „Eigentum“, „Politik“, „Vernunft“, „Subjekt“ und „Interesse“. Diese Liste lässt sich sicher bis ins Unendliche fortsetzen.
Ich denke, dass die für die Begriffe verwendeten Worte durchaus gleichermaßen für Begriffe verwendet werden können, die zueinander im Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen stehen. Begriffshierarchien sind nichts Ungewöhnliches. Wikipedia bietet als Beispiel die Unterteilung es Oberbegriffs „Lebewesen“ in die Unterbegriffe „Mensch“ und „Tier“.
Die Katze neben mir ist ein Tier, sie ist damit auch ein Lebewesen. Sie hat alle Merkmale von Lebewesen, d.h. (wenn wir die klassische Begriffsbestimmung nach Porphyrios durchgehen) sie ist körperlich, sie ist beseelt und empfindend. Aber sie ist nicht vernünftig, was sie von mir als Menschen unterscheidet.
Die vollständige Hierarchie der Ober- und Unterbegriffe für diesen Fall zeigt die folgende Abbildung (aus Sowa in Wikipedia).
Solch ein Begriff erfasst das „wahrhaft Allgemeine“ (HW 8: 312, § 163 Zusatz 1), denn seine Unterbegriffe erfüllen den Oberbegriff vollständig. Alle Lebewesen fallen unter die Unterbegriffe, die einerseits die vernünftigen Lebewesen, andererseits die nicht vernünftigen Lebewesen erfassen. Die Unterscheidung zwischen Ober-und Unterbegriff erfolgt durch eine entsprechende spezifizierende Formulierung: Wenn ich von der Katze spreche, dann von einem empfindenden Organismus. Genau so sollte es doch möglich sein, von Lohnarbeit (oder eben „abstrakter Arbeit“ zu sprechen, ohne den damit gegebene Einheit mit konkreter Arbeit im Kapitalismus zu verleugnen) , wenn ich die Arbeit (Oberbegriff) im Kapitalismus (Unterbegriff: Arbeit im Kapitalismus) meine.
Eine unvollständige Art von Allgemeinheit – die abstrakte Allgemeinheit – entsteht, wenn das bloß Gemeinsame der Unterarten unter „Hinweglassung des Besonderen“ (ebd.: 311) erfasst wird. Solch ein Allgemeines liegt vor, wenn etwa die neben- oder nacheinander vorliegenden besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse mit Unterbegriffen erfasst werden, deren Oberbegriff von den konkreten Arten der Gesellschaftlichkeit abstrahiert und das Gemeinsame aller dieser Arten erfasst. Indem dieser Oberbegriff das Gemeinsame (die Gesellschaftlichkeit/Vernünftigkeit) erfasst, lässt er sich wiederum unterscheiden gegenüber anderen Gemeinsamkeiten (z.B. der Tiere) und erweist sich dadurch wieder als Unterbegriff eines höheren Begriffs („Lebewesen“). Die Liste der Unterbegriffe kann in diesem Fall nie vollständig sein, weil sie nicht „aus dem Begriff“ abgeleitet werden kann.
Vollständig würde das Allgemein-Menschliche durch eine andere Besonderung, die wieder Vollständigkeit ermöglicht. Vorstellbar wäre die Unterteilung in „Klassengesellschaften“ oder „Nichtklassengesellschaften“, bzw. allgemeiner gefasst: „Gesellschaftsformationen mit wesentlich exkludierenden Strukturen“ und „Gesellschaftsformationen mit wesentlich inkludierenden Strukturen“.
Bei der Frage nach der „Ontologisierung“ „überhistorischer“ Merkmale befinden wir uns jedoch eher im Bereich der vorher diskutierten abstrakten Verallgemeinerung. Alles Überhistorische abstrahiert von den historischen Besonderheiten der als unterscheidbar bestimmten Gesellschaftsformationen. Aber die Merkmale der bestimmten Gesellschaftsformationen sind keine Momente einer vollständigen Allgemeinheit. (Nebenbei: Auch deshalb kann man die Kette der aufeinander folgenden Gesellschaftsformationen nicht „aus dem Begriff ableiten“).
