Dieser Beitrag gehört zum Text über „Klassenanalyse bei Werner Seppmann“
Wie über das Klassenverhältnis gedacht wird, hängt stark mit seiner Realität zusammen. Unter den im frühen und mittleren 20. Jahrhundert vorherrschenden sog. „fordistischen“ Produktionsbedingungen entstand die Möglichkeit, dass die Interessen sider Kapitalist:innen nach einem hohen Umsatz und der Arbeiter:innen nach mehr Konsumgütern in einer Art „Win-Win-Situation“ durch die Entstehung der Massenproduktion befriedigt werden konnten. Es entstand an einigen privilegierten Stellen der Welt eine Art „Prosperitätskapitalismus“ (Seppmann 2017: 143); in der Nachkriegs-BRD wird von einem „Wirtschaftswunder“ gesprochen. Seppmann kennzeichnet diese Zeiten als „Sonderphase der kapitalistischen Ökonomie“ (ebd.: 21), bzw. „Sonderkonjunktur der Nachkriegszeit“ (ebd.: 57). Diese Zeiten sind immer noch Referenzvorstellungen für vieles, was Menschen auf aller Welt heutzutage ökonomisch anstreben.
Vorbild für die Produktionsweise jener Zeit war die Art und Weise der Produktionsorganisation wie bei Ford, basierend auf optimierten, meist fließbandartigen Produktionstechniken. Noch gab es ein Industrieproletariat einen Kern der Arbeiterklasse mit den wesentlichen Merkmalen: „alltagspraktisch erlebte relative Homogenität der Lebenslagen […], die solidarische Orientierungen nahelegten und erleichterten“ (ebd.: 15). Es lag noch eine „gemeinsame Erfahrungsbasis“ vor und „kollektive Konflikterlebnisse in der Arbeitswelt“ (ebd.). Aber auch damals gab es schon Spaltungstendenzen; bereits Engels hatte sie zwischen britischen und irischen Arbeitskräften festgestellt. Auch eine deutliche Ungleichverteilung gab es stets. Im Jahr 1950 hatten einen Anteil 80,1 % der Bevölkerung, aber nur 41,7% des Volkseigentums. Da der zu verteilende Kuchen insgesamt wuchs, wurden die Kuchenstückchen für die Lohnabhängigen auch mit größer (ebd.: 22). Außerdem wurden in dieser Zeit die sozialen Sicherheitssystem deutlich ausgebaut (ebd.: 23), was auch mit der Systemkonkurrenz zusammen hing.
In der Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts (wie lang her klingt das inzwischen!) kam es zu einer ökonomischen Stagnation, die Wachstums- und Akkumulationsraten sanken ebenso wie das Realeinkommen. Die Märkte waren gesättigt und schrumpften sogar (ebd.: 50). So etwas ist noch lange nicht das Ende des Kapitalismus, sondern nun reagierte die Kapitalseite auf den „tendenziellen Fall der Profitrate“ mit der Stärkung der von Marx erwähnten „gegenwirkenden Einflüssen (MEW 25: 242). Das waren „die Einrichtung von Zonen prekärer Arbeit, die Intensivierung der Ausbeutung durch Rationalisierungsmaßnahmen, zunehmend auch eine arbeitsorganisatorisch erzwungene ››Verdichtung‹‹ der Arbeit ohne zusätzliche technologische Flankierung“ auf Grundlage einer „Steigerung der betrieblichen Leistungsanforderungen bei gleichzeitigem Personalabbau“ (Seppmann 2017: 88). Die damals aufkommende Massenarbeitslosigkeit erklärt sich nicht direkt aus der Arbeitsproduktivitätssteigerung, sondern durch Strategien des Kapitals (Eine Produktivitätssteigerung könnte zur Ausweitung der Produktion oder zur Verdrängung lebendiger Arbeit eingesetzt werden (ebd.: 50)). Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland (iwd 2012, leicht verändert):
