Dieser Beitrag gehört zum Text über „Klassenanalyse bei Werner Seppmann“
Werner Seppmann sieht die Aufgabe der Klassenanalyse[1] darin, „die realen Formen von Macht und Abhängigkeit, sowie die Ursachen sozialer Ungleichheit zu analysieren und die ökonomisch vermittelte (und politisch forcierte) Dynamik von Ausgrenzung und Prekarisierung […] zu erklären“ (Seppmann 2017: 12).
Dem Kapital kommt dabei eine „Gestaltungsmacht“(ebd.: 143) zu, die in vielen neueren soziologischen, auch linken und anderen alternativen Theorien nicht mehr angesprochen wird, und die deshalb bei transformatorischen Konzepten systematisch unterschätzt wird. Der „Kern der bürgerlichen Klassenherrschaft“ besteht nach Seppmann in der „Verfügungsgewalt über andere Menschen“ (ebd.: 146) – und dies in historisch sich verändernden Weisen. Dabei ist auch in den „Wirtschaftswunder“-Jahren der BRD die klassenförmige Struktur der Gesellschaft nicht verschwunden: 1978 verfügten 1,7% der westdeutschen Privathaushalte über 70 % des Produktivvermögens (ebd.: 7).
Die „neoliberale Phase“ des Kapitalismus (auf die wir weiter unten noch genauer zurückkommen) brachte eine Verschärfung mit sich: Die Lohnquote[2] sank zwischen 2000 und 2007 um 9 Prozent. Und vor allem im Zusammenhang mit der sog. „Prekarisierung“ wurde die Klassenstruktur weitgehend neu geordnet. Spätestens daraus ergibt sich die „Aktualität der Klassenfrage“ (ebd.: 7). „Soziale Rückstufung und die Ausschließungsvorgänge“ müssen dabei als „Konsequenz einer Klassendominanz“ verstanden werden (ebd.: 152). „Wer davon nicht reden will, sollte über Prekarisierung schweigen!“ (ebd.)
Dabei gilt es durchaus, einen Unterschied zwischen der Klassenstruktur und dem Handeln von Klassen zu berücksichtigen, denn „[a]us der ökonomischen Strukturierung und den daraus resultierenden objektiven Widerspruchstendenzen lässt sich kein automatisches Klassenhandeln ableiten“ (ebd.: 13).
Eine ››Klasse‹‹ ist bei Seppmann „eine Struktur-Kategorie“. Ihr kann „nicht linear ein Handlungshorizont zugeordnet werden“ (ebd.). Die Arbeiterklasse wird letztlich relational bestimmt, denn das sind: „alle Menschen, deren soziale Existenz durch den objektiven Gegensatz zum Kapital geprägt ist“ (ebd.: 13-14).
Vorausgesetzt ist hier, dass man die Ebenen von Allgemeinem, Besonderen und Einzelnem unterscheiden, aber in ihren gegenseitigen Vermittlungen begreifen muss, was auch Jürgen Ritsert ausarbeitet. Er verbindet den „Zusammenhang zwischen den allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen und Tendenzen, besonderen Institutionen (institutionellen Mechanismen) bis hin zu einzelnen Lebensäußerungen der Individuen“ (Ritsert 1998: 77) mit dem Vermittlungsbegriff „Interesse“.[3]
[1] Klassenanalyse wird im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus bestimmt als „Bereich der Gesellschaftsanalyse, in dem die vertikale und horizontale sozialstrukturelle Gliederung der Gesamtbevölkerung nach sozialökonomischen und, darauf aufbauend, macht- und herrschaftspolitischen sowie kulturell-habituellen Unterscheidungskriterien in ihrem wechselseitigen Bedingungsgefüge untersucht wird“ (Steiner 2008: 776) Zur Herausbildung unterschiedlicher Klassenbegriffe siehe auch Prokla-Redaktion 2014: 155ff..
[2] Lohnquote: prozentualer Anteil des Entgelts für Arbeitende (Bruttolöhne, Sozialbeiträge) am Volkseinkommen.
[3] Werner Seppmann plante im 6. Band seiner „Klassenanalysen“, auf „Methodenfragen der Klassenanalyse“ einzugehen.
Kommentar verfassen