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Bini Adamczak entwickelt in ihrem neuen Buch „Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende“ eine „relationale Revolutionstheorie“. Wie ich im letzten Beitrag schon beschrieb, setzt sie gegen die bisherigen Orientierungen Totalität und Singularität die Orientierung der Relationalität, der Beziehungen.
Ich hatte schon darauf aufmerksam gemacht, dass eine abstrakte Sichtweise auf Beziehungen nicht ausreichend ist:
Gegen Rombachs Überbetonung des Beziehungs-Strukturellen, bei dem eine Beziehung ein „mehrstelliger, mindestens zweipoliger Zusammenhang zwischen zwei Stellen“ ist, „die durch Variable besetzt werden“, betont auch Renate Wahsner (1996: 42), dass der enge Zusammenhang zwischen den von den Relata abhängigen Relationen und eben den Relata besser als „Verhältnis“ zu verstehen ist. Dies ist ein „mehrstelliger Zusammenhang, bei dem nicht von dem, was im Zusammenhang miteinander steht, abstrahiert wird.“
Bini Adamczak hatte aus der Einbindung der Individuen in Beziehungen geschlossen, dass wir uns bei der Beantwortung der Frage „wer wir sind“ fragen sollten, „welche Beziehungen wir führen“. Werden wir als Individuen also durch die Beziehungen determiniert? Das wäre ebenso einseitig wie die Vorstellung, die Individuen wären schon „vor“ den und außerhalb der Beziehungen diejenigen, die sie in der Beziehung sind.
Es ist wie bei den Doppelbildern von Ente und Hase oder alter Frau und junger Frau: Einmal sieht man vordergründig das eine (und das andere wird sekundär), das andere Mal das andere. Einmal haben wir Teile, die auch zusammengesetzt sind und das andere Mal haben wir ein Ganzes, das auch Teile enthält. Entweder wird das eine oder das andere gedacht, eins davon ist das Unmittelbare. Im einfachsten Fall kann man so Beziehungen denken. Die Beziehung ist „zwischen“ Teilen und Ganzen oder „zwischen“ den Teilen, die das Ganze bilden. Ohne die Beziehung wären die Teile auch die Teile, die sie ohne das Ganze wären und das Ganze wäre es selbst auch mit anderen Teilen. Solch eine Beziehung wird „äußerlich“ genannt. Bei Hegel ist das Verhältnis von „Ganzen“ und „Teilen“ von solchen Beziehungen bestimmt. Er nennt dieses Verhältnis „äußerlich und mechanisch“ (Hegel HW 8: 268 § 135 Zusatz).
Eine vermittelte Form wäre stattdessen das Verhältnis von Gliedern und Organen eines lebendigen Leibes. Hier sind die Teile „das, was sie sind nur in ihrer Einheit“ (ebd.). Ein Vater ist nur ein Vater im Verhältnis zum Sohn. Menschliche Individuen sind immer gesellschaftliche, die Gesellschaft kommt nicht „von außen“ auf sie herab oder erst in einer „Prägung“ in sie hinein. Anstatt des bloß „unmittelbaren Verhältnisses“, wie wir es eben bei Ganzen und Teilen diskutierten, liegt nun ein „wesentliches Verhältnis“ vor. Hier werden die beiden Seiten, das „Ganze“ und die „Teile“ nicht mehr nur äußerlich verbunden, sondern jede der Seiten wird „als Moment der andern gesetzt“ (Hegel HW 6: 166). Jede Seite ist die Einheit ihrer selbst und ihres Anderen (ebd.: 165). Diese „Beziehung“ wird dann „Verhältnis“ genannt:
„Das Existierende ist dadurch nicht abstrakt für sich, sondern nur in einem Anderen, aber in diesem Anderen ist es die Beziehung auf sich und der Beziehung auf Anderes“ (Hegel HW 8: 267 § 135 Zusatz).
Das heißt: Während jedes Relat in der Relation bleiben kann, wie es auch ohne die Beziehung wäre, so gibt es das in Verhältnis Stehende ohne dieses Verhältnis nicht so wie im Verhältnis.
Und es gilt:
„Alles, was existiert, steht im Verhältnis, und dies Verhältnis ist das Wahrhafte jeder Existenz.“ (ebd.)
