Oder: Wenn Stout Hegel gekannt hätte…
In einer Gesprächsrunde wurde folgende Unterscheidung von unterschiedlichen Ontologien vorgeschlagen. Ich möchte diese in Bezug setzen und ergänzen durch entsprechende Inhalte aus der Philosophie Hegels.
Diese Tabelle bezieht sich auf Ontologien, wie sie in unterschiedlichen politischen Konzepten vorausgesetzt werden. Bei Hegel wird ein Zusammenhang ähnlicher Formen entwickelt, die sich in allen Bereichen der Welt (Natur, Gesellschaft, Denken) mehr oder weniger vorfinden.
allen Bereichen der Welt (Natur, Gesellschaft, Denken) mehr oder weniger vorfinden.
Margaret Stouts Ontologie-Forschungen
Stout stellte fest, dass unterschiedliche philosophische Annahmen über die Welt, d.h. das Existierende/Seiende (Ontologie) politische Praxen beeinflussen. [1]
Ontologien können sich unterscheiden:
- bezüglich des Zustands in statische (Sein) vs. dynamische (Werden) Ontologien,
- bezüglich des Ausdrucks in ganzheitliche (die Quelle kann nicht geteilt werden) vs. plurale (es gibt mehrere/viele Quellen des Existierenden) Ontologien,
- bezüglich der Quelle in transzendente (Quellen befinden sich „hinter“ dem Existierenden) und immanente transzendente (Quellen befinden sich innerhalb des Existierenden) Ontologien und
- bezüglich der Bedingung in individualistisch (das Existierende oder viele Existierende sind einzelne Einheiten) vs. relationale (scheinbar getrennt Seiendes ist in Wirklichkeit irgendwie verbunden) Ontologien.
Die Philosophie des Parmenides etwa setzt voraus, dass die Welt statisch ist und eine Ganzheit; die Quelle des Seins ist transzendent und die Dinge sind individuell-Einzelne. Bei Heraklit dagegen sind die Dinge Werdende und es gibt viele von ihnen (plural). Die Quelle des Seienden ist der Welt immanent und nichts kann von anderem getrennt werden.
Die möglichen Kombinationen für Ontologien können durch die folgende Tabelle angegeben werden, wobei die obere Zeile (statischer Zustand) typisch für die moderne westliche Kultur sein soll (ebd.: 389). Seit der Jahrtausendwende wird vorgeschlagen, den neuen Gegebenheiten durch einen Übergang zur differenziert-relationalen dynamischen Ontologie Rechnung zu tragen (ebd.: 395):
Für politisches Handeln ist es wichtig, diese philosophisch-ontologischen Voraussetzungen transparent zu machen, denn sie begründen nicht zuletzt normative Ansprüche darüber, wie etwas sein sollte, was als legitim gilt und was nicht.
Für die Frage der politische Repräsentation unterscheiden sich diese Ontologien folgendermaßen:
Diese ontologischen Differenzen liegen weitgehend auch unterschiedlichen politischen Lagern zugrunde:
Die differenziert-relationale Ontologie, die davon ausgeht, dass wir eine dynamische, uns gegenseitig beeinflussende Vielzahl von einzigartigen, aber verbundenen Individuen sind, die gemeinsam ein Ganzes herstellen, sollte nach Stout die gegenwärtig angemessene Ontologie sein (ebd.: 395). Sie beruht auf der Fähigkeit der Menschen, zusammen zu arbeiten, indem sie sich selbst verwalten (ebd.: 396).
Philosophische Verankerungen hierfür sieht Stout vor allem in der Prozessphilosophie und indigener Spiritualität (ebd.: 391) – oder auch bei Heidegger (ebd.: 395). Dabei übersieht sie die Hegelsche Philosophie[2], und die daraus entstandene Dialektik-Konzeption, die genau von einer derartigen Verfasstheit der Welt ausgeht und zusätzlich noch die verschiedenen Typen von Seinsstrukturen in einen Zusammenhang bringt.
Hegels implizte Ontologie
Bei Hegel fallen Erkenntnisform und Denkform ineinander. (Siehe dazu auch: Hegels implizite Ontologie)
Das schließt manche empirische Tatsachen aus; diese sind nicht theoriefähig (wie die „Schreibfeder des Herrn Krug“, deren Ableitung aus seinem System von ihm gefordert worden war).
