Ein Gesprächswochende über den Themenkomplex „Klimawandel – Lebensführung – Transformation“ wird, wie so viele andere, in die Online-Welt ausgelagert. Das bedeutet auch, inhaltliche Beiträge vorher vorzubereiten und vorzustellen. Hier ist meiner:


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1. Zwischen-Ergänzung zu: „Wissen, Fühlen und … Träumen“

2. Ergänzung zu einem „Crashtest für Transformationskonzepte“


Die meisten Texte zum Klimathema verwenden jetzt nicht mehr die harmlose Bezeichnung „Klimawandel“, sondern „Klimakrise“. Und statt „Erderwärmung“ wird „Erdüberhitzung“ gewählt. Das letztere ist übertrieben, das erste immer noch beschönigend. Denn die Erde als Planet kann sich nicht wirklich überhitzen; als astronomischer Körper kann es ihr egal sein, ob sie genau so heiß ist wie die Venus. Nur wir und mit uns die derzeitige Biosphäre brauchen ökologische Bedingungen, deren Veränderungen ein gewisses Maß nicht überschreiten sollten. Wenn sie überschritten sind, haben wir nicht nur eine „Krise“, die in nächster Zeit wieder gelöst werden könnte, sondern wir leben dann quasi „auf einem anderen Planeten“ (vgl. die Berichte in Schlemm 2019).

Es ist eine Selbst-Täuschung, daran zu glauben, ein wenig Waldumbau und die Umstellung der Landwirtschaft auf hitze- und dürreresistente Sorten würden ausreichen, um uns ohne große Verwerfungen in die nächsten Jahrzehnte zu bringen. Es wird offensichtlich, dass die sog. „Produktivkraftentwicklung“ zu einem viel größeren Teil DESTRUKTIVkraftentwicklung war, als alle vom Marxismus ausgehenden Gesellschaftstheorien sich vorstellen können. Die verheerende Folgen dieser Destruktivkräfte werden mit Sicherheit nicht mit einem „mehr vom Selben“ behoben werden. Wir werden in Zukunft nicht mehr menschliche Arbeit durch immer mehr Energieeinsatz „produktiver“ machen können, wir werden der Natur größere Zonen zur Regenerierung zur Verfügung stellen müssen, wir werden die Zerstörungen durch immer stärkere Unwetter aller Art ausgleichen müssen. Wir werden ständig zerstörte Ernten und Infrastrukturen erleben, die Jüngeren auch die Überflutung der Megastädte und fruchtbaren Äcker an den Küsten, und zwischen all dem Millionen Menschen auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten in einer Welt, in der wir jetzt schon zigtausende Geflüchtete in Todeslagern ausharren und sterben lassen.

Naomi Klein betitelte ihr Buch (2015) zum Klimawandel (auf Englisch) mit:

Das ändert Alles!

Ist diese Botschaft schon bei uns angekommen?

Wie ernst wir diese und andere Bedrohungen nehmen, hängt mindestens auch von unserer Antizipationskraft ab. Menschen orientieren sich nicht nur an den Bedingungen, wie sie gegenwärtig gegeben sind. Ihre Bedürfnisse enthalten immer auch eine vorsorgeorientierte Komponente. Deshalb antizipieren Menschen künftige Veränderungen. Dabei kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Welche Relevanz, also welche Bedeutung diese antizipierten Veränderungen für jede/n einzelne/n hat, ist dann noch einmal verschieden.

Welche Folgen hat das alles für 1. die möglichen Vorstellungen einer besseren Welt, für die es sich einzusetzen lohnt und damit auch 2. für die eigene Lebensführung? Oder inwiefern erfordern die notwendigen Änderungen der eigenen Lebensführung die Transformation?

