Dieser Beitrag gehört zum Text über „Klassenanalyse bei Werner Seppmann“
Am Ende dieses langen Textes frage ich mich wieder einmal: Und nun? Was bringts? Werner Seppmanns Buch und seine Analysen verfestigen das Wissen um die Bedeutung des Klassenverhältnisses, aber können nicht wirklich Hoffnung aufkommen lassen.
Die extremen Vermögensunterschiede scheinen „die da unten“ nicht wirklich aufzuregen, sie lassen sich eher gegeneinander hetzen. Was mir immer bedeutsamer erscheint ist dagegen die Frage nach den prinzipiellen Handlungsmöglichkeiten der Klassen. Wer kann den Zweck der Produktion und des Ausmaßes und der Zielrichtung der Reproduktion überhaupt bestimmen? Nur eine Klasse bestimmt das, nämlich die, die im Besitz der wesentlichen Lebens- und Produktionsmittel ist. Jene, die nicht darüber verfügen, können wollen was sie wollen, aber sie können nicht viel tun – auch wenn es um das Überleben der Menschheit geht. Das Überreden der Reichen funktioniert nachgewiesenermaßen nur in unwirksamen Ausnahmen, sie finanziell zum richtigen Tun zu zwingen kann auch nicht funktionieren. Letztlich müssten alle Ressourcen und Mittel in einer globalen gesamtgesellschaftlichen ökologisch-sachgerechten Planung koordiniert eingesetzt werden, was auf einzelunternehmerischer Basis nicht funktionieren kann. Und am Kapital vorbei können wir, d.h. Alternative aller möglichen Richtungen, nur Nischen entwickeln, die nicht das ganze Leben aller Menschen auf neuer Grundlage tragen kann.
Ich denke, wir wären einen Schritt vorwärts, wenn wir uns dies eingestehen könnten – und vielleicht können die hier vorgestellten Analysen dazu beitragen.
Wenn es gelungen sein wird, die Welt zu retten und eine neue Form nicht ausbeuterischer menschlicher Gesellschaft zu entwickeln, wird es Klassenkampf gewesen sein! – Oder es wird nicht passieren…
Mai 14, 2022 at 7:45 pm
Beifall, liebe Annette!!
AS: Die extremen Vermögensunterschiede scheinen „die da unten“ nicht wirklich aufzuregen, sie lassen sich eher gegeneinander hetzen.
PE: Ja, der „mündige Wahlbürger“ ist eine Mär. Er lässt sich von den Massenmedien betäuben, die fast vollständig der herrschenden Klasse gehören. Es geht ihm mehrheitlich noch nicht schlecht genug — in einigen wenigen Ländern ist das bereits anders.
AS: Was mir immer bedeutsamer erscheint ist dagegen die Frage nach den prinzipiellen Handlungsmöglichkeiten der Klassen. Wer kann den Zweck der Produktion und des Ausmaßes und der Zielrichtung der Reproduktion überhaupt bestimmen? Nur eine Klasse bestimmt das, nämlich die, die im Besitz der wesentlichen Lebens- und Produktionsmittel ist. Jene, die nicht darüber verfügen, können wollen was sie wollen, aber sie können nicht viel tun – auch wenn es um das Überleben der Menschheit geht.
PE: Richtig, es geht nur über den Klassenkampf bis hin zur Revolution, s. Frankreich 1789. Die bürgerliche Revolution in England ist ein Sonderfall, weil sich die Verhältnisse „inzwischen so weit geändert hatten, dass eine Revolution nicht mehr nötig war“ (Physik-Nobelpreiträger Steven Weinberg).
AS: Das Überreden der Reichen funktioniert nachgewiesenermaßen nur in unwirksamen Ausnahmen, sie finanziell zum richtigen Tun zu zwingen kann auch nicht funktionieren.
PE: Inder Tat! Vor einiger Zeit haben RBB-Journalisten Reiche in ihrem Urlaubsort befragt, ob sie sich vorstellen könnten, etwas von ihrem Reichtum abzugeben. Sie wurden von Jenen nur verständnislos angestarrt.
AS: Letztlich müssten alle Ressourcen und Mittel in einer globalen gesamtgesellschaftlichen ökologisch-sachgerechten Planung koordiniert eingesetzt werden, was auf einzelunternehmerischer Basis nicht funktionieren kann.
