Ich möchte nur kurz einen Fund mitteilen, der meine Betonung des Unterschieds zwischen menschlichem „Arbeitsvermögen“ und der dem Kapital subsumierten „Arbeitskraft“ unterstreicht.

Wolfgang Jantzen machte 2012 darauf aufmerksam, dass Marx im „Kapital“ nicht mehr von „Arbeitsvermögen“, sondern von „Arbeitskraft“ (die dem Kapital subsumiert ist) spricht. Sein Thema ist ja „Das Kapital“ und nicht „Das Proletariat“. Der im „Kapital“ thematisierten „Arbeitskraft“ ist jedoch das „Arbeitsvermögen“ voraus gesetzt. Vergleichsweise kann das Arbeitsvermögen demnach mit so etwas wie potentieller Energie (für ruhende Zustände) verglichen werden, die Arbeitskraft dann mit kinetischer Energie (für Zustände in Bewegung). In der Physik wie der Betrachtung der Arbeit von Menschen sind solche Unterschiede nicht sinnlos, sondern aufschlussreich.

Die Menschen im Kapitalismus, die von Löhnen abhängig sind (Arbeiterklasse/Proletariat), wirken deshalb nicht nur (dem Kapital subsummiert, in immanenter Weise) als Arbeitskrafte, sondern: sie haben darüber hinausgehend als Akteure der lebendigen Arbeit ihr Arbeitsvermögen, mit dem sie den Kapitalismus transzendieren (können). Deshalb steht „lebendige Arbeit […] als Exteriorität zur gesellschaftlichen Totalität ihrer Verwertung durch das Kapital“ (Jantzen 2012: 2). Zumindest der Möglichkeit nach. Und:

„Damit ist die lebendige Arbeit prinzipiell in ein widerständiges Verhältnis zum Kapital gesetzt, indem sie ständig und notwendigerweise auf die Relation ihrer gesellschaftlichen Arbeit zu ihrer Reproduktion reflektieren muss.“ (ebd.: 17)


Quelle:

Jantzen, Wolfgang (2012): Marxismus als Denkmethode und Sicht auf die Welt – eine ständige Herausforderung auch im 21. Jahrhundert? Vortrag am 27.09.2012 bei der Philosophischen Gesellschaft Bremerhaven im Rahmen der Vortragsreihe 2012 „Was bleibt?“ Bedeutende philosophische Positionen des 20. Jahrhunderts nachgefragt.“


Es gibt noch einen Text im Nachtrag zu dem, was ich am 10.06.22 in Oldenburg vorgetragen habe, bzw. was dazu in der jungen Welt am 13.06.22 veröffentlicht worden war. Er bezieht sich stärker auf konkrete Debatten und betont die Behandlung der Konkurrenz in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus.


Was passiert, wenn „Ausbeutung“, „Mehrwert“ und „Profit“ und damit auch das Klassenverhältnis bei der Kapitalismusanalyse gegenüber dem Begriff des „Werts“ als unwichtig angenommen werden?  An einer Stelle, die ich jetzt nicht finde[1], kommentiert Stefan Meretz zu einem Text von mir so ungefähr: „Mehrwert ist doch nur mehr Wert“, bilde also nur einen quantitativen Unterschied. Ich sehe das nicht so. An dieser Stelle (beim Mehrwert) kommt die Arbeitskraft als eine qualitativ besondere Ware ins Spiel.

