Dieser Text gehört zur „Langen Antwort an Simon“ zu seinem Kommentar hier im Blog.  Insgesamt gehören mehrere Blogbeiträge zu dieser Antwort.


Verhältnis einer kategorialen Theorie des Menschlichen zur (transformierenden) Praxis

… (vorheriger Abschnitt siehe oben)… Damit sind wir innerhalb unseres Dialogs im Zusammenhang mit dem Kommentar von Simon bei der Frage des Verhältnisses von Theorie und Praxis. Dies ist derzeit im Umfeld der Keimform-Debatten wichtig. Bei der Diskussion der Vorstellung von progressiven nachkapitalistischen Verhältnissen kommt das Gespräch häufig ins Stocken, weil Gegenargumente vorgebracht werden, die in den Bedingungen der jetzigen Verhältnisse begründet sind. Deshalb schlug Stefan Mz. vor, zwei Diskurse zu unterscheiden: Der „Diskurs 1“–- der „Commonismus-Diskurs“ – bezieht sich auf die Zukunftsvorstellung und das allgemein-Menschliche, während der „Diskurs 2“ den „Transformationsdiskurs“ darstellt. Beide Diskurse haben einen theoretischen Anspruch (nicht umsonst sind sie „Diskurse“), aber der zweite verbindet sich stärker mit praktischen Handlungen. Es gibt eine Verbindung: Aus der „kategorialen Analyse“ sollen Kriterien gewonnen werden, „die für unser heutiges Handeln relevant sind, also Gegenwart mit Zukunft verbindet“. An anderer Stelle schreibt Stefan nochmal, dass wir „Kritieren der (Selbst-)Entwicklungsrichtung“ brauchen. Die kategoriale Analyse im Diskurs soll keine konkretistische „Auspinselung“ einer Wunschwelt sein, sie soll auch nicht lediglich in einer abstrakten Kritik (etwa der Aussage „Ende jeder Herrschaft“) stecken bleiben. (mehr …)

Die logisch-historische Ableitung der „biologisch-naturgeschichtlichen Gewordenheit“ nehmen in dem Buch von Ute Holzkamp-Osterkamp („Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung 1“) über 200 Seiten ein und die „neue Qualität der gesellschaftlichen Entwicklung“ (ebd.: 229) weitere 150 Seiten. Sie kann deshalb hier nicht einmal ansatzweise angemessen referiert werden. Festzuhalten sind jedoch folgende Ergebnisse:

  • Dadurch, dass Menschen durch Arbeit ihre eigenen Lebensbedingungen schaffen, sind die veränderten bzw. hergestellten Gegenstände Vergegenständlichungen menschlicher Zwecke und Fähigkeiten (ebd.: 233) im Kontext der „übergreifenden Notwendigkeiten der Lebenssicherung“ (ebd.: 235) und tragen Bedeutungen, die über die Phase der unmittelbaren Nutzung hinausgehen (Das Spezifikum der menschlichen Werkzeugherstellung wird in der „geplante[n] Werkzeugherstellung für künftige Gelegenheit“ (ebd.: 232) gesehen).
  • Menschliche Tätigkeit bezieht sich auf diese bedeutungsvolle Umwelt innerhalb der jeweils konkreten historischen Entwicklungsstufe der Menschheit (ebd.: 235).
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alf
Die „Kritische Psychologie“ hat ein ganzes System von Kategorien entwickelt, bei denen es nicht mehr darum gehen soll, aus Sicht von PsychologieexpertInnen über andere Menschen zu sprechen, sondern allen Begriffe in die Hand zu geben, mit der sie ihre eigene Selbst- und Welterfahrung besser verstehen können. Es geht um die „Selbstverständigung über die interessengeleiteten Beweggründe und Konsequenzen meines je eigenen Handelns in kritischen Lebenssituationen“. (Holzkamp 1996: 166)

Das Buch „Grundlegung der Psychologie“ (Holzkamp 1983) ist theoretisch sehr anspruchsvoll und trotz aufklärender Handreichungen wie „Die „Grundlegung der Psychologie“ lesen“ von Stefan Meretz (2012) oder des Versuchs der „Einführung in die Kritische Psychologie“ von Morus Markard (2009) blieb bisher oft unklar, wie diese Begriffe zur angestrebten Selbstverständigung genutzt werden können.

Ein neues Büchlein kann hier ein Stück weiter helfen. In ihm wurden Beiträge zum Thema „Alltägliche Lebensführung“ aus der Sicht der Kritischen Psychologie zusammen getragen. Kurt Bader und Klaus Weber stellen mehrere Beiträge von ihnen selbst, von Ute Ostkamp, Klaus Holzkamp, Ole Dreier, Frigga Haug und anderen zusammen, die vielfältige Herangehensweisen und Erfahrungen zeigen. (mehr …)

hamsterrad 1

Ich lese grad in einem Büchlein folgenden Absatz:

„Wir funktionieren wie am nicht enden wollenden Fließband, drehen unsere Runden, immer wieder, solange nichts passiert. […] Das kann doch nicht das ganze Leben sein!

