Es gibt noch einen Text im Nachtrag zu dem, was ich am 10.06.22 in Oldenburg vorgetragen habe, bzw. was dazu in der jungen Welt am 13.06.22 veröffentlicht worden war. Er bezieht sich stärker auf konkrete Debatten und betont die Behandlung der Konkurrenz in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus.
Was passiert, wenn „Ausbeutung“, „Mehrwert“ und „Profit“ und damit auch das Klassenverhältnis bei der Kapitalismusanalyse gegenüber dem Begriff des „Werts“ als unwichtig angenommen werden? An einer Stelle, die ich jetzt nicht finde[1], kommentiert Stefan Meretz zu einem Text von mir so ungefähr: „Mehrwert ist doch nur mehr Wert“, bilde also nur einen quantitativen Unterschied. Ich sehe das nicht so. An dieser Stelle (beim Mehrwert) kommt die Arbeitskraft als eine qualitativ besondere Ware ins Spiel.
Das Vorhandensein der Ware Arbeitskraft lässt sich auch nicht logisch aus dem Wert ableiten, sondern ist eine historische Voraussetzung, der Marx im „Kapital“ das Kapitel zur „ursprünglichen Akkumulation“ (MEW 23: 741ff.) widmet. Simon Sutterlütti verwendet ein Buch von Ellen Meiksin Wood („Origins of capitalism“), um mir zu widersprechen. Demnach sei die Entstehung des Proletariats ein Effekt der kapitalisierten Agrarproduktion gewesen und nicht der Beginn des Kapitalismus. Nicht, dass die Arbeitskraft eine Ware wurde, sei der Beginn des Kapitalismus gewesen, sondern dass das Land zur Ware wurde und den Menschen damit die Möglichkeit zur Subsistenzproduktion nahm. Ellen Meiksin Wood jedoch hatte nicht vergessen, dass es letztlich Klassenkämpfe waren, die zu einer „Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse“ führten, was schließlich dazu führte, dass die Beteiligung an Märkten nicht mehr nur freiwillig, sondern zum Zwang (Imperativ) machte. Allerdings vermerkt auch Wood, dass „[d]er entscheidende Faktor“ dabei „die Herausbildung bestimmter Eigentumsverhältnisse“ war, wodurch diese Marktimperative erst entstanden (Wood 2015: 92). Außerdem spricht sie von Ausbeutung und Profit, unterstellt also die Klassentrennung in ausbeutende und ausgebeutete Klassen. Dass diese sich auch darin zeigt, dass Menschen sich nicht mehr durch Subsistenzproduktion auf eigenem Land der Erpressbarkeit zur Lohnarbeit entziehen konnten, ist eine wesentliche Ergänzung der Analyse dieser Prozesse, setzt aber die vorgängige wesentliche Bedeutung der Klassenverhältnisse nicht außer Kraft.
Letztlich ist es auch unerheblich, was zeitlich als der Anfang des Kapitalismus angesehen wird. Denn die Frage nach der historischen Entstehung von Etwas hängt von der Vorentscheidung ab, was das „Etwas“ ist. Marx (MEW 42: 39) gab zu bedenken, die „Anatomie des Menschen“ (also die des letztlich Entstandenen) „ein Schlüssel zur Anatomie des Affen“ (also der Vorformen) ist. Schaut man nun beim Kapitalismus auf Marktbeziehungen oder schaut man auf spezifische Klassenverhältnisse? Sogar wenn eins historisch vor dem anderen entstanden ist, heißt das noch nichts für die Bestimmung des Wesens des Entstandenen.
Worin unterscheiden sich nun das Wesen von Märkten und Konkurrenz (und damit auch Geld) vor dem Kapitalismus und darin? Wood meint, dass der Kapitalismus davon bestimmt ist, dass „die Marktimperative Besitz von der Nahrungsmittelproduktion […] ergriffen hatten“ (Wood 2015: 97). Dies mag ein historischer Anfang sein, aber worin genau besteht die Dominanz des Marktimperativs im entwickelten Kapitalismus? Waren, ‚Werte, Geld und Märkte mit Konkurrenzbeziehungen gab es ja schließlich seit vielen Jahrtausenden in eigentlich allen Weltgegenden. Welche davon sind „unschädlich“ und dürften auch nach der Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse nicht unbedingt verschwinden und welche sind problematisch und mit dem Kern des Kapitalismus verbunden?
Marx kritisiert dabei zuerst einmal jene früheren bürgerlichen Ökonomen, bei denen sich alles aus der Konkurrenz ergibt.
„Die „Konkurrenz muss es auf sich nehmen, alle Begriffslosigkeiten er Ökonomen zu erklären, während die Ökonomen umgekehrt die Konkurrenz zu erklären hätten“ (MEW 25: 873)
Dass seiner Meinung nach die Konkurrenz nicht der Ausgangspunkt ist, verdeutlicht er mehrmals:
Konkurrenz ist der Exekutor der ökonomischen Gesetze, er etabliert sie nicht. Er ist die Folge der ökonomischen Gesetze, die „Erscheinungsform, worin sich ihre Notwendigkeit realisiert“ (MEW 42: 457)
„Die Konkurrenz erklärt daher nicht diese Gesetze; sondern sie läßt sie sehn, produziert sie aber nicht.“ (ebd.)