Ein Beispiel: „So sind z.B. die Glieder und Organe eines lebendigen Leibes nicht bloß als dessen Teile zu betrachten, da dieselbe das, was sie sind, nur in ihrer Einheit sind und sich gegen dieselbe keineswegs als gleichgültig verhalten.“ (ebd.: 268)
Worauf ich hinaus will, ist ein Verständnis dafür, dass es nicht richtig wäre, solche existierenden Verhältnisse aufzulösen in bloßes Verhalten der „Agenten“ in Beziehungen. Dabei würden die sich verhaltenden Individuen und die entstehenden Beziehungen nur äußerlich verbunden. Meines Erachtens geschieht dies bei Holloway (u.a. hierzu siehe hier ) und Sahra Wagenknecht kritisiert Marxens Frühschriften, weil auch hier gesellschaftliche Verhältnisse auf subjektive Verhaltensweisen zurückgeführt werden.
Für die Betrachtung gesellschaftlicher Verhältnisse ist zu beachten, dass in den gesellschaftlichen Verhältnissen die Vermittlung durch objektive Gegebenheiten (natürliche, gegenständliche Mittel wie Produktionsmittel…) vermittelt sind. Diese liegen „den Verhältnissen der Menschen zueinander zugrunde“ und sie reduzieren deren „konkrete Form auf einen bestimmten Möglichkeitsbereich.“ (Wagenknecht 1997: 166) Zu vereinfacht wäre es, die gesellschaftlichen Verhältnisse auf intersubjektive Beziehungen der Menschen untereinander zurückzuführen. Stattdessen sind gesellschaftliche Verhältnisse auch über ihr Verhältnis zu den Gegenständen der Produktion vermitteltes Verhältnisse von Menschen, die auf Grund dieser Vermittlung ihre konkreten Voraussetzungen in ihrer spezifischen Stufe der Produktion besitzten (ebd.: 167, leicht umformuliert und kursiv von mir) (siehe auch * unten)
Auch Bini Adamczak vertritt nicht die Auflösung von Verhältnissen in Verhalten, von Strukturen in Beziehungen:
„Dabei darf die revolutionär-utopische Entdinglichung verdinglichter Strukturen aber nicht im Sinne einer völligen Destrukturierung und reinen Verfügbarkeit des Sozialen verstanden werden. […] Mit ihr würde ein souveränes Subjekt imaginiert, das der Geschichte seinen freien Willen aufzwänge.“
Autonomie ist demnach nicht die völlige Losgelöstheit von Zusammenhängen, sondern „selbstbestimmte Abhängigkeit“. Damit befindet sich Bini Adamczak, sicher ohne es zu wissen, in guter Gemeinschaft mit Hegel, der dieses Verhältnis in seiner Bestimmung von „Sittlichkeit“ (Schlemm 2011) begründet.
Aber diese Bemerkungen sind nur beiläufig, inhaltlich kann man alle Beziehungsweisen bei Bini Adamczak immerhin aber letztlich auch „nur“ als äußerliche Beziehungen lesen. Genau das Spannende, wie aus diesen Beziehungen gesamtgesellschaftliche Verhältnisse werden, bleibt unbeleuchtet und auch ungefragt.
Welche Verhältnisse wären es, die die gewünschten human-ökologischen Beziehungsweisen nahelegen? In welchen Verhältnissen reproduzieren sich die gewünschten human-ökologischen Beziehungsweisen als Bedingungen genau dieser Verhältnisse? Welche Art Beziehungen sind es, die sich selbst „verteidigen“ gegen andere, sie zerstörende Beziehungen?