Aufgrund der Einheit von Denken und Sein kann sich bei Hegel etwas nur selbst erkennen, deshalb ist seine ganze Theorie letztlich das Ergebnis der Selbsterkenntnis des „absoluten Geistes“, der sich selbst erkennt. Nur, weil Hegel sich selbst auf einer schon weit entwickelten Stufe der Menschheit sieht, meint er – als Moment des absoluten Geistes – , eine Stimme dieser Selbsterkenntnis sein zu können, welche die ganze Wahrheit in ihrer Grundstruktur erkennen und aufschreiben kann. Dass neu Erkanntes z.B. aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaften immer wieder neu da drin einsortiert werden, und auch die erkannten Grundstrukturen sich u.U. damit verändern, war für ihn auch selbstverständlich (wie aus den zeitlich aufeinander folgenden Vorlesungen zur Naturphilosophie von ihm ersichtlich ist).
Er ging dabei davon aus, dass sinnliche Erkenntnis nur die allererste und für viele Themen viel zu vereinfachende Stufe der Erkenntnis ist. Er ist also ziemlich „rationalistisch“, weil es ja für ihn gerade darum geht, das an Zusammenhängen in der Welt zu begreifen, was man nicht nur fühlt… Er geht eher davon aus, dass gerade wir der begreifen-könnende Teil der Welt sind, was eben eine Distanz gegenüber dem Nur-Gefühlten und einer tiefer in die erscheinende-fühlbare Welt hinein führende Erkenntnis ermöglicht. (mehr siehe hier)
Philosophie des Realen
Im Text „Hegels implizite Ontologie“ wurde nachgewiesen, dass das Philosophieren über die Welt für Hegel voraus setzt, dass es in der Welt so etwas wie Verstand und Vernunft gibt. Das heißt, die in der Logik gedachten inhaltlichen Beziehungen (die ja aus Sicht von Materialist*innen aus den Erfahrungen in der Welt entstanden sind) gelten auch für Realweltliches. Dinge/Prozesse unterscheiden sich und haben etwas gemeinsam, sie können strukturell oder entwicklungslogisch in Widersprüche geraten, Real-Allgemeines und Real-Besonderes stehen in bestimmten Beziehungen usw. usf.. Das „Verständige“ (Verstehbare) in der Natur zeigt sich in Naturgesetzen, in der Gesellschaft in ihrer wie auch immer vernünftigen Organisiertheit.
Unterschiedlich komplexen Formen der Logik entsprechen auch unterschiedlich komplexe Bereiche der Welt (und umgekehrt). Und: auch die komplexesten Formen werden zuerst in ihren einfachsten Momenten erfasst (es geschieht Abstraktion von der konkreten Mannigfaltigkeit). „Die Wirklichkeit manifestiert notwendigerweise verschiedene Seinsebenen, und die Dialektik der Objektivität deduziert sie in ansteigender Ordnung.“ (Taylor) Auf diese Weise kommen wir zu einer bestimmten in der Komplexität aufsteigenden Ordnung der Welt und des Denkens darüber und erhalten „Formen der Objektivitätswahrnehmung“ bzw. „Weltbilder“ (Hoffmann). Diese Formen stehen nicht nebeneinander, sondern bilden selbst eine Struktur, bei der das früher Betrachtete im später Betrachteten aufgehoben (aufbewahrt, und durch Höher-Heben auch negiert) ist.
Denkbestimmungen, wie sie im Prozess des Begreifens vom Abstraktesten ausgehend sich immer mehr konkretisieren (anreichern), sind durch das „Mechanische“, das „Chemische“ und das „Organisch-teleologische“ gekennzeichnet:
Mechanisches
„Der Mechanismus […] ist die Kategorie, welche sich der Reflexion bei Betrachtung der gegenständlichen Welt zunächst darbietet und bei welcher dieselbe sehr häufig stehenbleibt.“ (Hegel)
Erklärungen erfolgen durch Druck, Stoß, Verschiebung der Teile etc.
Es geht um „die schlechte Einzelheit der unselbständigen Objekte“. Den Objekten bleibt der „Schein der Selbständigkeit“ (Hegel). Sie bleiben, was sie sind, auch ohne die Verbindung und „äußerliche Allgemeinheit“.