Die fraglichen Begriffe „Arbeit“, „Wirtschaft“ usw. sind Aspekte der gesellschaftlichen Verhältnisse. Im eingebürgerten Sprachgebrauch gibt für sie es i.a. gute Begriffsbestimmungen, die in vielen oder gar allen konkreten Formen menschlicher Gesellschaften zutreffen.
- Arbeit: „Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert.“ (Marx MEW 23: 192) bzw. bewusste, „kooperative Veränderung der Umweltgegebenheiten zur Erweiterung der allgemeinen Lebensmöglichkeiten“ (Holzkamp-Osterkamp 1976: 212) mit der Möglichkeit, sich nicht nur vorgegebenen Lebensbedingungen anzupassen, sondern diese in der gemeinsamen „produktiven“ Einflußnahme bewußt den gesellschaftlichen und individuellen Lebensnotwendigkeiten gemäß zu verändern (ebd.: 211f.)
- Eigentum: Verhältnis zwischen Menschen in Bezug auf von ihnen genutzte und angeeignete Sachen: „Alle Produktion ist Aneignung der Natur von Seiten des Individuums innerhalb und vermittelst einer bestimmten Gesellschaftsform. In diesem Sinn ist es eine Binsenweisheit zu sagen, dass Eigentum (Aneignen) eine Bedingung der Produktion sei“ (MEW 42: 23). „Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums.“ (MEW 4: 475, vgl. dazu auch: „Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“ (ebd.: 477))
- Wirtschaft: Handeln, das auf Nutzleistungen zur Bedürfnisbefriedigung bezogen ist (Weber 1922/1972: 199).
- …
In den wertkritischen Debatten werden diese Begriffe nun i.a.so eng definiert, dass ihre Bestimmungen tatsächlich nur für den Kapitalismus, höchstens noch andere Klassen- bzw. exkludierende gesellschaftliche Verhältnisse zutreffen.
- Arbeit: „Die „Arbeit“ muss weg, weil sie nichts anderes als die spezifische Tätigkeitsform der modernen ökonomischen Selbstzweck-Sphäre ist.“ (Ernst Lohoff, Robert Kurz 1998). Als überhistorischer Begriff wird „gesellschaftliche Produktion“ verwendet.
- Eigentum: „In meinen Worten“ ist Eigentum „ein abstraktes Rechtsverhältnis einer Person […] in Bezug auf andere Personen und eine Sache. Eigentum definiert rechtlich die Exklusion Dritter von der Verfügung über eine Sache“ (Meretz 2012) Die nicht ausschließende Alternative soll „Besitz“ sein.
- Wirtschaft: „Erst der Kapitalismus hat diese Tätigkeiten in Sphären aufgespalten, in Wirtschaft und den Rest.“ (Meretz 2017) Das dazu Alternative wird bezeichnet als „Aktivitäten zur vorsorgenden Herstellung aller Lebensbedingungen“
- …
Dabei wird die Besonderheit des definierten Aspekts für kapitalistische Verhältnisse meist sehr prägnant erfasst, aber der Zusammenhang mit den allgemeinen oder anderen besonderen Formen wird abgeschnitten. Diese Umdefinition ist es, die ich als „Enteignung“ bezeichnete, weil diese Begriffe/Worte dann nicht mehr zur Verfügung für Begriffsbildungen stehen, die sich an den eingebürgerten Sprachgebrauch anlehnen. Zwar soll z.B. bei den Begriffen „Eigentum“ und „Besitz“ durchaus auch an die gewohnte Verwendung erinnert werden, aber der dabei benutzte Vergleich des Eigentums/Besitzes einer Mietwohnung (im Kapitalismus) bezeichnet eine ganz andere Sache (nämlich eine innerhalb des Kapitalismus) als den gemeinten Wesensunterschied (zwischen kapitalistischem Privateigentum und Commons als Besitz). Außerdem verstellt diese Abtrennung der Wortverwendungen die Erkenntnis geschichtlicher, gesellschaftsformübergreifender Zusammenhänge.
Philosophisch gäbe es noch mehr Interessantes zu diskutieren. Hier nur einige Hinweise aus einer Hegel-Lektüre dazu:
„Das Besondere enthält die Allgemeinheit, welche dessen Substanz ausmacht; die Gattung ist unverändert in ihren Arten; die Arten sind nicht von dem Allgemeinen, sondern nur gegeneinander verschieden. Das Besondere hat mit den anderen Besonderen, zu denen es sich verhält, eine und dieselbe Allgemeinheit.“ (HW 6: 280)
Auch eine Hierarchie des Allgemeinen und Besonderen kennt Hegel.