PE: Natürlich nicht, s. Marx‘ Argumentation zum Zwang, höchstmöglichen Profit zu erreichen. — Unter der Menschenfeindin Thatcher (ihre erste Amtshandlung als Stadträtin soll die Abschaffung der kostenlosen Versorgung der Schulkinder mit Milch gewesen sein) wurden die Eisenbahn und die Wasserversorgung privatisiert. Sie wurden teurer und schlechter. (Ich war 1991 an der Uni Norwich.) — 3 Jahrzehnte später wurde ein „Hochstapler“ (eine englische Bekannte) und „Lügner“ (ein MP) zum Premierminister gewählt. Vielleicht führen die wirtschaftlichen Verluste infolge des EU-Austritts und das m. E. unlösbare Irland-Problem zu einem Umdenken. — Leider musste es zum Brexit kommen, bevor die EU den dauernden Eskapaden der britischen Regierung ein Ende setzte.
London ist ein Zentrum des Finanzkapitalismus. Vielleicht bringt dessen Scheitern einst die Briten zur Einsicht, dass Werte erst geschaffen werden müssen, bevor sie genossen werden können?
Freilich gibt es einen alten Greenpeace-Spruch dagegen …
Und am Kapital vorbei können wir, d.h. Alternative aller möglichen Richtungen, nur Nischen entwickeln, die nicht das ganze Leben aller Menschen auf neuer Grundlage tragen kann.
AS: Ich denke, wir wären einen Schritt vorwärts, wenn wir uns dies eingestehen könnten – und vielleicht können die hier vorgestellten Analysen dazu beitragen.
PE: Unbedingt — ich denke, schon: danke Dir für sie!
AS: Wenn es gelungen sein wird, die Welt zu retten und eine neue Form nicht ausbeuterischer menschlicher Gesellschaft zu entwickeln, wird es Klassenkampf gewesen sein! – Oder es wird nicht passieren…
PE: Genauso sehe ich das auch 🙂
Mai 14, 2022 at 7:48 pm
Beifall, liebe Annette!!
AS: Die extremen Vermögensunterschiede scheinen „die da unten“ nicht wirklich aufzuregen, sie lassen sich eher gegeneinander hetzen.
PE: Ja, der „mündige Wahlbürger“ ist eine Mär. Er lässt sich von den Massenmedien betäuben, die fast vollständig der herrschenden Klasse gehören. Es geht ihm mehrheitlich noch nicht schlecht genug — in einigen wenigen Ländern ist das bereits anders.
AS: Was mir immer bedeutsamer erscheint ist dagegen die Frage nach den prinzipiellen Handlungsmöglichkeiten der Klassen. Wer kann den Zweck der Produktion und des Ausmaßes und der Zielrichtung der Reproduktion überhaupt bestimmen? Nur eine Klasse bestimmt das, nämlich die, die im Besitz der wesentlichen Lebens- und Produktionsmittel ist. Jene, die nicht darüber verfügen, können wollen was sie wollen, aber sie können nicht viel tun – auch wenn es um das Überleben der Menschheit geht.
PE: Richtig, es geht nur über den Klassenkampf bis hin zur Revolution, s. Frankreich 1789. Die bürgerliche Revolution in England ist ein Sonderfall, weil sich die Verhältnisse „inzwischen so weit geändert hatten, dass eine Revolution nicht mehr nötig war“ (Physik-Nobelpreiträger Steven Weinberg).
AS: Das Überreden der Reichen funktioniert nachgewiesenermaßen nur in unwirksamen Ausnahmen, sie finanziell zum richtigen Tun zu zwingen kann auch nicht funktionieren.
PE: Inder Tat! Vor einiger Zeit haben RBB-Journalisten Reiche in ihrem Urlaubsort befragt, ob sie sich vorstellen könnten, etwas von ihrem Reichtum abzugeben. Sie wurden von Jenen nur verständnislos angestarrt.
AS: Letztlich müssten alle Ressourcen und Mittel in einer globalen gesamtgesellschaftlichen ökologisch-sachgerechten Planung koordiniert eingesetzt werden, was auf einzelunternehmerischer Basis nicht funktionieren kann.