Transformation mit Klima-Umbruch

„Davon zu träumen, wie alles anders sein könnte,
ist ein Zeichen von gedanklicher Feigheit.
Es funktioniert als Fetisch, der uns davon abhält,
unsere missliche Lage in ihrer ganzen Ausweglosigkeit zu erkennen.“
(Slavoj Zizek)

Eine bessere Welt ist nicht mehr bloß möglich, sondern notwendig. Frühere Revolutionäre konnten, wenn sie nicht erfolgreich waren, hoffen: „Die Enkel fechtens besser aus“. Leider drohen die planetarisch-ökologisch relevanten Parameter innerhalb ziemlich kurzer Zeit irreversibel zu kippen und damit drohen sich die Bedingungen für die Kinder und Enkel derartig zu verschlechtern, dass von „besser“ für lange Zeit so gut wie keine Rede mehr sein kann.

Die Dringlichkeit führt aber auch zu Erkenntnisschüben. Losungen wie

“System Change not Climate Change” oder
„Trash the System or Crash the Planet“

sind heute in der Klimabewegung allgegenwärtig, auch wenn noch nicht allen bewusst ist, was das auch für ihre eigene Lebensführung bedeuten würde.

Eine Transformation der gesellschaftlichen Praxis in Wirtschaft und Lebensweise bleibt also nicht bloß ein Ziel von radikalen Revoluzzern, sondern wird unentbehrlich, um die Not zu wenden, also im wahrsten Sinne des Wortes notwendig. Das wissen nicht nur jene, die bisher schon gute Gründe hatten, eine Transformation anzustreben. Der Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sieht die Bedeutsamkeit und die „Eingriffstiefe“ der von ihr geforderten „Großen Transformation“ als vergleichbar an mit der Neolithischen und der Industriellen Revolution (WBGU 2011: 66, 87).[1] Dieses Konzept sieht das Ziel darin, „irreversible Schädigungen des Erdsystems sowie von Ökosystemen und deren Auswirkungen auf die Menschheit zu vermeiden“ (ebd.: 417). Dass eine Vermeidung schon nicht mehr möglich ist[2], sondern die Schaffung von resilienten Systemen und eine „transformierende Anpassung“ (neben der Vermeidung weiterer Schäden) notwendig sind, bezieht das Konzept der „Transformierenden Anpassung“ (Transformational adaptation) nach Lonsdale et al. (2015) schon mit ein. Damit schließen sie an die Zusammenführung des Anpassungsgedankens mit transformativen Vorstellungen aus dem IPCC-Bericht von 2014 (IPCC 2014: 27) an. Es reicht demnach nicht aus, die „niedrighängenden Früchte“ von pragmatischen „no regret-“ und „win-win“-Ansätzen zu pflücken, sondern es sind „substantielle Systemveränderungen notwendig, um auf das sich ändernde Klima in einer sich schnell verändernden Welt zu antworten“ (Lonsdale et al. 2015: 6). Die Transformation wird hier in Verbindung gebracht mit systemischem und paradigmatischem Wandel, der radikal anstatt nur inkrementell ist[3]. Mark Pelling unterscheidet Resilienz, die den Status Quo aufrecht zu erhalten sucht; Transition, die auf inkrementelle Veränderungen setzt und Transformation mit radikalem Wandel (Pelling 2011: 3). Ein Anpassungs-Handlungs-Kreis verbindet einen transformierenden Anpassungskreis mit einem, der für den transformierten Zustand neue inkrementelle Handlungslogiken etabliert (Lonsdale et al. 2015: 12).

