So langsam fährt sich das Leben herunter. Schulen, sogar Automobilhersteller, Restaurants, Kultur – all das scheint verzichtbar in Corona-Zeiten. Humanitäre Flüchtlingsaufnahme sowieso. Menschliche Zusammenkünfte aller Art werden massiv reduziert; wie lange wir noch mit dem Hund raus dürfen, wissen wir auch nicht.

Die damit erhoffte Verlangsamung der Ansteckungen soll dem zusammengesparten Gesundheitssystem Luft verschaffen, nicht uns. Obwohl… manche atmen schon auf, weil sich die Termine verflüchtigen, weil dies oder jenes wirklich nicht mehr so wichtig ist.

Was wird nach der Krise sein? Geht es dann einfach so weiter wie bisher?

Vielleicht landen wir in einer katastrophalen Wirtschaftskrise, die einerseits zeigt, wie abhängig wir von der Globalisierung und vom Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft sind, andererseits vielleicht doch fragen lässt, ob es nicht ganz anders doch besser ginge.

In einer Mail für Ökodorf-Gemeinschaften lese ich:

Glücklicherweise mehren sich die Einsichten, daß es nach Corona nicht so weiter geht wie bisher. Sondern Regionalität, Selbstversorgung, aktive Nachbarschaft, einfach leben etc. wichtiger werden. Also genau das, was wir in der Gemeinschaftsbewegung seit Jahrzehnten praktisch erproben. Nicht perfekt, aber immer besser und zahlreicher.

Auch eine schon eingeschlafene Mailinglist mit dem Titel „Wege aus dem Kapitalismus“ wachte kurz auf mit einem Text: „Corona als Chance für das Neue?“. Wenn etwas Altes in Krisen kommt, könnten da „nicht auch Potenzen einer Überwindung des Alten aufscheinen“? Leider konnten die anderen auf der Mailinglist diese Hoffnung erst mal nicht teilen. Glasklar gab es auch theoretisch ein Gegenargument:

Zuerst einmal möchte ich darauf hinweisen, Gemeinschaft und Gesellschaft nicht zu verwechseln. Was wir hier gerade sehen, ist die Formierung einer Gemeinschaft zum Zwecke der Eindämmung einer Pandemie. Eine Gemeinschaft hängt immer von einem ihr äußerlichem, drittem Zweck ab. Mit diesem kommt und geht sie. Eine Gesellschaft hingegen produziert sich selbst, ist sich selbst Zweck und erhält sich daher.

In einer anderen gesellschaftskritischen Liste werden sogar jene Faktoren aufgezählt, die für die Zukunft gerade nichts Gutes erahnen lassen:

Eine grundlegende Gesellschaftstransformation wird durch die akute Krise weit stärker von den herrschenden und verwaltenden Klassen nach ihrem Gefallen organisiert und mittels Sachzwanglogiken durchgepeitscht, als dass Veränderungsvorschläge von selbstorganisierten emanzipatorischen Bewegungen Einfluss nehmen könnten.

Die Ziele der autoritären Bestrebungen bestehen in der Refeudalisierung der Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse, der weiteren Ausdehnung von Überwachung, Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten, einer undurchlässigen Grenzziehung, sowie der zunehmenden Internalisierung von Herrschaftslogiken durch die Subjekte, welche zu konformen, handzahmen und denu[n]zierenden Verhalten angeregt werden.

Unser Handeln, Verhalten und unsere Einstellungen sollen getrackt und bewertet werden. Um Mitwirkung aller Mitbürger*innen wird dabei ausdrücklich gebeten. Es lohnt sich auch, weil es ihren score erhöht. Dieses Instrumentarium an Herrschaftstechnologien, die direkter und ungreifbarer denn je mit sozialem Verhalten verknüpft sind, erscheint als logische Konsequenz des Alptraumes der technischen Machbarkeit von totaler Überwachung, Konditionierung und Sanktionierung. Aufgrund seiner Effektivität wird es seine Wirkung nicht verfehlen. Aufgrund seiner tiefgreifenden moralischen Legitimierung, sowie seines wissenschaftlich-rationalen biopolitischen Gewandes, in welchem gegen den unmenschlichen, unsichtbaren, allgegenwärtigen Gegner vorgegangen wird, wird es kaum auf Widerstand stoßen.


