Heute vor 190 Jahren ist Hegel gestorben. Das erinnert mich daran, dass ich einen im Netz verschollenen Text von mir zur Frage, warum ich mich für Hegel interessiere, noch einmal suchen und die Frage beantworten wollte. Ich hab nicht den verschollenen Text (aus einem Forum, das es nicht mehr gibt) gefunden, aber die Erkärung, warum mir Hegel wichtig ist, in einem anderen Text von 2007, den ich hier teilen möchte:

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Zu einem Artikel von Fritz Reusswig zu diesem Thema

Annette Schlemm zur Vorbereitung eines Seminars
des Gesprächskreises Dialektik & Materialismus mit Fritz Reusswig

Am 12.11.2021 findet online ein Seminar mit Dr. Fritz Reusswig vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) statt. Dieses Seminar wird vom Gesprächskreis Dialektik & Materialismus gestaltet. Beteiligte am Seminar bereiten sich bereits vorher auf das Thema vor und mein folgender Text ist ein Teil davon. Ich werde im Folgenden vor allem einen Text von Fritz Reusswig referieren und Ergänzungen aus meiner Sicht einfügen, die vor allem an Kritiken an Hegels Naturphilosophie von Renate Wahsner anknüpfen.


1 Fritz Reusswig zu Hegel und dem Klimaproblem

1.1 Die Bedeutung von Philosophie

Die Bedeutung von Philosophie für bestimmte Problembereiche hat Hegel selbst thematisiert. Er schrieb in seiner „Differenzschrift“ von 1802:“ Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet […], entsteht das Bedürfnis der Philosophie“ (HW 2: 22). Reusswig konstatiert: „In der Klimadebatte ist es jetzt soweit: der Geist der Vereinigung – wenn es ihn je gab – hat dem Geist der Entzweiung Platz gemacht“ (Reusswig 2020). Fritz Reusswig sieht dabei insbesondere das dialektische Denken als einen der „Ansatzpunkte, um die Herausforderungen, die der anthropogene Klimawandel für Natur und Gesellschaft bietet, kognitiv und dann auch politisch-praktisch besser zu bewältigen“ (Reusswig 2013: 1). Für jede Gesellschaftstheorie habe die „normative Generalthese“ zu gelten, die „Gesellschaft so zu denken, dass ihre physische Reproduktion über die Zeit (und unter Einschluss des guten Lebens aller Gesellschaftsmitglieder) möglich bleibt“ (ebd.: 2). Leider herrsche derzeit eher eine „Krise einer naturvergessenen Sozialwissenschaft“ (ebd.).

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Ich habe natürlich auch in den letzten Tagen gearbeitet, die Beitragsreihe „Zu Godelier“ wird in den nächsten Tagen fortgesetzt und beendet. Zwischendurch bastle ich schon an einem neuen Thema und dafür ist mir eine neue Darstellung eingefallen:

Das kann ich natürlich nicht mal „auf die Schnelle“ erklären. Neu ist die Sortierung der Schlussformen entlang der Zwischenglieder der Vermittlung (das Besondere, das Einzelne oder das Allgemeine vermittelt).

Mehr zur Schlusslogik kann man z.B. an entsprechender Stelle im Hegel-System entnehmen, Poster dazu gibts hier bereits.

Dies gehört zum Projekt „Verstehen wir Gesellschaften als Systeme oder Verhältnisse?“.