Eine ähnliche Unterscheidung (nach Walker et al. 2004) ist die von

  • Resilienz (resilience): Fähigkeit eines Systems, Störungen zu absorbieren und sich so zu verändern, dass die wesentlichen Funktionen, Strukturen, die Identität und Rückkopplungen gleich bleiben (Dieser Aspekt entspricht ungefähr der „adjustment adaptation“ bei Schulz und Siriwardane (2015: 8);
  • Anpassungsfähigkeit (adaptability): Fähigkeit von Akteuren im System, die Resilienz des Systems zu beeinflussen und
  • Wandlungsfähigkeit (transformatibility): Fähigkeit, ein qualitativ neues System zu schaffen, wenn das alte System unhaltbar geworden ist („transformative adaptation“ (TA) bei Schulz und Siriwardane (2015: 8), wobei sich die Veränderungen auf Verschiebungen in den Produktionsprozessen beziehen können oder auch auf Paradigmenwechsel, Werteänderungen und veränderte Machtbeziehungen). Einen Begriff von Kapitalismus haben die Autoren der TA -Debatte allerdings nicht.
  • Der eher mittleren Position entspricht bei Schulz und Siriwardane die „reformist adaptation“. Hier werden zwar Regeln und Entscheidungsprozesse hinterfragt, aber die normativen und kognitiven Beziehungen und die Machtverhältnisse, die die Regeln bestimmen, werden nicht in Frage gestellt. (ebd.)

Das Neue und Wichtige an der Transformationsdebatte sehen Schulz und Siriwardane (2015) darin, das die Argumentation nicht mehr nur von den naturwissenschaftlichen und technischen Aspekten in Richtung der sozialen Folgen geführt wird, sondern angesichts der sowieso schon entpolitisierten und technisierten Debatte die Richtung umgekehrt wird zu den gesellschaftlichen Machtungleichgewichten. Eine Charakteristik der Radikalität, die bei der Transformationsdebatte hinzukommt, ist auch nach Lonsdale et al. gerade die Berücksichtigung von Machtungleichheiten und sozialer Ungerechtigkeit (Lonsdale et al. 2015: 10, 15f.). Diese sonst oft verborgenen Tatsachen werden offen ersichtlich durch die besondere Vulnerabilität (Verletzbarkeit) der Betroffenen (wie übrigens jetzt auch bei Covid-19), wobei die „Vulnerabilität“ nicht nur durch die Stärke der Einwirkung bestimmt ist, sondern zusätzlich durch die Sensitivität und Anpassungsfähigkeit. Und diese hängt eindeutig von der gesellschaftlichen Stellung der Betroffenen und damit von ihrer Verfügung über ihre Lebensbedingungen ab. Dies entspricht auch den Erfahrungen bisheriger Klimaanpassungsmaßnahmen in aller Welt (vgl. Schulz, Siriwardane 2015:11; Marino, Ribot 2012). Pelling schreibt dazu, „that climate change and resultant adaptation are but one expression of an underlying crisis in environment-society relationships. The deepest root causes of climate change and the inability of those with power in society […] to act lie in the dominant processes and values of the political economy that increasingly concentrate wealth in the hands of a few, with unjustal social and environmental externalities as accepted. At this level climate change risk is but one expression of a deeper social malaise in modern society”[4] (Pelling 2011: 4). In dieser Weise kann nach Schulz und Siriwardane (2015: 12) die Depolitisierung durchbrochen werden, die im “post-politischen Zeitalter“ auch bewusst genutzt wird, um Machtpositionen aufrecht zu erhalten. Genau diese konservative Strategie wurde von Greta Thunberg und den neuen Klimabewegungen zumindest stark erschüttert.

Die Vorstellung über mögliche Zukünfte nach einer Transformation wird meistens durch unterschiedliche „Pfade“ metaphorisiert. Das Umkippen in den einen oder anderen Pfad, der danach nicht wieder schnell gewechselt werden kann, kann durch konkrete Katastrophen getriggert werden.

In der eben referierten Literatur wird die Anpassung als transformierend beschrieben. Ebenso gilt das Umgekehrte: die Transformation muss anpassend sein und das muss sich auch in den Konzepten zur gesellschaftlichen Transformation niederschlagen. Die bloße „Anpassung“ wird dabei nicht ausreichen – wie immer werden menschliche Aktivitäten nicht nur anpassend sein, sondern kreative neue Wechselbeziehungen zwischen der sich verändernden Mit-Welt und der eigenen Praxis gestalten. Es geht also um eine ko-evolutionär kreative Transformation der gesellschaftlichen Natur- und menschlichen Verhältnisse.