Konkurrenz gehört also nicht zu den Faktoren, welche den Kapitalismus erklären, sondern die spezifisch kapitalistische Konkurrenz kann erst wirklich begriffen werden, „sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist“ (MEW 23: 335).
Wenn man diesen Schritt bei Marx nicht mitgeht, bleibt man politökonomisch etwa bei Ricardo stehen. Marx kritisiert an dessen Position, dass der Wert, der ausgetauscht wird, als gegeben hingenommen werde, aber ihre Quelle, nämlich Arbeit und Mehrwert, nicht betrachtet werden (MEW 42: 458). Von der Konkurrenz auszugehen, wäre demnach sogar gefährlich. Marx schreibt dazu, dass „in der Konkurrenz sich alles falsch darstellt, nämlich verkehrt…“ (MEW 25: 240, genauer dargestellt S. 703, 860ff., insb.871f., MEW 26.2: 215). Hier unterscheidet Marx wieder, wie sich die ökonomischen Verhältnisse auf der Oberfläche zeigen und wie sie in „ihrer innern, wesentlichen, aber verhüllten Kerngestalt und dem ihr entsprechenden Begriff“ (ebd.: 219) zu verstehen sind. Die erste, offensichtliche, d.h. oberflächliche Ansicht ist wieder die fetischisierende Sichtweise. Sie zeigt das Wesentliche nur in verkehrter Form.
Wir haben hier eine ähnliche Situation wie bei der Grundrente. Die Grundrente im Kapitalismus ist eine Unterform des Mehrwerts, wie es sie im Feudalismus gar nicht gibt (MEW 25: 59). Dazu schreibt Marx auch:
„Z. B. nichts scheint naturgemäßer, als mit der Grundrente zu beginnen, dem Grundeigentum, da es an die Erde, die Quelle aller Produktion und allen Daseins, gebunden ist und an die erste Produktionsform aller einigermaßen befestigten Gesellschaften — die Agrikultur. Aber nichts wäre falscher. In allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen Rang und Einfluß anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worin alle übrigen Farben getaucht sind und [die] sie in ihrer Besonderheit modifiziert.“ (MEW 42: 40)
Man könnte auch meinen, man müsse mit der Konkurrenz beginnen (z.B. im „Kapital“ schon bei den Kapiteln über „Ware“ und „Wert“). Aber wenn man mit der allgemeinen, schon in vorkapitalistischen Zeiten vorkommenden Konkurrenz begänne, würde man an Wesentlichem im Kapitalismus vorbeigehen. Simon Sutterlütti und Stefan Meretz folgen in ihrem Buch „Kapitalismus aufheben“ der Theorie von Ellen Meiksin Wood, wonach sich die Märkte und die Konkurrenz im Kapitalismus von denjenigen vor und außerhalb des Kapitalismus dadurch unterscheiden, dass der Tausch „die Existenzbedingungen des Großteils der Bevölkerung zu dominieren begann“ (Sutterlütti, Meretz 2018: 209). Dabei lassen sie unerwähnt, dass sich natürlich überall auf der Welt schon längst große Handelssysteme entwickelten, bei denen ebenfalls schon getauschte Waren „die Existenzbedingungen des Großteils der Bevölkerung“ dominierten. Im matriarchalen Juchitán etwa besteht zwar weiterhin einer Subsistenzorientierung und ein „Netz der Gegenseitigkeit“ Bennholdt-Thomsen (1994a: 28), aber das erste Kapitel nach der Einleitung in diesem Buch ist benannt: „Der Markt: das Herz Juchitáns“ (Bennholdt-Thomsen 1994b: 38). Der Markt, auf dem 14% aller Frauen ihr Ein- und Auskommen finden (ebd.), ist „der Platz der Frauenöffentlichkeit“ und kulturell so eingebettet, dass sich aus ihm nicht die aus dem Kapitalismus bekannten Eigenlogiken entwickeln. Es kommt bei Märkten, dem Vorkommen von Konkurrenz und Geld durchaus auf die Einbettung in die gesellschaftlichen Verhältnisse an, „die allen übrigen und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen Rang und Einfluß anweist“ (Marx s.o.) und sie können nur aufgrund ihres Vorhandenseins alleine, oder sogar auch wenn sie viele Wirtschaftstätigkeiten dominieren, kein Erklärungsgrund sein.
Wenn es nicht die „Dominanz“ der Märkte, auch nicht der Lebensmittelmärkte (ohne die Enteignung der Menschen von ihren Produktionsmitteln zu betrachten) ist, was ist es dann, was die Märkte, die Konkurrenz und das Geld im Kapitalismus zu einer besonderen Form von Märkten, Konkurrenz und Geld macht?