PE: Natürlich nicht, s. Marx‘ Argumentation zum Zwang, höchstmöglichen Profit zu erreichen. — Unter der Menschenfeindin Thatcher (ihre erste Amtshandlung als Stadträtin soll die Abschaffung der kostenlosen Versorgung der Schulkinder mit Milch gewesen sein) wurden die Eisenbahn und die Wasserversorgung privatisiert. Sie wurden teurer und schlechter. (Ich war 1991 an der Uni Norwich.) — 3 Jahrzehnte später wurde ein „Hochstapler“ (eine englische Bekannte) und „Lügner“ (ein MP) zum Premierminister gewählt. Vielleicht führen die wirtschaftlichen Verluste infolge des EU-Austritts und das m. E. unlösbare Irland-Problem zu einem Umdenken. — Leider musste es zum Brexit kommen, bevor die EU den dauernden Eskapaden der britischen Regierung ein Ende setzte.
London ist ein Zentrum des Finanzkapitalismus. Vielleicht bringt dessen Scheitern einst die Briten zur Einsicht, dass Werte erst geschaffen werden müssen, bevor sie genossen werden können?
Freilich gibt es einen alten Greenpeace-Spruch dagegen …
Und am Kapital vorbei können wir, d.h. Alternative aller möglichen Richtungen, nur Nischen entwickeln, die nicht das ganze Leben aller Menschen auf neuer Grundlage tragen kann.
AS: Ich denke, wir wären einen Schritt vorwärts, wenn wir uns dies eingestehen könnten – und vielleicht können die hier vorgestellten Analysen dazu beitragen.
PE: Unbedingt — ich denke, schon: danke Dir für sie!
AS: Wenn es gelungen sein wird, die Welt zu retten und eine neue Form nicht ausbeuterischer menschlicher Gesellschaft zu entwickeln, wird es Klassenkampf gewesen sein! – Oder es wird nicht passieren…
PE: Genauso sehe ich das auch 🙂
Mai 15, 2022 at 7:32 pm
Liebe Annette,
der Analyse wäre wenig hinzuzufügen …
Man sollte allerdings auch die Exodus-Strategie kennen.
Exodus … mancher erinnert sich: der Auszug aus Ägypten.
In der neueren Sozialphilosophie eine Chiffre, um eben jenen ‚Klassenkampf‘ – den die untere Klasse immer verlieren wird, zu vermeiden.
Wie kann das aussehen?
Sicher kann man den Exodus heutzutage nicht mehr räumlich verstehen. Wohin sollte man gehen?
Also ein Exodus innerhalb des ‚Systems‘.
Jetzt wird es natürlich kompliziert.
Auf jeden Fall: raus aus dem Hamsterrad von Akkumulation / Arbeit für die herrschende Klasse – die innere Kündigung aussprechen.
Einfach nicht mehr mitmachen, gemäß dem Motto der frühen Friedensbewegung: stell dir vor, es ist Krieg und niemand geht hin.
Das Hamsterrad, das sich dreht und auch für die Erderwärmung verantwortlich ist. Das alle die antreiben, die grade mal noch ein bisschen mehr Sicherheit, mehr Rente, noch schnell einen Urlaub in der Karibik, die Speisekammer vollmachen …
Was kann die Alternative sein?
Geldanhäufung ächten – die Leute gehören in die Klappse. Tun völlig sinnlos und unethische Sachen zu Lasten ihrer Mitmenschen – also eigentlich schon kriminell.
Leben könnte auch was solidarisches sein, nicht bloß ein Konkurrenzkampf. Die Theorie dafür steht zur allgemeinen Verfügung.
Klar stirbt man am Ende – aber auch darüber müsste man sich neu verständigen.
Mai 16, 2022 at 8:42 am
Aber auch den Exodus muss man sich leisten können…
Die Erpressung des Kapitals gegenüber dem „Rest“ der Menschen beruht ja gerade darauf, dass es die Lebens- und Produktionsmittelgrundlagen übernommen hat und dem „Rest“ nicht mehr genügend gelassen hat, um sich im historisch möglichen Maß selbst versorgen zu können, statt sich wiederum selbst auszubeuten…
Mai 19, 2022 at 7:40 pm
AS: Der Weg von der Klassenstruktur über das Klassenbewusstsein hin zu Klassenpolitik ist weit und vermittelt. „Aus der ökonomischen Strukturierung und den daraus resultierenden objektiven Widerspruchstendenzen lässt sich kein automatisches Klassenhandeln ableiten.“ (Seppmann 2017: 13) Marx erklärt, dass die Bezeichnung „Klasse“ letztlich aber an das klassengemäße Handeln gebunden ist: „Die einzelnen Individuen bilden nur insofern eine Klasse, als sie einen gemeinsamen Kampf gegen eine andere Klasse zu führen haben…“ (MEW 3: 54).