(Bildquelle: Lonsdale et al 2015 UKCIP)

Lebensführung im Klima-Umbruch

„Ohne zu antworten, ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich, müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich Freunde, wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber mit jedem anderen vertausche, als dass er da bliebe,
dem habe ich nichts zu sagen.“ (Brecht 1966: 34)

Seit wenigen Jahren sind die klima-umbruchbedingten Veränderungen auch unmittelbar zu spüren, auch wenn man ihre Bedeutung für sich selbst noch negieren kann, indem man die Erkenntnisse zu den Ursachen in Frage stellt oder die Lösung wie üblich den technischen Experten überlassen möchte. Ein Schritt weiter sind jene, die in ihrem individuellen Alltag ihren ökologischen und CO2-Fußabdruck zu reduzieren versuchen. Eine bisher unüberwindbare Hürde wird es jedoch, aus der erkannten Notwendigkeit eines Systemwechsels praktische Konsequenzen zu ziehen. Und das müsste eigentlich sofort geschehen. Alles, was uns einfällt, braucht noch einen langen Atem und Geduld. Das Commoning – eine prima Idee und Praxis. Aber nichts deutet darauf hin, dass es sich schnell genug ausbreitet, um in nächster Zukunft die gesellschaftlichen Folgen des Klima-Umbruchs aufzufangen und vor dem Eintreten noch größerer Desaster zum neuen global-gesamtgesellschaftlichen Verhältnis aufzusteigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Zukunft bekommen, die „by desaster“ entsteht, ist wesentlich größer als eine Zukunft, die „by design“ gestaltet wird.

Diese Antizipation wird nicht von allen geteilt. Noch besteht Hoffnung auf ein „Wunder“, so wie es das Erscheinen von Greta Thunberg auf der politischen Agenda war. Vielleicht klappt es ja doch noch in den nächsten 8 oder 10 Jahren, die angeblich von der Wissenschaft noch als „offenes Fenster“ der Veränderung angegeben werden…

Ent-Täuscht Euch!

Was aber geschieht, wenn diese Hoffnung verlischt? Ist das das Ende der Welt? Ja, es ist das Ende unserer früheren Welt. Unserer früheren realen Welt und unserer früheren Welt der Hoffnung und möglicher Ziele. Dies zuzugeben ist notwendig, wenn es darum geht, sich vielleicht dann doch auf die Suche nach einer Hoffnung 2.0 und neuen Zielen zu begeben. Der „Crashtest für Utopien“ (Schlemm 2013) kann nicht hart genug sein.

Was die neuen Ziele mit den früheren zu tun haben, wird sich dann ergeben. Aber es kann letztlich keine konkrete Utopie und keine Transformationskonzepte mehr geben, die nicht von ihrer Verwirklichung mitten im Klima-Umbruch ausgehen. Dabei gehen mit Sicherheit viele Bedingungen für eine bessere Zukunft verloren. Dies zu wissen, zu denken und zu fühlen tut weh. Und wenn es nicht weh tut, dann haben wir das Thema verfehlt. Flucht und Abwehr liegen so nahe wie bei kaum einem anderen Thema. Es ist ja letztlich jede Person selbst, die aus der von ihr antizipierten zukünftigen Bedingungen und den dadurch gegebenen antizipierten Handlungsmöglichkeiten ihre Prämissen setzt. Der Verlust der Verfügung über eine relativ stabile, bekannte, seit Jahrtausenden verlässliche ökologische Umwelt bedroht die Handlungsfähigkeit aufs Äußerste. Je mehr sich die realen Bedingungen verschlechtern, desto mehr. Deshalb liegt es äußerst nahe, die mögliche Antizipation des Schlimmsten auszublenden, so lange es geht.

