Kurzfassung von: Schlemm, Annette (2018): Hegels implizite Ontologie. Das Durchscheinen der Welt in Hegels Kategorialentwicklung. In: Rainer E. Zimmermann (Hrsg.): Probleme der Grundlegung nach Schelling und Bloch. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2018. S. 97-114.


Verhältnis von Dingen und Denken

  • Die subjektiven Gedanken sind „zugleich objective Verhältnisse der Wirklichkeit“ (Erdmann)
  • impliziter Materialismus: Unser Denken muss sich „nach ihnen [den Dingen, AS] beschränken, und unsere Willkür oder Freiheit soll sie nicht nach sich zurichten wollen“ (Hegel)
  • Was nimmt das Denken auf? „Im Denken hingegen sondern wir von der Sache das Äußerliche, bloß Unwesentliche ab und heben die Sache nur in ihrem Wesen hervor. Das Denken dringt durch die äußerliche Erscheinung durch zur inneren Natur der Sache und macht sie zu seinem Gegenstand. Es läßt das Zufällige einer Sache weg. Es nimmt eine Sache nicht, wie sie als unmittelbare Erscheinung ist, sondern scheidet das Unwesentliche von dem Wesentlichen ab und abstrahiert also von demselben.“ (Hegel)

Phänomenologie des Geistes

  • Hier wird der Weg eines einzelnen Bewusstseins von der „sinnlichen Gewissheit“ bis hin zum „Selbstbewusstsein“ (was identisch ist mit Welt-Bewusstsein) nachvollzogen. Dabei wird das Erkenntnisobjekt vom erkennenden Subjekt immer besser verstanden. Beim Voranschreiten verändern sich das Subjekt (es wird wissender) und ebenfalls der „Erkenntnisgegenstand“. Also: das was vom Objekt erkannt wird, wird immer reichhaltiger und auf seine tieferen Gründe hin durchdrungen. Am Ende bleibt nichts am Gegenstand ungewusst (von nichts wird mehr abstrahiert) und dem Bewusstsein steht nichts Fremdes mehr äußerlich gegenüber, sondern es enthält alle von ihm erkannten/gedachten Gegenstände.
  • Dies setzt voraus, dass dem Subjekt die Fähigkeit des Denkens (Erkennens) inne wohnt und das Objekt ein „erkenntnisfähige[s], zur Erkenntnis drängendes[s] Material“ (Bloch) ist.

Hegels Logik

Objektive Logik

  • Die „objektive Logik“ entspricht als Logik der „objektiven Denkformen“ der vormaligen Ontologie. (Hegel)
  • Aus der „Phänomenologie“ nehmen wir die dort erreichte Einheit von Dingen und Denken, von Subjekt und Objekt auf.
  • Der Inhalt, der in der Hegelschen „Logik“ gedacht wird, ist die „Vernunft in der gegenständigen Welt“, sind die „allgemeine[n] Gesetze“ von Natur und Geist und deshalb haben die Denkbestimmungen „ebensosehr objektiven Wert und Existenz“ (Hegel).
  • Gegenstand der Logik ist die Sache, d.h. „der Begriff der Dinge“ (Hegel) Dabei ist der Begriff „ist das den Dingen selbst Innewohnende, wodurch sie das sind, was sie sind“ (Hegel). Dies kann nur gedacht werden, deshalb wird im Bereich der „Logik“ nicht mehr angeschaut oder vorgestellt Es sollte deshalb auch keine vorstellbaren Beispiele für ihre Aussagen geben, weil das erreichte Denkniveau (von nicht mehr vorstellbaren inneren Zusammenhängen und Gründen) dabei wieder verloren ginge.
  • Die Hegelschen Begriffe enthalten gerade nicht ein „abstrakt Allgemeines“ (nur Subjektives), losgelöst vom Realen, sondern sie entstehen „aus der tieferen Kenntnis der anderen Wissenschaften“, wodurch das Logische „als das den Reichtum des Besonderen in sich fassende Allgemeine“ kenntlich wird. (Hegel). Die Logik beruht auf diesem Reichtum des Besonderen, dieses ist gleichzeitig schon vorhanden.
  • In der objektiven Logik geht es um diejenigen Kategorien, „die in die objektive Mannigfaltigkeit Struktur und Bestimmung einführen sollen“ (Kolias).
  • Zu dieser Struktur gehört die Unterscheidung von verschieden weit und tief reichenden Perspektiven auf das Seiende. Hegel unterscheidet das „Sein“, das „Dasein“, die „Realität“, die „Existenz“ und die „Wirklichkeit“ folgendermaßen:

