Der Krieg in der Ukraine zeigt unübersehbar die Zerstörungen und Verluste, die sonst „irgendwo auf der Welt“ vor unseren Augen – aber doch meist übersehen – stattfinden.
Mit dem Krieg in der Ukraine verfestigt sich auch wieder ein kultureller Ungeist, der keine Alternative mehr zu militärischen Eingriffen in laufende Kriege sieht. Wer Rüstungslieferungen in Frage stellt, wird als Feind der Verteidiger in der Ukraine dargestellt. Was bei dieser scheinbaren Alternative: Entweder Russland oder die Ukraine zu unterstützen, völlig aus dem Blick gerät, sind Alternativen der friedlichen Konfliktbearbeitung. Dabei müssten allerdings echte Interessen in den Blick genommen werden, statt eine Seite zu verteufeln. Auch beim Hitlerfaschismus ging es nie nur um Hitler, sondern um die Interessen der Kapitalseite, die Hitler überhaupt erst zu seiner Macht verholfen hatten.
Überhaupt ist natürlich der Kampf gegen den Hitlerfaschismus vor allem auch durch die Sowjetunion das Paradebeispiel dafür, dass es manchmal wohl nicht ohne Waffengewalt geht. Allerdings: was so in der Ukraine vor sich ging und jetzt geht an Faschisierung lässt befürchten, dass die Fronten hier völlig durcheinander geraten. Es gibt wirklich irrationale und kaum verständliche Handlungsmotive, aber es würde die Debatte wirklich versachlichen, wenn immer wieder auf reale Interessen und noch mal auf Interessen und immer wieder auf die Interessen geschaut würde. Geopolitische, ökonomische und viele andere. In der Geschichte war dies schon einmal gelungen, nachdem vorher nur Leidenschaften und Begierden als Motive des politischen Handelns betrachtet worden waren – wie jetzt wieder.
„Sobald einmal die Leidenschaft als zerstörerisch und die Vernunft als wirkungslos betrachtet wurden, bot die Auffassung, daß das menschliche Handeln sich aus einem von beiden erschöpfend erklären oder ableiten ließe, eine außerordentlich düstere Perspektive für die Menschheit. Als daher das Interesse sich wie ein Keil zwischen die beiden überkommenen Kategorien des menschlichen Verhaltens schob, war dies eine hoffnungsvolle Botschaft“ (Hirschmann 1987: 52)
Deshalb ist es richtig, wenn der Jenaer und Erlanger Friedensappell vom Februar 2022 fordert:
Um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen, muss es einen fairen Ausgleich der Interessen aller am Konflikt Beteiligten bzw. vom Konflikt direkt Betroffenen geben. Dazu gehören insbesondere die legitimen Sicherheitsinteressen der Ukraine, Russlands und ihrer Nachbarstaaten.
Andere Verteidigungsmethoden außer der militärischen scheinen gerade jetzt, wo sie extrem wichtig wären, völlig vergessen. Ich hatte in einem früheren Blogbeitrag bereits davon berichtet. Statt über diese Alternativen zu berichten, wird im Fernsehn in einer Serie grad massiv Werbung für die Bundeswehr gemacht. Gleichzeitig wurde die Friedens- und Konfliktforschung immer mehr ausgetrocknet.
Es bleibt wirklich zu hoffen, dass eine Erinnerung an solche Alternativen noch gelingt, ein Umschwenken in zivile Formen des Austragens von Interessen. Dies bedarf aber einer starken Friedensbewegung. Auch hierfür hatte ich bereits einige Andockstellen genannt.
Wir können jetzt schon wissen, dass die Kriegsgefahren eher zu- als abnehmen werden. In einer Broschüre des Fördervereins Frieden e.V. und des Netzwerks Friedenskooperative steht dazu:
Die Friedensbewegung muss sich darüber hinaus zukünftig auch weiteren neuen Herausforderungen stellen. Seit jeher hatten Klimaveränderungen Einfluss auf das Zusammenleben der Menschen und haben dazu geführt, dass Gesellschaften erhöhten Belastungen ausgesetzt wurden, beispielsweise durch Nahrungs- oder Wasserknappheit, was wiederum zu gewaltsamen Konflikten führte. In den kommenden Jahren wird sich der von Menschen verursachte Klimawandel rapide beschleunigen. In Kombination mit anderen Faktoren wie Ressourcenknappzeit wird die Wahrscheinlichkeit neuer Konflikte zunehme. Auch hier ist die Friedensbewegung gefragt.
Die Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V. (ippnw) hat gerade darauf hingewiesen, dass schon in Friedenszeiten 5,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen vom Militär zu verantworten sind. Diese Emissionen werden in den Klimaabkommen gar nicht berücksichtigt! Noch sieht die Welt nicht ganz so aus wie im Film „Mad Max II“, bei dem auf der Suche nach Energie die restliche Energie verschleudert wird. Dass Öl als wertvoller angesehen wird als ein Menschenleben, wie in diesem Film, erleben wir jedoch seit Jahrzehnten. Was uns alle die Kriegstreiberei kostet, zeigt eine Zusammenstellung des Bunds für soziale Verteidigung:
- Mit den Kosten für 15 Eurofighter (2,175 Mrd) könnte der Zivile Friedensdienst für fast 40 Jahre finanziert (oder entsprechend ausgeweitet) werden.
- Die geplante Anschaffung und Ausrüstung von 35 atombombenfähigen F-35-Kampfflugzeugen kostet 8,5 Mrd. Euro – für die dringenden Investitionen in die Krankenhäuser fählen jährlich 3,7 Mrd. Euro.
- Die Kosten für die Herstellung einer Wohnung von ca. 50 m2 würde so viel kosten wie 2 Stunden Flugkosten für einen Eurofighter.
- Die Kosten für das deutsch-französisch-spanische Luftwaffenprojekt (FCAS) kostenbis 2050 500 Mrd. Euro – während de r Welthunger bis 2030 mit 221 Mrd. Euro pro Jahr beendet werden könnte!
Gerade wegen der Zuspitzung aller Krisen ist die falsche Lenkung unserer Ressourden, ist der Verlust von zivilisatorischer Kultur, der jetzt hohe Ausmaße annimmt, besonders verheerend.Wir können uns nicht mehr auf der bereits erreichten Kulturstufe ausruhen, wir müssen enorme Rückschritte wieder aufholen:
Jetzt erst recht!
Auch als Einzelne kann jede*r sofort aktiv werden. Z.B. mit der Unterzeichnung und Weiterverbreitung der Forderung: „Deutschlands ziviele Friedensfähigkeit stärken„,
Am 19. November gibt es in vielen Orten Aktionen unter dem Titel „Stoppt das Töten in der Ukraine! – Aufrüstung ist nicht die Lösung“. Auch wenn die Lösung nicht einfach ist, nicht fertig auf dem Tisch liegt, muss um sie gerungen werden, statt sie aus den Möglichkeiten völlig auszuschließen.
Literatur:
Hirschmann, Albert O. (1987): Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Schlemm, Annette (2021): Was mich am „Interesse“ interessiert.
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