Silvia Federici und George Caffentzis (2013) stellen fest, dass die traditionellen Commons nicht in der Lage waren, den Angriffen gegen sie zu widerstehen. Im Gegenteil – heute wird die Benennung von Ressourcen als „Commons“ dazu ge/missbraucht, um einen exklusiven Zugang einiger zu ihrem angeblichen „Schutz“ zu rechtfertigen. In solcher Art Commons könnten auch ganz gut normal-kapitalistische Waren hergestellt werden. Für antikapitalistische Commons ist es demgegenüber unerlässlich, dass sie eine Reproduktion des Lebens durch kollektives Tun (marxistisch: „Arbeit“) ermöglichen. Commons sind zwar ein „Versprechen“ („commitment“), aber damit sie wirklich zur Grundlage nicht-kapitalistischer Verhältnisse werden, ist noch viel mehr nötig. Bisherige Commons haben nicht per se die Eigenschaft, „sich zu erzwingen“. Was kann sie dazu bringen, dominant zu werden, d.h. ihre eigenen Bedingungen selbst zu erzeugen? Was sichert gesamtgesellschaftlich den Vorrang des Commoning ab? Welche Verhältnisse brauchen (und reproduzieren) diese neuen Beziehungen, wenn sie nicht nur als Ausnahmen in Nischen des Systems überleben, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst wesentlich konstituieren können?
Nicht zu vergessen sind auch die Herausforderungen, die im „Anthropozän“ gerade entstehen. Die Menschheit verändert wichtige biogeochemische Wechselwirkungszusammenhänge, die bisher unsere Lebensgrundlage bilden. Diese Veränderungen gehen in eine verhängnisvolle Richtung der Auslaugung und Zerstörung. Alles, was wir für die Zukunft überlegen, muss unter diesen Bedingungen funktionieren (vgl. „Crashtest für Utopien“, Schlemm 2013). Das kann einerseits in die Richtung gehen, sich nur wieder kleinteilig weitestgehend an die (dann) vorhandenen Bedingungen anzupassen und den „Selbstheilungskräften“ der Natur so wenig wie möglich in die Quere zu kommen. Andererseits kann es gerade die Herausforderung dazu sein, die Regulierung globaler Zusammenhänge so weit wie möglich unter menschliche Kontrolle zu nehmen, weil menschliches Leben sonst nicht mehr möglich sein könnte. Ich will damit nicht auf „Geoingeineering“ heraus, das bloß die derzeitige Logik der Technisierung der Folgen unseres Tuns perpetuiert. Ich will auf so etwas wie eine „globale Permakultur“ hinaus. Was ich damit meine, geht natürlich nur auf der Grundlage nicht-kapitalistischer, nicht-imperialer gesellschaftlicher Verhältnisse. Diese Art auf Kooperation und Ko-Evolution (vgl. Schlemm 1995) begründeter Beziehungen wäre dann auch auf unsere Lebensbedingungen auszuweiten. Diese wären dann nicht nur vorausgesetzte Quelle und Senke unseres gesellschaftlichen Tuns, sondern wir müssen auch diese mit reproduzieren. Und auch erweitert reproduzieren…
* Ergänzung:
Renate Wahsner, die schon lange versucht, den Begriff des „kollektiven Individuums“ mit Inhalt zu füllen und damit das „reale Konkret-Allgemeine“ (Wahsner 2013: 85) meint, macht auf zwei mögliche Formen, dies zu denken, aufmerksam.
Die erste Form ist jene, bei der sich „Ich“ und „Du“ gegenüber stehen, bei dem ein „wechselseitiges Subjekt-Objekt-Verhältnis“ gedacht wird.
Demgegenüber würde die zweite Form „nicht aus einer Mannigfaltigkeit von Ich-Du-Verhältnissen“ zu konstituieren sein, sondern die Menschen sind dazu so zu bestimmen, dass sie zu ihrer Existenz „anderer Dinge“ bedürfen. Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände sind hier wesentlich, die Sphäre der Arbeit** ist wesentlich und nicht zu negieren dabei.
Erst dann sind nicht nur das Subjekt durch das Objekt und das Objekt durch das Subjekt bestimmt gedacht, und sie werden nicht als substantielle Dinge gedacht, sondern erkannt wird die Wirklichkeit des Verhältnisses, in dem (Arbeits-)Subjekt, (Arbeits-)Objekt und (Arbeits-)Mittel erst wirklich werden (und nicht vereinzelt als abstrakte Möglichkeiten nebeienander gedacht sind).