PE: War nicht die Klassenstruktur an die Verfügung über das Kapital gebunden??
AS: Für die Kapital-Klasse ist das klassengemäße Handeln unübersehbar: „Es herrscht Klassenkampf, und meine Klassen gewinnt“ (Warren Buffet).
PE: Gleichwohl ist die (Finanz-)Kapital-Klasse heterogen, sonst gäbe es nicht unterschiedliche Auffassungen in vielen Fragen in ihr, nicht zuletzt gegenüber Russland (vor einigen Jahren hat sich Rußwurm gegen Sanktionen ausgesprochen — jetzt hat sich allerdings auch Siemens erpressen lassen).
AS: Aber auch die Kämpfe der Lohnabhängigen kann nur übersehen, wer bewusst wegschaut. Beverly Silver untersuchte die im globalen Maßstab sichtbaren Zyklen von Arbeitskämpfen (zwischen 1870 und 1996) ausführlich (Silver 2005[1]). Die von ihr untersuchten „Arbeiterunruhen“ beziehen sich eher nicht auf Lohnkämpfe, es geht um „Handlungen von Menschen, die dagegen Widerstand leisten oder darauf reagieren, dass sie als Ware behandelt werden“ (Silver 2005: 226, fett von A.S.).
PE: „Wer den Klassenkampf leugnet, hat ihn schon verloren“, sagte ein Mitarbeiter der IG Metall auf einer Betriebsratssitzung bei uns. Er war leider eine Ausnahme: die Gewerkschaften in D im Ganzen leugnen den Klassenkampf. Sie wenden sich nicht einmal gegen die zunehmende Verwendung der Worte „Human Ressources“, auf Deutsch: Menschenmaterial. Ich habe auch nie verstanden, weshalb sich die Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht an der viel größeren Einkommensentwicklung der nicht-abhängig Beschäftigten orientiert haben, einschl. Einkommen aus Mieten, Aktien u. a. Geldanlagen.
AS: Werner Seppmann betont vor allem die Vielschichtigkeit der Vermittlungsprozesse zwischen objektivem Klassengegensatz und Klassenhandeln: „Der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist zwar ein objektiv gegebener, die Entwicklung der Arbeiterklasse zu einer handlungsfähigen politischen Kraft jedoch ein anspruchsvoller und vielschichtiger Prozess: Objektive Interessen müssen subjektiv erfahrbar gemacht werden und in umfassende Handlungskonzepte einfließen“ (Seppmann 2017: 18).
PE: In der Tat sind Die Grünen durch „subjektiv erfahrbare“ Ereignisse nach oben gekommen: Tod des Rheins, Krups im Rhurgebiet, Abrüstung, Atomkraft.
AS: Das Wahlverhalten der meisten Menschen korrespondiert jedenfalls nicht mit ihrem Lebensstil, sondern mit ihrer soziostrukturellen Verankerung und der damit verbundenen Interessenlage (ebd.: 79) (siehe dazu auch Rothenbacher 2005). Einkommen oder Erwerbsstatus wirken sich nicht direkt auf Parteipräferenzen aus, sondern vorwiegend vermittelt über die Einstellung zum „Wohlfahrtsstaat“ (Pappi 2011: 31).
PE: Ob das so stimmt, sollte mit den diesjährigen Wahlen verglichen werden. Ich habe da so meine Zweifel. Dies ist allerdings ist eine Mär: der „mündige Wahlbürger“.
AS: Ein „politisches Stabilisierungsmoment“ stellen die „Mittelschichten“ dar,
PE: Die „nützlichen Idioten“ bei Lenin? Sie wurden in den USA in den 1980-er Jahren unter Reagan weitgehend abgeschafft. Zur Belohnung wurde ein Flughafen nach ihm benannt. Hier gibt es ähnliche Bestrebungen, s. die sich immer weiter öffnende „Schere zwischen Arm und Reich“ und die aktuellen Maßnahmen zur „Abfederung der Inflation“, die umsomehr nützen, je wohlhabender leut ist.