Das lässt sich mit Marx nur nach dem Verständnis des Kapitalismus als Klassenverhältnis begreifen und darstellen. Wir hatten schon erwähnt, dass das Klassenverhältnis von Marx erst am Ende der drei Bände des „Kapitals“ bearbeitet werden sollte. Es sollte die Theorie des Kapitalismus abrunden mit dem schließlich erkannten Grund von allem, was zu Beginn nur als abstraktes Moment eingeführt wurde. Das Klassenverhältnis im Kapitalismus besteht darin, dass sich die gesellschaftlichen Subjekte dadurch unterscheiden, dass die einen kein Eigentum an Produktionsmitteln haben und die anderen dieses Eigentum besitzen, wodurch sie über die Zwecke der Produktion bestimmen können (heute aus ökologischen Gründen besonders problematisch) und sich das Mehrprodukt in Form von Mehrwert aneignen können (Ausbeutung).
„Die erste Bedingung der Kapitalentwicklung ist die Trennung des Grundeigentums von der Arbeit, das selbständige Gegenübertreten der Erde – dieser Urbedingung der Arbeit – als selbständige Macht, in der Hand einer besondren Klasse befindliche Macht, gegenüber dem freien Arbeiter.“ MEW 26.1: 20, vgl. ebenso S. 44 – hier gegen seine bürgerlichen Vorgänger)
Nur auf Basis des so begründeten Mehrwerts kann man marxistisch von Profit (der die Ausbeutung dann wieder verschleiert) sprechen. Und Mehrwert ist nicht nur einfach quantitativ „mehr Wert“, sondern mit ihm geht ein „Riß“ (MEW 26.1: 59) durch die Geschichte, ein qualitativer Umbruch, ein „Umschlag des Gesetzes des Werts in sein Gegenteil“ (ebd.).
Profit unterscheidet sich von Mehrwert dadurch, dass in der Profitrate nicht nur das Verhältnis des Mehrwerts zur lebendigen Arbeit (wie bei der Mehrwertrate), sondern das Verhältnis des Mehrwerts zum gesamten vorgeschossenen Kapital (also auch des konstanten Kapitals) betrachtet wird. Dabei kommt es im entwickelten Kapitalismus dazu, dass sich die Proftraten gesamtgesellschaftlich (erst national, schließlich mehr und mehr auch global) angleichen. Zuerst unterscheiden sie sich auch zwischen den Unternehmen, weil alle Unternehmen bzw. Branchen jeweils unterschiedliche Maße von konstantem und variablem Kapital einsetzen. Hier bekommt nun die Konkurrenz ihre spezifische Funktion im Kapitalismus. Sie bedeutet weniger den Konkurrenzkamp des einen Unternehmers gegen irgend einen anderen oder viele andere. Sondern jeder muss sich mit der Durchschnittsprofitrate messen.[2]
„Was die Konkurrenz bewirkt, ist die Equalisierung der Profite, also die Reduktion der Werte der Waren zu Durchschnittspreisen.“ (MEW 26.2.: 64)
„Die Konkurrenz der Kapitalien sucht so jedes Kapital als Stück des Gesamtkapitals zu behandeln und danach seine Partizipation am Mehrwert und daher auch Profit zu regulieren.“ (MEW 26.2: 23).
Erst auf diese Weise wird die Dynamik in Gang gesetzt, die u.a. bei Sutterlütti und Meretz nur beschrieben, aber nicht in ihrem Kern erklärt worden ist: Verwertungszwang, Wachstumszwang usw. (Sutterlütti, Meretz 2018: 32). Auch den ständig wiederholten Behauptungen über den Wachstumszwang im Kapitalismus, der die Unmöglichkeit des Übergangs zu einem ökologisch vertretbaren Wirtschaften begründe, fehlt in der Argumentation noch dieser Abgleich der Durchschnittsprofitrate. (siehe dazu Schlemm 2022)
Die Bedeutung der Durchschnittsprofitrate beschreibt Marx so:
„Sobald die kapitalistische Produktion einen gewissen Entwicklungsgrad erreicht hat, geht die Ausgleichung zwischen den verschiednen Profitraten der einzelnen Sphären zu einer allgemeinen Profitrate keineswegs bloß noch vor sich durch das Spiel der Attraktion und Repulsion, worin die Marktpreise Kapital anziehn oder abstoßen.“ (MEW 25: 220)
Da nun unzweifelhaft der Begriff des Profits den des Mehrwerts voraussetzt (vgl. auch MEW 25: 703), zeigt sich, dass das ausbeutende Klassenverhältnis genau das Verhältnis ist, das allen Momenten des gesellschaftlichen Verhältnisses, auch der Konkurrenz seine Besonderheit im Kapitalismus zuweist. Würde man in oberflächlicher Weise von vereinfachten Vorstellungen von Konkurrenz ohne die Voraussetzung des Klassenverhältnisses ausgehen, wird alles falsch und „so, auf den Kopf gestellt“ (ebd.). Das fünfzigste Kapitel des „Kapitals“ ist sogar betitelt mit „Der Schein der Konkurrenz“ (ebd.: 860). Und abschließend zu diesem methodisch falschen Ausgehen von der Konkurrenz: „Kurz, die Konkurrenz muß es auf sich nehmen, alle Begriffslosigkeiten der Ökonomen zu erklären, während die Ökonomen umgekehrt die Konkurrenz zu erklären hätten.“(ebd.: 873).