Das reale konkret-Allgemeine (das „kollektive Individuum“) wird dann „ein sich durch das Gegeneinander der Gegenstände oder Individuen konstituierendes Ganzes verstanden, das als dieses Ganze als ein System oder ein Individuum höherer Ordnung aufgefaßt werden kann.“ (Wahsner 2013: 90)
Von Kant gibt es hier noch ein Zitat:
„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf einander, als Zwecke und Mittel, zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann.“
Wer mit den Debatten in „keimform.de“ seit „oekonux“ vertraut ist, wird hier den Gedanken der „Selbstentfaltung“ wieder finden (nicht zu verwechseln mit „Selbstbestimmung/-verwirklichung“):
Die gesellschaftliche Dimension der Selbstentfaltung betrifft die Abhängigkeit der eigenen Entfaltung von der Entfaltung der Anderen. Ich kann mich nur entfalten, wenn die Anderen es auch tun. Die Anderen – potenziell alle Anderen – sind meine Entfaltungsbedingung, wie ich umgekehrt Entfaltungsbedingung für die Anderen bin. Es entsteht eine positive Rückkopplung: Mein Bestreben richtet sich darauf, dass die Anderen sich entfalten können, damit ich mich entfalten kann. Würde ich mich nur darauf konzentrieren, was ich zu tun wünsche und die Anderen ignorieren oder gar ausgrenzen, dann schadete ich mir selbst. …
Die positive Rückkopplung ist es, die die Kantsche „systematische Verbindung“ bewirkt… Wenn die Verwirklichung dessen nur so einfach wäre wie das Denken…
** „Arbeit“ = im allgemeinen Sinne: = Reproduktion von sich und den eigenen Bedingungen durch bewusst-kooperativ-gesellschaftliche Tätigkeit.
Literatur:
Federici, Silvia; Caffetzis, Goerge (2013): Commons Against and Beyond Capitalsm. Upping the anti: a journal of theory and action..,No.15 (2014)
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (HW 6): Wissenschaft der Logik II. Werke Band 6. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (HW 8): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I. Werke Band 8. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.
Schlemm, Annette (1995): Die Natur ist kein Vorbei… . In: Ökovision 1995. Online: http://www.thur.de/philo/as251.htm (abgerufen 2018-07-17)
Schlemm, Annette (2011): Hegels Konzept der Sittlichkeit. Online: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/01/18/hegels-konzept-der-sittlichkeit/ (abgerufen 2018-07-17)
Schlemm, Annette (2013): Schönwetter-Utopien im Crashtest. Osnabrück: Packpapier-Verlag. Online: http://www.packpapierverlag.de/?product=annette-schlemm-schonwetter-utopien-im-crashtest-p161-2/ (abgerufen 2018-07-17) (abgerufen 2018-07-19)
Wagenknecht, Sahra (1997): Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx oder das Problem einer materialistischen Wissenschaftsmethode. Bonn: Pahl-Rugenstein.
Wahsner, Renate (2013): Tausch – Allgemeines – Ontologie. Oder: Das Auseinanderlegen des Konkreten und seine Aufhebung. Preprint des Max-Planck-Instituts für Wissenchaftsgeschichte 451. Online: https://de.scribd.com/document/292611136/Wahsner-R-Das-Auseinanderlegen-Des-Konkreten-Und-Seine-Aufhebung (abgerufen 2018-07-20)
Juli 20, 2018 at 12:34 pm
Schöne Besprechung. Ich möchte noch auf das Buch „Der Implex“ von Kirchner/Dath hinweisen, das knüpft an die obigen Fragestellungen auf interessante Weise an
„Daß die meisten geschichtlich und politisch interessanten Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Dingen oder Sachen, und zwar die logischen wie die materialen, solche des Tuns, der Hexis wie der Praxis also, sind, haben wir nicht nur unter Rückgriff auf Luhmanns Begriff der Interpenetration, auf Grenzscheiden wie die zwischen Natur und
Sozialem etc. immer wieder illustriert und bekräftigt; es gilt selbst für die engsten, im abendländischen Denken besonders privilegierten Identitätsbeziehungen; mit fortschreitendem Alter der exakten Wissenschaften interessieren sich diese gerade dafür immer mehr – die Kategorientheorie beispielsweise, eine noch nicht sonderlich alte Verallgemeinerung bestimmter Züge der Mathematik zum Zweck der Selbstklärung
zahlreicher mathematischer Begriffsmuster, behandelt selbst die Gleichung, das identitäre Gleichgewicht schlechthin, als eine bestimmte Sorte mathematischer Handlung, Operation, Aktion: Zu sagen, »x ist y« bedeutet demnach, »man kann aus x jederzeit y machen«“
Juli 20, 2018 at 1:09 pm
Ja, auch Renate Wahsner und andere haben schon in der DDR ausgearbeitet, inwiefern das antike Denken vom Substanzdenken und das neuzeitliche Denken vom Denken in Bewegungen bestimmt war und ist. Leider mischt sich das Substanzdenken immer wieder ein, weil es im Alltagsverstand noch mehr verankert ist als in den Wissenschaften. …
Juli 21, 2018 at 8:35 pm
Worauf bezieht sich Deine Aussage?