AS: auch wenn sie sozial in Schieflage geraten (Seppmann 2017: 95), was im Osten weitgehend fehlt, weil hier die Rekonstruktion einer Mittelklasse in den Anfängen stecken geblieben ist (ebd.: 117).
PS: Stichwort feindliche Übernahme
AS: Menschen unterhalb der Armutsgrenze beteiligen sich eher weniger am politischen gesellschaftlichen Leben als Menschen über dieser Grenze (Wikipedia: Teilhabe am gesellschaftlichen Leben). Das „abgehängte Prekariat“ (wir erinnern uns: im Westen 4-5%, im Osten 20-25%) mit seinen Enttäuschungen verweigert sich vielfach den Wahlprozeduren wie auch sozialen Protestbewegungen; sie kündigen teilweise die Loyalität mit dem politischen System auf (ebd.: 127). Darin steckt eine „regressive Grundtendenz“ (ebd.: 134) und es öffnet sich „eher ein Entfaltungsraum für irrationale Denkmuster und Reaktionsformen, als für progressive Orientierungen“ (ebd.: 135). Nicht zufällig wird sogar in Wikipedia darauf verwiesen: „Die von Pegida geäußerten politischen Ohnmachtsgefühle können zum Teil auch als Reaktion auf politisch-ökonomische Bedingungen verstanden werden.“ (Wikipedia: Pegida)
PE: Was denn sonst? — Die deutsche Vereinigung geschah im Sinne einer feindlichen wirtschaftlichen Übernahme, wie ich sie später selbst erlebt habe. Und jene bedauernswerten Menschen erleben, dass sich für sie kaum etwas ändert, wenn andere Parteien die politischen Posten besetzen. Z. B. hat die PDS/Linke seinerzeit die Abschaffung der Sozial-Fahrscheine in Berlin mitgemacht, statt aus dem Senat auszutreten (wie damals „die Schnarre“ als Bundesjustizministerin). Die SPD hat sich durch die „Agenda 2010“ hinzugesellt. Ihre sozialen Maßnahmen seit ihrer Abkehr von diesem Arbeiterverrat hat sie nicht hinreichend unter die Massen bringen können, weil die allermeisten Massenmedien der herrschenden Klasse gehören. Außerdem benutzt sie – wie ungebildeterweise auch viele Linke – das Wort „_Um_verteilung“ des Klassengegners, statt das richtige Wort „_Rück_verteilung“.
AS: Viele Bedingungen, die sich in dieser Weise auswirken, haben wir schon bei der Diskussion der neoliberalen Phase des Kapitalismus diskutiert.
PE: Diese fällt wohl mit der des Finanzkapitalismus zusammen.
AS: Auf der Kapitalseite wird massiv in deren Interesse agiert, das Zitat von Warren Buffet „Es herrscht Klassenkampf, und meine Klassen gewinnt kann nicht oft genug wiederholt werden: „Es herrscht Klassenkampf, und meine Klassen gewinnt“. Dieser Kampf von Seiten des Kapitals wird nicht immer über direkte Absprachen organisiert, sondern eher durch „die ››kollektive‹‹ Ausnutzung der Handlungsspielräume“ (Seppmann 2017: 93) und durch deren Schaffung.
PE: Vgl. Bölls „Gruppenbild mit Dame“: die gesellschaftlichen Einsichten der Immobilienbesitzer sollten nicht unterschätzt werden. S. a. „Schwarm-Intelligenz“.
AS: Und trotz des systematischen …
PE: systemischen?
AS: … Charakters der kapitalistischen Verhältnisse kann „die entwickelte Kapitalherrschaft […] ohne Träger und personell vermittelte Klasseninteressen nicht begriffen werden“ (ebd.: 83).
PE: Ja, natürlich, keine Herrschaft kann ohne Herrscher und ihre Vasallen durchgesetzt werden.
AS: Für den „Klassenkampf von unten“ sieht die Bilanz verheerend aus. Einerseits gilt die „Entschuldigung“, es ginge den Leuten zu gut innerhalb der „Sozialpartnerschaft“ nicht mehr, sondern die Lebenslage vieler lohnabhängiger Menschen hat sich extrem verschlechtert.