Die Drohgebärden der Politiker*innen und der Ärzt*innen an der vordersten Front sind eindeutig und keine hohlen Phrasen: Wir sollen uns an die „Sonderregeln“ der größten Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg halten. Damit verschieben sich die Koordinaten für unsere Orientierung und die Bedingungen für unser Handeln wesentlich. In der derzeitigen Lage wissen wir noch nicht, wohin eigentlich. Klar ist jedoch, dass viele Maßnahmen, Gesetze und institutionellen Praktiken die Phase des Ausnahmezustands überleben werden – weil sie sich als funktional erweisen. Im kollektiven Bewusstsein wird sich die Einsicht in die Notwendigkeit der staatlich Beschneidung unserer Rechte, Freiheiten, unserer Konsum- und vielleicht auch Reisemöglichkeiten sedimentieren. Ebenso wird sich das Herrschaftsverhältnis von Regierenden und Regierten stabilisieren und wandeln. Und von vielen wird dies akzeptiert, gut geheißen und mitgetragen werden.

Die Aussage, die Krise als Chance zu nutzen, gewinnt in diesem Zusammenhang einen faden Beigeschmack. Immerhin lehrt die Erfahrung, dass die gesellschaftliche Erosion zu Lasten der Schwächsten und Ärmsten gehen und die Kosten auf sie abgewälzt werden.“

 

Wer das eben zu überdramatisch fand, mit der Annahme, „dass die gesellschaftliche Erosion zu Lasten der Schwächsten und Ärmsten gehen und die Kosten auf sie abgewälzt werden“, sollte wissen, dass z.B. der Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung einseitig die erst vor kurzem errungene Tarifeinigung aufgekündigt hat. Oder aufhorchen, wenn klar wird, dass unser reiches Land, wo versichert wird, dass es alles, auch Klopapier genug gibt, auf einmal die Humanitäre Flüchtlingsaufnahme aussetzt. Wer hat bisher an die Obdachlosen gedacht? Wer kümmert sich heute um die alleinstehenden Mütter, die mit ihren drei Kindern Schulaufgaben machen müssen? Es fallen jetzt schon genügend Schicksale hinten runter, und wir gewöhnen uns dran.

Es ist tatsächlich zu befürchten, „dass viele Maßnahmen, Gesetze und institutionellen Praktiken die Phase des Ausnahmezustands überleben werden“, so z.B. das Tracking der Personenstandorte zur Überwachung. Diesmal zur Überwachung der Einhaltung der Aufforderungen, zu Hause zu bleiben, das nächste Mal findet sich wieder ein Grund und wann es ansonsten gemacht wird, weiß eh niemand. Die Grenzkontrollen findet bisher öffentlich nur die AfD so gut, dass sie diese auch nach dem Ende der Pandemie beibehalten wollen.

Ökonomisch schlägt die Corona-Pandemie ebenfalls durch. Viele Wirtschaftstätigkeiten entfallen (ohne dass die Versorgung in Gefahr geraten soll), das  schon längst angestaute Krisenpotential gerät ins Rutschen, Wirtschaftshilfen werden die Großunternehmen stützen, viele kleine Unternehmen und Selbständige, vor allem im Kulturbereich, bekommen jetzt zwar einiges versprochen, aber alle Ausfälle werden sie nicht ersetzt bekommen. Die künftigen Erwerbslosen im Krisentief sowieso nicht. Wie wärs denn, wenn die jetzt versprochenen Milliarden in ein Existenzgeld eingingen? Dann bräuchten vielleicht viele sinnlose Arbeitsstellen gar nicht wieder eingerichtet werden. Von Verstaatlichung zur Rettung von Unternehmen haben diesmal gar nicht die Linken gesprochen; bei Alitalia wird es vorgemacht, auch die Verstaatlichung der Banken wird wieder gefordert. Michael Hudson sagt im Interview, dass wieder einmal in der Krise die Kapitalkonzentration zunimmt und die Folgen des Börsencrashs auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden. Währenddessen wetten Hedgefonds auf fallende Aktienkurse und fahren fette Profite ein.

