Dieser Text gehört zur Vorstellung des Buches „Omnia Sunt Communia“ von Massimo de Angelis.
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Kämpfe und Commons
Man kann auf Commons schauen als übriggebliebene Reste einer früheren allgemeinen Commons-Welt, die sich trotz aller Einhegungen noch erhalten haben. Oder man kann sich Commons erhoffen als fast natürliche Folge der Entwicklung des Kapitalismus, der die Grundlage für Freie Software, Wikipedia, veränderte Bedürfnisse und Fähigkeiten und ähnliche Voraussetzungen für neue Formen des Commoning geschaffen hat. Letztlich hat die Existenz aller Commons derzeit immer mit Kämpfen zu tun. Die „Reste“ haben sich erfolgreich allen Einhegungen widersetzt und die neuen Software- und Kultur-Commons kämpfen gegen alle Versuche, ihre Ergebnisse zu reprivatisieren. Die Beispiele, die Massimo de Angelis aus richtungsleitend betrachtet, sind vor allem Commons, die selbst gerade in Kämpfen, die auf Krisen folgten, entstanden und sich weiter entwickelten (auch bei Exner, Kratzwald 2011, Exner et al. 2021, Guilengue (Ed.) 2020 sowie Varvarousis et al. 2020 finden sich vielfältige Beispiele der engen Verbindung von Kämpfen mit Commons). Die Wasserassoziationen in Cochabamba sind z.B. Folgen der Wasserkrise und des ungerechten Umgangs damit durch die vorher dominierenden Praxen (de Angelis 2017: 304) und zeigen sich als konkrete Weise des Umgangs mit den sich daraus ergebenden Problemen. Sie sind bestimmt durch jene Praxen, gegen die sich sie richten und bestimmen sich durch ihren selbstgesetzten Zweck, der dem Zweck dessen, wogegen sie sich richten, entgegengesetzt ist.[1] Massimo de Angelis betont immer wieder, dass Commons sich dadurch bestimmen, dass sie eigene, neue Methoden der gesellschaftlichen Koordination und Strukturierung entwickeln, aber sich gerade damit gegen die dominierende Kapitalform gesellschaftlicher Beziehungen richten. Das „Nein“ gegen den Kapitalismus ist verbunden mit einem „Ja“ zu den Alternativen und da diese Alternativen in der Mehrzahl auftreten, gilt die Losung: „One no many yeses“ (Midnight Notes 1997, vgl. de Angelis 2017: 348).
Wenn es um Kämpfe zwischen kapitalbasierten und Commonskräften geht, so ist an die traditionellen Kämpfen im und gegen den Kapitalismus zu erinnern. Aus der Sicht von Vertretern des sog. „autonomen Marxismus“[2] steht nicht nur der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung innerhalb der Produktion (die Enteignung des Mehrwerts) im Mittelpunkt, sondern der in Abbildung 2 dargestellte Reproduktionskreislaus des Kapitals enthält in allen Übergangsphasen auch Möglichkeiten der Unterbrechung durch kämpferische Interventionen. Marx erwartete zeit seines Lebens bei jeder Krise die Möglichkeit eines revolutionären Bruchs. Dass dieser bisher nicht durchgängig erfolgreich war, zeigt keinen theoretischen Fehler an, sondern ist eine Folge der jeweiligen konkreten Kräfteverhältnisse.[3] Die Kämpfe selbst sind unübersehbar: Bei der versuchten Umwandlung von Geld (oder Macht) in Waren setzt der Widerstand gegen Einhegungen oder gegen ökologische Zerstörungen sowie der Kampf gegen Privatisierungen ein. In der Produktion finden Arbeitsplatzkämpfe statt wie Streiks, Sabotage oder auch Betriebsbesetzungen. Bei der Umwandlung von Waren in (mehr) Geld kann mittels Produktpiraterie, Boykotts oder kollektiver Wiederaneignung gegengehalten werden. Jedes Moment des Kapitalkreislaufs kann als Moment von Kämpfen gesehen werden. (de Angelis 2017: 187).[4] Aus dieser Sicht ist die Bewegung des Kapitals in keiner Weise die eines „automatischen Subjekts“, sondern in den sog. „Gesetzen“ des Kapitals sind Gegenstrategien enthalten (ebd.: 188), es kommt nur auf das jeweilige Kräfteverhältnis an.

