Der folgende Textteil gehört noch in das Thema „Klima-Umbruch -Transformation – Lebensführung“. Denn um sich der Frage nach der Verzweiflung zuzuwenden, muss erst noch einmal klargemacht werden, warum Verzweiflung nicht mehr nur die Folge von Panikmache ist, sondern angesichts der erreichten und weiter zu befürchtenden Schädigungen unserer Lebensgrundlagen kaum noch zu vermeiden sein dürfte. Deshalb schiebe ich diesen Teil noch zwischen die Ausführungen zur „Transformation“ und die zur „Lebensführung“.
Diese Transformation ist keine, bei der vieles von dem bisher Erreichten beibehalten werden und die Verhältnisse grundlegend verbessert werden können. Wir können uns die bisherigen Zukunftshoffnungen z.B. mit einer sog. „Fitness-Landschaft“ vorstellen:
Die Höhe auf der Y-Achse kennzeichnet einen qualitativen Zustand (der nach oben bessere Werte annimmt), auf der X-Achse liegen unterschiedliche Zustandsformen. Dabei kann sich 1. die Landschaft verändern und 2. können Objekte ihre Zustandsformen durch eine Bewegung innerhalb der Landschaft verändern. Bisher hatten wir für unsere Gesellschaft meist die Vorstellung, der nächste Entwicklungsschritt der Menschheit bestünde im weiteren Emporklimmen der Fortschrittsleiter (grüner Pfeil). Durch das Überschreiten der „Planetaren Grenzen“ (Schlemm 2015) haben wir uns diese Landschaft der Möglichkeiten „versaut‘“. Die Landschaft der Möglichkeiten sieht jetzt eher so aus:
Wahrscheinlich geht es nicht ganz in den Orkus, sondern wir bzw. unsere Nachfahren können sich noch einmal abfangen:
Was können wir im besten Falle tun? Den Absturz abflachen und mehr Potential für eine höhere Qualität für den neuen Zustand B erarbeiten (grüne Kurve):
Das mag alles sehr schematisch aussehen. Inhaltlich erklärt sich der Abfall der Fitness-Landschaft nach dem Durchlaufen des Maximums von A durch den Verlust an Biodiversität, an nicht übersäuerten Ozeanen, durch den Verlust fruchtbaren Bodens, die übermäßige Belastung von Gewässern aller Art durch Überdüngung, die Verschmutzung vieler Umweltbereiche, die Aufheizung der Atmosphäre, und vieles andere. Das zeigt sich und wird sich in näherer Zukunft noch stärker zeigen als:
- Notwendigkeit des ständigen Ersatzes von wichtiger Infrastruktur, die durch Unwetter und Meeresspiegelanstieg zerstört wird;
- Notwendigkeit von Arbeiten für die Reproduktion der Biosphäre und anderer weitgehend zerstörter Umweltbedingungen,
- Notwendigkeit, den Verlust landwirtschaftlicher Produkte durch ständige Unwetter und Missernten (wegen Dürren, Überschwemmungen etc.) auszugleichen,
- Notwendigkeit, die notwendige Energie durch wesentlich aufwendigere Methoden aus den „Erneuerbaren“ Quellen zu gewinnen als es mit den „dichten“ fossilen Energiequellen möglich war. Auch landwirtschaftliche Produktion muss mit viel weniger eingesetzter Energie, mit viel mehr lebendiger Arbeit bei geringerem Ertrag ausreichend Nahrungsmittel produzieren;
- Notwendigkeit, Menschen aus dauerhaft verlorenen Siedlungsgebieten (Küsten, zu heiße Gegenden) umzusiedeln…
All diese neuen Anforderungen kommen zusätzlich zu allen „normalen“ Produktions- und Reproduktionsaufwendungen der Gesellschaft hinzu (wobei natürlich vieles dann auch unnötig und unwichtig wird, siehe gleich). Wir werden nie wieder unseren Wohlstand auf Kosten einer „billigen Natur“ erhöhen können (und, wenn die richtige Transformation gelingt, auch nicht mehr auf Kosten anderer Menschen erreichen wollen). Diese erhöhten Aufwendungen könnten im günstigsten Fall wahrscheinlich ein wenig kompensiert werden durch den Wegfall von Kriegsmitteln, durch die Einführung der Produktion von reparaturfreundlichen Gütern mit hoher Lebensdauer und allen anderen diesbezüglichen Umstellungen. Man kann aber sicher nicht mehr so tun, als würde das ausreichen, dass für alle das Leben in und nach dieser Transformation unbedingt „besser“ wird und dass es ohne Verzicht abgeht. Diese Formel, es ginge auch ohne Verzicht, haben wir jahrzehntelang in unseren Vorträgen gepredigt. Aber es wäre angesichts der schon eingetretenen Verluste nicht mehr ehrlich. Genau so wenig, wie es ehrlich wäre zu sagen, es wäre erst 5 vor 12 oder gerade um 12. Wir haben bereits zu viel von dem, was als Voraussetzungen für eine Verbesserung des Lebens aller gebraucht würde, verloren. Vieles davon können wir nicht kompensieren, sondern es ist eine Anpassung besonderer Art notwendig. Jem Bendell schrieb 2018 von einer „Deep Adaptation“ („Tiefgreifende Anpassung“). Sein Text wurde von denen, die es schon länger ahnten, als Befreiung empfunden. Endlich sagt mal einer die Wahrheit:
„Der Kollaps ist unvermeidlich; die Katastrophe ist wahrscheinlich und eine Auslöschung ist möglich.“ (ebd.: 20).
In diesem Text wird Tommy Lynch zitiert:
„Wenn wir die Hoffnung aufgeben, die uns an das alte Leben bindet, öffnen wir den Raum für alternative Hoffnungen.“ (Lynch 2017).
Hoffnung 2.0 – aber zuerst muss Hoffnung 1.0 weg. Diese Ent-Täuschung muss sein. Wir müssen viel mehr neu kreieren als neue Technik und soziale Beziehungen, mit denen wir uns ein „gutes Leben“ aufbauen. Wir müssen die Utopie im Worse- und vielleicht auch im Worst-Case-Fall (Schlemm 2013) realisieren. Wobei wir nicht trotz Knappheiten und anstrengendem Leben menschlich miteinander umgehen, sondern gerade deswegen. Zu den Vorschlägen, die Jem Bendell macht, gehört, uns gegenseitig in unseren Ängsten zu unterstützen – nur dann können wir auch kollektiv-kooperativ neue Versorgungs- und Produktionsstrukturen aufbauen (Bendell 2018: 25). Dies wird dann eine wahrhaft „kreative Adaptation“ (ebd.: 15).
Die in Anlehnung an ein Konzept von Rüdiger Lutz („Friedenswerkstatt“, 1988) vorgeschlagene „Klima-Werkstatt“ (Lutz, Schlemm 2020) könnte mit den drei Schritten -1. Katharsis in der Verzweiflung, 2. Utopie, 3. Entwicklung erster Schritte, die sich daraus ergeben – für Gruppen einen Weg zu Ideen dahin bahnen.
Diese Anpassung fordert auch eine psychische Wandlung. Auch die bisherigen Lebensziele und damit auch die eigene Identität stehen in Frage, wenn sich die Bedingungen für den eigenen Beitrag zu überindividuellen Zielen derart ändern. Historische Erfahrungen damit haben z.B. die indigenen Völker – berichtet wird es insbesondere von den Crow, die mit einem Verlust der Bedeutung ihrer Kultur und damit auch ihrer historischen Bedeutung zu kämpfen hatten (Gosling, Case 2013: 8).
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