Dieser Beitrag gehört zum Text über „Klassenanalyse bei Werner Seppmann“
Milieu, Lebensstil, Habitus
Es wurden in den letzten Jahren vielfältige weitere Vermittlungsbegriffe entwickelt. Werner Seppmann schreibt: „Während die ››objektivierbaren‹‹ Parameter (etwa Bildungstitel und Leistungsprofile) an Bedeutung verlieren, werden ››weiche‹‹ Faktoren wie die Distinktionstechniken fördernde Herkunft, Selbstdarstellungsfähigkeiten und Durchsetzungsvermögen wichtiger im sozialen Positionskampf“ (Seppmann 2017: 96). Unter „Klassenmilieu“ sind z.B. komplexe, empirisch konkrete Konfigurationen spezifischer Klassenlagen, Handlungs- und Denkmustern […] zu verstehen“ (Ritsert 1998: 155). Bourdieu lehnt es ab, „von säuberlich geschiedenen, neben- oder übereinander stehenden gesellschaftlichen Gruppen“ zu sprechen, erfasst aber die bisher mit dem Klassenbegriff gemeinten sozialen Strukturen mit dem Begriff des „sozialen Raumes“ mit einer „gesellschaftlichen Topologie“ (Bourdieu 1992: 35).
Auch der „Lebensstil“ spielt eine Rolle beider (Selbst-)Positionierung der Subjekte, aber dabei darf die Klassenlage nicht relativiert werden (Seppmann 2017: 78). Das entspricht Marxens Vorstellung, dass sich der ganze „Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen […] aus ihren materiellen Grundlagen heraus“ gestaltet (MEW 8: 79). Dies gilt auch, insofern wenn sich das einzelne Individuum einbilden kann, das alles aus sich selbst bestimmt zu haben. Werner Seppmann verweist besonders auf Leo Kofler, bei dem klassenspezifische Mentalitäten als ideologische Formen zwar nicht als „Ausdruck der passiven Übernahme eines Vorgegebenen“ gesehen werden, jedoch „als das Ergebnis eines individuellen Aneignungs- und Verarbeitungsprozesses“ (Seppmann 2017: 81). Diese haben dann auch eine gewisse Stabilität. Bei früheren Mittelschichtsangehörigen, deren Position sich verschlechtert hatte, „bleiben ihre Mentalitätsformen jedoch meist der lebensgeschichtlichen Vergangenheit verhaftet“ (ebd.: 95).
Die „Schichten“ werden in der Wahlforschung durch je „subjektive Schichtidentifikationen“ bestimmt (Pappi 2011: 13). Die Veränderung der „subjektiven Schichtidentifikation“ in Ost und West zeigt die Abbildung (aus ebd.: 14):
Werner Seppman legt bei seiner positiven Bezugnahme insb. auf Pierre Bourdieu Wert darauf, „dass sich in den habituellen Ausdrucksmustern, symbolischen Selbststilisierungen und Distinktionstechniken reale Klassenunterschiede äußern“ (ebd.: 79) und kritisiert jene Milieutheorien, in denen die Bedeutung der Klassenlage relativiert wird (ebd.: 78), in den also kausale Wirkungen (Weil du reich bist, bin ich arm) und Klassengegensätze verschleiert werden. Bei der Entwicklung von neuen Begriffen für vielfältige Vermittlungsebenen dürfen diese also nicht verabsolutiert werden, und die Klassengegensätze dabei verloren gehen.
Zusammenfassend gilt in Bezug auf die Klassenanalyse: „Gesellschaftliche Positionen und ihre Ausdrucksformen erweisen sich […] zu den Prozessen von Ausbeutung und Mehrwertaneignung vermittelt“ (ebd.: 83). Insofern eine Klasse von ihrer Lage her eine „Klasse gegenüber dem Kapital“ (MEW 4: 181) ist, sich also durch den Nichtbesitz an Produktionsmitteln kennzeichnen lässt, kann sie als „Klasse an sich“ (Burzan 2004: 17) bezeichnet werden. Sie kann dann zu einer „Klasse für sich selbst“ (ebd.) werden, wenn sie ein Klassenbewusstsein und entsprechende Handlungsweisen ausbildet.
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