Wir sind damit schon zu einer weiteren Unterscheidung gelangt, die in der Hegelschen Philosophie wichtig ist und auch für die Unterscheidung von systemischem und dialektischem Denken. Es geht um die Unterscheidung von Wesen und seinen Erscheinungen, um deren Verkehrung und ihre Einheit. Das Systemische bleibt im Bereich der Erscheinungen und behandelt deren gegenseitige Beziehungen und die daraus „emergierenden“ ganzheitlichen Systeme. Dass in bzw. hinter den Erscheinungen so etwas wie ein „Wesen“ enthalten bzw. verborgen ist, ist nach der anti-essentialistischen Wende im zeitgenössischen Denken fragwürdig geworden. Wie verfehlt solch ein Verzicht auf das Wesen ist, zeigt das einfache Beispiel der Planetenbewegung. Würden wir lediglich die Erscheinungen untersuchen, blieben wir bei der Beschreibung der Bewegungsveränderungen am Himmel, gesehen vom geozentrischen Standpunkt aus, stehen. Diese Bewegung wäre dann auch, wie systemtheoretisches Denken, relativ gegenüber unserem Beobachterstandpunkt, denn auf dem Mars würden wir andere raumzeitliche Koordinaten der Bewegung der anderen Planeten verzeichnen als auf der Erde. Auf jeden Fall bewegen sich für solche Beobachter alle Planeten letztlich um ihren Standpunkt herum, auf wie verworrenen Bahnen auch immer. Tatsächlich jedoch, „in Wirklichkeit“, so wissen wir seit Kopernikus, Kepler und Newton, erfolgt die Planetenbewegung entsprechend des Newtonschen Gravitationsgesetzes um die größte Masse, d.h. die Sonne herum. Das Newtonsche Gravitationsgesetz, aus dem sich die Keplerschen Planetengesetze ableiten lassen, ist das Bewegungsgesetz der Planeten. Das Wesen der Planetenbewegungen ist im physikalischen Sinne mit dem Gravitationsgesetz erkannt und diese Erkenntnis geht über die reine Beschreibung der Erscheinungsformen, der Phänomene, hinaus. Die wissenschaftliche Erkenntnis solcher Gesetze, die zwar in den Erscheinungen drin stecken, aber nicht immer offensichtlich sind, zielt darauf, das in den Erscheinungen steckende, aber oft verborgene oder gar verkehrte Wesen zu ergründen. Nach Marx ist dies auch das Kennzeichen von Wissenschaft, denn „alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen“ (Marx, MEW 25: 825).[1] (mehr …)

Oder: Wenn Stout Hegel gekannt hätte…

In einer Gesprächsrunde wurde folgende Unterscheidung von unterschiedlichen Ontologien vorgeschlagen. Ich möchte diese in Bezug setzen und ergänzen durch entsprechende Inhalte aus der Philosophie Hegels.

Diese Tabelle bezieht sich auf Ontologien, wie sie in unterschiedlichen politischen Konzepten vorausgesetzt werden. Bei Hegel wird ein Zusammenhang ähnlicher Formen entwickelt, die sich in allen Bereichen der Welt (Natur, Gesellschaft, Denken) mehr oder weniger vorfinden. (mehr …)

Kurzfassung von: Schlemm, Annette (2018): Hegels implizite Ontologie. Das Durchscheinen der Welt in Hegels Kategorialentwicklung. In: Rainer E. Zimmermann (Hrsg.): Probleme der Grundlegung nach Schelling und Bloch. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2018. S. 97-114.


Verhältnis von Dingen und Denken

  • Die subjektiven Gedanken sind „zugleich objective Verhältnisse der Wirklichkeit“ (Erdmann)
  • impliziter Materialismus: Unser Denken muss sich „nach ihnen [den Dingen, AS] beschränken, und unsere Willkür oder Freiheit soll sie nicht nach sich zurichten wollen“ (Hegel)
  • Was nimmt das Denken auf? „Im Denken hingegen sondern wir von der Sache das Äußerliche, bloß Unwesentliche ab und heben die Sache nur in ihrem Wesen hervor. Das Denken dringt durch die äußerliche Erscheinung durch zur inneren Natur der Sache und macht sie zu seinem Gegenstand. Es läßt das Zufällige einer Sache weg. Es nimmt eine Sache nicht, wie sie als unmittelbare Erscheinung ist, sondern scheidet das Unwesentliche von dem Wesentlichen ab und abstrahiert also von demselben.“ (Hegel)

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Ich hatte bereits einmal mehrere Blog-Seiten über die „Phänomenologie des Geistes“ geschrieben. Den  Anfang der Argumentation hatte ich da „unterschlagen“, weil er für den Zweck innerhalb einer damaligen Debatte nicht gebraucht wurde. Derzeit laufen wieder Gespräche, für die ich diesen Anfang jedoch nachliefern möchte:


Der Gedankengang in der „Phänomenologie des Geistes“ (auf dem Weg von der sinnlichen Gewissheit bis hin zum Selbstbewusstsein[1]) ist folgender (wobei hier nur die ersten Schritte referiert werden, und diese noch extrem verkürzt):