Das „Sein“ ist ohne alle Bestimmung und unmittelbar, „nur sich selbst gleich“ (Hegel) . Das „Dasein“ ist bestimmtes Sein als Resultat des „Werdens“, in dem sich „Sein“ und „Nichts“ (in den Momenten „Entstehen“ und „Vergehen“) verbunden haben (Hegel). Die „Realität“ ist das Dasein als seiende Bestimmtheit , insoweit die im Dasein enthaltene Negation (die Grenze) noch versteckt ist. „Realität“ umfasst auch die „bloße Erscheinung, das Subjektive, Zufällige, Willkürliche, das nicht die Wahrheit ist“ also nicht dem Begriff entspricht. „Existenz“ bezeichnet ein Hervorgegangensein aus dem Grunde (einem Wesen) und bezeichnet die „Welt gegenseitiger Abhängigkeit und eines unendlichen Zusammenhangs von Gründen und Begründeten“ (Hegel) Darin enthalten ist auch die „zufällige Existenz“, die „so gut nicht sein kann, als sie ist“. In der „Wirklichkeit“ sind Wesen und Erscheinung nicht mehr getrennt, sondern „die Äußerung des Wirklichen ist das Wirkliche selbst“. Existierendes entsteht und verschwindet wieder – das Wirkliche bleibt auch in der Veränderung Wirkliches. Dem Wirklichen steht nichts mehr fremd und äußerlich gegenüber und es wird auch „nicht in die Sphäre der Veränderung gezogen“ (Hegel) .

  • Auch hier wird vorausgesetzt, „daß Verstand, daß Vernunft in der gegenständlichen Welt ist“(Hegel)

Subjektive Logik

  • Die „subjektive Logik“ ist die Logik des Begriffs, wobei die vorher schon erreichte Einheit von Ding und Denken weiter vorausgesetzt wird. Dabei gilt, „daß der Begriff etwas Wirkliches darstellt und andererseits das Wirkliche sich im Begriff darstellen lässt“ (Kolias). „Der Begriff ist das den Dingen selbst Innewohnende, wodurch sie das sind, was sie sind, und einen Gegenstand begreifen heißt somit, sich seines Begriffs bewußt werden.“ (Hegel)

Stellungen des Gedankens zur Objektivität

  • Hier werden typische Vorstellungen über das Verhältnis von Wirklichkeit und Begriffen vorgestellt. Die ersten beiden erweisen sich als unzureichend und begründen die dritte als „wahre“ Beziehung von Wirklichkeit und Begriffen:
  1. Metaphysik vor Kant bzw. „Ontologismus“ (Wahsner) (und in weitesten Teilen der Marxismus-Leninismus, wie heute zu ergänzen ist, AS): Der zu denkende Gegenstand und mein Denken werden als Andere gegeneinander gedacht (Hegel), wobei das Objekt als „fertig“ vorausgesetzt wird (Hegel). Das Erkennen besteht darin, den Gegenständen in äußerlicher, d.h. dogmatischer Weise Prädikate beizulegen.
  2. Empirismus, Kants kritische Philosophie:
    Aus dem Empirismus folgt, dass wir „uns das Gegebene gefallen zu lassen [haben], so wie es ist, und wir haben kein Recht danach zu fragen, ob und inwiefern dasselbe in sich vernünftig ist.“ (Hegel)
    Kant dagegen macht es sich „zur Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit überhaupt die Formen des Denkens fähig seien, zur Erkenntnis der Wahrheit zu verhelfen“ (Hegel), allerdings unabhängig von dem zu Erkennenden.
  3. Hegels Position:
    Den Denkbestimmungen kommt nicht nur eine subjektive Bedeutung zu: auch wenn die Kategorien im Denken sind, „so folgt daraus doch keineswegs, daß dieselben deshalb bloß ein Unsriges und nicht auch Bestimmungen der Gegenstände selbst wären“ (Hegel).
    „Dagegen ist die wahre Objektivität des Denkens diese, daß die Gedanken nicht bloß unsere Gedanken, sondern zugleich das Ansich der Dinge und des Gegenständlichen überhaupt sind“ (Hegel) .

