Dieser Beitrag gehört zum Thema: „Mentalitäten und sozial-ökologische Transformation“
Dennis Elversberg von der Forschungsgruppe „Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften“ (flumen) in Jena untersuchte die Vielfalt solcher individuellen Mentalitäten. Hierzu wertete er Befragungen im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts aus. Es geht ihm dabei um die „“Landschaft“ der in der Bevölkerung verbreiteten Einstellungsmuster“ (Eversberg 2020: 7). Für die Auswertung verwendet er eine Diagrammdarstellung des „sozialen Raums“, die von Pierre Bourdieu entwickelt worden war. Auf der Y-Achse nach unten/oben wird das Maß an „Kapital“ (gemeint ist „Vermögen“) dargestellt, wobei zu „Kapital“ bei Bourdieu das ökonomische Kapital (wie das Geldvermögen), das kulturelle Kapital (wie der Bildungsgrad), das soziale Kapital (wie soziale Verpflichtungen und „Beziehungen“) und das symbolische Kapital (wie Reputation) zählt. Auf der X-Achse auf der linken Seite ist das kulturelle Kapital wesentlich höher als das ökonomische Kapital und rechts das ökonomische Kapital wesentlich höher als das kulturelle Kapital. (siehe die folgende Abbildung mit Beispielen aus Röding 2017: 6).
Die Y-Achse wird dann üblicherweise unterteilt in die „Unterprivilegierte“ (das untere Drittel), die „Mittelklasse“ (in der Mitte) und die „Privilegierten“ (im oberen Drittel). Die Unterscheidung zwischen den beiden Polen auf der X-Achse entspricht auch der Unterteilung in „traditionelle“ bzw. „moderne“ Milieus, was wohl durchaus auch mit entsprechendem Wahlverhalten („rechts“ und „links“ im wahrsten Sinne des Wortes) korrelieren soll. Anders formuliert stellt die X-Achse auch ein „Kontinuum von autoritären über hierarchiegebundene und eigenverantwortliche bis hin zu avantgardistischen Dispositionen“ (Eversberg u.a. 2021: 36) dar. Bei der Bildersuche im Internet ist mir übrigens aufgefallen, dass diese Abbildung häufig bei der Lokalisierung von Zielgruppen im Marketing verwendet wird.
Auf dieser Grundlage wertete Dennis Eversberg Ergebnisse der Befragung von 2000 Menschen im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2018 aus. Das war, und dies ist nicht unwichtig, nach dem „Hitzesommer“, aber noch vor der Entstehung der Fridays for Future-Bewegung. Durch eine Faktorenanalyse ermittelte er die Verteilungen der Antworten entlang von 6 Fragestellungen (Dimensionen, wie die obige Y- und X-Achse). Ein Beispiel: Wie sehr bejahen Befragte proökologische Aussagen oder stehen ihnen distanziert gegenüber? Wie sehr begrüßen sie Veränderungen oder wehren sich dagegen? Mit einer Clusteranalyse kann man dann feststellen, wie oft Positionen bezüglich der einen oder anderer Positionen „besetzt“ sind und es ergeben sich üblicherweise Häufungen und Lücken bzw. Abschwächungen der Häufigkeit zwischen diesen Häufungen. Die einzelnen Antworten eines Menschen können bezüglich unterschiedlicher Fragestellungen durchaus in unterschiedlichen Clustern liegen, schon deshalb kann man mit den Punkten in den Clustern nicht einzelne Menschen identifizieren oder die Cluster einfach als „Menschengruppen“ verstehen wollen.
Im Ergebnis fand Eversberg elf „“Felder“ vergleichbarer Einstellungsmuster“ (Eversberg 2020: 14), die sich noch einmal zu drei Grundformen zusammen fassen lassen. Diese Einstellungsmuster werden dann mit einer beschreibenden Bezeichnung benannt und können weiter charakterisiert werden. Folgende 11 Muster wurden gefunden: 1. ökosozial-aktivbürgerlich, 2. voluntaristisch-individualistisch, 3. zufrieden-ökosozial, 4. prekär-veränderungsoffen, 5. zufrieden-träge, 6. zufrieden-konsumistisch, 7. prekär-defensiv, 8. pseudoaffirmativ-beharrlich, 9. antitransformatorisch-aktivbürgerlich, 10. selbstzentriert-ignorant, 11. antiökologisch (genauere Beschreibung siehe Eversberg 2020: 35ff.). Warnender Hinweis: versucht nicht, Euch oder andere Menschen jeweils zu einem Muster zuzuordnen!
Die Lage dieser Muster im Diagramm der Mentalitäten wird folgendermaßen dargestellt (ebd.: 89):
Januar 24, 2022 at 6:59 pm
Liebe Annette,
vielen Dank für Deine zusammenfassende Darstellung!
Vermögen und Kapital Gleichzusetzen ist wie der Versuch, den Transistor mithilfe der Newtonschen Mechanik erklären zu wollen, nicht wahr?
Januar 25, 2022 at 9:56 am
Naja, man kann auch für bestimmte Fragen innerhalb der Newtonschen Mechanik bleiben. Es hat isich in der Soziologie wirklich durchgesetzt, dass sich viele an die Konzepte von Bordieu halten. Ich nehm das mal als deren Fachsprache. Ob und wie man die klassentheoretisch „re-interpretieren“ kann, ist dann die zweite Frage. Hier sind wohl auch eh nur Menschen befragt worden, die im wesentlichen keine großes Ausmaß an Eigentum an Produktionsmitteln haben, sondern es werden Differenzierungen deutlich, zwischen den anderen, die verhindern, dass sie sich zusammen tun. Dies zu kennen, ist m.E. enorm wichtig.
Januar 25, 2022 at 5:06 pm
Vielen Dank für Deine Antwort. „Bor“ sagt mir was, auch „dieu“ – nun gut, er kann nichts für seinen Namen. – In der Tat sind die jeweils herrschenden Klassen bei weitem nicht so gleichförmig, wie uns die nurmehr Epigonen des Marxismus-Leninismus mit ihrer Vulgär-Dialektik glauben machen wollten.
Januar 25, 2022 at 5:17 pm
Falls Dich mehr interessiert: https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu. Hier gibts auch ein Buch über sein Konzept online: https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/90/fa/e3/oa9783839401026.pdf.