Deshalb gibt es im Mechanischen nur äußerliche/nachträgliche Verbindungen (ebd.)
Es geht hier um eine „unbestimmte, d.i. verhältnislose Mannigfaltigkeit (Hegel), auch „Aggregat“ genannt (ebd.) und die Verbindungen sind lediglich zufällige ursächliche Zusammenhänge (Taylor)
Es gibt hier auch eine Beziehungen zwischen Allgemeinem und Besonderem, allerdings verhält sich das Allgemeine nur subsumierend (sich zuordnend) gegenüber dem Besonderen und ist damit lediglich ein abstrakt-Allgemeines. (Hegel)
- Über das Mechanische als Bestimmung des „Außereinander“ siehe mehr in HW 9: 41 ff..
Wenn die Forschung da stehen bleibt, gibt es einen großen Mangel, weil das Spezifische der organischen Natur damit nicht erfasst werden kann und das Gesellschaftliche schon gar nicht. (Hegel)
Hoffmann erkennt dieses Weltbild bei Hobbes, bei dem der politische Raum ein „Raum mechanisch aufeinander reagierender Individuen“ ist (Hoffmann).
Chemisches
Ein Chemisches wird nicht nur in seiner Existenz hingenommen, sondern es wird als Ergebnis eines (chemischen) Prozesses, von (chemischen) Beziehungen betrachtet (Hegel): „Der Körper, das Unmittelbare [d.h. das Mechanische, AS], hat den realen chemischen Prozeß zu seiner Voraussetzung.“ (ebd.)
Als Chemisches ist das Objekt „schlechthin auf anderes bezogen“ (Hegel); chemische Objekte sind, was sie sind, „nur durch ihre Differenz“ (ebd.)
„Der Körper als besonderer ist nicht unabhängig, nicht selbständig, sondern ein Glied in der Kette und auf Anderes bezogen.“ (Hegel)
Chemische Objekte sind „›gespannt‹ gegeneinander, mit der Tendenz, sich zu vereinen, ihre Einseitigkeit zu überwinden und eine einzige neutrale Substanz zu werden“ (Taylor).
„Der Prozeß ist das Herüber- und Hinübergehen von einer Form zur anderen, die sich zugleich noch äußerlich bleiben.“ (Hegel)
- Über das Chemische als Bestimmung der Beziehungshaftigkeit der Objekte und ihrer Prozessualität mehr in HW 9: 287ff..
Goethes „Wahlverwandtschaften“ modellieren nach Hoffmann menschliche Beziehungen nach diesem Weltbild (Hoffmann7)
Mangel auf dieser Ebene: „Im neutralen Produkt ist der Prozeß erloschen, und das Erregende fällt außerhalb desselben.“ (Hegel) Die Bedingungen und Erregungen kommen den Objekten äußerlich hinzu (Hegel).
Teleologie – Organisches
Das Objekt erhält sich selbst, d.h. es ist „selbst das aufheben, die Tätigkeit, den Gegensatz so zu negieren, daß er ihn identisch mit sich setzt.“ (Hegel) Der Organismus ist „der unendliche sich selbst anfachende und unterhaltende Prozeß“ (Hegel).
In seiner Selbsterhaltung „agiert und reagiert“ der Organismus „gegen die verschiedensten Potenzen; in jeder Reaktion ist es anders bestimmt, ebenso bleibt es aber auch eine Einheit mit sich selbst. Diese an sich seiende Bestimmtheit der Art, die nunmehr auch existiert, läßt sich mit Anderem ein, unterbricht dieses Einlassen aber auch und neutralisiert sich nicht mit demselben, sondern erhält sich im Prozesse, welcher indessen durch es und sein Anderes bestimmt ist.“ (Hegel)
Es liegt Selbstbestimmung vor (Hegel). Damit ist im Gegenstand selbst ein Zweck enthalten (Taylor), seine Tätigkeit ist nicht mehr abhängig von einer äußeren Erregung.
- Über das Organische als Verwirklichung des Teleologischen (wobei das Kapitel „Organische Physik“ mit der „geologischen Natur“ beginnt, was quasi die Gaia-Hypothese vorwegnimmt) mehr in HW 9: 337ff..
