Dieser Beitrag gehört zum Text „Trägt oder trügt die Hoffnung aus einer dialektischen Geschichtsphilosophie?“


An diesem Zitat müssen wir natürlich heute zweifeln. Eine „Notwendigkeit des geschichtlichen Fortschritts“ gibt es nicht. Oder doch?
Ellen Meiksin Wood (Wood 2015) kritisiert in ihrem Buch „Der Ursprung des Kapitalismus. Eine Spurensuche“ (2015) jene Sichtweise, bei der die Entstehung des Kapitalismus als quasi notwendige Folge der vorherigen Geschichte angenommen wird. Das bedeutet dann, dass die Entstehung des Kapitalismus eine „Möglichkeit“ sei, „die ergriffen werden muss, wo immer und wann immer es möglich ist“ (ebd.: 14). Das Fehlen des Kapitalismus stellt dann immer „irgendwie ein historisches Scheitern dar […]“ (ebd.: 39) und bei der geschichtlichen Suche nach den Anfängen des Kapitalismus sucht man auf jenen Ansatz, „der immer nur darauf wartete, von äußeren Hindernissen befreit zu werden“ (ebd.: 25). Demgegenüber vertritt Wood die Ansicht, dass es nur in England eigentümliche Bedingungen gab, die zur Ausbildung des Kapitalismus führten. Ganz besondere rechtliche Eigentumsformen unter ganz speziellen Bedingungen führten erst dazu, dass Marktimperative entstanden, die dann auch die Entwicklung der Produktivkräfte beförderten.

„Der systematische Antrieb, die Produktivkräfte zu revolutionieren, war mehr ein Ergebnis als eine Ursache.“(ebd.: 83) Die hier gefundenen Bedingungen entstanden nicht notwendigerweise aus den Gesetzmäßigkeiten der vorkapitalistischen Entwicklung. Viele Faktoren, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurden, wie die Entwicklung der Städte, des Gewerbes, der Funktion des Geldes usw. gab es in vielen Regionen, oft schon über lange Zeiten hinweg – ohne dass sie zu einer Zündung der Entfaltung des Kapitalismus führten. Erst eine ganz spezifische Kombination verschiedener Faktoren führte in England führte dazu (und breitete sich dann von daher weiter aus). Ebenso ist für die Entstehung des Feudalismus anzunehmen, dass in den Regionen, in denen von einem ausgebildeten Feudalismus mit auf spezifische Weise zusammenwirkenden kriegerischen, wirtschaftlichen und sozialen Funktionen (Hintze 1929/1970: 14), eine ganz spezifische Kulturverflechtung stattfand (jeweils zwischen früheren stammesgeschichtlichen und hinzu kommenden imperialen Bestrebungen).

Ein weitgehend unbekannt gebliebenes Buch von Jürgen Kuczynski aus den sozialistischen Stagnations-80er-Jahren thematisiert die Niedergangsgeschichte von Zivilisationen (Kuczynski 1984). Im Untergang des Römischen Reiches sind keine Keime für einen entstehenden Feudalismus auszumachen. Dazu bedarf es des Hinzukommens der Kultur der „Barbaren“. Die nächstfolgende Gesellschaftsformation begann auf einem niedrigeren Produktivkraftniveau als zur Blütezeit der alten (ebd.: 35). Für die Entstehung des Kapitalismus beschreibt Kuczynski die Möglichkeit der erfolgreichen Unterdrückung der neu möglichen Produktivkräfte speziell in Deutschland. „Es fand also wie im alten Rom nicht in erster Linie eine Behinderung der Entwicklung vorwärtsstürmender Produktivkräfte durch die Produktionsverhältnisse, sondern eine erfolgreiche Unterdrückung der Produktivkräfte, die im 17. und 18. Jahrhundert dahinsiechten, ja gegenüber 1500 zurückgegangen waren, statt.“(ebd.: 41) Wie auch Engels beschrieb, hatten selbst „die besten und bedeutendsten Köpfe der Nation […] alle ihre Hoffnungen auf die Zukunft ihres Landes“ aufgegeben (MEW 2: 567). Erst die Französische Revolution schlug „wie ein Donnerschlag in dieses Chaos, das Deutschland hieß“ (ebd.). Kuczynski schließt daraus: „Es ist nicht, wie oft in der Geschichte, das revolutionäre Vorwärtsdrängen der Produktivkräfte, sondern das konterrevolutionäre Verhalten der Produktionsverhältnisse, die enorm stark sind, und die Produktivkräfte allmählich ersticken“ (Kuczynski 1984: 26).

In der „Deutschen Ideologie“ hatten Marx und Engels davon geschrieben, dass man dem geschichtlichen Material „allgemeinste Ergebnisse“ entnehmen könne, ohne daraus „ein Rezept oder Schema“ zu konstruieren (MEW 3: 27). Hier entwickelten sie auch das Konzept des Zusammenhangs von Produktionsverhältnissen, die für neue Produktivkräfte zur Fessel werden können. Die Höherentwicklung findet dann statt, wenn diese Fesseln gesprengt werden können (und noch verschiedenste andere Faktoren gegeben sind, was aber meist vergessen wird). Dies ist ein „allgemeinstes Ergebnis“. Zum „Rezept“ oder „Schema“ wird es dann, wenn das so interpretiert wird, dass alle Produktivkräfte sich immer entwickeln („müssen“) und dass Produktivkraftentwicklung immer zur Sprengung der Fesseln der Produktionsverhältnisse führt. Der eben geschriebene Satz „Die Höherentwicklung findet dann statt, wenn diese Fesseln gesprengt werden können“ heißt nicht, dass Höherentwicklung immer stattfindet, weil die Fesseln immer gesprengt werden. Sondern er heißt eher: Falls die Fesseln der Produktionsverhältnisse gesprengt werden können, können sich produktive Kräfte besser entfalten und neue entstehen.


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