(Macy, Brown 2014:22)

Dieses Ausblenden gelingt sogar Klimawissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr lange durch eine Abspaltung der harten Wissenschaft von ihren eigenen Lebens- und Zukunftsvorstellungen. Die Grenze lässt sich aber für viele nicht mehr aufrechterhalten und die Verzweiflung sickert mehr und mehr ein. Es wurde sogar von einem „prä-traumatischen Belastungssyndrom“ (Susteren 2017: 57) gesprochen, das „Klima-Kassandras“ befällt, vor allem „weil sie wissen, dass die Welt die Warnungen nicht deutlich genug hört“. Die damit verbundenen negativen Emotionen sind vor allem Furcht, Angst, Schuld, Ärger, Kummer, Depression und Hilflosigkeit (Hamilton, Kasser 2009). Diese Gefühle haben auch damit zu tun, dass die eigenen Lebenspläne und damit auch die Vorstellungen von der eigenen Identität bedroht sind. (ebd.)

Als Bewältigungsstrategien, die aus Kritisch -psychologischer Sicht eher in die restriktive Richtung weisen, werden Leugnungsstrategien und Fehlanpassungen genannt. Im letzten Fall werden wegen der emotional unerträglichen Folgen einige der Aspekte der Fakten oder der damit verbundenen Emotionen nur in gemilderter Form zugelassen. Verschiedene Strategien hierfür werden in der zitierten Quelle aufgeführt – sie dürften in entsprechende Begründungsmuster als (Be-)Deutungsangebot eingehen. Dazu gehört z.B. das Narrativ „Wenn ich es nicht ernst nehme, fühle ich mich nicht schlecht“. Oder der Versuch, Absolution zu erhalten durch bestimmte Ausgleichsaktivitäten (CO2-Kompensation zahlen, wenigstens zu einigen Demos gehen…). Oder anderen die Schuld zuschieben, und wenn es „das System“ ist, dessen Existenz mit mir (und meinen ungenügenden Taten, es zu schwächen oder gar zu beenden) so gut wie gar nichts zu tun zu haben scheint. Unrealistischer Optimismus und Wunschdenken gehören auch zu diesen entlastenden Deutungsmustern.

Die dritte Art der Bewältigungsstrategien sind solche der Anpassung mit adäquater Reichweite und Tiefe. All diese Strategien werden häufig in der genannten Reihenfolge durchlaufen und erinnern damit sicher nicht zufällig an die bekannten fünf Phasen des Sterbens bzw. der Trauer:

  1. Das Nicht-Wahrhaben wollen
  2. Der Zorn (z.B. über wirkliche oder scheinbare Schuldige)
  3. Das Verhandeln (das Setzen auf internationale Diplomatie oder wenigstens die Wirkung an Beteiligungen wie der Agenda 21 oder Runden Tischen Klima & Umwelt)
  4. Depression mit der Meinung, es nütze alles nix, und schließlich
  5. Zustimmung, die sich in noch nicht reflektierter Form z.B. in der Beliebtheit der Katastrophenfilme in kritischen Zeiten äußert (Horn 2014); verbunden mit einer Neuorientierung.

Hier gibt’s eine musikalische Einfühlung:

Wie immer nützt z.B. in einer Phase der Depression billiger Trost nichts, denn ein Zurückwerfen auf Phase 1 oder 3 ist nicht mehr sinnvoll für eine Weiterentwicklung. Die Neuorientierung erfordert ein vorheriges Durchschreiten des Tals der Trauer um das nicht mehr Mögliche und auch die Verzweiflung darüber, dass alle bisherige Hoffnung nichts gebracht hat.