Abb. 5: Kreislauf der Kämpfe im Kapitalismus,
u.a. nach Bell, Cleaver 1982/2002 (aus Stafford, Folie 4)
Gleichzeitig ist auch die Existenz der Commons nie von Kämpfen trennbar, denn Einhegungen und Gewalt sind „immer eine Möglichkeit“ (de Angelis 2017: 162). Deshalb müssen Commons in ihrer eigenen Konstitution und ihrer eigenen Reproduktion dagegen resilient und robust sein.
Gegen alle Praxen von Herrschaft, Ausbeutung, Einhegung und Entwürdigung erhalten sich Commons selbst, das „Commoning ist die Art und Weise, wie sich der Kampf um Freiheit verwirklicht: indem man frei ist“ (de Angelis 2017: 204). Freiheit bedeutet vor allem, zusammen mit anderen die Bedingungen des eigenen Tuns zu formen (ebd.: 204) und damit auch Grenzen gegen andere Möglichkeiten zu setzen (ebd.: 205), wie sie sich auch immer historisch konkret darstellen mögen. Diese jeweiligen abwehrenden Grenzen gehören zur Bestimmung der Commons, die Bestimmung kann nicht von ihnen abstrahieren.
Auf diese Weise erklärt es sich, dass das Entwickeln der je eigenen Praktiken und der Kampf gegen die nicht erwünschten Alternativen immer zusammen gehören, deshalb bilden sich die Commons als „aktivistische Commons“ heraus (de Angelis 2017: 231). Allerdings müssen sich Commons erst zu wirklich aktiven sozial/ökologischen Kräften herausbilden, sie sind es nicht automatisch. Das tut ihnen aber gut, denn gerade aus Kämpfen heraus wird die Entwicklung von Commons gefördert. Soziale Kräfte entstehen und erweitern sich und entwickeln effektive transformative Kraft vor allem insofern, als das notwendig für sie ist sich zu erhalten und zu reproduzieren (de Angelis 2014: 10).
Ergebnisse des Kampfes müssen dann konsolidiert werden in entsprechenden Eigentumsansprüchen. De Massimo verwendet nicht exakt den Begriff von Marx und Engels von Eigentum als „Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“ (MEW DI: 22), sondern er bestimmt Eigentumsrechte als ein Bündel von Rechten, um bestimmte Handlungen zu vollziehen (de Angelis 2017: 253). Die Eigentumsgrenzen gehören zu den Commonsgrenzen, zu den „soziale[n] Membrane[n], die soziale Systeme umgeben“ (ebd.: 257). Das heißt, es müssen nicht nur die eigenen Bestandteile, Praxen und Strukturen reproduziert werden, sondern auch die Eigentumsrechte müssen eingefordert und aufrecht erhalten werden. Auf diese Weise wird die Marxsche Betonung der Eigentumsverhältnisse gerechtfertigt, aber die Frage des sog. „gesellschaftlichen Eigentums“ wird näher konkretisiert auf Verhältnisse, in denen nicht ein sich von der Gesellschaft lösender Staat die Eigentumsrechte übertragen bekommt.
Insofern die unterschiedlichen, sich gegeneinander abgrenzenden Reproduktionseinheiten mit den unterschiedlichen Bestimmungen/Zwecken (Kapitalakkumulation vs. Systemreproduktion) durch ebenso gegeneinander gerichtete menschliche Interessen vertreten werden, kann beim Kampf der Menschen für diese ihre jeweiligen Interessen durchaus auch von Klassenkampf gesprochen werden. De Angelis weitet die von Marx betonte Klasse der arbeitenden Menschen aus auf alle, die als Commoners – und in diesem Sinne gegen den Zweck der Kapitalakkumulation – agieren.