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„Nichts ist gefährlicher, als das jeweilige Ideal in ein abstraktes Normativ zu verwandeln,
in eine wie auch immer gefärbte Brille, durch welche die Wirklichkeit nur noch als
mehr oder minder gelungene Verkörperung des Ideals zu sehen ist.“ (Brie 1990: 8)

In manchen Debatten wird angenommen, dass wir in einer nachkapitalistischen, besseren Gesellschaft nicht mehr „arbeiten“ müssen. Klar müssen noch genug Sachen hergestellt werden, damit wir leben zu können, aber dieses Tun soll nicht mehr „Arbeit“ genannt werden, sondern zum Beispiel „Tätigkeit“. Das Wort „Arbeit“ wird dann nur auf seine Bedeutung aus dem Mittelhochdeutschen als „arabeit“ in der Bedeutung von Mühsal und Not reduziert. Es gibt in diesem Sinn auch eine Verwandtschaft mit dem Wort „rabota“, was von- „rabu“ (= Knecht, Leibeigener) hergeleitet ist. Inhalte von Worten und Begriffen haben sich historisch häufig gewandelt. Im Englischen gibt es wenigstens noch die Unterscheidung von work und labour.

Vor allem die bisherigen Unterdrückungsgesellschaften füllten die Worte mit Inhalten, die deren Praxen entsprachen. Müssen wir deshalb die ganze Sprache neu erfinden? Oder sollten wir ausweichen auf anscheinend „unverbrauchte“, „unverschmutzte“ Worte, wie von „Arbeit“ zu „Tätigkeit“ oder von „Eigentum“ zu „Verfügung“? Ich bin in solchen Fällen immer dafür, den Begriffsumfang in aller Geschichte genau zu erkunden und dann zu versuchen, auf den allgemeinsten hier vorkommenden Begriff zurück zu kommen, um dann Unterschiede als Besonderungen zu bestimmen. Der Begriff von „Arbeit“ hat eine besondere Bedeutung, gilt er doch im marxschen Kontext als wichtige Unterscheidung für das Menschliche gegenüber allem, was Tiere tun können.

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(Die Foliennummern entstammen der dazugehörigen Präsentation)

 

In unserer Ortsgruppe „Extinction Rebellion“ haben wir gegen Ende des vorigen Jahres ein Positionspapier erarbeitet, um uns zu den Kritiken an der Bewegung „Extinction Rebellion“ zu positionieren. In den Prinzipien dieser Bewegung wird vom „toxischen System“ gesprochen. In Jena einigten wir uns darauf, den Kapitalismus bei seinem Namen zu nennen. Natürlich wirken für das naturfeindliche Verhalten auch andere Verhaltensweisen und Verhältnisse eine Rolle, aber wir wollten den zentralen Kern der verhängnisvollen Dynamik präziser benennen.

Dies forderte Kritik heraus. So bekamen wir in einer Email mitgeteilt (Folie 1):

„Ich bin aber über eine Formulierung gestolpert und habe mich gefragt, ob ihr sie bewusst gewählt habt. Und zwar der „weltweit agierende Kapitalismus“ […].
Ist euch bewusst, wie sehr diese Formulierung sich anlehnt an Erzählungen von antikapitalistischen Antisemit*innen? […] Und wenn ihr behauptet, der Kapitalismus würde „agieren“, dann ist das eine ähnliche Verschwörungserzählung.
Denn Kapitalismus agiert nicht. Es sind Menschen, die agieren.

In dem folgenden Bild werden unvermittelt beide Positionen verbunden: der Kapitalismus tötet und Kapitalisten könnten die Mörder sein (Folie 2):

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Dieser Text gehört zum Projekt „Anregungen von Maurice Godelier“