Insbesondere bei Adam Smith findet Marx die von ihm auch verwendeten Kategorien schon vor, sieht sie dort aber bloß in einem „Zusammenhang, wie er scheinbar in den Erscheinungen der Konkurrenz gegeben ist und sich also dem unwissenschaftlichen Beobachter darstellt, ganz ebensogut wie dem in dem Prozeß der bürgerlichen Produktion praktisch Befangenen und Interessierten.“ (MEW 16.2: 162). Das feit nachmarxistische Autoren nicht davor, den oberflächlichen Betrachtungen ebenfalls zu verfallen.
Literatur
Bennholdt-Thomsen, Veronika (1994a): Juchitán – Stadt der Frauen. In: Veronika Bennholdt-Thomsen (Hg): Juchitán – Stadt der Frauen. Hamburg: Rowohlt. S. 13-36.
Bennholdt-Thomsen, Veronika (1994b): Der Markt- das Herz Juchitáns. In: Veronika Bennholdt-Thomsen (Hg): Juchitán – Stadt der Frauen. Hamburg: Rowohlt. S. 38-47.
Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt a.M., New York: Campus.
Kurz, Robert; Lohoff, Ernst (1989): Der Klassenkampf-Fetisch. Thesen zur Entmythologisierung des Marxismus. In: krisis. Kritik der Warengesellschaft. (abgerufen 2021-05-23)
Marx, Karl; Engels, Friedrich (MEW 25): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Band 25. Berlin: Dietz 1964.
Marx, Karl; Friedrich Engels (MEW 26.1): Werke, Band 26. Theorien über den Mehrwert. Erster Teil. Berlin: Dietz Verlag 1965.
Marx, Karl; Friedrich Engels (MEW 26.2): Werke, Band 26. Theorien über den Mehrwert Vierter Band des „Kapitals“). Zweiter Teil: Achtes bis achtzehntes Kapitel. Berlin: Dietz Verlag 1967.
Marx, Karl (MEW 42): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke Band42. Berlin: Dietz Verlag 1983.S. 47-768.
Schlemm, Annette (2009): Schlemm, Annette (2009): Zur „Logik“ des Kapitals. (nicht mehr online).
Schlemm, Annette (2009/2021): Das „Kapital“ studieren – aber wie? (abgerufen 2021-05-23)
Schlemm, Annette (2011): Geld ist Kapital und ist nicht immer Kapital. (abgerufen 2021-05-23)
Schlemm, Annette (2017): Der Klassenkampf!… da ist er aber immer noch… . Osnabrück: Packpapierverlag.
Schlemm, Annette (2018): Über Utopie und Transformation neu nachdenken 1. O (abgerufen 2021-05-23)
Schlemm, Annette (2022): Geil wie ein Bock. In: junge Welt, 13. Juni 2022, Nr. 134, S. 12-13.
Sutterlütti, Simon (2017): Kommentar zum Blogbeitrag: „Geld ist Kapital und ist nicht immer Kapital“ (s.o. Schlemm 2011). (abgerufen 2021-05-23)
Sutterlütti, Simon; Meretz, Stefan (2018): Kapitalismus aufheben. eine Einladung, über Utpie und Transformation neu nachzudenken. Hamburg: VSA Verlag.
Wood, Ellen Meiksin (2015): Der Ursprung des Kapitalismus. Eine Spurensuche. Hamburg: LAIKA Verlag.
[1] Ungefähr steht es so hier, es gab aber noch eine andere Stelle in einer Kommentierung durch Stefan.
[2] Das heißt, der Übergang von vorher vereinzelt vorkommenden kapitalistischen Momenten wird im „Dominanzwechsel“ (Holzkamp 1983: 76f., 151,174, wobei schon Holzkamp auf die Grenzen einer Übertragbarkeit seiner funktional-historischen Analyse der Evolution des Psychischen auf andere Gegenstände aufmerksam machte (ebd.: 57ff.)) nicht einfach durch die „Dominanz“ des Moments erreicht, wie etwa eine „Dominanz“ des Marktes (wie bei Wood).
Juni 23, 2022 at 9:19 pm
„Mehrwert ist doch nur mehr Wert“: Da hat der gute Mann nicht die richtigen Lehrer in Politischer Ökonomie gehabt. Marx hätte vermutlich „Profit heckender Wert“ und nicht „Mehrwert heckender Wert“ geschrieben, wenn Mehrwert für ihn nurmehr etwas Nebensächliches gewesen wäre.
Juni 23, 2022 at 9:50 pm
Bei aller Anerkennung der Leistungen Marx darf sich nicht gescheut werden, auf seine Irrtümer hinzuweisen. Oben betrifft das seine Entwicklungstheorie. Doch war der heute bekannte Stammbaum der Lebewesen noch nicht bekannt, oder nicht so. In ihm geht die Höher- bzw. Weiterentwicklung der Arten nicht von der jeweils am höchsten bzw. weitesten entwickelten Art aus. Nach Thomas Kuczynski (Vortrag am Institut für Wirtschaftsgeschichte etwa 1987) entstanden die ersten (vor-?)kapitalistischen Produktionsformen(weisen?) in Italien in Wollmanufakturen auf dem Lande (und nicht in den Städten). Nun bin ich – wegen bekannter Beispiele aus der Physik-Geschichte und obwohl mein Freund Dieter Hoffmann anderer Ansicht ist – nicht der Meinung, dass die historische und logische Entwicklung der Erkenntnis stets gemeinsam vorangehen. Nichtsdestoweniger ist das Verständnis der historischen Entwicklung hilfreich für das Verständnis der logischen Entwicklung. Umgekehrt hilft das Verständnis vergessener früherer Einsichten beim Lösen heutiger Aufgaben.