PE: M. E. gilt sie nach wie vor, s. Maria 2.0 und Warnstreiks.
AS: Trotzdem entstehen mehr regressive Verarbeitungsweisen als progressive. Das ist einerseits eine Folge von neoliberaler Ideologie, die massiv als Legitimationsmuster für Abbau sozialer Rechte eingesetzt wurde.
PE: Genau! Gefühlte 99,99 % der hiesigen Medien sind gleichgeschaltet. Hinzu kommen die gelben Medien, zu denen ein großer Teil asozialen Medien sind. Sie bedienen die persönlich inhaltslose Leere von bedasuernswerten Menschen, die – infolge dieser eigenen inneren Leere – nichts mit sich selbst anfangen können und deshalb Lebensinhalt bei anderen suchen. Dass die gelben Medien ihnen dazu vorwiegend Nichtsnutze aka Parasiten vorstellen, trägt dazu bei, dass sie _un_mündige Wahlbürger sind (von der Unverträglichkeit mit dem Grundgesetz ganz zu schweigen).
AS: Aber andererseits auch eine Folge unzureichender Gegenwehr, etwa durch Gewerkschaften und linker Bewegungen und Parteien.
PE: Die Gewerkschaften sind staatstragend, von ihnen ist Nichts in dieser Hinsicht zu erwarten. (1913 hat die IG Metall einen Vergleich der Wahlprogramme mit ihren eigenen 25 sozialpolitischen Forderungen veröffentlicht. Übereinstimmung, vereinfacht: CDU, CSU, FDP: 1, Grüne: 10, SPD: 12, Linke: 20. Daraufhin wurden Propagandisten durch die Betriebe geschickt, die das abwiegeln sollten, vorwiegend nach dem Motto „Wahlprogramme sind noch lange nicht Dasjenige, was hinterher tatsächlich gemacht wird!“ (sic!)
AS: „Die Linke“ wird deutungslos, weil sie sich in inneren Auseinandersetzungen verliert und haltlosen Forderungen wie „alle Unzufriedenen dieser Welt werden hierzlande durchgefüttert“ verliert.
PE: Das mit den inneren Streitereien mag stimmen, den 2. Punkt sehe ich etwas anders. „Alle Unzufriedenen dieser Welt werden hierzulande durchgefüttert“ ist keine „Forderung“ der Linken, sondern eine Nachricht, die sie und viele Hilfsorganisationen in alle Welt hinausposaunen.
AS: Größere Hoffnungen konnten zuletzt auf die globalen Antiglobalisierungsproteste gesetzt werden, auch wenn sie nicht klassenbewusst waren und auf solche Praxen …
PE: Worin besteht der Unterschied zwischen „Praxen“ und Praktiken?
AS: … wie die „Sozialforen“. Diese konnten den Niedergang traditionell sozialdemokratischer oder anderer linker Bewegungen nicht aufhalten. Gewerkschaften wurden „widerstandslos“ und ermöglichten „eine weitgehend ungefilterte Durchsetzung von Kapitalverwertungsstrategien mit Arbeitsplatzverlusten […], die zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen“ (ebd.: 57).
PE: Das bezieht sich auf den Abfabg des 20. Jh., oder=
AS: Dies stellt Seppmann auch in einen Zusammenhang mit dem gestiegenen „Umfang der Reservearmee“ (ebd.). Die Gewerkschaften werden jetzt nur noch angesehen als ein „Lobby-Verein unter vielen“ (zitiert S. 67).
PE: Passt zu dem von Dir oben Geschriebenen und meiner Antwort.