Auch im Kapitalismus sind es wieder die Eigentumsverhältnisse, die die Produktions- und damit die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ganzes wesentlich bestimmen. Man kann kaum sagen, dass je ein bestimmtes Eigentumsverhältnis für je eine Gesellschaftsformation dominant ist. In jeder Gesellschaftsformation wirken verschiedene Eigentumsverhältnisse zusammen. Das persönliche bzw. haushaltbezogene Eigentum an Werkzeugen, Waffen sowie Vieh und die gemeinschaftliche Verfügung über das Territorium verweisen aufeinander. Dass diese Kombination so häufig auftritt, hat wohl den Grund darin, dass Vieh leicht ausgetauscht werden kann, Boden dagegen nicht (vgl. Godelier 1990: 122). Gemeinschaftlich genutzte Allmenderessourcen stützen häufig feudale Ausbeutungsverhältnisse. Die Selbstverwaltung der Dorfgemeinschaften enthebt die Feudalherren der direkten Einflussnahme und ermöglicht trotzdem oder auch gerade dadurch die Erhebung von Abgaben. Gemeinschaft geht mit „Flurzwang“ zusammen. Die sog. „asiatische“ und die feudale Gesellschaftsformation unterscheiden sich nach Godelier übrigens dadurch, dass in Asien der Staat oberster Eigentümer des Bodens blieb und Grundrente und Steuer zusammenfallen, während im Feudalismus Grundrente (an den  Grundherrn) und Steuer (an den Staat) unterschieden sind (Godelier 1990: 126). Die Trennung des Eigentums an Produktionsmitteln und Arbeitskräften im Kapitalismus ermöglicht vorher unglaubliche Kooperationseffekte im konkreten Arbeitsprozess, deren Triebkraft sich von den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen abkoppelt. Gleichzeitig entstehen klassenspezifische Interessen, die jeweils mit ihrem spezifischen Eigentumspositionen im Zusammenhang stehen. Die gesellschaftlichen Strukturen, wie die Eigentumsverhältnisse wirken nicht nur als „Nahelegungen“ auf das individuelle Verhalten, sondern dieses ist in bestimmter Weise interessiert und auf diese Weise auch verständlich. (mehr …)

Dieser Text gehört zum Projekt „Anregungen von Maurice Godelier“


Karl Polanyi[1] untersuchte, wie bestimmte Märkte dazu führen, dass die Gesellschaft nur noch als „Anhängsel des Marktes“ (Polanyi 1944/1978: 88) zu verstehen ist:

„Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.“ (ebd.: 88-89)

Er unterscheidet dabei zwischen „einzelnen Märkten“, die in andere Gesellschaftsfunktionen eingebettet sein können und einer „Marktwirtschaft“, in der die „auch die Gesellschaft selbst so gestaltet werden [muß], daß das System im Einklang mit seinen eigenen Gesetzen funktionieren kann“ (ebd.: 89). Märkte auf Fernhandels- oder auch lokaler Basis begleiten die Menschheit fast überall und immer – nur auf europäischem Gebiet wurde „durch das Eingreifen des Staates“ (ebd.: 96) eine neue Form von Märkten geschaffen. Zuerst durch nationalstaatliche Maßnahmen zur Aufhebung der traditionellen Schranken, danach durch die Ermöglichung[2] „eines einzigen großen, selbstregulierenden Marktes“ (ebd.: 101). Die daraus entstehende „Marktwirtschaft ist ein ökonomisches System, das ausschließlich von Märkten kontrolliert, geregelt und gesteuert wird; die Ordnung der Warenproduktion und -distribution wird diesem selbstregulierenden Mechanismus überlassen“ (ebd.: 102).[23] Das erfordert, „daß die gesamte Produktion auf dem Markt zum Verkauf steht und daß alle Einkommen aus diesen Verkäufen entstehen“ (ebd.: 103). Auch Arbeit, Boden und Geld werden nun zu Waren. Da diese Produktionsfaktoren aber nicht direkt für den Verkauf hergestellt wurden, nennt Polanyi sie „fiktive Waren“ (ebd.: 107f.). Verbunden mit dem Gebrauch dieser Faktoren als Waren ist die Tendenz ihrer Zerstörung, deshalb müssen sie geschützt werden (ebd.: 109), was jeweils durch unterschiedliche Kräfte und Institutionen in der Gesellschaft reguliert wird. Auf diese Weise sind die anderen, vor allem die politischen Kräfte in der Gesellschaft auch wesentlich für die Gesellschaft, dominant wird jedoch die Eigenlogik des Wirtschaftlichen.[4] Ab jetzt musste sich „die Organisierung der Arbeit den Entwicklungen des Marktsystems anpassen“ (ebd.: 111) und damit „war die menschliche Gesellschaft zu einem Beiwerk des Wirtschaftssystems herabgesunken“ (ebd.). (mehr …)