Juni 23, 2022 at 10:29 pm
Wenn ich mich richtig erinnere, sind die grundlegendsten Begriffe der Politischen Ökonomie zunächst die Eigentumsverhältnisse und dann die Produktionsverhältnisse. Z. B. ist im Feudalismus die prägende Herrschaftsform die Grundherrschaft, erfuhr ich von meiner Mutter Lieselott Enders, der ihrerzeit führenden Historikerin für das Land Brandenburg von der Frühen Neuzeit bis 1815. (Insofern ist der Begriff „Meudalismus“ irreführend.) Dass die bürgerliche Ideologie den Begriff „Eigentumsverhältnisse“ scheut wie der teufel das Weihwasser, wurde auch heute Abend wieder deutlich, als auf einer Veranstaltung des „Progressiven Zentrums“ der SPD-Generalsekretär, eine Grünen-Vorsitzende und eine stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion u. a. über Gerechtigkeit in den ggw. Umbrüchen diskutierten. (Leider war der Moderator von „Der Zeit“ zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die allgemeinplätzigen Antworten der FDP-Vertreterin hartnäckig zu hinterfragen. Ich habe ihm das hinterher gesagt, aber auch danach erhielt ich eine eher selbstverliebte nichtssagende Antwort. Nun ja, „Die Zeit“ steht ja viel weiter rechts als die SPD stehen sollte, da hätte Jemand von der FR vermutlich besser gepasst — aber dann wäre die FDP-Vertreterin vielleicht nicht angetreten.) Wer soll das alles bezahlen? Kühnert und Lang sahen Diejenigen in der Verantwortung, die sich das leisten können – die FDP-Frau sagte, dass die Ansichten über den Weg dahin bekanntermaßen verschieden seien. —
„Wer den Klassenkampf leugnet, hat ihn schon verloren“, sagte ein IG-Metall-Funktionär auf einer unserer Betriebsratssitzungen. Die weit überwiegenden anwesenden Wessis haben das nicht verstanden.
Da fällt mir wieder Biermanns Lied vom Roten Stein der Weisen ein.
Und, genau dazu passend, die Parlamentswahl in Frankreich: Weshalb haben sich die Macron-Gegner nicht schon damals geeinigt??
Der „Alles verhindernde persönliche Faktor“? Das war bei der gescheiterten Vereinigung von Hertha BSC und Tennis Bosrussia Mitte der 1980-er Jahre so: nur 1 Verien – nur 1 Vereinsvorstand. (Hertha hat überlebt — Tennis Bosrussia ist bedeutungslos geworden. Persönliche Verantwortung hat hierfür vermutlich niemand übernommen: wo kämen wir denn da hin?!! Zur Gerechtigkeit? Igittigitt!)
Juni 23, 2022 at 10:38 pm
Danke, dass Du auf die Zwänge hinweist. Zugleich sollte Konkurrenz als ein wichtiger Teil dessen nicht vernachlässigt werden. Gerade ist die Standort-Konkurrenz bei Ford zwischen Valencia und Saarland zuungunsten des Saarlands ausgegangen. Gleichwohl ist die Konkurrenz keine Ursache in der Warenwirtschaft, sondern eine Folge derselben.
Juni 27, 2022 at 8:33 am
Hallo Annette,
vielen Dank für deinen Aufschlag bei diesem nicht unwichtigen Thema. Nach meinem Verständnis ist die Arbeitskraft als Ware historisch neu und an die kapitalistischen Produktionsbedingungen gebunden. Der Satz „Mehrwert ist nur mehr Wert“ ist auch deshalb fragwürdig. Die Verwertung der Arbeitskraft mit dem Ziel Mehrwert zu hecken ist für den K entscheidend.
Ausbeutung, Profit und Mehrwert sind nachgeordnete Begriffe, die deshalb nicht unwichtig werden. Gleichwohl stellt sich ja die Frage, ob die Wertlogik auf immer und ewig bestehen soll. Mir scheint es so, als sei die Existenz bzw. Nichtexistenz der oben genannten Begriffe direkt mit der Wertlogik und ihrer Aufhebung verbunden.
Entfällt die den Kapitalismus konstituierende Verbindung zwischen Wert und Arbeit, so werden die Begriffe bedeutungslos. Aber davon sind wir heute weit entfernt. Trotzdem soll man über die Aufhebung der Wertlogik nachdenken.
In einem deiner letzten Texte kommt es zu einem Revival der Bedeutung der Arbeiterklasse. Ich habe daraufhin festgestellt, dass ich seit 47 Jahren Gewerkschaftsmitglied bin (davon mehr als 20 Jahre recht aktiv). Die Bedeutung der Klassenverhältnisse als Gesellschaftsverhältnisse im K stellst du sehr deutlich heraus.
Zurück zum Aufheben. Selbstverständlich muss man, was utopisches Denken anbetrifft, auch die Aufhebung dieses historischen Subjekts mit einbeziehen. Im realexistierenden Sozialismus wurde daran wohl nur an sehr festlichen Tagen mal gedacht (wenn überhaupt).