Es gibt jetzt einen Zweck (Selbsterhaltung), die sich in einer „inneren Zweckmäßigkeit“ (Kant) der Struktur und Bewegung/der Prozesse zeigt. Insofern diese Organisiertheit als Mittel zum Zwecke gilt, überdauert sie möglicherweise wechselnde Zwecke.
Hier ist das Allgemeine konkret, denn es setzt seine Besonderungen, durch deren Bewegungen es sich reproduziert (selbst erhält). Das Allgemeine ist hier eine „Selbstbeziehung, […] in sich Vermitteltes“ (Hoffmann)
Erklärungen werden jetzt auf Grundlage des Ganzen/der Totalität begründet: durch die Rolle der Teile im Ganzen und der erklärte Vorgang ist ein Teil dessen, was ihn erklärt (Taylor).
„Im Organismus […] sind alle einzelnen Organe, Herz, Leber usw., Mittel zur Aufrechterhaltung seines Lebens; indem sie dies aber durch richtiges Funktionieren gewährleisten, sind sie zugleich auch der Zweck des Lebens des Gesamtorganismus, denn dieser besteht im richtigen Funktionieren aller Einzelteile.“ (ebd.)
Gesellschaftstheoretisch bedeutet das: „Die Tätigkeit des Menschen und der Lauf der Welt, der den Hintergrund dazu bildet und der sie beeinflußt, muß als ein großer Lebensablauf verstanden werden, der sich selbst formt.“ (ebd.)
Herder versuchte nach Hoffman erstmals die Kulturgeschichte nach einem organologischen Modell zu verstehen (Hoffmann).
Dies gilt auch für das gesamte Universum: „Das endgültige Ziel besteht darin, daß Geist oder Vernunft sein soll, das heißt, daß es eine vernünftige Struktur geben soll, von der alle Aspekte eine Antwort auf die Frage ›warum‹ liefern und in der nichts als bloße ›positive‹ Tatsache gegeben ist.“ (ebd.) (Damit geht die Beziehung zwischen Objektivem und Subjektivem in ihre Einheit über, die Idee…).
Idee und Leben
Ohne es hier genauer darzustellen, sei mitgeteilt, dass aus den vorigen Argumentationen die Idee als Einheit von Subjekt und Objekt (Hegel) entsteht. Lebendiges ist eine Verwirklichung der Idee, aber lediglich eine „unvollkommene“(Taylor ).
Organisierung der Gesellschaft
Die gesellschaftliche Organisierung und die darin jeweils enthaltene Vernunft oder Unvernunft behandelt Hegel in der Philosophie des objektiven Geistes (HW 10)und der Grundlinien der Rechtsphilosophie (HW 7).
- Eine Zusammenfassung zur Gliederung der Philosophie der Gesellschaft bei Hegel siehe u.a. hier.
Hegel geht hier vom Individuum mit einem freien Willen aus, das seinen Willen in sein Eigentum legen kann, was es aber nur zu einer „Person“ macht, die ihre Erfüllung „an einer äußerlichen Sache hat“ (Hegel). Durch diese Sachen schließen sich sie „als freie zugleich gegeneinander selbständige Personen“ zusammen (ebd.), was sich in der Form von vertraglichen Beziehungen zeigt. Das „System der Atomistik“ (ebd.) zeigt sich für Hegel in der Ökonomie seiner Zeit, der sog. „bürgerlichen Gesellschaft“.
Diese nur äußerliche Beziehungshaftigkeit der „Personen“ ist jedoch mangelhaft, denn menschlichen Beziehungen liegen Absichten und Interessen zugrunde. Diese werden im bei Hegel unter der Überschrift der „Moralität“ dargestellt. Dabei gilt jedoch noch, dass das dabei Beabsichtigte noch nicht erreicht ist, sondern als „Soll“ jeder Beziehung und Handlung vorausgeht.