Dieser Text gehört zum Projekt „Anregungen von Maurice Godelier“

Version 2.0; 05.01.2021


Begriffe sollten spezifisch genug sein, um sie gegen Begriffe mit umfassenderer Bedeutung abzugrenzen, aber ausreichend weitgefasst sein, um gleiche inhaltliche Bedeutungen über angemessen große Geltungsbereiche hinweg damit erfassen zu können. Der traditionelle bürgerliche Begriff für „Eigentum“ basiert auf der im römischen Recht gebildeten Unterscheidung von „Besitz“ und „Eigentum“. „Besitz“ kennzeichnet dann die tatsächliche Verfügung über eine Sache (z.B. verfügen die MieterInnen über die von ihnen gemietete Wohnung), während „Eigentum“ eine rechtlich bindende Zuordnung der Sache zu einer Person ist (die Wohnung kann Eigentum einer anderen Person sein, an die deswegen eine Miete zu zahlen ist). In der „Einleitung zu den „Grundrissen“ (MEW 42 EL:36) verwendet auch Marx eine Unterscheidung von „Besitz“ und „Eigentum“, aber nicht ausdrücklich in der eben genannten bürgerlichen Form. An anderen Stellen verwendet er die Bezeichnung „Eigentum“ ausdrücklich auch für vorjuristische politökonomische Sachverhalte, so wenn er schreibt: „Eigentum meint also ursprünglich […] Verhalten des arbeitenden […] Subjekts […] zu den Bedingungen seiner Produktion oder Reproduktion als den seinen“ (MEW 42 Gr: 403). Die mit der Arbeitsteilung zusammenhängenden Formen des Eigentums bestimmen Marx und Engels als „Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“ (MEW 3: 22). Das heißt: „Im Mittelpunkt jeder Bestimmung des Eigentums muß das Verhältnis von Subjekten zueinander in der gesellschaftlichen Produktion ihres materiellen Lebens stehen.“ (Brie 1990: 29) 

Die Eigentumsverhältnisse beziehen sich nicht nur auf den Gebrauch, also die Verfügung bzw. den Besitz, sondern es geht vor allem um die Aneignung. Marx identifiziert in etwas verkürzter Weise für den Kapitalismus sogar „das kapitalistische Privateigentum“ mit der „kapitalistischen Aneignungsweise“ (MEW 23:791). Für Michael Brie ist das Eigentum kein Ding, sondern „die reale Aneignung der wesentlichen gesellschaftlich erzeugten Reproduktions- und Entwicklungsmöglichkeiten durch den Eigentümer im unmittelbaren Produktionsprozeß sowie in Verteilung, Austausch und Konsumtion.“ (Brie 1990: 40) Daher ergibt sich auch die überhistorische Verwendung des Begriffs „Eigentum“, denn dass „von keiner Produktion, also auch von keiner Gesellschaft die Rede sein kann, wo keine Form des Eigentums existiert, ist eine Binsenweisheit. Eine Aneignung, die sich nichts zu eigen macht, ist ein Widerspruch in sich.“ (MEW 42 EL: 23). Auch im Kommunismus gibt es noch Eigentum – “Nur der gesellschaftliche Charakter des Eigentums verwandelt sich. Es verliert seinen Klassencharakter“ (MEW 4 Man: 476). (mehr …)