„… das Allgemeine hat hiernach eine Besonderheit, welche ihre Auflösung in einem höheren Allgemeinen hat. Insofern es nun auch nur ein relativ Allgemeines ist, verliert es seinen Charakter des Allgemeinen nicht, es erhält sich in seiner Bestimmtheit [….].“ (HW 6: 278) Eine Gattung kann als niedrigere Gattung „in einem höheren Allgemeinern ihre Auflösung“ haben (ebd.: 278f.). „Dies kann auch wieder als Gattung, aber als eine abstraktere aufgefaßt werden“ (ebd.: 279)
Die begriffslogische Darstellung des Verhältnisses von Allgemeinem und Besonderem findet sich in noch unentwickelter Weise bereits in der Wesenslogik als Verhältnis von Wesen und Erscheinung bzw. als Verhältnis von (unbestimmte) „Materie“ und geformtem Inhalt=inhaltsentsprechender Form. Daher ist es oft auch sinnvoll, das Verhältnis der fraglichen Begriffe als Verhältnis von „Wesen“ und „Existenzform“ zu diskutieren, oder eben als Verhältnis von (unbestimmter) „Materie“ und „Form“.
Literatur:
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (HW 6): Wissenschaft der Logik II. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (HW 6): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.
Holzkamp-Osterkamp, Ute (1976): Motivationsforschung 2. Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse – Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. Texte zur Kritischen Psychologie, Band 4/2. Frankfurt, New York: Campus Verlag. 4. Auflage 1990.
Lohoff, Ernst; Kurz, Robert (1998): Was ist Wertkritik? MARBURG-Virus. Online: http://www.krisis.org/1998/was-ist-wertkritik/ (abgerufen 2017-07-21)
Marx, Karl, Engels, Friedrich (MEW 4): Manifest der Kommunistischen Partei. In: Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Band 4. Berlin: Dietz-Verlag 1959. S.459-493.
Marx, Karl (MEW 23): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. (1867) In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Band 23. Berlin: Dietz Verlag 1988.
Marx, Karl (MEW 42): Einleitung zu den „Grundrissen“. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Band 42. Berlin: Dietz Verlag 1983.
Meretz, Stefan (2012): Eigentum und Besitz und Commons. Online. http://keimform.de/2012/eigentum-und-besitz-und-commons/ abgerufen 2017-07-21)
Weber, Max (1922/1972): Wissen und Gesellschaft. Tübingen: Mohr.
Juli 21, 2017 at 4:13 pm
Diese Hinweise scheinen mir darum so nützlich, weil man gleich zur „abstrakten Allgemeinheit“ einen wesentlichen Zusatz machen kann: Die „wahrhafte Allgemeinheit“ existiert vielleicht (wie?) („an sich“? was heisst das?) – aber wir (wir heute) können sie nicht angeben – weil wir die sie (die eine?) erschöpfenden möglichen Ausprägungen nicht… gedacht haben?
Im Falle des „vernünftigen (Lebe)Wesens“*) können wir vielleicht notwendige Merkmale angeben – solche, aus deren Fehlen wir auf Unvernunft schliessen können. Aber haben wir „hinreichende“ Vorstellungen davon, was ein vernünftiges von andern Lebewesen (speziell sich verhaltenden; Tieren) unterscheidet – haben wir WAHRHAFT hinreichende solche? Ich denke nicht; stattdessen haben wir eine offene Reihe von Beispielen, nämlich das, was wir in der bisherigen Geschichte als vernünftiges Tun anerkennen, derart dass dessen Träger oder Urheber eben anerkannt „vernünftige (im grossen ganzen, oder immer wieder verständliche) Lebewesen“ waren. Was das übergreifend Gemeinsame auch in aller Zukunft sein wird und muss – die vollständige Bestimmung (Menge ALLES dessen, was zur Zuschreibung von Vernünftigkeit an ein sich verhaltendes Wesen NOTWENDIG ist) – das wissen wir im Moment nicht zu sagen. Als Gemeinsames der Reihe von Beispielen, die bislang vorliegt, können wir es jedenfalls nicht benennen.