Was also Aufhebung anbetrifft, so bleibt diese nicht bei der Wertlogik stehen. Die genaue Verbindung zwischen beidem (Wert und Arbeiterklasse) bekomme ich im Moment auch nicht hin, weil mich bereits die dritte Aufhebung beschäftigt, die des Staates.
Im realexistierenden Sozialismus machte man sich über alle drei m.E. wenig Gedanken. Den Staat schleppte Sowjetrussland als Erbschaft der II. Internationale mit sich herum, ohne deren Fixierung auf Wahlen. Die Möglichkeit des K (Wertlogik) für das Zarenreich nachzuweisen, stammte ebenfalls aus dieser Zeit (ca. 1890): die sog. legalen Marxisten wollten den Volkstümlern beweisen, dass in Russland K möglich ist. (Ist ihnen letztlich ja auch gelungen – in der Sowjetunion.) Alle drei Kategorien – Wert, Arbeiterklasse, Staat – standen nie in Zweifel. Das sollten sie aber.
Beste Grüße
Wilfried
Juni 27, 2022 at 8:49 am
Hallo Wilfried, danke für den Kommentar,
„auch die Aufhebung dieses historischen Subjekts mit einbeziehen. Im realexistierenden Sozialismus wurde daran wohl nur an sehr festlichen Tagen mal gedacht (wenn überhaupt).“
Doch, es war sogar begrifflich erfasst: Nicht umsonst wurde die Trägerklasse der ausgebeuteten lebendigen Arbeit oft bewusst „Proletariat“ genannt, während die Träger(klasse) der lebendigen Arbeit nach dem Kapitalismus die „Arbeiterklasse“ in einem engeren Sinne der sonstigen Bezeichnung war. Praktisch gab es auch Ansätze, die Verfügung über den Produktionsprozess auch konkret stärker in ihre Hände zu legen: entsprechende Planungsmethoden mit „Gegenplänen“, Führung von einzelnen Produktionsstätten als „Jugendobjekte“ (wie der Stall, in dem ich meinen ersten Beruf gelernt habe). Und die Facharbeiterausbildungsprogramme waren explizit darauf ausgerichtet, dass die Lehrlinge den gesamten Produktionsprozess in seinen wirtschaftlichen Kontexten begreifen lernten, um wenigstens geistig nicht nur Rädchem im Getriebe sein zu müssen. Genau dazu hatte ich meine Facharbeiter-Abschlussarbeit geschrieben (damals waren Tier- und Pflanzenproduktion zu weit auseinander gedriftet, so dass wir als Rinderzüchter:innen zu wenig davon wusste, was eigentlich wann als Futterpflanze wächst) – aber ich war genau deshalb gebeten worden, das aus meiner Sicht und Erfahrung in der Abschlussarbeit zu behandeln…
Juni 27, 2022 at 10:13 pm
Danke für die sehr ausführliche Darstellung. Muss nicht auch die Arbeiterklasse als Träger der lebendigen Arbeit nach dem Kapitalismus (sprich: im Postkapitalismus) irgendwann aufgehoben werden? Spätestens in der kommunistischen Gesellschaft, die dem Sozialismus folgen soll? Da müsste auch der Staat aufgehoben werden, wenn ich das richtig sehe.
Juni 28, 2022 at 4:56 pm
„Muss nicht auch die Arbeiterklasse als Träger der lebendigen Arbeit nach dem Kapitalismus (sprich: im Postkapitalismus) irgendwann aufgehoben werden? “ Siehe die Antwort weiter oben: Es ist eine Frage der Bezeichnung. Wenn Du das, was ich oben „Proletariat“ nenne, „Arbeiterklasse“ nennst, dann wird eben das aufgehoben, egal wie es heißt. Aber es muss weiterhin Leute geben, die arbeiten (nicht mehr lohnarbeiten). Und die kommen mindestens aus der Klasse derer, die schon immer auch konkret geabeitet haben…
Juni 29, 2022 at 6:29 pm
Hallo Annette,
ich tue mich schwer mit deiner Begründung. Bislang habe ich die Begriffe „Proletariat“ und „Arbeiterklasse“ immer synonym verwendet. Ich ging davon aus, dass die ersten Arbeiter gar keine sein wollten und sich wehrten. Dass ihnen der Arbeitsmarkt wie Prostitution vorkam. (Das Marx-Zitat unten (MEW 23:763) relativiert diese Sicht. Der „stumme Zwang der Verhältnisse“ wirkt doch rascher, als ich es dachte.)
Du schreibst:
Es „wurde die Trägerklasse der ausgebeuteten lebendigen Arbeit oft bewusst „Proletariat“ ge-nannt, während die Träger(klasse) der lebendigen Arbeit nach dem Kapitalismus die „Arbeiterklasse“ in einem engeren Sinne der sonstigen Bezeichnung war.“ (27.6.)