AS: Sebastian Bähr berichtet über die Abwesenheit von linker Organisierung: „Im Leben meiner Eltern hatte es die ganzen letzten drei Jahrzehnte keine organisierten Solidarstrukturen gegeben, die ihnen bei konkreten Problemen geholfen haben oder deren Hilfsannahme für sie eine naheliegende Option gewesen wäre.“ (Bähr 2021) Deshalb wissen die Eltern auch „nichts von linken Debatten wie der um neue Klassenpolitik. Sie denken, dass sich »altmodische Linke« immer noch an den (männlichen) Stahl- und Fabrikarbeitern des 20. Jahrhundert orientieren und »moderne Linke« an Kämpfen außerhalb der Lohnarbeit. Für sie, ihren Lebensstil und ihre Berufe scheint da kein Platz“ (ebd.). Oft entsteht erst mit dem Rücken zur Wand Widerstand, wie bei den Münsteranern Busfahrern, die angesichts der Lohneinbußen bei der Privatisierung meinten: „Damit kann ich nicht leben, damit krieg ich meine Familie nicht ernährt. Wir müssen einen anderen Weg finden!“ (zitiert bei Meyer 2004: 112). Im Interesse eines bezahlbaren Nahverkehrs nicht auf Kosten der Fahrer:innen kam es hier zu einer Solidarisierung der Münsteranerinnen mit den Fahrer:innen (ebd.: 113).
PE: Unterstützt das oben Geschriebene, sehr gut! — Die zunehmende Digitalisierung verringert leider den Organisationsgrad der Beschäftigten.
AS: Was ergibt sich nun als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen? Meiner Meinung nach ist ein Umgehen der Klassenfrage, der Verwurzelung des gegenwärtigen „Systems“ in den Klassenverhältnissen nicht möglich.
PE: Es wird nach wie vor versucht, s. Tabuisierung der Politischen Ökonomie.
AS: Alles erweist sich letztlich als Klassenfrage.
PE: Alles Politsche und Wirtschaftliche 😉
AS: Die Aufgabe der Ausweitung von Commoningpraxen …
PE: Gescheinschaftsunternehmungen?
AS: … stellt, sie wenn sie im Interesse aller auf die gesellschaftlich wesentlichen Produktionsmittel zugreifen will, die Eigentumsfrage.
PE: Schulkenntnis: Die entscheidenden Frage ist die Eigentumsfrage. Z. B. ist es im Feudalismus die Grundherrschaft, doch all diese Details kennst Du bestimmt viel besser als ich 🙂
AS: „Degrowth“ …
PE: Was ist das?
AS: .. und Klimaschutz brauchen den Zugriff auf Entscheidungen über den Zweck der gesellschaftlichen (Re-)Produktion. Care-Konzepte …
PE: Versorgung wessen?
AS: … basieren darauf, dass niemand ausgeschlossen wird vom gesellschaftlichen Reichtum an Zeit und anderem Lebensnotwendigen.
PE: Sehe ich in etwa genauso. Dazu bitte die Tatsache, dass Politische Ökonomie in Westdeutschland offiziell verleugnet wurde (und möglicherweise immer noch wird), und das Konzept der Schichten, entwickelt um 1986 von einer Soziologin in Nowosibirsk: Eine Schicht besitzt mehrere, jedoch nicht alle Merkmale einer Klasse. D. i. möglicherweise ähnlich den u. g. „Klassensegmenten“.
AS: Werner Seppmann verweist konkret auf die Notwendigkeit für die Ausgebeuteten und die sogar aus der Ausbeutung Ausgegrenzten und Prekären eine „gemeinsame Interessenartikulation aller Klassensegmente“ (Seppmann 2017: 39) zu finden. Die Klassenanalyse muss „das Verbindende zwischen den Klassensegmenten herausarbeiten und die Möglichkeiten von organisatorischen Modellen erörtern, die eine Bewusstwerdung und Artikulation von Klasseninteressen fördern könnten“ (ebd.: 39). Nur so können Menschen, die beim bzw. nach dem sozialen Abstieg noch nicht resigniert haben, erreicht werden (ebd.: 136). Eine „Utopie des guten Lebens und der sozialen Selbstbestimmung“ (ebd.: 153) kann sich nur in „Auseinandersetzung um zentrale Lebensinteressen“ (ebd.: 154) bilden und ausstrahlen. Im Wissen um das Ungenügen von Reförmchen können nur Arbeitskämpfe erfolgversprechend sein, „die mit der gleichen Grundsätzlichkeit wie von der Kapitalseite geführt werden“ (ebd.: 153).
PE: Richtig! Wer aber soll derartige Arbeitskämpfe führen? Die staatstragenden Gewerkschaften sicherlich nicht.
