Diese Seite gehört zum Text: „Sozialismus-Utopie?“
Kann der „Sozialismus“ immer noch eine Alternative zur kapitalistischen Herrschaft der Gegenwart sein? Natürlich weiß auch Klaus Dörre, dass das „S-Wort“ abschreckt (Dörre 2021: 8). Aber wenn wir eine Alternative zum Kapitalismus vorschlagen wollen, müssen wir uns sowieso mit dem für einige Jahrzehnte realen Versuch, den „Sozialismus“ als Alternative zum Kapitalismus zu verwirklichen, beschäftigen. Die Abwehr des Namens reicht dazu nicht aus. Es kommt darauf an, „die höchst widersprüchliche Geschichte des Sozialismus nicht zu verdrängen, sondern sie zu reflektieren“ (ebd.: 27). Deshalb macht es nach Dörre durchaus „Sinn, den Sozialismus, nunmehr als ökologischen oder besser: als demokratisch-nachhaltigen, wieder zu beleben“ (ebd.: 8).
„Heute muss der Sozialismus sich wieder als attraktive Utopie bewähren, um überhaupt gesellschaftlich und politisch Wirkung erzielen zu können.“ (ebd.: 14)
Wie schon in anderen Texten versucht es Dörre mit der Bezeichnung „Neo-Sozialismus“ (Dörre 2018). Die Vorsilbe „neo-„ erschließt sich aus dem Begriff des „Neo-Soul“: „Die Grundelemente bleiben gleich, sie wiederholen sich, werden aber anders interpretiert, rekombiniert, variiert, auseinanderdividiert und wieder zusammengesetzt, bis etwas völlig Neues entsteht“ (ebd.: 29).
Neo- oder Ökosozialismus?
Auf die Frage, warum er sein Konzept nicht „Öko-Sozialismus“ nennt, kommt eine etwas verwunderliche Aussage. Er meint, dies erinnere in Deutschland „an politische Positionen, die von den siegreichen Mehrheitsströmungen in der grünen Partei als Fundamentalismus bekämpft und erfolgreich marginalisiert wurden“ (ebd.: 30). Dies erscheint im deutschen Beitrag von Wikipedia „“ tatsächlich so. Dabei zeigt der englische Eintrag „Eco-Socialism“, dass es international eine viel umfangreichere internationale Tradition gibt, die eine Einschränkung auf die deutsche Debatte in keiner Weise rechtfertigt (die für jüngere Leute wohl auch kaum wichtig ist).
Jason Moore, einer der Hauptautoren der internationalen Debatte, konstatiert den „Zusammenbruch jener Strategien und Verhältnisse, die in den letzten fünf Jahrhunderten die Kapitalakkumulation aufrecht erhalten haben“ (Moore 2015: 8). Deshalb ist der Versuch, einen neuen (Neo-/Öko-)Sozialismus zu etablieren das Ergebnis der „Suche nach einem Notausgang, nach Auswegen aus einer epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise, die das Überleben menschlicher Zivilisationen berührt“ (Dörre 2021: 39). Die Ideen des neuen Sozialismus müssen „ihre Überzeugungskraft aus der Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution beziehen“ (ebd.: 39).
(ebd.: 39).
„Die Sozialismen des 21. Jahrhunderts präsentieren sich als Alternative zu einem „Imperialismus gegen die Natur““ (ebd.: 39)
Wie bestimmt Klaus Dörre nun den Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Er sei „zunächst einmal eine Grundhaltung, eine solidarische und zugleich rebellische Lebensform, deren Energie sich aus zahlreichen Quellen speist“ (ebd.: 237).
Sozialismus als Utopie
Und was bedeutet es, den Sozialismus als Utopie zu verstehen? Solch eine Utopie darf nach Dörre nicht als „Ausdruck der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit“ betrachtet werden (ebd.: 38). Der Sozialismus ist „kein unabänderliches Endziel, das im Gang der Geschichte bereits angelegt wäre“ (ebd.).
„Was Sozialismus sein kann oder sein soll, ändert sich mit der Entwicklung der kapitalistischen Formation und den Gegenbewegungen, die sie hervorbringt.“ (ebd.: 38)
Die Bewegung hin zum Sozialismus und im Sozialismus muss deshalb experimentell und ergebnisoffen angelegt sein (32). Außerdem wird die Utopie auch bei ihrer Erfüllung „kein Paradies“ sein, aber immer „einen utopischen Überschuss“ enthalten (ebd.: 23).
Es wäre dabei grundfalsch, „dem Wünschbaren schon den Rang einer wahrscheinlichen Zukunft zu verleihen“ (ebd.: 221). Das Utopische ist nach Dörre durch eine normative Grundlage bestimmt, in Fall des neuen Sozialismus die Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals (SDGs)), wie sie 2015 von den Vereinten Nationen beschlossen wurden. (Dörre 2021: 16, mehr dazu siehe S. 100ff., 116) Es gibt wohl niemanden, der diese Ziele nicht teilen kann[1], deshalb ist dieser Einstiegspunkt offen für alle gewählt. Er fordert in dieser Form nicht direkt das Ende des Kapitalismus; dieser müsste aber erst mal zeigen, dass es in seinem Rahmen möglich ist, diese Ziele zu erfüllen.
Wie sich die Utopie des Sozialismus konkret anfühlen könnte, zeigt Klaus Dörre im Einführungskapitel „Visionen: Pandemie stoppt Klimawandel“ (ebd.: 19ff.).
[1] Abgelehnt wird häufig das Ziel des „wirtschaftlichen Wachstums“, weil es aus einer Degrowth-Perspektive die Erfüllung anderer Ziele blockiert. Vielleicht lässt es sich reinterpretieren als „Wachstum der Potenziale von Menschen, die Ziele zu erfüllen“.
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