Und so könnte es sich sogar mit den Begriffen Eigentum, Arbeit, Wirtschaft verhalten, wenn sie derzeit „in vielen oder gar allen konkreten Formen menschlicher (vernünftiger?) Gesellschaften zutreffen“. Das übergreifende das sie zum Teil einer vernünftigen (uU später korrigierten) Lebensform im Rahmen einer speziell menschlich-vernünftigen Geschichte macht (die zum Bestandteil einer speziell auf der erde abgelaufenen Evolution..) – das ist noch nicht bestimmt.
————————————————–
*) wir würden vielleicht eher als Oberbegriff den des Verhaltens wählen, nicht so „substanz-bezogen“ wie Porphyrios; die Funktionsweisen, die Aristoteles in „Über die Seele“ bespricht, sind modern natürlich auch im Blick; aber sie sind keineswegs „dicht“ in solch eine Reihe sich differenzierender „wahrhafter Allgemeinbegriffe“ gebracht, wie man sich das von einer ordentlichen (biologischen) Wissenschaft wünschen würde.,
Juli 21, 2017 at 6:23 pm
„Aber haben wir „hinreichende“ Vorstellungen davon, was ein vernünftiges von andern Lebewesen (speziell sich verhaltenden; Tieren) unterscheidet – haben wir WAHRHAFT hinreichende solche?“
Die Art unseres Unwissens ist bei den von Dir genannten Beispielen ein qualitativ unterschiedlich. Die Sichtweise auf die „offene Reihe von Beispielen“ stellt wieder ein abstrakt Allgemeines her. Nun gibt es bei Hegel grundsätzlich eine andere Art von Allgemeinem (die rein analytisches, bei Hegel „verständiges“, Denken nicht erreicht). Das erfordert nicht etwa eine „vollständige Reihe von Beispielen“, sondern eine Bestimmung von besonderen Momenten, deren Einheit das Allgemeine ist und wo es keine anderen Momente geben kann. Es kann sein, dass wir die noch nicht alle und nicht in allen Ausprägungen kennen und benennen können (Hegels angeblich so starres begriffliches „System“ war in den verschiedenen Vorlesungen z.B. zur Naturphilosophie von ihm erstaunlich aufnahmefähig für damals neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse). Aber ganz grundsätzlich wird das System der Wissenschaften grundsätzlich „aufgeteilt“ in Wissenschaften von Natur, von Individuen (Psychologie,bei Hegel etwas umfassender als „subjektiver Geist“) und Gesellschaft (bei Hegel „objektiver Geist“). Welche anderen Momente gäbe es noch? Es geht dabei nicht um eine „Reihe von Beispielen“ oder ergänzbare Teile eines Ganzen, sondern um jene qualitativen besonderen Momente, deren Einheit das Allgemeine ausmachen. Es kann zwar sein, dass wir nicht alle Arten einer Gattung kennen, aber die Gattung ist durch alle ihre Arten bestimmt. Der diese Allgemeinheit kennzeichnende Schluss ist in der Begriffslogik von Hegel der disjunkte Schluss: „A ist Entweder B oder C oder D, A ist aber B; also ist A nicht C noch D“.
Die Ungewissheit ist nur „unsere“, in der Welt da draußen gibt es alle Arten, die es gibt und die die Gattung bilden, die wir nach und nach besser (oder auch mal unsere Systematik dabei verändernd) kennen lernen.
Was es dagegen nicht *wirklich gibt*, sind „alle möglichen Gesellschaftsformationen“. Hier unterscheidet sich die historische und die logische Systematik deutlich, was Hegel nicht verwechseln konnte – nur die Hegel versuchsweise umstülpenden MaterialistInnen verwickeln sich hier immer wieder in Missverständnisse (weil sie die Methode übernehmen wollen und dabei die „Entwicklung“ des Logischen meist zu vorschnell historisieren).