Bewegungen und Commons
Der Klassenkampfbegriff ist damit in einer Form weiter entwickelt, dass er fast deckungsgleich mit den sozialen und ökologischen gegen den Kapitalismus gerichteten Bewegungen aller Welt ist. Commons können zwar fast als Organisationsmodell der Kämpfe selbst gelten (so in der Occupy-Bewegung ab 2011) (de Angelis 2017: 10), aber es bleibt weiterhin zu unterscheiden zwischen Bewegungen und Commons. Nicht jedes Commons ist eine Bewegung und nicht jede Bewegung ist ein Commons. Bewegungen reproduzieren sich nicht notwendigerweise selbst wie die Commons. Trotzdem können sich Bewegungen und Commons gegenseitig bestärken. Bewegungen erhöhen die Macht der Commons, sich zu reproduzieren und zu verstärken und die erweiterten Commons-Ökologien sind die Basis für machtvollere Bewegungen (ebd.: 371). De Angelis zitiert aus einem Text der „Midnight Notes and Friends“: „Die Kämpfe stärken die Commons und weiten nichtkommerzialisierte Beziehungen und Bereiche aus“ (Midnight Notes and Friends: 2010: 14, zit. in de Angelis 2017: 351). Bewegungen vollziehen sich in Wellenbewegungen, auch Commons haben zyklische Verläufe und diese können einander verstärken. Bewegungen können Ereignisse anstoßen, aus denen wenigstens zeitweise Commons entstehen (wie besetzte Plätze), aus denen sich dann stabilere, sich selbst reproduzierende Commons entstehen können (wie urbane Gärten, Küchen für alle etc.) und die entstandenen bzw. gestärkten Commons bilden eine Basis für weitere Bewegungskämpfe usw. usf.. Bewegungen erhöhen die Macht der Commons, sich zu reproduzieren und zu verstärken und die erweiterten Commons-Ökologien sind die Basis für machtvollere Bewegungen (Angelo 2017: 371) In sozialen Revolutionen synchronisieren sich nach de Angelis diese Zyklen in besonderem Maße, Teilnehmende an Bewegungen werden Commoners, Commoners werden Teilnehmende an Bewegungen (ebd.). Die Verflechtung von Bewegungen und Commons zeigt auch die Zusammengehörigkeit der Konstitution des Neuen mit dem Kampf gegen das Alte. De Angelis bezieht sich auf die Losung „One NO many YESes“ (vgl. ebd.: 348). Das eine „No“ artikuliert sich allerdings auch in vielerlei Hinsicht. Es bedeutet keine Unterordnung unter einen „Hauptwiderspruch“, sondern führt die vielen Kämpfe gegen die derzeit dominierende Macht des Kapitals zusammen, ohne die Vielfalt und Eigenständigkeit zu zerstören. Zusammen müssen sie aber kommen. Das „No“ ist ein vielstimmiges No und ihr Gemeinsame haben all die emanzipativen Bewegungen darin, dass sie sich letztlich gemeinsam in Richtung des Horizonts des „the common“ hinbewegen, in dem ihre Vielfalt wiederum nicht erdrückt wird, sondern konstituierend wirkt. De Angelis schreibt: „Ich gehe von einer verallgemeinerten Mutation der zeitgenössischen sozialen Bewegungen zu Commons-Bewegungen aus“ (ebd.: 25). Wichtig ist die Überwindung der vielfältigen Spaltungen entlang „Rasse“, Geschlechtern, Migrant*innen und „Bürger*innen“ usw. auf diesem Wege. Viele Kämpfe, die sich zuerst nur auf eine Verbesserung der Lebenslage innerhalb des Systems ausrichten, können aus dieser Begrenzung herausbrechen (vgl. Midnight Notes 2010: 13ff.). Auch hier kommen qualitative Umbrüche vor bzw. können organisiert werden, so dass ein Gegeneinander- Ausspielen von „reformerischen“ und „revolutionären“ Strömungen nicht konstruktiv ist.
[1] Eine „Bestimmung“ verweist zwar auf das, „was etwas in seinem Begriffe ist“ (WdL I: 130), aber dies wird nur konkret als „Sein-für-Andere“ (ebd.: 132), so dass eine wirkliche Bestimmung auch das Sein-für-Andere in sich enthält, also die Grenze. Ohne eine Grenze, d.h. den Bezug auf das, was außerhalb seiner ist, gibt es keine Bestimmung. D.h.: „Etwas ist nur in seiner Grenze und durch seine Grenze das, was es ist.“ (Hegel EnzI: 197).
[2] vgl. zum autonomen Marxismus auch Schlemm 2017.
[3] Die Negierung der Bedeutung solcher Kämpfe ist selbst ein schwächender Faktor für jene, die den Bruch anstreben.
[4] Eine aktuelle Übersicht von 2010 geben die Midnight Notes 2010.
August 15, 2021 at 8:32 pm
[…] Dabei wurde auch diskutiert, ob der Aufbau solcher Projekte nicht viel Kraft aus den Bewegungen abzieht. Hier konnte ich an die Überlegung von Massimo de Angelis erinnern, der vorschlug, dass sich Bewegungen und (Commons-)Projekte gegenseitig bestärken und voranbringen könnten (mehr siehe hier). […]