  1. Sinnliche Gewissheit
  • Die erste Stufe der Selbst- als Welterkenntnis ist die „sinnliche Gewissheit“ (HW 3: 82). Was weiß ich, wenn ich nur sinnlich fühle? Ich weiß nur „Dieses“. Ich weiß nicht, was das ist, denn die Bestimmung eines „Was“ würde eine Beziehung zu anderem voraussetzen. Wenn ich z.B. weiß: „Dies piekst“, dann setze ich zusätzlich zu dem Beginn als nur „Dieses“ zusätzlich voraus, dass etwas piecksen oder stechen oder streicheln kann. Dies sind alles (allgemeine) Oberbegriffe für mögliche Verhaltensweisen von „Dieses“. Erst recht setze ich Anderes voraus, wenn ich inhaltlich bestimme, was „Dieses“ ist. „Dieses“ ist dann z.B. eine Nadel. „Nadel“ setzt eine allgemeine Bestimmung dessen, was „Nadel-Sein“ bedeutet, voraus. (mehr …)

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) hat gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Einzeklägern eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Grund: die unzureichende Klimapolitik in Deutschland.

Zum Hintergrund der Klage heißt es vom SFV:

Um die Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Eigentum zu schützen, muss Deutschland mindestens die im Pariser Klima-Abkommen vereinbarte Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau einhalten und in der EU sein Gewicht dafür in die Waagschale werfen und die Emissionen in maximal zwei Dekaden in allen Sektoren auf null bringen. Zwar hat die Politik demokratische Entscheidungsspielräume. Diese erlauben es grundrechtlich jedoch nicht, die Grundlagen menschlicher Existenz und damit auch der Demokratie zu untergraben. Genau das riskiert aber die unambitionierte deutsche Klimapolitik.

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Dieser Beitrag gehört zum Text „Trägt oder trügt die Hoffnung aus einer dialektischen Geschichtsphilosophie?“


Ein Universalschlüssel, der etwa aus den früher gelehrten „dialektischen Grundgesetzen“ konstruiert wurde, erschließt uns weder die Geschichte noch sinnvolle Antizipationen der Zukunft. Natürlich gibt es Widersprüche, bei denen gegensätzliche Momente einer Einheit einander konstituieren. Natürlich können aus quantitativen Veränderungen nach Überschreiten eines Maßes qualitative Zustandsänderungen folgen. Natürlich wird das entstehende Neue das Alte im Prinzip doppelt negieren, weil es gegensätzliche Momente hat, aber das Sich-Verändernde (als „Menschheit“) doch mit sich gleich geblieben ist. In Hegels „Logik“ treibt der Widerspruch zwischen der zuerst erkannten Begriffsbedeutung mit der in ihm implizit enthaltenden weitergehenden, der ersten widersprechenden, Bedeutung zur Weiterentwicklung des Begriffs. In der „Weltgeschichte“ von Hegel werden die geschichtlichen Übergänge konkret untersucht. Beim Übergang zur griechischen Antike betont Hegel die „Berührung der persischen und griechischen Welt“ (HW 12: 273, vgl. 313ff.). (mehr …)

Dieser Beitrag gehört zum Text „Trägt oder trügt die Hoffnung aus einer dialektischen Geschichtsphilosophie?“


Dass die Fesseln der gesellschaftlichen Verhältnisse immer wieder gesprengt wurden, sieht man aus einer Perspektive des erreichten Entwicklungsstandes, quasi der „Eule der Minerva“, die „erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“ beginnt. (HW 7: 28) Bis zur Gegenwart hat es immer weitere Stufen der Höherentwicklung gegeben. Wenn wir nur diese Stufen betrachten und dieses Strukturmuster des stufenweisen Voranschreitens weiter in die Zukunft antizipieren, entsteht ein recht deterministisches Geschichtsbild. Die Stufen werden abgeleitet aus den „Gesetzmäßigkeiten“ der Geschichte. In dem schon genannten Lehrbuch wird die Argumentationsweise, die dazu führt, offenbart: Die Bestimmung der „Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung“ werden unmittelbar aus dem „Kapitel über die materialistische Dialektik“ über die Bestimmung der dort verhandelten Gesetzmäßigkeiten abgeleitet (Hahn, Kosing, Rupprecht 1983: 411). Das ist ein methodologischer Kurzschluss (Erpenbeck, Hörz 1977: 50) zwischen unterschiedlichen Ebenen des Erkenntnisprozesses (zwischen der allgemein-philosophischen Ebene der Philosophie und der Verallgemeinerung geschichtlicher Erkenntnisse) und überspringt die notwendigen Studien der „wirklichen Bewegung“ in der Geschichte, d. h. das Studium geschichtlicher Entwicklungen „jede […] für sich“ und ihre Vergleichung. (mehr …)