Das Überhistorische an Arbeit, Eigentum und Wirtschaft dürfte sein, dass Menschen in allen Gesellschaftsformationen, in denen sie als Menschen wirken, die Lebensbedingungen bewusst und gesellschaftlich so verändern, dass sie Nutzen für ihre Bedürfnisbefriedigung daraus ziehen, wobei sie in Verhältnissen zueinander stehen, die sich auf von ihnen genutzte und angeeignete Sachen beziehen. Ich denke nicht, dass es Menschen ohne Veränderung der Lebensbedingungen zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung innerhalb von Verhältnissen, die sich auf die dabei verwendeten und angeeigneten Sachen beziehen, geben könnte…
Andere Bestimmungen gelten vielleicht tatsächlich nur für einige Gesellschaftsformationen (die Unterteilung in Klassen beispielsweise in Klassengesellschafte, patriarchale Exklusionen in Patriarchaten etc., etc…). Und andere dann wiederum nur für den Kapitalismus, wie das spezifisch kapitalistische Klassenverhältnis und die den Begriffen „Kapital“ und „Profit“ zugehörigen Gegebenheiten.
Nochmal zu Deiner Ausgangsfrage: Wissen wir genau genug, was Vernunft ist? Bei Hegel ist das Bestimmende an der Vernunft, dass sie Selbstreflexion ist. Mehr zum Vernunftbegriff Hegels kann anderswo nachgelesen werden… ist mir jetzt zu viel…
Juli 21, 2017 at 5:35 pm
Hmm .. dein Punkt ist, dass du es doof findest, dass durch diese begrifflichen „Enteignungen“ die Verbindung zum Alltagssprachgebrauch durchgeschnitten wird, oder? Aber das ist ja zum Teil ganz schön sinnvoll weil bspw. bei Wirtschaft gehört für Wikipedia Unternehmen und Tausch hinzu. Von dem Arbeitsbegriff wurde sich verabschiedet weil der ja im Traditionsmarxismus immer so positiv konnotiert wurde, aber noch immer als Arbeit unter dem Leistungsprinzip in der sozialistischen Utopie verstanden wird.
Aber prinzipiell stimme ich dir zu, durch die Schaffung immer neuer „präziser“ Begriffe grenzt man sich vom Alltagssprachgebrauch und schafft somit immer auch eine Hürde. Wäre dein Vorschlag dann versuchen um die (Alltags-)Begriffe zu ringen und ihnen eine klare Bedeutung zu geben?
PS: Würdest du exkludierende Gesellschaften immer mit Klassengesellschaft gleichsetzen? Wir versuchen ja gerade mit Exklusionsgesellschaften etwas übergreifendes zu bestimmen: das Menschen wesentlich ihre Bedürfnisse auf Kosten anderer befriedigen müssen. Die Exklusion geht aber nicht nur den „Klassengrenzen“ entlang, sonder Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht, etc. – sonst klingt es schnell auch wieder nach Haupt- und Nebenwiderpsruch…
alles liebe!
Juli 21, 2017 at 5:48 pm
Ich finde es nicht „doof“ sondern verwirrend, nicht notwendig und wichtige Zusammenhänge abschneidend. Ob etwas „für Wikipedia“ dazu oder nicht dazu gehört, bestimmt nun auch nicht unbedingt meine Begriffsbestimmungen. Bei „Wirtschaft“ scheint es keine eindeutige marxsche Bestimmung zu geben, aber im Sinne von „Ökonomie“ ist es m.M. nach ein z.B. von „Politik“ zu unterscheidender Bereich in vielen anderen Gesellschaftsformen auch (und da ist „oikos“ ganz eindeutig noch aus der antiken Tradition heraus noch nicht spezifisch kapitalistisch konstituiert). Wenn Du schreibst „von dem Arbeitsbegriff wurde sich verabschiedet“… dann schließt Du mich von dieser allgemeinen Behauptung aus, denn ich habe mich (nach einigem Schwanken in den 90ern) davon nicht verabschiedet.
Es kann eventuell auch andere exkludierende Gesellschaften geben als Klassengesellschaften bzw. die Exklusion betrifft in der Tat auch andere Grenzen als nur die der Klassen. Aber den Klassenbegriff und den der Klassengesellschaften würde ich deshalb nicht auch gleich wieder voreilig verabschieden. Es lässt zumindest auch weiterhin die Problematik eines Zusammenhangs zwischen Klassen- und anderen Exklusionen offen, anstatt diesen Zusammenhang wieder abzuschneiden. Wonach das „klingt“ ist mir dabei auch egal, wichtig ist, was konkret dazu analysiert wird.