Erst in der sog. „Sittlichkeit“ zeigt sich, dass dieses „Sollen“ bereits in der Wirklichkeit drin steckt, nicht von außen hinzukommt. (mehr siehe hier). Verwirklicht ist dies in einem „wahrhaft vernünftig gegliederten Staat[3]“: „Im wahrhaft vernünftig gegliederten Staat sind alle Gesetze und Einrichtungen nichts als eine Realisation der Freiheit nach deren wesentlichen Bestimmungen. Ist dies der Fall, so findet die einzelne Vernunft in diesen Institutionen nur die Wirklichkeit ihres eigenen Wesens und geht, wenn sie diesen Gesetzen gehorcht, nicht mit dem ihr Fremden, sondern nur mit ihrem Eigenen zusammen.“ (Hegel)
Denkformen
Ein vollständiger Gedanke (ein Argument) hat logisch die Form eines Schlusses (auch bekannt als Syllogismus). Es enthält miteinander verwobene Urteile, die jeweils als Satz durch die Verbindung eines Satz-Subjektes mit einem Prädikat, bzw. eines Einzelnen und eines Allgemeinen ausgedrückt werden. Das Subjekt ist das, von dem man wissen will, was es ist – das Prädikat gibt diese Bestimmung (Hegel).
Ein Schluss (als Ergebnis vernünftigen Schließens) gibt den Grund der Einheit von Subjekt und Prädikat, das sich in der Urteilsform „S ist P“ zeigte, an und kann nie mit nur einem Satz (das wäre nur ein Urteil) ausgedrückt werden, sondern durch einen Syllogismus (nach Wikipedia: Katalog bestimmter Typen logischer Schlüsse, z.B. Verbindung durch drei Urteile, von denen zwei Prämissen sind und die dritte die Schlussfolgerung). Das Urteil wird durch eine Vermittlung begründet: Es gilt nicht mehr nur „S ist P“, sondern „S, qua X, ist P“ (Taylor). Oder anders formuliert: „Diese Rose (S) ist, weil rot eine Farbe ist (X), eine Farbige (P)“.
Jetzt erst gibt es nichts Unvermitteltes (nichts Unbegründetes) mehr. Das heißt: „Wirklich angemessenes Denken würde nicht nur einen oberflächlichen Aspekt des Gegenstandes zu sich in Beziehung bringen, sondern würde dessen wesentliche Struktur aufdecken.“ (Taylor)
Die Hegelsche Urteils- und Schlusslogik setzt die möglichen Urteils- und Schlussformen nicht mehr beziehungslos nebeneinander (wie etwa Kant), sondern sie setzen sich in eine Reihenfolge, bei der (wie immer) die abstrakteste Struktur aufgrund ihres Mangels an Notwendigkeit sich (logisch) weiter entwickelt zu einer konkreteren und so fort bis zur Vollständigkeit/Vollkommenheit der Vermittlungen.
Schlussformen (einige)
- Formeller Schluss des abstrakt Allgemeinen: Allgemeines: Farbe, Einzelnes: Diese Rose, Besonderes: Farbe rot mit dem Schluss: 1. Prämisse: Diese Rose ist rot. 2. Prämisse: Rot ist eine Farbe. 3. Schlussfolgerung: Also ist diese Rose eine Farbige. Mangel: das Einzelne ist noch unmittelbar (gegeben) und die allgemeine Bestimmung kann auch etwas Zufälliges sein und nicht das Wesen des Einzelnen ausmachen (die Rose ist ja auch duftend usw.).
- Reflexionsschluss (Subsumtion): Allgemeines: Sterblichkeit, Einzelnes: Cajus, Besonderes: konkrete Besonderheit: Menschsein: Alle Menschen sind sterblich. Nun ist Cajus ein Mensch. Ergo ist Cajus sterblich. Mangel: die Reflexionsallgemeinheit ist eine gemeinsame Eigenschaft, es muss nichts Wesentliches von allen seinen Einzelnen kennzeichnen. Der Zusammenhang zwischen (konkret-)Einzelnem und (abstrakt-)Allgemeinem ist noch äußerlich.
- Kategorischer Schluss: Allgemeines: Denken können, Einzelnes: Carsten, Besonderes: Mensch sein. Carsten ist ein Mensch. Menschen sind Tiere, die denken. Carsten denkt also. Das Allgemeine entspricht der wesentlichen Natur der Einzelnen (HW 6: 393), es ist eine „objektive Allgemeinheit“. Mangel: das Einzelne ist unmittelbar, es ist zufällig (dass es Carsten ist und nicht Anna).
- Disjunktiver Schluss: Allgemeines: H2O, Einzelnes: Dampf, Besonderes: nicht Eis noch Wasser. H2O ist Eis, Wasser oder Dampf. Dies ist weder Eis noch Wasser. Also ist dies Dampf. Vollständigkeit der Bestimmungen ist erreicht durch die in ihre Arten zerlegte Gattung auf dem Wege des gegenseitigen Ausschließens der Bestimmungen.