Studien und Erfahrungen zufolge verweilen durchschnittlich die meisten Menschen angesichts der Klima-Wahrheiten derzeit in der Phase der noch nicht ausreichenden scheinbaren Anpassung, die sich angesichts der Tiefe des Einschnitts als Fehlanpassung erweist. Man kann viele Jahre lang in der „Nachhaltigkeits“-Szene aktiv und überaktiv sein, um immer wieder mit Demselben das Gleiche, nämlich nichts, zu erreichen. Dass bereits viele unbemerkt und einsam ins Loch der Verzweiflung abgerutscht waren, beweist das häufig erlebte und erwähnte Aufatmen angesichts des Aufgreifens dieser Thematik durch die Klimabewegung „Extinction Rebellion“. In dieser Bewegung werden Joanna Macys langjährige Erfahrung und Expertise in Trauer- und Verzweiflungsarbeit aufgegriffen; leider ist bei ihr eine gewisse Nähe zur Tiefenökologie nicht zu verleugnen (vgl. Macy, Johnstone 2012). Diese stieß wegen der spirituellen Komponente auf harsche und in der Sache unreflektierte Kritik von Jutta Ditfurth (2019). Das Ziel der Arbeit von Macy ist die Stärkung der Hirne und Herzen für die kommenden Kämpfe durch einen gemeinsamen Übergang „von der Verzweiflung zur mitfühlenden Tat“. Ihre Methode, gemeinsam in Gruppen über das durchaus peinvolle Mitgefühl mit allen Wesen dieser Welt zu erkennen, dass man  nicht allein ist und dadurch zu Kräften zu kommen, mag nicht für alle wirksam sein. Aber als Erfahrung aus diesen Praxen wird immer wieder geschildert, wie sehr es den Klima-Kassandras aller Welt schon geholfen hat, sich nicht mehr so allein mit ihrer „Last des Wissens“ (Hamilton, Kasser 2009: 6) zu fühlen. Sie bilden quasi einen „Bund der Verzweifelnden“, die dann daraus auch gemeinsam wieder herausfinden können zu neuen Horizonten.

Beim Wechsel zu den ernsthaft adaptiven Strategien kann eine Entlastung z.B. dadurch entstehen, dass die Furcht vor diffus-Unbekanntem meist schwerer zu ertragen ist, als eine konkret bestimmte Angst, wobei der Übergang von einem zum anderen durch eine offensive Beschäftigung mit dem Thema ermöglicht werden kann. Zu diesen Strategien gehört dann natürlich auch wieder Aktivität, die nun nicht mehr in Schein-Hoffnungs-Sackgassen fehlgeleitet wird, sondern einen Teil der in der Fehlanpassung vergeudeten und in der Enttäuschung und Depression verlorenen Kontrolle zurückgibt. Erst recht, wenn dieser Weg gemeinsam mit anderen gegangen werden kann. Joanna Macy erwähnt, dass das Zurückhalten der Verzweiflung angesichts der unabweisbaren Zeichen der Zeit viel Kraft fordert — und dass das Zulassen dieses eigentlich schmerzvollen Zustands auf scheinbar paradoxe Weise stressmindernd wirken kann.

Ich wünschte, wir könnten uns erzählen, was wir uns in 30 Jahren erzählen werden, wie es uns in den nächsten 30 Jahren gegangen sein wird… (Zukunfts-Storytelling) Wie haben sich die Bedingungen verändert? Was davon hatte für mich Bedeutung? Was ging in die Prämissen meines Handelns ein? Was hab ich eigentlich gemacht und wie hab ich das begründet? Inwieweit war ich damit erfolgreich bzw. was klappte nicht? Warum?…

Dabei wird es dann Geschichten geben, die beweisen, dass Verzweiflung nicht zu Passivität führen muss, dass Trauer nicht demobilisiert, sondern dass gerade „Trauer und Militanz“ (Crimp 1989) zusammen gehen können. Und dass Paradiese nicht unbedingt auf den Höhen der vorherigen Zivilisation entstehen, sondern „in der Hölle“ (Solnit 2009) gebaut werden können und manchmal auch müssen.

Literatur

Brecht, Bertolt (1966): Kalendergeschichten. Berlin: Gebrüder Weiss Verlag.