Juli 22, 2017 at 5:22 pm
Zu Begriffen: Okay tut mir leid, ich wollte dich nicht ausschließen. Aber ich fand es sinnvoll diesen Arbeitsbegriff als allgemein-menschl. Bestimmung nicht mehr zu verwenden, weil er eben mit soviel Blödsinn beladen ist. Auch der Ökonomie Begriff ist in vielen Zusammenhängen mit Markt und Tausch verbunden (bspw. in der Solidarischen Ökonomie, welche ja quasi eine solidarische Marktwirtschaft wollen). Du schlägst vor um diese Begriffe zu kämpfen, damit man anschlussfähig ist? Verwirrend sind doch gerade unpräzise Begriffe, dann meinen wir eine Gesellschaft ohne Tausch und Markt und die anderen verstehen unter anderer Ökonomie dann eine Gesellschaft mit Tausch und Markt.
Zu Klassengesellschaften: Aber warum nennst du sie Klassengesellschaft? Weil die entscheidende Exklusion über gesellschaftliche Klassen mit Verfügung über Produktionsmittel ausgeht?
Juli 22, 2017 at 5:49 pm
Ich „kämpfe“ nicht für den Begriff, sondern sehe nicht genug Gründe, dem Vorschlag, ihn abzuschaffen, zuzustimmen. Nur das teile ich mit und nachdem mich die Debatten dazu ermüden, wollte ich halt einmal auch meine Gründe dazu mitteilen, damit ich ggf. bei späteren Streiten einfach nur darauf verweisen brauche (und Menschen die Möglichkeit gebe, die Argumente nachzuvollziehen).
Dass Begriffe mit viel Blödsinn beladen sind, wirst Du nie ausschließen können. Deshalb ist eine Klärung wichtig. Aber nur, weil einige Menschen bestimmte Aversionen haben, muss sich nicht der Rest der Menschheit an ihre Neudefinitionen halten müssen, oder? Es war und ist immer nur eine kleine Gruppe, die meiner Beobachtung nach in den letzten 10…20 Jahren auch eher kleiner als größer geworden ist, die diese Neudefinitionits mitmachen. Wenn es bessere Gründe dafür gäbe, würde ich ja mit mitmachen – es geht mir da nicht um Mehrheitsentscheidungen. Aber die Gründe sind nicht gut genug.
Juli 22, 2017 at 5:51 pm
Zu den „Klassengesellschaften“: Ja, wenn ich die „Exklusion über gesellschaftliche Klassen mit Verfügung über Produktionsmittel“ betonen will, nenne ich die entsprechenden Gesellschaften auf allgemeine Weise so.
Juli 22, 2017 at 6:05 pm
„Verwirrend sind doch gerade unpräzise Begriffe, dann meinen wir eine Gesellschaft ohne Tausch und Markt und die anderen verstehen unter anderer Ökonomie dann eine Gesellschaft mit Tausch und Markt“
Die Inhalte von Begriffen werden sich im Verlaufe der Zeit immer mal wieder verändern und werden dann neu bestimmt und tradiert. Ein für allemal „präzise“ wirst Du sie nie hinbekommen. Es kann doch nicht schwerer sein, den Kontext (allgemein-menschlich oder kapitalistismusspezifisch) mit zu nennen, als den „Rest“ der über Gesellschaft sprechenden Menschen (der sicher 99% und mehr gegenüber der Gruppe, die ausgehend von der Wertkritik viele allgemeinen Begriffe nur noch dem Kapitalismus zuordnen, ausmacht) zwingen zu wollen, Eure Privatsprache mitzusprechen… Wie willst Du denn jemandem, der z.B. die Wortbedeutung von oikos kennt, einreden, die alten Griechen hätten ga keinen Oikos gehabt… Oder wenn es um die „Bedeutung der Arbeit bei der Menschwerdung“ geht, gleich einhaken mit: „Das war doch aber eigentlich noch gar keine Arbeit…“
Wenn Du für alle Gesellschaften wichtige Funktionsbereiche unterscheiden willst, wirst Du wohl für alle Gesellschaftsformationen so etwas wie eine Unterscheidung zwischen „Ökonomie“ und „Politik“ haben und dann für die jeweilige Gesellschaftsform eben genau bestimmen, was sie selbst bedeuten und wie sie zusammenhängen. Einmal fast ununterscheidbar, später deutlicher unterschieden, einmal schwingt sich ein Faktor zur beherrschenden Dominanz auf, usw. usf. Dazu brauchst Du auch allgemein-menschliche Begriffe. Du musst nur kenntlich machen, auf welcher Abstraktionsebene Du Dich grad befindest.