Bei Newton und vollendet konsequent bei Euler geht das Denken von der Substanz: den Eigenschaften des Körpers, aus. Bestimmen die Bewegungen die Eigenschaften der Körper oder bestimmen die Eigenschaften der Körper die Bewegungen? Wenn die Bewegungen die Eigenschaften der Körper bestimmen würden, wären beliebige Eigenschaften und also Bewegungen möglich. Das ist angesichts der keplerschen Gesetze offensichtlich nicht der Fall.
Juli 22, 2018 at 9:05 am
„Wenn die Bewegungen die Eigenschaften der Körper bestimmen würden, wären beliebige Eigenschaften und also Bewegungen möglich“
Eulers Theorie kenne ich nicht. Aber: Was ist bei Euler die Substanz eines sich bewegenden Planeten?
Juli 21, 2018 at 8:21 pm
Wo ist eine kategorienlehre für Fußgänger wir mich?
Juli 22, 2018 at 9:28 am
Hm, im traditionellen „ML“ gab es vieles schön sortiert. Aber war das die Kategorienlehre, die Du suchst?
Ich liebe ja Hegel dafür, aber für „Fußgänger“ ist der nichts so richtig. Wenn man das alles aber „popularisiert“ aufschreibt, wie ich es hier (http://www.thur.de/philo/hegel/hegel.htm) mal begonnen habe, wird einiges auch einseitig oder verzerrt; viel von den echten Argumentationszusammenhängen geht verloren.
Juli 20, 2018 at 8:51 pm
Vielen Dank für den Text, sehr schön 😉 Willst du mir nochmal erklären warum manche Beziehung nur „äußerlich“ denken? Wenn die Beziehungsbestandteile von der Beziehung unberührt gedacht werden? Aber das wäre doch dann die Vorstellung das Elemente vor der Beziehung bestehen und das Beziehungsdenken geht ja über dieses Denken von isolierten Elementen hinaus … Und das Verhältnisdenken, denkt nicht nur die vereinzelten Elemente in Beziehung, sondern sagt, dass sie nur in diesen Verhältnissen sind, oder? Und wie verhält sich das Verhäntiss-Denken zu Struktur und Institution? … sorry so viele Fragen …
Juli 21, 2018 at 7:24 am
Wenn man z.B. bei „Vermittung“ NUR an das „Mittel zwischen den beiden, die vermittelt werden“ denkt, geschieht das, ohne zu beachten, wie sich die beiden, die vermittelt werden, in der Vermittlung verändern. Warum „manche so denken“ weiß ich nicht. Erstens sicher, weil es auch solche Beziehungen gibt und zweitens, weil es eine Alltagsvorstellung ist und das wirkliche „Vermitteltsein“ tatsächlich z.B. nicht mehr graphischh-schematisch darstellbar und mathematisch modellierbar ist wie die äußeren Vermittlungen.
Juli 21, 2018 at 7:31 am
Noch ein Hinweis: Es gibt nicht bloß ein „Entweder (äußerliche Beziehungen)“ – „Oder (nicht äußerliche Beziehungen“, sondern viel dazwischen. Es gibt eine Vielfalt von verschiedenen Systemtheorien, die die Beziehungen unterschiedlich auffassen, aber sie können alle nicht vollständig dialektische Beziehungen/Verhältnisse, wie sie etwa in Hegels Philosophie entwickelt werden, modellieren. Siehe: http://www.thur.de/philo/project/salecina/salecina.htm
Juli 21, 2018 at 10:45 am
Stefan und ich betonen ja auch viel die Mittel der Vermittlung, welche auf der einen Seite ja erzeugt sind, aber auch als Sprache, Patriarchat, etc. Die Beziehungen und die Menschen darin erzeugen… Meinst du dass dies „mittelfixierung“ hilft struktur und Institutionen und damit auch das hervorbringen der in-Beziehung-stehenden-Elementen hilft oder ist hältst du das eher für eine erschwerende Sichtweise?