Im 1. Kapital-Band steht zu Proletariat und Arbeiterklasse:
Mittels der ursprünglichen Akkumulation „entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt.“ (763)
und
„Geschichtlicher Beruf“ des Proletariats sei „die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen.“ (22)
Du hast zusätzlich geschrieben:
„Es ist eine Frage der Bezeichnung. Wenn Du das, was ich oben „Proletariat“ nenne, „Arbeiterklasse“ nennst, dann wird eben das aufgehoben, egal wie es heißt.“ (28.6.)
Entschuldige bitte meine Begriffsstutzigkeit: Den Satz verstehe ich in dem Kontext gar nicht.
Beste Grüße
Wilfried
Juni 30, 2022 at 8:01 am
Es ist egal, ob wir das eine „Proletariat“ und das andere „Arbeiterklasse“ oder wie auch immer nennen: Analytisch ist zu unterscheiden: Einmal nimmt die lebendige Arbeitskraft die Form an, in der sie das Kapitalverhältnis reproduzeirt, d.h. das sie nur konkret arbeitet insofern sie auch abstrakte Arbeit ist. Das andere Mal kann sie auch konkret arbeiten, ohne abstrakt zu arbeiten, also nutzenswerte Produkte herstellen, ohne Wert/Mehrwert im politökonomischen Sinn herzustellen. Die Träger:innen sind jedes Mal Menschen, die ihre Arbeitskraft einsetzen. Worauf ich hinaus will, ist dass „Menschen, die ihre Arbeitskraft einsetzen“, nicht von vornherein unterstellt wird, sie könnten doch NUR den Kapitalismus reproduzieren (wollen), weil sie schließlich auch (in der einen Form) abstrakte Arbeit leisten/Wert produzieren.
Juli 18, 2022 at 7:03 pm
„Einmal nimmt die lebendige Arbeitskraft die Form an, in der sie das Kapitalverhältnis reproduzeirt, d.h. das sie nur konkret arbeitet insofern sie auch abstrakte Arbeit ist. Das andere Mal kann sie auch konkret arbeiten, ohne abstrakt zu arbeiten, also nutzenswerte Produkte herstellen, ohne Wert/Mehrwert im politökonomischen Sinn herzustellen. Die Träger:innen sind jedes Mal Menschen, die ihre Arbeitskraft einsetzen.“
Kannst Du dafür bitte Beispiele nennen? Danke!
Juni 30, 2022 at 5:07 pm
Danke für deine Geduld. Jetzt hat es geklickt. Diese Aufhebung verstehe ich. Auch die Vorbehalte gegen Sichtweisen, die du am Schluss äußerst (ich würde darunter den Pessimismus der Frankfurter Schule wie manche Äußerungen aus wertkritischer Sicht), kann ich nachvollziehen.
Juni 30, 2022 at 5:42 pm
„Z. B. nichts scheint naturgemäßer, als mit der Grundrente zu beginnen, dem Grundeigentum, da es an die Erde, die Quelle aller Produktion und allen Daseins, gebunden ist und an die erste Produktionsform aller einigermaßen befestigten Gesellschaften — die Agrikultur. Aber nichts wäre falscher.“
PE: Jenes war offenbar eine Schlussfolgerung Derjenigen, die allzusehr an ihrer historischen Gegenwart klebten, d.h. an der Grundherrschaft im Feudalismus. Dagegen hat Marx das viel allgemeiner verstanden:
„In allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen Rang und Einfluß anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worin alle übrigen Farben getaucht sind und [die] sie in ihrer Besonderheit modifiziert.“ (MEW 42: 40)
Juni 27, 2022 at 8:51 am
Trotzdem gibt es zwischen Wertlogik und Kapitalverhältnis die Beziehung, dass das Kapitalverhältnis der Grund für erstere ist und nicht umgekehrt.
Juni 27, 2022 at 10:22 pm
Es sieht mir eher nach einem Henne-Ei-Problem aus: Kein Kapitalverhältnis ohne Wertlogik, keine Wertlogik ohne Kapitalverhältnis.
Ich verstehe das Kapitalverhältnis als Klassenverhältnis im Kapitalismus. Dies ist ein Herrschaftsverhältnis. Muss das bereits bestehen, um dann darauf Ware, Tauschwert, Wert, Gebrauchswert aufzubauen, die doppelte Freiheit der Arbeiter‘innen zu etablieren?
Juni 28, 2022 at 4:58 pm
Zumindest gibt es die Begriffe und entsprechende Realitäten von „Waren“, „Geld“, „Markt“ und „Konkurrenz“ auch außerhalb des Kapitalismus. Aber diese Realitäten sind nicht zu verwechseln mit denen IM Kapitalismus. Dort formt die Totalität des Kapitalverhältnis diese Phänomene nach seiner Logik um. Es gibt Phänomene dieses Namens zweimal und diese unterscheiden sich in ihrer Grundqualität und Bewegungslogik.
Juni 30, 2022 at 6:34 pm
Als Außenseiter kann ich nichts zum Gebrauch der Begriffe „Arbeiterklasse“ und „Proletariat“ in akademischen u. a. Diskussionen beitragen. Deshalb nur diese drei Anmerkungen:
1) In „1984“ sind „die Prols“ die Unterklasse, ihre Beziehung zum Produktionsprozess wird nicht behandelt, ist für das Anliegen des Authors Eric Arthur Blair auch nicht wichtig (wie bei LTI).