Crimp, Douglas (1989): Mourning and Militancy. The MIT Press. October, Vol. 51 (Winter, 1989), pp. 3-18.

Ditfurth, Jutta (2019): Extinction of Rebellion. In: konkret 11/19, S. 15-16.

Hamilton, Clive; Kasser, Tim (2009): Psychological Adaption to the Treaths and Stresses for a Four Degree World. Conference “Four Degrees and Beyond”, Oxford University, 28-30 September 2009.

Horn, Eva (2014): Zukunft als Katastrophe. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2014): AR5 Synthesis Report: Climate Change 2014.

Klein, Naomi (2015): Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. Frankfurt am Main: Fischer.

Macy, Joanna; Johnstone, Chris (2012): Active Hope. How to Face the Mess We‘re in without Going Grazy. Novato: New World Library.

Marino, Elisabeth; Ribot, Jesse (2012): Special Issue Introduction: Dadding insult to injury: Climate Change and the inequities of climate intervention. Gobal Environmental Change 22, 323-328.

Macy, Joanna; Brown, Molly Young (2014): Coming back to life. Gabriola Island: New Society Publishers.

Pelling, Mark (2011): Adaptation to climate change: from resilience to transformation. London: Routledge.

Schlemm, Annette (2013): Schönwetter-Utopien im Crashtest. Osnabrück: Packpapier Verlag.

Schlemm, Annette (2019): (Fast) alles zum Klima-Umbruch im Philosophenstübchen.

Schulz, Karsten; Siriwardane, Rapti (2015): Depoliticed and technocratic? Normativity and the politics of transformative adaption. Earth System Governance Working Paper No. 33. Lund and Amsterdam: Earth System Governance Project.

Solnit, Rebecca (2009): A Paradise built in Hell. The extraordinary Communities that arise in Disaster. New York: Penguin Books.

Susteren, Lise van (2017): A Closer Look. Our Moral Obligation: The Duty to Warn and Act. In: Clayton, S., Manning, C.M., Krygsman, K., Speiser, M.: Mental Health and our Changing Climate. Impacts, Implications, and Guidance. .Washington: American Psychological Association, ecoAmerica.

Lonsdale, K.; Ringle, P., Turner, B. (2015): Transformational adaptation: what t is, why it matters & what is needed. Oxford: UK climate Impacts Programme (UKCIP).

Walker, Brian; Holling, C.S.; Carpenter, Stephen R.; Kinzig, Ann (2004): Resilience, Adaptibility and Transformability in Social-ecological Systems. Ecology and Society 9(2): 5.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin:  WBGU.


Fußnoten

[1] Bei ihrer Vorstellung der Großen Transformation verkennen die AutorInnen allerdings den systemischen Charakter des von ihnen nicht erkannten Kapitalismus, sondern setzen deshalb illusionär auf die Wirkung eines „gestaltenden Staats mit erweiterter Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger“ (ebd.: 291).

[2] vgl. Mark Pelling: Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung ist offensichtlich gescheitert (Pelling 2011: 4).

[3] eine vergleichende Tabelle hierzu siehe ebd.: 10.

[4] DeepL übersetzt: „dass der Klimawandel und die sich daraus ergebende Anpassung nur ein Ausdruck einer zugrunde liegenden Krise in den Beziehungen zwischen Umwelt und Gesellschaft sind. Die tiefsten Ursachen des Klimawandels und der Handlungsunfähigkeit der Machthaber in der Gesellschaft […] liegen in den dominanten Prozessen und Werten der politischen Ökonomie, die den Reichtum zunehmend in den Händen einiger weniger konzentrieren, wobei ungerechte soziale und ökologische Externalitäten akzeptiert werden. Auf dieser Ebene ist das Risiko des Klimawandels nur ein Ausdruck eines tieferen sozialen Unbehagens in der modernen Gesellschaft […].“


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