Daniel Bratanovic wird in der jW zitiert mit der wohl treffenen Formulierung evon einem „unheilvollen Kollateralnutzen zur autoritären Umgestaltung dieses Landes“. Und Kai Köhler ergänzt:

Die Politik organisiert auf internationaler Ebene gegenwärtig die Erfahrung, dass Recht sich brechen lässt.“

Die Krise lockert bisher eingefahrene Praxen. Wodurch sie ersetzt werden, ist historisch eine Zeitlang offen. Sie kann für eine „Schock-Strategie“ (Klein 2009) genutzt werden und die Macht der Herrschenden bestärken. Manchmal aber können auch „Paradiese in der  Hölle“ (Solnit 2009) entstehen. Was passiert, kann keine Theorie voraussagen – die Zukunft ist offen und hängt von unserem Tun ab, solange wir es noch können.


Um mit dem Besseren zu enden, hier noch ein derzeit häufig weiter gegebenes Gedicht, das auch Atheisten ganz gut finden können (hier Englisch):

Ja, es gibt Angst
Ja, es gibt Isolation
Ja, es gibt Panikkäufe
Ja, es gibt Krankheit
Ja, es gibt auch den Tod

Aber sie sagen, dass man in Wuhan nach so vielen Jahren des Lärms, die Vögel wieder singen hört.
Sie sagen, dass nur nach wenigen Wochen Ruhe der Himmel nicht mehr voller Rauch ist,
sondern blau und grau und klar.
Sie sagen, dass in den Straßen von Assisi die Menschen über die Plätze hinweg für einander aus offenen Fenstern singen, damit die Einsamen vertraute Klänge um sich hören.
Sie sagen, dass ein Hotel im Westen von Irland kostenfreie Mahlzeiten für jene zustellt, die ans Haus gefesselt sind.
Eine junge Frau, die ich kenne, ist heute damit beschäftigt Flyer mit ihrer Telefonnummer in der Nachbarschaft zu verteilen, damit die Alten jemanden haben, den sie anrufen können.
Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel bereiten sich darauf vor die Wohnungslosen, Kranken und Erschöpften willkommen zu heißen.

Überall auf der Welt werden die Menschen ruhiger und denken nach.
Überall auf der Welt nehmen die Menschen ihre Nachbarn auf neue Weise wahr.
Überall auf der Welt erwachen die Leute in die neue Realität dessen
wie groß wir wirklich sind
wie wenig Kontrolle wir wirklich haben
was wirklich wichtig ist
zu lieben

Wir beten und erinnern uns.
Ja, es gibt Angst. Aber da muss kein Hass sein.
Ja, es gibt Panikkäufe. Aber da muss keine Bösartigkeit sein.
Ja, es gibt Krankheit. Aber da muss keine Krankheit der Seele werden.
Ja, es gibt auch den Tod. Aber es kann immer eine Wiedergeburt der Liebe geben.

Wach auf in die Möglichkeiten die du hast, heute dein Leben zu gestalten.
Heute atme.
Höre zu, hinter dem Fabrikslärm deiner Panik
singen die Vögel wieder,
klart der Himmel auf,
kommt der Frühling,
und wir sind immer von der Liebe geleitet.

Öffne die Fenster deiner Seele und wenn du nicht quer über den Platz reichst, singe!


~ Fr. Richard Hendrick, OFM (13.3.2020)

(Übersetzung @Barbara Stieff )