Juli 21, 2018 at 12:30 pm
Da zitierte ich mal Marx: „Ca dépend“ 😉
Im Fall der Sprache… da wird ja eigentlich die Struktur selbst das Mittel. Das erfasst eine der Wechselbeziehungen und dieses Verhältnis steckt in der Sache auch drin.
Ein anderes Beispiel:
Wenn man beim Arbeitsprozess zu sehr trennen würde zwischen Arbeitsgegenstand – Arbeitsmittel – Arbeitssubjekt, dann wäre das nur der abstrakte Teil der Wahrheit. Alle drei Momente sind in einer voneinander getrennten Form nur der Möglichkeit nach das, was sie sind (Arbeitsgegenstand – Arbeitsmittel – Arbeitssubjekt). Erst im wirklichen Arbeitsprozess sind sie das, was sie sind, wirklich. Im Prozess gehen sie ihr sie wirklich machendes Verhältnis ein und erst in diesem Verhältnis sind sie als solche bestimmt.
Um dieses Verhältnis zu begreifen, muss ich aber den Erkenntnisschritt der Unterscheidung haben. Ich schau mir das an, was mal „Arbeitssubjekt“ werden wird (das „Arbeitssubjekt an sich“)… erkenne dann, dass es, vermittelt über das „Arbeitsmittel“ mit dem „Arbeitsgegengenstand“ was macht… (dann sehe ich „nur“ eine wechselseitige Beziehung jeweils zwischen AS und AM sowie AM und AG) und erst dann im dritten Schritt begreife ich das Verhältnis, in dem das „mit dem Arbeitsmittel den Arbeitsgegenstand verändern“ zur inneren Bestimmung des „Arbeitsssubjekts“ dazugehört und entsprechend für die anderen Momente.
Juli 22, 2018 at 6:24 pm
Ich hatte noch eine frühere Zusammenfassung des Verhältnisses von AS-AM-AG gesucht, hier ists:
http://www.thur.de/philo/project/arbeit10.htm#1
Juli 22, 2018 at 9:55 am
Zu Euler und den Bewegungsgleichungen:
In seiner Axiomatik der Klassischen Mechanik („Anleitung zur Naturlehre“, verf. ca. 1750, veröff. erst 1862) geht Euler von den „allgemeinen Eigenschaften der Körper aus“, die ihr mechanisches Verhalten bestimmen: Ausdehnung, Beweglichkeit, Standhaftigkeit (etwa Trägheit), Undurchdringlichkeit. Diese vier Eigenschaften kommen allen Körpern zu. Die Undurchdringlichkeit ist „das Wesen der Körper“, weil aus ihr die anderen drei allgemeinen Eigenschaften geschlussfolgert werden können. Damit lässt sich die Mechanik soweit aufbauen, wie man mit Nahewirkung und ohne Naturkonstanten für Wechselwirkungen kommt (dazu zählt auch die Newton-Lorentzsche Bewegungsgleichung der speziell-relativistischen Mechanik!). Die Planetenbahnen lassen sich nicht damit herleiten; Euler hat es vergeblich versucht. –
Wenn man von einer Bewegung zu einer Bewegungsgleichung kommen könnte, hätte Newton das getan. Was soll in ihr enthalten sein außer Raum und Zeit? Die Ursache(n) der Bewegung und der Bewegungsänderungen, und diese kommen wieder aus den Eigenschaften der Körper (Härte, Viskosität, Masse, geometrische Form, elektrische Ladung). In der Quantenphysik ist das entsprechend zu erweitern. –
Es gibt zwar eine universelle Bewegungsgleichung: \delta S = 0 (Wirkungsprinzip), doch mit ihr lässt sich die Einheit der Physik nicht herstellen – mit Newtons (Eigenschaften der Körper, Feldtheorie), Eulers (Eigenschaften der Körper, Bewegungsänderung und Bewegungsgleichung werden nicht postuliert, sondern abgeleitet) und Helmholtz‘ Herangehensweise(Leibnizsches Prinzip von der Erhaltung der kinetischen Energie, Verhältnis von Kräften und Energien) aber schon.