„Der Kampf ist hart,
Und unser Feind,
Ist schlauer als wir und hat sich vereint,
Ist schlauer als wir und hat sich vereint,
Und will uns einzeln schlagen!“
AS: Sebastian Bähr, der hier schon mehrfach zitiert wurde, meint dazu: „Es bräuchte wohl langfristiges und ernstgemeintes Engagement vor Ort, starke öffentliche Identifikationsfiguren, ehrliche Debatten ohne Paternalismus und Belehrung, sichtbare kleine und große Erfolge und vor allem eine aufsuchende, niedrigschwellige Ansprache »seiner Leute«, um das aufzubrechen“ (Bähr 2021).
PE: Genau: Was spricht die Menschen vor Ort wirklich an?! Sicher nicht mehr oder weniger abstrakte Worthülsen.
Voriges Jahr hat Mario Czaja Petra Pau ihr Direktmandat in Berlin-Marzahn abgenommen. Eingeladen von Russland-Deutschen, war ich auf einer seiner Wahlkampfauftritte. Bei den Wählern dort war offensichtlich der Eindruck entstanden, dass er sich wirklich um ihre Belange kümmere. Petra Pau ist was? Mario Czaja leitet das DRK in Berlin.
AS: Es geht vor allem auch um eine „Verteidigung des erreichten Arbeitszeitniveaus“ mit der „Perspektive weiterer Arbeitszeitverkürzungen“ (ebd.: 154). Dieses unmittelbar und direkt nachvollziehbare Ziel, …
PE: denglisches Komma
AS: … kann durchaus als Klassenkampf verstanden werden, wenn Klassenkämpfe bestimmt werden als „Kämpfe darum, ob, wie stark und zu welchem Preis die Warenform der Arbeit durchgesetzt werden kann“ (Cleaver 2012: 196, vgl. Schlemm 2017: 45).
PE: Ja natürlich – leut erinnere sich nur an das Aufgeheul der Menschenfeinde, als die IG Metall die 35-Stunden-Woche forderte. Und, ist irgendein Unternehmen deshalb in Konkurs gegangen?
AS: Und natürlich gilt wegen der starken Interessenverflechtung in den vielen Vermittlungen von Klassen- und anderen Interessen auch weiterhin: „Um gegen das Kapital zu kämpfen, muß die Arbeiterklasse gegen sich selbst, insofern sie Kapital ist, kämpfen“ (Tronti, zit. in Vorwort 1965, vgl. auch Schlemm 2017: 44). Wenn das gelingt, kann die Aufhebung des kapitalistischen Klassenverhältnisses aus der Perspektive des Commoning, des Ökosozialismus, von „Degrowth“.
PE: In den 1960-er Jahren wurde die Nebelbombe verbreitet, die Arbeitnehmer würden duch den Kauf von Aktien ihres Unternehmens selbst zu Unternehmern werden, wodurch der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben werde.
AS: Es kann sein, dass ein Erfolg dieser Bemühungen unwahrscheinlich ist. Aber dann ist es mehr als wahrscheinlich, dass wir gerade den Beginn des „Abgleitens ins systematische Chaos“ (Silver 2003) erleben. Vielleicht ist das dann auch erst einmal das Ende von klaren Klassentrennungen und führt zu einem Durcheinander von vielen verschiedenen Herrschafts-, Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen, bei denen es nur noch ums reine Überleben geht.
PE: Wie gesagt, der Klassenbegriff ist zu eng: leut möge den der Schichten benutzen. Ansonsten geht es wissenschaftlich um die Durchsetzung des Faches Politsche Ökonomie. Falls dies nicht gelingt, verbleiben die Wirtschaftswissenschaften auf dem Niveau der Newtonschen Mechanik. (Ich habe vor einigen Jahren ein Veranstaltung besucht auf der mehrere Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften sich derart geäußert haben. Auf einer Veranstaltung in KW sagte Steinmeier, die Bundesregierung habe 2011 angenommen, dass sich die Revolution in Tunesien son selbst tragen werde: Völlige Unkenntnis in Politischer Ökonomie, nicht wahr? In einem Interview mit dem „Spiegel“ antwortete Schumpeter auf die Frage, was sein größter beruflicher Fehler gewesen sei, die Vorraussage, dass sich Brasielien nach dem 2. WK enorm entwickeln werde. Völlige Unkenntnis in Politischer Ökonomie, nicht wahr?