Stouts Ontologien in Hegels Perspektive
Was Stout differenziert individuelle Ontologie nennt, entspricht bei Hegel der Mechanischen Strukturlogik. Wenn die in mechanischer Beziehung stehenden Objekte ein Ganzes bilden, entsteht entweder die undifferenzierte individuale Ontologie (das abstrakt-Allgemeine erhebt sich über die Vereinzelten) oder die undifferenziert relationale Ontologie (die Vereinzelten gehen im Abstrakt-Allgemeinen auf).
Der differenzierten relationalen Ontologie entspricht das organisch-Teleologische. Hierbei ist das nun konkret-Allgemeine konstituiert durch die nun konkret bestimmte Besonderheiten seiner einzelnen Momente und die Momente erweisen sich als konkret-besondere Momente des konkret-Allgemeinen.
Die Formen des undifferenziert Individualen und des undifferenziert Relationalen erweisen sich als demgegenüber mangelhafte Vereinigungsformen.
Wenn die Ontologien nicht nur als verschiedene nebeneinander gestellt werden sollen wie bei Stout, können sie in folgendem Zusammenhang gesehen werden:
- Bei Stout fehlt übrigens eine Entsprechung zum chemischen Strukturprinzip, das etwa beim relationalen Systemdenken verwirklicht wäre, wobei alle Objekte miteinander in Beziehung stehen und sich durch die Beziehungen bilden.
Da die Denkformen bei Hegel sich auf die Struktur des Seienden beziehen, gibt es auch bei diesen Überlappungen mit der Stoutschen Unterscheidung von Ontologien. Der differenzierten individuellen Ontologie entspricht keine der Schlussformen, denn die einzelnen Objekte/Momente sind unverbunden, unvermittelt. Der differenziert individuellen Ontologie entspricht die Denkform des formellen Schlusses, wobei das Allgemeine eine abstrakte Gemeinsamkeit darstellt. Die undifferenzierte relationale Ontologie entspricht der Denkform der Subsumtion. Die differenziert relationale Ontologie entspricht dem kategorischen Schluss, weil als Allgemeines etwas erfasst wird, was den einzelnen wesentlich zukommt. Allerdings erreicht keine der Denkformen die Vollständigkeit des disjunkten Schlusses, weil bei diesem alle Momente vorhanden sein müssen. Dieser Schluss kann nicht auf solche Verhältnisse zwischen Elementen und Systemen angewandt werden, wo es auf die konkrete Besonderheit der einzelnen Elemente und ihre genaue Anzahl nicht ankommt wie für menschliche Zusammenschlüsse, sondern nur für inhaltliche Bestimmungen.
Dies verweist auf einen wichtigen Unterschied zwischen Hegelschen Kategorien (die immer inhaltlich besondere Bestimmungen erfassen und nicht die Objekte selbst repräsentieren) und Vorstellungen über Objekte und ihre Beziehungen.
Endnoten:
[1] Stout, Margaret (2012): Competing Ontologies: A Primer for Public Administration. Public Administration Review, May/June 2012, p. 388-398. Siehe auch Stout, Margaret (2013): Logics of Legitimacy: Three Traditions of Public Administration Praxis. Boca Raton: Taylor & Francis Group.
[2] An einer Stelle referiert sie eine falsche Position über Hegel, bei dem der Staat „getrennt“ von seinen Bürgern existieren würde (ebd.: 392)
[3] Für „Staat“ lässt sich auch „Gesellschaft“ lesen, denn es geht inhaltlich nicht um die staatlichen Institutionen sondern um die Organisierung des Zusammenhalts in der Gesellschaft, für die es eine „sich auf sich beziehende Entwicklung“ (HW 10: 330) gibt.
Juni 18, 2020 at 8:41 pm
Hi Annette,
A colleague sent me a link to this blog. Thanks so much for the interest in my work on ontology and its relevance to governance! Interestingly, as the work progressed from 2010 (when I was writing the sources), I went much deeper into dialectical analysis (and Hegel), and produced a much-revised typology with Jeannine Love. You can see articles (but not books) on my academia.edu site. You may find that work of greater value. Also, you can reach me by direct email.
All the best,
Margaret