Dieser Beitrag gehört zum Thema: „Mentalitäten und sozial-ökologische Transformation“


Es wäre verfehlt, das Wissen über die vorhandenen Mentalitäten wie in Zielgruppen-Marketingstrategien nutzen zu wollen, um Menschen manipulierend in die eigene Richtung drängen zu wollen. Aber es ermöglicht, „Vorschläge, Anknüpfungspunkte und Strategien für einen solchen Wandel zu benennen, der einerseits durchgreifend genug wäre, um diese historisch neue Herausforderung zu bewältigen, andererseits aber global ausreichend demokratische Unterstützung erhielte, um auch im Konflikt mit den strukturell verankerten fossilen Steigerungsimperativen und um den unvermeidbar extrem hohen monetären Preis, den er mit sich brächte, durchsetzbar zu sein“ (Eversberg u.a. 2021: 82). Gleichzeitig können aber auch Gegenkräfte erkannt werden, wo die Unterschiede zwischen den Mentalitäten durch gegensätzliche Kräfte bestimmt sind, die sich weder durch Aufklärung noch durch andere Praxen „versöhnen“ lassen.

Die folgende Abbildung (aus Eversberg 2020: 106) zeigt die mit den Mentalitäten verbundenen Varianten von Wandlungskonzepten (die im Text von Eversberg 2020: 9-10 auch erläutert werden):

Für das liberal-steigerungsorientierte „Lager“ (gemeint sind Mentalitätencluster, nicht Menschen!) ist zu erwarten: „Je deutlicher sich herausstellt, dass ein nachhaltiges Umsteuern und eine konsequent post-fossile Wirtschaft ohne erhebliche soziale Anpassungsleistungen gerade der am meisten Privilegierten in der Gesellschaft nicht zu haben sein werden, desto attraktiver wird das Bündnis mit den offen veränderungsfeindlichen Kräften, die ihre gewohnten Praxismuster ohne Rücksicht auf die Konsequenzen und auf Kosten anderer auf fossiler und/oder atomarer Basis zu verteidigen suchen“ (ebd.: 108). Es könnte durchaus sein, dass sich „Tendenzen einer Polarisierung zwischen eindeutiger ökosozial motivierten Modellen auf der einen und fossilistischer Abwehr auf der anderen Seite durchsetzen“ (ebd.: 109). Dennis Eversberg betont, wie wichtig es ist, die Widerstände gegenüber dem, was in Klimabewegungen als notwendig anerkannt wird, nicht nur bei politischen Eliten, sondern auch in der Bevölkerung, ernst zu nehmen:

„Mindestens ein Drittel der Bevölkerung scheint einer bio-basierten Transformation ganz grundsätzlich das Festhalten an einer fossilen Wirtschaftsweise (oder einem auf Atomenergie basierenden Wirtschaftsmodell) vorzuziehen und gibt dem Erhalt der eigenen Lebensweise Priorität gegenüber den Interessen kommender Generationen oder von Menschen in anderen Teilen der Welt sowie dem Erhalt lebenswichtiger Ökosysteme.“ (ebd.: 111)

Eine interessante Ergänzung stellt Dennis Eversberg in einem Text vor, in dem es nicht nur um allgemein um Umwelt- und Klimathemen geht, sondern speziell um den Umgang mit Covid-19  aus Sicht der Mentalitätsforschung. Hier wird das Trilemma zwischen den Anforderungen einer sich selbst als freiheitliche und die Menschenrechte garantierenden Gesellschaft, den Strukturen des Kapitalismus und der Natur dargestellt (Eversberg 2021):

Innerhalb dieser nicht einfach in Übereinstimmung zu bringenden Faktoren sind die Mentalitäten einzuordnen, so dass 1. das liberal-steigerungsorientierte Mentalitätsspektrum („liberal-escalatory“) Rechte und Freiheiten im Kapitalismus – auch gegenüber Anforderungen aus ökologischer Hinsicht – verteidigt. 2. stehen die ökosozialen Mentalitäten („ecosocial“) für eine Verbindung von Rechten, Freiheiten und ökologischen Belangen – und stehen damit den kapitalistischen Imperativen gegenüber. 3. verbinden die regressiv-autoritären Mentalitäten eine statische Naturvorstellung mit herrschenden kapitalistischen Strukturen und stellen sich deshalb erweiterten Ansprüchen an Freiheit und Rechten entgegen. Wie auch bei Covid-19 stehen sich als gesellschaftliche Ziele das Überleben der Verletzlichsten, die Verteidigung der Demokratie und das Vermeiden von ökonomischer Depression gegenüber und werden auf verschiedenartige, im allgemeinen konfliktartige, Weise durch Interessen von Menschen mit den damit verbundenen Mentalitäten angestrebt.

Meines Erachtens unterschätzen diese Überlegungen doch die fundamentale Unterscheidung zwischen der herrschenden Kapitalmacht und den anderen „Vermögensformen“, die Bourdieu in diesen Kontext einbrachte. Die kapitalistischen Mächte haben ein großes Übergewicht, ein extremes, durch Recht, Militär und Polizei geschütztes Durchsetzungspotential ihrer Interessen, die den durch Konkurrenz untereinander vermittelten Zwang zu Profit und Wachstumstendenzen ein so großes Beharrungsvermögen ermöglichen, gegen die zivilgesellschaftliche und bürgerlich-demokratische Alternativen so gut wie keine wirkliche Chance haben. In klimapolitischen Texten werden diese Mächte eher vorsichtig als „Barrieren“ angesprochen, aber ihre tiefe Verwurzelung in den Grundlagen der herrschenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung wird verschwiegen. Demgegenüber wäre eine Benennung dieser grundsätzlich entgegen gerichteten Klasseninteressen stark zu machen. Der dabei verwendete Klassenbegriff muss ja nicht auf die (bei Eversberg irgendwo genannte) Umverteilungspolitik (zwischen oben und unten) beschränkt sein. Tragbarer ist hier sicher ein Klassenbegriff, der genau das besondere Recht, aus dem Eigentum an Produktionsmitteln heraus über den Ziel und den Zweck der Arbeit zu bestimmen, in den Fokus nimmt. Wenn aufgrund dieser Stärke des Mentalitätssektors „rechts oben“ der „links-ökologische“ Sektor systematisch in einer schwachen Position steht, so liegt es nahe, dass die mögliche Verbindung zwischen kapitalistischer Beharrung und regressiv-autoritären Tendenzen mehr und mehr als Sieger aus dem Ringen um das Trilemma hervorgeht.

Aus der Unmöglichkeit, ohne eine grundlegende Verändern der Entscheidungsrechte über die (Ziele und Zwecke der) Verfügung der Produktionsmittel bleiben die für das Verhalten und die Mentalitäten wesentlichen Strukturen auch sakrosankt und höchstens in Nischenbereichen in alternativer Weise gestaltbar und für dementsprechende Haltungs- und Verhaltensänderungen wirksam. Wir bleiben im Teufelskreis: Einerseits brauchen wir neue Strukturen, damit Menschen die Erfahrung eines besseren Lebens in einer klimagerechten Welt machen und ihre Mentalitäten ändern können und andererseits bräuchten wir genug Menschen, mit denen wir die Änderung der Strukturen erzwingen können, ohne gegen eine Mehrheit der von ihnen existenziell abhängigen Menschen agieren zu müssen.