2) Umgangssprachlich kenne ich die Bezeichnung „Prols“ für rücksichtslose Nachbarn.
3) Wie ich hier bereits früher (offensichtlich leider erfolglos) betonte, hat um etwa 1986 eine sowjetische Soziologin aus Nowosibirsk den Klassenbegriff differenziert, indem sie „Schichten“ eingeführt hat. Mit meinen Erfahrungen als Schüler, Praktikant, Wissenschaftler und Ingenieur, Personal- und Betriebsratsmitglied vor und nach der Wende kann ich dieser ihrer Differenzierung nur zustimmen.
PS: Damit rücke ich nicht von Wolf Biermann ab:
„Der Kampf ist hart,
Und unser Feind,
Ist schlauer als wir und hat sich vereint,
ist schlauer als wir und hat sich vereint
Und will uns einzeln schlagen.“
(Zum Schluss dieses Liedes ertönt eine ebenso allgemeingültige Aussage, die ob ihrer leichteren Fassbarkeit vielleicht noch mehr zum tosenden Beifall in der Ernst-Gruga-Halle beigetragen hat:
„Wer ist der Linkste im ganzen Land?
Das kann kein Spiegel sagen.“)
PS2: Dieser Anspruch des „Spiegel“ scheint mir nach wir vor zu bestehen: Was meint Ihr?
Juli 19, 2022 at 8:15 am
Ja, der Übergang zur Diskussion von „Schichten“ oder „Milieus“ war der Übergang zur Leugnung der grundlegenden Interessengegensätze zwischen Klassen. Natülich sind die Klassen in sich noch mal vielfach differenziert. Aber der grundlegende Unterschied, dass die einen über die Produktion, ihren Zweck, ihre konkrete Organisierung etc. entscheiden, und die anderen darauf keinen Einfluss haben, sondern sich danach richten müssen, wird, wenn man nur über quantitative Unterscheidungen (oben, mitte, unten) innerhalb einheitlicher Schichtungen spricht, unsichtbar gemacht. Unsichtbar gemacht werden z.B. kausale Zusammenhänge: Die einen sind „da unten“, weil die anderen „da oben “ sind. Und eben die strukturellen Grundlagen; es wird gar nicht mehr nach dem Eigentum und der Verfügung über Produktionsmittel gefragt.
Juli 19, 2022 at 8:27 pm
Ich hatte damals nicht den Eindruck, dass die Soziologin von den Klassenverhältnissen ablenken wollte, habe das allerdings nicht im Detail verfolgt. Für eine bürgerliche Theorie wäre das nicht verwunderlich. Hier wurde z. B. in den 1960-er Jahren die Nebelbombe geworfen, die (Spitzen-)Manager seien nun Diejenigen, die das Sagen in der Wirtschaft hätten.
Soziologisch macht das jedoch Sinn: Die, sagen wir, Hilfsarbeiter, Landarbeiter, Bandarbeiter, Meister, Ingenieure und untere Führungskräfte haben unterschiedliche Einstellungen zu ihrer Rolle im Produktionsprozess und zum Verhältnis von Arbeit und Kapital. Das zeigt sich deutlich u. a. an ihren Mitgliedsanteilen in den Gewerkschaften und — vermute ich — ihrem Wahlverhalten und Interesse an alternativen Gesellschaftsmodellen. Deshalb würde es Dir wahrscheinlich helfen, derartige Unterscheidungen ernst zu nehmen 🙂
Juli 20, 2022 at 7:24 am
Ja, ich habe mich ja nie dagegen ausgesprochen, Unterschiede zu erkennen. Es gibt übrigens auch die Unterscheidung von bestimmten qualitativen Charakteristika, um die Klassenbestimmung nicht nur an einer einzigen festzumachen. Das beginnt auf der objektiven Seite bei den Klassenverhältnissen (ob jemand Eigentum an Produktionsmitteln hat oder nicht), geht weiter über die Klassenlagen und auch die Lebensweisen weiter ins Subjektive in Richtung von (Klassen-)Bewusstsein bis zum politischen Handeln. Da gibt es viele Vermittlungsschritte zu unterscheiden, statt z.B. zu sagen: „Die haben ja kein/zu wenig Bewusstsein – deshalb gibt es sie nicht“.
Juli 21, 2022 at 1:42 pm
War die DDR, waren die aus der Oktoberrevolution 1917 folgenden Gesellschaften (schlicht: der Ostblock) klassenlos, also ausschließlich durch Schichten und Milieus differenziert?
Dazu würde mich mal deine Meinung interessieren.
Juli 23, 2022 at 8:32 am
Hallo Wilfried,
nein, die DDR und die anderen so-weit-wie-möglich-sozialistischen Staaten haben sich auch selbst noch nicht als klassenlos definiert. Es wurde vor allem noch die Klasse der Arbeiter und der Bauern unterschieden. Zwischen den Klassen gab es allerdings keine Ausbeutungsverhältnisse, d.h. auch keine antagonistischen Gegensätze.
Von manchen wurde diskutiiert, ob sich eine Klasse der Bürokraten entwickelt hätte, die nun andere ausbeutet, aber da halte ich nichts davon – diese Phänomene muss man theoretisch wohl anders anpacken.