Juli 22, 2018 at 1:12 pm
„Ausdehnung, Beweglichkeit, Standhaftigkeit (etwa Trägheit), Undurchdringlichkeit.“
Inwiefern wird die Ausdehnung für die Berechnung der Planetenbahnen gebraucht?
Die drei anderen „Eigenschaften“ sind so nichtssagend, dass sie auch in der Reduktion der Körperlichkeit auf die „Punktmasse“ in der Klassischen Mechanik enthalten sind. Dort kommen sie aber nicht den isolierten Körpern zu, sondern haben immer etwas mit ihrer Verhaltensweise in Bewegungszusammenhängen zu tun. („Trägheit“ gegen Einwirkung einer beschleunigenden Kraft, „Beweglichkeit“ spricht es sogar aus, dass dieses Wort die Substantivierung einer Verhaltensweise ist und „Undurchdringlichkeit“ eigentlich auch.)
Letztlich sind all diese „Eigenschaften“ Verhaltensweisen, die in Worten „substantiviert“ worden sind. Und von daher, weil die Bewegung schon implizit drin steckt, sollte man dann auch die Bewegugng wieder herleiten können…
Mit dem antiken Substanzdenken war noch was anderes gemeint. Da wäre es um so was wie eine ominöse „Substanz der Gravitation“ gegangen.
Juli 22, 2018 at 6:39 pm
Wie ich schrieb, spielen die Ausdehnung und die Undurchdringlichkeit für die Planetenbahnen keine Rolle, weshalb sie in Newtons „Principia“ nur am Rand vorkommen. Die Planetenbahnen gehören allerdings in die Gravitationsphysik (eigene charakteristische Wechselwirkungskonstante), nicht in die Mechanik der Stöße.
Die anderen Eigenschaften „sagen“ Dir „nichts“, das ist schade. Denn sie erlauben eine Ableitung (!) der Gleichungen für die Zustandsänderung (2. Newtonsches Axiom) und Bewegung. Welchen Weg zur Bewegungsgleichung schlägst Du vor? Postulat, wie bei Newton usw.? Dann verbaust Du Dir den Weg zur systematischen Verallgemeinerung, wie die Pioniere der Quantenmechanik schmerzlich erfahren haben.
Ausdehnung und Undurchdringlichkeit sind gerade nicht in der Punktmasse vertreten.
Ich stimme Dir zu, dass die Eigenschaften und Verhaltensweisen der Körper erst/nur vermittels ihrer Wechselwirkung mit anderen Körpern festgestellt werden können. Beim Stoß mit anderen Körpern kommt einem Körper stets ein und dieselbe Masse zu. (Auch) deshalb ist es gerechtfertigt, jedem Körper eine gewisse Masse zuzuordnen, unabhängig davon, ob er gerade stößt (wechselwirkt). Auch die Undurchdringlichkeit äußert sich nicht ohne Bewegung, deshalb folgt die Beweglichkeit aus der Undurchdringlichkeit. (Mit Letzterer fällt einem übrigens auch Newtons 3. Axiom vor die Füße 🙂
Beweglichkeit meint nicht die Tatsache der Bewegung (oder Ruhe), sondern die Eigenschaft, seinen Ort im Raum ändern zu können. Cusanus‘ Gott kann seinen Ort im Raum nicht ändern.
Richtig, die Bewegung kann man aus der Undurchdringlichkeit (in der sie nicht „schon implizit drin steckt“) herleiten.
Es gibt bei Euler meines Wissens keinen Verweis auf eine Substanz als Träger dieser Eigenschaften. Wozu auch?
Juli 22, 2018 at 10:14 am
http://www.thur.de/philo/hegel/hegel2.htm gefällt mir 🙂
Dezember 15, 2020 at 10:15 am
[…] vorwiegend als Beziehungshaftes zu verstehen (Adamczak 2017, siehe dazu Schlemm 2018a, Schlemm 2018b, auch Schlemm […]