Dieser Beitrag gehört zum Text über „Klassenanalyse bei Werner Seppmann“


Wenn man eine Struktur untersucht, so nimmt man an, dass das Untersuchte aus Komponenten besteht, die miteinander zusammenhängen. Dabei sind die Komponenten voneinander unterscheidbar, aber eben auch miteinander zusammenhängend, wechselwirkend. Sie beziehen sich häufig gerade aufgrund ihrer Unterschiede oder sogar Gegensätze aufeinander. Wenn zur Arbeiterklasse „alle Menschen, deren soziale Existenz durch den objektiven Gegensatz zum Kapital geprägt ist“ (Seppmann 2017: 13-14) gehören, dann bestehen die Hauptkomponenten in einem solchen System aus den Klassen „Arbeiterklasse“ und „Kapitalistenklasse“[1], die sich durch ihre Gegensätzlichkeit bestimmen und als Gesamtes (d.h. die durch die Beziehung begründete Einheit des Gegensatzes) das spezifische kapitalistische Klassenverhältnis bilden.

Bezogen auf die Arbeiterklasse besteht deren Besonderheit in diesem Verhältnis darin, dass ihr sozialer Status „wesentlich durch das Lohnarbeitsverhältnis als einer Existenzbedingung bestimmt“ ist, „die den Wechselfällen der kapitalistischen Akkumulation unterworfen, also durch Unsicherheit und soziale Unwägbarkeiten charakterisiert ist“ (ebd.: 14). Auf dieser für alle Menschen aus der Arbeiterklasse gemeinsamen ökonomischen Basis kann es natürlich „unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung“ geben (MEW 26.1: 800). Dies sei schon einmal voraus gesetzt gegen die Argumente jener, die sich einseitige „Pappkameraden“-Begriffe vorstellen, an denen sie sich dann abarbeiten können und mit deren Kritik sie sich z.B. von der Arbeiterklasse als bedeutsamem Begriff verabschieden (Seppmann 2017: 80).

Gendersensibel müssten diese Begriffe umformuliert werden zu „Arbeitskräfteklasse“ und „Klasse der Personen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellt“, was aber die Kontinuität des gemeinten Inhalts verwischt. Wie später ausgeführt wird, betrifft die Kennzeichnung eines Menschen als einer Klasse zugehörig auch nicht seine individuelle vollständige Bestimmung, sondern tatsächlich lediglich die „Klassenindividualität“. Vor allem für die Kapitalist:innen hat Marx mehrmals deutlich gemacht, dass diese auch nicht in ihrer vollständigen Individualität betrachtet werden, sondern als „Charaktermasken“ (MEW 23: 91, 100, 163, 591; vgl. Elbe 2002).

Nicht mit „Klassen“, sondern mit „sozialen Lagen“ arbeitet der 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2021, Bild aus Kurzfassung S. XIX) und hier wird ein recht bekanntes „Schichten“-Bild verwendet:

Daran zeigt sich, dass die traditionelle Mittelklassen (das „Kleinbürgertum“) nicht verschwinden, wie Marx noch im Kommunistischen Manifest angenommen hatte (MEW 4: 469, vgl. Seppmann 2017: 94), allerdings werden sie auch nicht mächtiger und ihre Rolle verändert sich; viele aus dieser Schicht werden an den sozialen Rand gedrängt. Es gibt keine größere Durchgängigkeit „nach oben“: „83 Prozent der Akademiker-Kinder absolvieren ein Hochschulstudium, jedoch nur 23 Prozent der Kinder von Nicht-Akademikern“ (ebd.: 128). Derzeit schieben sich „die krisengeprägten Realitäten von Unter- und Mittelschichten […] ineinander“ (ebd.: 136).

Solche Theorien, in denen nur eine quantitative Einkommens- oder auch Lebenslagenabstufung erfolgt, verschleiern, dass letztlich Klassenverhältnisse vorliegen. Diese sind wie Seppmann hier zitiert, „spezifisch asymmetrisch; es sind nicht umkehrbare Verhältnisse zwischen Ungleichen, in denen die einen deutlich mehr können als die anderen“ (Benschop, Krätke, Bader 1998: 8). Nicht zufällig sind „Zwei Drittel der Einkommensmillionäre […] Unternehmer“ (Dahn 2004a: 15). Bei einer bloßen quantitativen Unterscheidung fehlt der fundamentale gegensätzliche Zusammenhang zwischen Armen und Reichen, der auch als „Kausalmechanismus“ zwischen dem Glück der Starken und der Not der Schwachen (Graf, Lucht, Lütten 2022, siehe auch Graf, Puder 2022) diskutiert wird.

In einer Klassentheorie werden nicht nur Ungleichheiten quantifiziert, sondern es werden „die Mechanismen aufgezeigt, die im Ergebnis zu diesen Ungleichheiten führen“ (Prokla-Redaktion 2014: 154) Der basale Mechanismus ist demnach die Ausbeutung, die auf die Tatsache verweist, dass die Reichen deshalb mehr haben, weil die Armen wenig haben. Das verweist auch darauf, dass das Verhältnis zwischen den einen und den anderen ein asymmetrisches und letztlich antagonistisches Herrschaftsverhältnis ist, auch wenn sie einander brauchen. (ebd.)

Die gesellschaftlichen Beziehungen bestehen in einer Gesellschaft nicht einfach zwischen „Mensch A“ und „Mensch B“, sondern die konkrete Gesellschaft „drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehen“ (MEW 42: 189), und dies tun sie im Kapitalismus in wesentlichen Fragen als Akteure der Kapitalseite oder der Seite der Arbeitenden. (Marx kritisiert im genannten Zitat Proudhon, der diese wesentlichen „Unterschiede übersehen“ hat.)


[1] Genauer gesagt wirken Handlungen von Menschen aus diesen Klassen; die „Klassen“ sind selbst keine handelnden Entitäten.


Hier gehts weiter…