Wenn Du für jede Gesellschaftsformation nur noch Spezialbegriffe hast, kannst Du keine Zusammenhänge mehr sehen und die Unterschiede nicht mehr deutlich benennen (denn auch *Unterschiede* siehst Du nur in Bezug auf ihre Einheit auf der anderen Ebene, sonst fällt alles auseinander in einer undifferenzierten *Verschiedenheit*).
Juli 23, 2017 at 1:51 pm
Beruflich habe ich einen gewissen Bezug zum Begriff „Arbeit“. Trotzdem würde ich das Problem der Aufspaltung zwischen Alltags- und Spezialistensprache anders angehen und zwar: nicht von den Begriffen, sondern von der Funktion der Sprache her.
Beispiel „Arbeit“:
– Als gelernter Bauingenieur und Ökonom ist „Arbeit“ für mich nur im kapitalistischen Kontext erfahr- und kommunizierbar.
– Als an Ethnologie interessierter Philosoph erschließt mir der Begriff „Arbeit“ mit dem Blick auf Jäger- und Sammlerkulturen ganz andere Sinnstrukturen ohne deshalb falsch zu sein.
– Genauso, wenn ich nun über den Begriff „Arbeit“ philosophiere, arbeite ich an dem Begriff, was aber (noch) keine Arbeit im kapitalistischen Sinne ist, obwohl doch Arbeit (ohne Anführungszeichen).
– Und schließlich wird beispielsweise im Englischen zwischen „labour“ und „work“ differenziert, was weitere Facetten eröffnet.
Offensichtlich geht es zuerst einmal um semantische Felder und deren kommunikativen Aspekt: Mit unserer Sprache und ihren Begrifflichkeiten VERSTÄNDIGEN wir uns ÜBER etwas. D.h.: Sprache (und damit auch Begriffe) sind Medium zwischen mir, meinen Kommunikationspartnern (Gesellschaft) und den Dingen über die ich kommunizieren möchte (Welt). Daraus folgt: Den Begrifflichkeiten kommt ihr Realitätsbezug nur in dem Maße zu, wie sie in ihrem kommunikativen Kontext diese Verständigung über Reales ermöglichen.
Wenn ich also Begriffshierarchien entwickle, bezwecke ich damit, meine Gedanken zu ordnen und Begriffe in ihrem Zusammenhang und ihren Unterscheidungen zu klären. Es ist also nach-gelagertes Nach-Denken über Bedeutungsgehalte. Und weil das eben nachgelagert ist, entstehen auch diese ganzen Schwierigkeiten der hierarchischen Zuordnung und die mehr oder weniger gelungenen Reparaturversuche, die du ja auch anführst.
Das Problem, das ich dabei sehe, ist die Versuchung, klare bzw. geklärte Begriffe für das Reale zu halten, was ich mit ihnen bezeichnen und kommunizieren möchte. Im realen (auch wissenschaftlichen) Diskurs geht dieser Unterschied zwischen Begriff und Ding meist unter. Der Vorwurf der Ontologisierung leugnet daher den Zusammenhang eines Begriffes („Arbeit“) mit seinem kommunikativen Kontext, er stellt den Begriff von etwas als dieses Etwas selbst dar und praktiziert damit seine eigene Ontologisierung (um einmal diesen schönen Begriff auf sich selbst anzuwenden).
Juli 23, 2017 at 5:10 pm
Wenn du kritisierst „der Zusammenhang mit den allgemeinen oder anderen besonderen Formen wird abgeschnitten“, so trifft das beide Seiten: Ohne Fassung der besonderen Formen, gibt es auch keinen Zusammenhang. Ich bin sehr dafür, diesen Zusammenhang zu begreifen, aber dann ist Differenzierung eine conditio sine qua non.
Juli 24, 2017 at 5:08 pm
Genau. Besonderung, aber nicht Trennung
Oktober 4, 2017 at 9:46 am
[…] habe bereits schon einmal darauf verwiesen, dass sich Allgemeines auf mindestens zwei Weisen unterteilt. Einmal enthält die Unterteilung alle […]