Dieser Text gehört zum Projekt „Anregungen von Maurice Godelier“

Version 1.02, 05.01.2021


Bei Karl Marx gibt es den Begriff der „ökonomischen Gesellschaftsformation“ (MEW 23: 16, 184). Ohne an dieser Stelle den Begriff der „Gesellschaftsformation“ zu verwenden, erklären Marx und Engels, dass theoretische Abstraktionen dazu dienen können, „die Ordnung des geschichtlichen Materialist zu erleichtern, die Reihenfolge seiner einzelnen Schichten anzudeuten“ (MEW 3: 27). Als „progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation“ unterscheidet Marx die „asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen“ (MEW 42 VW: 9). Ob diese ausreichen, um die Vielfalt gesellschaftlicher Verhältnisse zu erfassen und in welcher Art manche von ihnen in unterschiedlichen Weltregionen aufeinander folgen, kann nur Gegenstand konkreter Untersuchungen sein. Der Vorteil marxistischer Gesellschaftstheorien ist es, innergesellschaftliche Phänomene immer im Zusammenhang zu den menschlichen Praxen der Naturveränderung zu sehen. So bestimmt Karl Hermann Tjaden Gesellschaftsformationen als „Formen der Auseinandersetzung von menschlicher und außermenschlicher Natur in der Menschheitsgeschichte“, d.h. als „Formen der Auseinandersetzung von menschlicher und außermenschlicher Natur“ (Tjaden 1976: 70). Denn „das Eingebundensein menschlichen Zusammenlebens in die Bio-, Geo- und Atmosphäre der Erde und in deren Evolution sind der menschlichen Vergesellschaftung nicht äußerlich“ (Lambrecht u.a. 1998: 13). Diese Auseinandersetzung erfolgt in der gesellschaftlichen Arbeit, in der Arbeitsgegenstände, Arbeitskräfte und Arbeitsmittel zusammenwirken, um die erstrebten Ergebnisse zu herzustellen. Es sind im Wesentlichen die Veränderungen der Weise, in der diese Faktoren angeeignet und zusammengebracht werden, welche nach Marx die ökonomischen Gesellschaftsformationen unterscheiden:

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Dies gehört zum Projekt „Verstehen wir Gesellschaften als Systeme oder Verhältnisse?“ .


Die Kritik am Luhmannschen System wird sicher deutlicher, wenn auf das entsprechend andere Vorgehen von Marx verwiesen wird. Marx unterscheidet deutlich zwischen zwei Ebenen der Realität, wobei die eine die Oberfläche darstellt. Auf dieser spielen sich die Ereignisse ab und zwischen ihnen sind bestimmte Beziehungen sichtbar, die für diese Ebene auch theoretisch erfassbar sind. Zusätzlich jedoch, und dies unterscheidet ihn von seinen bürgerlichen Vorgängern, untersucht Marx noch eine tiefere Ebene in dem Sinne, dass die Vorgänge auf der oberflächlichen Ebene dort ihren Grund haben. Dies beruht auf der Unterscheidung zwischen Erscheinungen und dem als Grund auftretenden Wesen[1]. Diese Unterscheidung ist jedoch keine Unterteilung von Getrenntem, sondern es geht um das Begreifen des Zusammenhangs dieser beiden Ebenen (was bei Hegel der Sphäre des Begriffs entsprechen würde). Man kann auch den von Marx gewählten Titel der „Kritik der politischen Ökonomie“ auf diese Weise aufschlüsseln (vgl. MEW 23: 22). Die Erkenntnisse aus der 1., d.h. der erscheinenden oberflächlichen Ebene gelten als „politische Ökonomie“ und das kritische Durchdringen dieser Oberfläche im 2. Schritt auf dem Weg zu ihrem begründenden Wesen als deren Kritik. Marx fängt zwar wörtlich gesehen mit der Erscheinung einer „ungeheuren Warensammlung“ an (MEW 23: 49), setzt dann aber ein mit Kategorien, die auch die bürgerliche Ökonomie schon kannte, wie „Gebrauchswert“, „Tauschwert“ und „Wert“. Von den sich hier zeigenden immer „dünneren Abstrakta“ tritt er, wie er es in den „Grundrissen…“ als seine Methode beschreibt, „die Reise wieder rückwärts“ an, in Richtung „einer reicheren Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen“ (MEW 42: 35), also zum konkret-Allgemeinen (siehe oben zur Hegelschen Unterscheidung von abstrakt-Allgemeinem und konkret-Allgemeinem). Nicht in den dünnen Abstrakta liegt die Bedeutung seiner Theorie, sondern in deren Konkretisierung. Es gibt also nicht wirklich einen „Zirkulationsmarxismus“ (Hanloser, Reitter 2008), weil der um das Begreifen des Wesens reduzierte Marxismus kein Marxismus mehr wäre, sondern noch hinter die besseren Vertreter[2] der bürgerlichen politischen Ökonomie zurückfällt.