Philosophie des Realen (der Natur und der Gesellschaft)

  • Das Wissen über die Welt ist nicht unmittelbar Wissen über eine Welt, wie sie wäre, wenn wir sie nicht wissen würden. Unser Wissen über die Welt enthält immer die Vermittlung zwischen uns und der Welt. Für die Natur(wissenschaft) gilt deshalb: Als unmittelbare ist uns die Natur nicht zugänglich. Wir wissen von ihr nur, was wir von ihr wissen. Wir können nicht aus der Erkenntnisvermittlung heraus. Es gibt deshalb nur noch eine Philosophie der Naturwissenschaft, nicht Philosophie der Natur (Wandschneider).
  • „In der Realphilosophie müssen also die logischen Begriffe mit dem faktischen Geschehen verbunden werden. Diese Integration führt in Richtungen, die aus der Perspektive der Logik nicht vorgesehen sind.“ (Burbidge) Hegel spricht deshalb von der „Ohnmacht der Natur“ (Hegel ), die sich darin zeigt, dass sich in ihr „Zufälligkeit, Willkür, Ordnungslosigkeit“ zeigen, die nicht selbst als vernünftig nachgewiesen und begriffen werden können. (Ähnliches gilt auch für die „Weltgeschichte“, die nicht streng nach „Logik“ verläuft. ;-))
  • Trotzdem muss etwas in der Natur (und den anderen Realbereichen) sein, was dem Erkennen entgegen kommt, sie muss „theoretisierbar“ sein, d.h.: „Es ist Vernunft, Verstand in der Natur“ (Hegel). Auch für die Weltgeschichte wird vorausgesetzt, „daß Vernunft in der Geschichte sei“ (Hegel).

Was sagt Hegels Philosophie über die bei ihm vorausgesetzte „Ontologie“ aus?

  • Vorausgesetzt wird, dass es Verstand und Vernunft in der Welt gibt. Diese Gemeinsamkeit führt dazu, dass das Erkenntnissubjekt seinem Objekt nicht nur äußerlich begegnet, sondern die gleiche Art Vernunft in sich wie in diesem findet. Ebenso ist das Erkenntnisobjekt dem Subjekt gegenüber nicht völlig verschlossen (wie Kants „Ding an sich“).
  • Wie kann man sich diese Vernunft in der objektiven Welt vorstellen? Sein Schüler Erdmann „übersetzt“ Vernunft auch mit „objektive[m] Zusammenhang“ (Erdmann). Ein anderer Interpret erkennt für Gesellschaftsstrukturen die Vernunft in der jeweiligen „Organisationsleistung (dem ständig neuen Verbinden verschiedener Teile zu einem Ganzen) (Gessmann).
  • Alle Denkformen, wie sie etwa in der subjektiven Logik analysiert sind, entsprechen demnach auch echten Beziehungsformen der objektiven Weltbereiche.

Einheit fühlen und denken

  • Hegel verwendete für die Erläuterung der Vernunft auch eine Metapher der Lebendigkeit: Das Vernünftige wird auch bezeichnet als der „innere Puls“, der „in den äußeren Gestaltungen noch schlagend zu fühlen“ ist (Hegel).
  • Als „lebendig“ ist hier die Vernunft zu verstehen, die die Festlegungen des Verstandes aufgehoben hat und sich selbst in ihrer Identität durch die ständige Bewegtheit ihrer Momente erhält. Die besonderen Momente entstehen notwendigerweise in der Bewegung des Allgemeinen und gleichzeitig besteht das Allgemeine aus der Bewegung der Momente. Dies ist eine höhere Form von Lebendigkeit als die bloß Gefühlte, sie durchdringt die Oberfläche der Erscheinungen in Richtung der inneren Dynamik.

„Hausaufgabe“:

  • Welcher der „Stellungen des Gedankens zur Wirklichkeit“ entspricht das meiste im Marxismus-Leninismus? Wer mir dazu eine Lösung in die Kommentare schreibt, bekommt den hier zusammengefassten Text als pdf 😉