Aus marxscher Sicht kann nur lebendige Arbeit Wert und Mehrwert als Profitgrundlage schaffen. Wenn weniger Menschen dafür eingesetzt werden (sollen), müssen diese stärker ausgebeutet werden. Wertkritiker:innen die (scheinbar[1]) sinkenden Zahlen an Arbeitskräften als „absolute innere Schranke der Kapitalverwertung“ mit der Erwartung, dass der (Kapital-)Verwertungsprozess „an sein definitives Ende“ komme. (Kurz 2021: 44) , was dann aber insoweit relativiert wird, als dass tatsächlich in einer neuen Krise der Kapitalismus NICHT „unmittelbar im aktuellen Zeithorizont zerschellt, was sowieso niemand behauptet hatte“ (ebd.: 50). Aber wenigstens soll mit den neuen großen Krisen ein qualitativer Bruch erreicht worden sein, mit dem ein irreversibles Stadium begonnen wurde, bei dem der Weg hin zur „absoluten Schranke“ nicht mehr zu umgehen sei (ebd.: 51) Dies setzt aber voraus, dass es nicht auch wieder massiv Prozesse der absoluten Mehrwertauspressung gibt. In Wirklichkeit wird aus den letzten Jahrzehnten aber vor allem von einer Verdichtung von Leistungsanforderungen und Verlängerung der Arbeitszeit berichtet (Seppmann 2017: 60).
„Sinkende Reallöhne werden wieder zu einem zentralen Moment des Akkumulationsprozesses.“ (Seppmann 2017: 145)

6 von 10 Deutschen regelmäßig Überstunden und 59% der Arbeitenden geben an, sie müssten länger arbeiten als vereinbart. (DGB 2014) Es ist sowieso zu vermuten, dass auf dem Weg bis an innerökonomische „absolute Schranken“ die ökologischen und klimatischen Veränderungen die menschliche Zivilisation schon an andere „absolute Schranken“ stößt und die gesellschaftlichen Kräfte vor der Entscheidung für eine ökologisch-soziale Revolution (by design) oder eine Barbarisierung (by desaster) stehen.
Die neoliberale Strategie der Krisenbewältigung besteht seit einigen Jahrzehnten darin, die Profite durch eine Ausweitung des Produktionsvolumens (Seppmann 2017: 50) auf Grundlage der sog. „Globalisierung“ zu sichern und dabei die Interessen des Kapitals durch eine Intensivierung der Ausbeutung u.a. durch „Toyotisierung“ (siehe 52) und Zurückführung der Lohnquote (23) durchzusetzen. Beispielsweise entstehen durch das „Outsourcing“, d.h. die „Zunahme ausgelagerter Vorarbeiten“ in Richtung von Niedriglohnunternehmen bzw. -gebiete Prekarisierungsfolgen für die Lohnabhängigen (ebd.: 51). Dabei wird von der Kapitalseite bewusst das Ziel verfolgt, „die traditionellen Strukturen und Voraussetzungen der Arbeitersolidarität zu schwächen und die Widerstandsfähigkeit der Belegschaften zu untergraben“ (ebd.: 58).
Der Strukturwandel in der Verteilung der Arbeiten zeigen auch die folgenden Abbildungen:
Gleichzeitig werden die Profite immer weniger „produktiv“ verwendet (Stichwort: Investitionen):
Auch die ökologische Hoffnung auf eine Immaterialisierung der kapitalistischen Produktion hat sich wohl inzwischen zerschlagen, denn der materiell-energetische Umsatz hat sich massiv erhöht (ebd.: 53). Zwei Drittel der volkswirtschaftlich erbrachten Dienstleistungen sind unmittelbar produktionsbezogen (ebd.: 107).
[1] Ende 2007 waren „knapp drei Milliarden Menschen als Arbeiter, Angestellte oder Selbstständige beschäftigt eine halbe Milliarde mehr als vor zehn Jahren“ (DIE ZEIT, Nr. 16 vom 10.04.2008)
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