Welche Aspekte erfasst Marx nun auf der Erscheinungsebene?

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Und was bedeutet das?

Vorbemerkung, Einordnung

In einem Projekt, in dem ich mitarbeite, versuchen wir, ein Modell zu simulieren, bei dem Güter für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zustande kommen und verteilt werden können ohne dass Geld zur Vermittlung verwendet wird. Mittels einer Agentenbasierten Modellierung werden die handelnden Menschen als „Agenten“ mit bestimmten inneren Variablen (und Anfangswerten hierfür) belegt und sie treten zueinander in Beziehung über berechenbare Funktionen. Durch diese Beziehungen entsteht ein Ganzes, das bei ausreichender Anzahl von Agenten, Variablen und Relationen zu übergreifenden Strukturen und Prozessen führt, die nicht mehr nur der Summe der Einzelaktionen entsprechen, was auch „Emergenz“ genannt wird.

Philosophisch gesehen geht es hier um die sehr alte Frage nach dem Verhältnis von Ganzem und seinen Teilen oder auch von Allgemeinem und Einzelnem sowie Besonderem. In neuerer Zeit wurden allgemeinste Aspekte dieser Verhältnisse auch von den System- und Komplexitätstheorien untersucht. Die oben genannte Modellierung, die eine Simulation einer „gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung ohne Geld“ ermöglichen soll, nimmt derartige Systemüberlegungen auf und konkretisiert sie. Welche Stellung kann eine solche Modellierung einnehmen für die Entwicklung gesellschaftstheoretischer Aussagen? Welchen Erklärungs- oder Prognoseanspruch können die Ergebnisse der Simulation überhaupt behaupten? Hierzu wird im ersten Teil gezeigt, dass es ein Nachdenken über „Systeme“ im philosophischen Kontextschon länger gibt. Besondere Bedeutung erlangt dabei die Kritik der Politischen Ökonomie von Marx, weil dabei das Systemdenken überschritten wird. Im zweiten Teil wird der Begriff des „Verhältnisses“ entwickelt, der eine philosophisch-dialektische Einbettung des Systemdenkens ermöglicht (siehe zum Verhältnis von Systemtheorie in Form von Selbstorganisationstheorien und philosophischer Dialektik auch schon Schlemm 2006). Im dritten und vierten Teil schließlich soll ein Bezug der Modellierung der „Gesellschaft nach dem Geld“ in Beziehung zu diesen Überlegungen gestellt werden und auch die modellierte Gesellschaft des verallgemeinerten Commoning selbst. Als Quellen für meine Ausführungen dienen vor allem die Arbeiten aus der Arbeitsgruppe von Camilla Warnke von vor fast 50 Jahren. Leider ist die Entwicklung des philosophischen Denkens in ihrer Substanz bisher kaum darüber hinaus gegangen. Wie diese Inhalte in den letzten fast 10 Jahren der DDR unterdrückt worden sind, kann anderso nachgelesen werden (Rauh 1991, Warnke 2009). Umso wichtiger ist es, sie auch inhaltlich dem Vergessen zu entreißen.


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