 

Nein, ist es auch nicht. Es ist die Absicherung uns elementar scheinender Lebensregelungen. Diese Elemente alltäglicher Lebensführung – die übrigens auch den Arbeitsalltag vieler strukturieren – halten uns den Rücken frei. Wofür? Für das Leben, für das „eigentliche“ Leben – für Sinn, Perspektive, Glück und Liebe. Aber wo finden wir das „Eigentliche“?“ (Bader 2016: 95)

Hamsterrad 2
Kann das wirklich nicht das ganze Leben sein? Gibt es für alle Menschen noch so etwas wie das „Eigentliche“? Gibt es das für Dich, für Sie? Wie ist es aushaltar, dass das Hamsterrad alle Kräfte schlaucht und immer weniger für das „Eigentliche“ übrig bleibt? Lässt es sich zusammenbringen?


Auf der Veröffentlichungsseite meiner Webseiten bei Thur.de hatte mal wieder jemand mein Angebot gesehen, einen Reader mit Texten zur Kritischen Psychologie zu versenden. Ich habe aber gar keine gedruckten Exemplare mehr. Deshalb habe ich die Texte noch mal zusammen gestellt und biete sie hiermit zum Download an:

Menschsein

Hier noch der Download-Link: http://www.thur.de/philo/pdf/Menschsein.pdf


Ich habe schon erwähnt, dass die jungen Leute in den digitalen Spielen bestimmte Eindrücke und Erfahrungen sammeln, die Meinungen und Überzeugungen über die Welt außerhalb der Spiele stark prägen.

„Games show them how the world works.“ (Beck, Wade 2006: 133)

Für die soziale Welt gilt dabei z.B.: Es geht immer um Wettbewerb und im sozialen Bereich gibt es Unterordnung sowie Konkurrenz und Verbündete. Die Gamer lernen auch, mit welchen Strategien sie in einer solchen Welt ihren Heldenstatus immer weiter festigen und sich verbessern können.
Sie lernen hier, dass das Leben in einem freien Markt nicht fair ist, und dass nur das von Wert ist, wofür andere zu bezahlen bereit sind (ebd.: 150) Wenn soziale Beziehungen durchgespielt werden, so geht es jeweils um ein begrenztes, unpersönliches Ziel (ebd.: 118). Und nach Beck und Wade ist das gut so, denn: „so is business“.

„Man spiele, was die Gesellschaft sowieso von den Bürgern möchte: Aufbau, Leistung, Konkurrenz, Weiterkommen. Nur mache es in diesem Fall Spass.“ (P.M. Ong, zitiert in Quelle)

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Die jungen Menschen der Gamer-Generation haben viele Stunden mit den digitalen interaktiven Spielen verbracht. Und sie haben darin agiert und viel leichter gelernt als durch Bücher oder Worte. Sie haben beim Spielen gelernt, wie die Welt funktioniert und wer sie sind.

„Bathing in a powerful interactive media technology, for hundreds and even thousands of hours each, during their most formative years – how could that not have an effect?“ (Beck, Wade 2006: 15)

Was haben sie aus den Spielen über die Welt gelernt? (mehr …)


Die Autoren Beck und Wade sehen in der Generation, die in eine Welt voller digitaler Spiele über Konsole oder PC hineingewachsen ist, eine deutlich von der vorigen Generation, den Baby-Boomern, zu unterscheidende Kultur. Diese Generationen vertreten recht unterschiedliche Weltanschauungen (Beck, Wade 2006: 19), was mit den Unterschieden ihrer Leitmedien zusammen hängt. Während die Boomer geprägt sind vom Fernsehen, sind die Gamer von den digitalen Spielen geprägt, deshalb wachsen sie anders auf, spielen, lernen, fühlen und denken sie anders (ebd.: 177).

Beck und Wade werten eine Umfrage unter tausenden Gamern und Boomern unterschiedlicher Altersgruppen aus und fanden deutliche und scharfe Differenzen zwischen diesen Gruppen bezüglich Zielstrebigkeit, der Art der Erfahrung, der speziellen Fähigkeiten (ebd.: 44).
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Inhalte sind noch zweitranging

Für Lesefans sind Spiele meist inhaltlich zu leer und aussagelos. Gamer meinen aber, dass es auf die Inhalte gar nicht ankommt, sondern auf „die Möglichkeit, Welten auf Bildschirme zu zaubern, auf die der Spieler in irgendeiner Form einwirken kann“ (Mertens, Meißner 2002: 73).

„Romane beschreiben, wie Menschen sich fühlen, wenn sie auf ihr bisheriges Leben zurückschauen und daraus für ihr weiteres Leben Konsequenzen ziehen wollen. Computerspiele beschreiben die Möglichkeiten, die sich jeden Moment ergeben und die man genau dann nutzen muß. Man kann nicht darüber nachdenken, sondern muß handeln. So oft und so viel es geht. Alles kann Möglichkeiten bieten, alles muß erforscht werden, es muß immer weiter gehen, es gibt keine Pause.“ (Mertens, Meißner 2002: 86)

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Spiele vs. Bücher

Den Spielen liegen inzwischen häufig auch Erzählungen zugrunde. Wie auch beim Miterleben von Abenteuern in Büchern, können auch in Spielen Abenteuer, die im wirklichen Leben nicht möglich sind, erlebt werden (Mertens, Meißner 2002: 189). Bei Büchern können die Lesenden sich von der wirklichen Welt ablösen, man kann ihr den Rücken zukehren. Dafür gilt eigentlich auch, was Meißner für Spiele formuliert:

„Der Kick […] besteht […] darin, daß du Realität abschalten und verlassen kannst, sobald du keinen Bock mehr auf sie hast, und dir aus einem möglichst großen Fundus von Alternativrealitäten eine aussuchen kannst, in der du jetzt lieber sein möchtest.“ (Meißner 2001: 153)

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